Die vielen Berichte der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) 2005 bis 2007, 26.11.2005

von Ulrich Wangemann

Filet in der Waschstraße

Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ), 26.11.2005

Was zu tun ist, wenn die Pforte „Wüstenalarm“ auslöst, wissen die Beschäftigten der Fleischfabrik Disselhoff Sachsenkrone in Schmerzke ganz genau. Wenn der rote Wagen der für Fleisch zuständigen Veterinärin der Stadt Tanja Wüste zur Kontrolle auf den Fabrikhof rollt, machen dutzende flinke Hände das Haus besuchsfein. „Genug Zeit ist ja“, sagt der ehemalige Mitarbeiter Klaus Grabitz: „Bis Frau Wüste sich umgezogen und die Produktionshallen erreicht hat, vergehen zwischen 15 und 30 Minuten.“

Besonders überraschend seien die Kontrollen ohnehin nicht, sagt eine Fleischverpackerin, die bis Mitte 2004 in dem Betrieb angestellt war: „Die Kontrolleurin kam immer gegen sieben Uhr.“ Dabei stänken die Verhältnisse in dem Betrieb zum Himmel, sagt die Frau, die unerkannt bleiben möchte, aber vor Gericht zu ihren Aussagen stehen würde.

So habe sie „Eiterbeulen, richtige gelb-blaue Augen aus spanischem Fleisch geschnitten“. Derart verdorbene Ware sei „in den Hacker gekommen und in Soße gelegt worden“. Gepresst wurden dann Kammscheiben daraus.

Unter Termindruck, so die ehemalige Angestellte, greife die Geschäftsleitung notfalls zu verbotenen Praktiken. So habe sie erlebt, wie Filets in schwarze Folie verpackt in der Waschanlage des Betriebs hastig erhitzt wurden – in kochendem Wasser.

Der oberste Fleischbeschauer der Stadt Brandenburg, Knut Große, ist dennoch überzeugt: „Unsere Lebensmittel sind heute so sicher wie nie.“ Er bestellte gestern Nachmittag Medienvertreter zu einer – nach dem MAZ-Bericht über die Zustände in dem Schmerzker Betrieb eilig anberaumten – Pressekonferenz nicht etwa in sein Amt, sondern in die in die Kritik geratene Fabrik.

„Unsere Kontrollen sind effektiv“, sagte Große. Allein in diesem Jahr hätten 208 Kontrollen in Schmerzke stattgefunden, davon 21 nachts. Im vergangenen Jahr seien es insgesamt 351 Betriebsprüfungen gewesen. Allerdings gestand Große ein, es habe „Unregelmäßigkeiten“ gegeben. So verhängte seine Behörde ein Bußgeld gegen einen Sachsenkrone-Mitarbeiter, der eine reklamierte und zurückgeschickte Ware nicht als solche gekennzeichnet hatte.

Betriebsleiter Wolfgang Balczynski lud die versammelten Journalisten gestern zu einem Rundgang im Betrieb ein, um zu beweisen, dass „an den Vorwürfen überhaupt nichts dran ist“. Zu sehen bekamen die Medienvertreter allerdings wenig: Die Produktion ruhte während der Visite.

Aufgewacht ist inzwischen offenbar das Landeskriminalamt (LKA). Es lud gestern Ex-Mitarbeiter Klaus Grabitz, der Anzeige gegen das Unternehmen erstattet und der MAZ davon berichtet hatte, zu einem Gespräch ein. Die Eile wirkt überstürzt. Schließlich hatten Grabitz und ein weiterer Sachsenkrone-Mitarbeiter die Missstände schon im Sommer angezeigt. Er habe der Staatsanwaltschaft Mitte des Jahres umfangreiches Beweis-Material zu den Vorgängen bei Sachsenkrone angeboten, sagt Simon Daniel Schmedes, Rechtsanwalt von Klaus Grabitz. „Aber es hat einfach niemanden interessiert.“

Offenkundig ahnungslos hielt sich das LKA noch im Oktober mit der Frage auf, ob es sich mit dem richtigen Betrieb beschäftige. Schmedes’ Mandant Grabitz muss sich derweil warm anziehen: Betriebsleiter Balczynski bezeichnete ihn als „Trittbrettfahrer“ beim aktuellen, deutschlandweiten Fleischskandal und kündigte rechtliche Konsequenzen an.

Das „Trittbrett“ – Grabitz’ Anzeige – war allerdings schon ein knappes halbes Jahr vor dem aktuellen Groß-Skandal in der Welt.