PFT - Berichte der WamS, 29.12.2015

Schwierige Suche nach der Wahrheit

Welt am Sonntag (WamS) , 29.06.2008 von David SCHRAVEN

Am Morgen des 29. Mai 2008 begann im beschaulichen Meschede im Sauerland eine der größten Polizeirazzien der letzten Zeit in Nordrhein-Westfalen. Kurze Zeit später gab es die ersten Meldungen: Korruption im NRW-Umweltministerium, eine Bande rund um einen ehemaligen Abteilungsleiter der Behörde habe rund 4,3 Mio. Euro unterschlagen. Die Rede war von gewerbsmäßigem schweren Betrug und damit einhergehenden Untreue- und Korruptionsdelikten. Der ehemalige Abteilungsleiter, Harald F., Mitglied der Grünen, wurde in Meschede verhaftet. Mit dem 55-Jährigen sind zwölf weitere Personen beschuldigt.


Was ist dran an den Vorwürfen? Die Recherchen in diesem Fall sind schwierig. Das ermittelnde Landeskriminalamt (LKA) mauert genauso wie
die 13 Beschuldigten und deren Anwälte. Erst jetzt hat die "Welt am Sonntag" umfangreich Einblick in die Ermittlungsunterlagen nehmen
können. Aus juristischen Gründen darf nicht wörtlich aus den Akten zitiert werden. Die Auszüge werden deswegen sinngemäß wiedergegeben.


Beim Lesen der Unterlagen kommt ein Verdacht: War das Ganze auch eine Hetzjagd auf einen unliebsamen Ex-Angestellten? Angefacht und befeuert von Mitarbeitern des Umweltministeriums war das Vorgehen bis in die Ministeriumsspitze hinein mit den Beamten des LKA abgestimmt.


Begonnen hat alles im Sommer 2006. Harald F. wurde damals während eines Urlaubs fristlos gefeuert. Das Ministerium warf dem Angestellten
Ausschreibungsverstöße und Geheimnisverrat vor. Aus Unterlagen, die der "Welt am Sonntag" vorliegen, geht hervor, dass zuvor unter anderem die Wasserwerke an der Ruhr gegen den damaligen Abteilungsleiter interveniert hatten. Das anschließende Arbeitsgerichtsverfahren zog sich
über Monate hin. Schließlich mussten alle Vorwürfe im Oktober 2006 zurückgenommen werden. Das Ministerium unterschrieb eine Ehrenerklärung für F. und zahlte eine Abfindung in Höhe von 75 000 Euro.


Im Zuge des Verfahrens fragte das LKA laut Vermerk das Ministerium, ob ein Grund für die Kündigung auch Korruption sein könnte. Die Behörde von Minister Eckhard Uhlenberg (CDU) reagierte schnell. Bereits am 14. Juli 2006 registrierte das LKA die Anzeige der Ministeriums. Im Namen des Ministers warf ein Justiziar Harald F. die "freihändige Vergabe von Forschungsaufträgen" und die "Verletzung von Dienstgeheimnissen" vor.
Dabei habe er sich "geldwerte Vorteile in derzeit nicht bekanntem Umfang" verschafft. Die Vorwürfe bezogen sich unter anderem auf die
Korruptionsparagraphen des Strafgesetzbuches.


Heute will das Umweltministerium nichts mehr von der ersten Anzeige wissen. Stattdessen versucht der Staatssekretär Alexander Schink, die
Rolle seines Hauses herunterzuspielen. Im Landtag sagte Schink, es habe keine Strafanzeige gegeben, die sich auf "Vergabeverfahren" bezog. Für einen "Korruptionsverdacht" habe es damals "keine Anhaltspunkte" gegeben. "Um welche Verfahren es im Einzelnen bei dem
Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft geht, ist mir nicht bekannt."


Dabei sollte Schink eigentlich genau wissen, was los ist. Von Beginn an konzentrierte sich die LKA-Ermittlungskommission "Stuhl" vor allem auf
Material aus seinem Haus. In einer Email der Ermittler an den Justiziar des Ministeriums vom 21. November 2007 heißt es beispielsweise, sobald
im Ministerium das weitere Vorgehen mit Schink abgestimmt worden sei, könnten LKA und Ministerium gemeinsam besprechen, was als nächstes zu tun sei.


Vor allem die Kronzeugin des Umweltministeriums, Dorothea D., brachte in ihren Vernehmungen immer neue Vorwürfe gegen Harald F. vor. Sie sagte, der Abteilungsleiter habe nach der Philosophie gelebt, keine Leistung ohne Gegenleistung.


Zum Beispiel habe Harald F. einen teuren Laptop im Gegenzug für einen Auftrag an ein Institut der RWTH Aachen erhalten. Als Grund für Ihre
Aussagen nannte Frau D. in einer Vernehmung, dass sie sicherstellen wolle, dass Harald F. nicht zurück ins Amt komme. Sie mochte seinen
Führungsstil nicht.


Wenn man allerdings den Vorwürfen der Frau D. nachgeht, bleibt nicht viel mehr als Kantinentratsch. Der angesprochene Laptop beispielsweise
trägt eine Inventarnummer der RWTH Aachen. Nach Aussagen mehrerer Zeugen wurde auf dem Laptop die Testversion einer Umweltsoftware installiert, die Harald F. im Rahmen seines Jobs überprüfen musste. Nachdem der Abteilungsleiter seine Stelle verloren hatte, gab er den Rechner im Sommer 2006 zurück. Das LKA bestätigt diese Version.


Allerdings sehen die Ermittler immer noch eine Vorteilsannahme: In einem Vermerk heißt es, Harald F. habe nach seiner Rausschmiss im Juni 2006 den Rechner für einige Wochen nur privat nutzen können, da er ja nicht mehr für das Ministerium arbeiten durfte - auch wenn er offiziell erst zum 1. Oktober entlassen wurde. Als Gegenleistung habe er zuvor Aufträge an die RWTH vergeben. Die Staatsanwaltschaft bestätigte, dass in der Sache "Laptop" weiter ermittelt wird.


Daneben stützt sich die Staatsanwaltschaft auf das Motiv "Ego". Harald F. habe eine Ehrenprofessur an der RWTH angestrebt, erklärte die Zeugin
D. Damit er diesen Titel erreichen konnte, habe er ein Institut der Uni bei Auftragsvergaben bevorzugt. Doch das stimmt so offenbar nicht. Aus
den Ermittlungsunterlagen geht zwar hervor, dass Harald F. unentgeltlich fünf Jahre lang Vorlesungen gehalten hat und damit eine hrenprofessur
anstrebte. Doch der Rektor der RWTH, Burkhard Rauhut, sagte dieser Zeitung: "Wir haben in dem betreffenden Institut alle Ausschreibungen
überprüft. Aber wir haben nichts Auffälliges gefunden."


Einige Zeugen äußerten laut Akten die Vermutung, Harald F. habe sich aufgrund seines energischen Umweltschutzes Feinde gemacht. Tatsächlich
ist Harald F. einer der profiliertesten Kritiker von Umweltminister Uhlenberg im PFT-Skandal, bei dem es um die Einleitung von Gift in die
Ruhr geht. Harald F. hielt engen Kontakt zu mehreren Journalisten. Unter anderem auch zur "Welt am Sonntag". Auffällig ist, dass die Ermittler
während der Hausdurchsuchungen auch einen Ordner mit der Aufschrift "PFT-Ruhr" mitnahmen. Eine beschlagnahmte Email zum PFT-Skandal leitete das LKA anschließend an den Umweltstaatssekretär Schink weiter. Dieser stellte daraufhin eine neue Strafanzeige gegen einen angeblichen Informanten aus den eigenen Reihen.


Nach Ansicht der zuständigen Amtrichterin konzentriert sich das weitere Verfahren gegen Harald F. nicht auf die Frage, ob er bestechlich gewesen sei. Vielmehr gehe es um die Frage, ob die angegriffenen Vergaben korrekt gelaufen sind. Auch die Staatsanwaltschaft bestätigt diese
Version. Falsche Vergaben können den Straftatbestand der Untreue erfüllen.


Die Frage ist, ob die Aufträge, die Harald F. als Abteilungsleiter vergeben hat, der Forschung und Entwicklung im Wasserhaushalt zugute
gekommen sind. Das LKA hat zur Beantwortung dieser Frage unter anderem eine Forschungs-Definition aus dem Internet-Nachschlagewerk Wikipedia in die Akten kopiert. Zudem stützt sich das Amt auf Vermerke aus der Spitze des Ministeriums. Weiter übergab das LKA der Bauingenieurin Dorothea D. Ermittlungsakten, damit die Belastungszeugin ihre rechtliche Bewertung abgeben konnte.


Bislang kommen die Ermittler zu dem Schluss, dass etwa die Entwicklung von Computerprogrammen durch die Uni Bochum nicht der Wissenschaft dienen konnte. Unberücksichtigt bleiben bei diesen Einschätzungen allerdings die Aussagen des zuständigen Referatsleiters im
Umweltministerium, Viktor M., der genauso wie rund ein Dutzend Zeugen aus den betroffenen Universitäten der Ansicht ist, dass die angegriffenen Vergaben weitgehend korrekt gelaufen sind.


Im Umweltministerium machen sich Sorgen breit, ob man nicht über das Ziel hinausgeschossen sei. Die Staatsanwaltschaft hat veranlasst, dass
etliche Firmen- und Privatkonten gepfändet wurden.


In einer Vernehmung am 6. Juni sagte die Zeugin Dorothea D., ein Mann aus der Hausspitze des Ministeriums habe sie unter vier Augen
aufgefordert, beim LKA vorsichtig mit ihren Aussagen zu sein. Der Beschuldigte Harald F. könne schließlich auch - wie im Arbeitsgerichtsverfahren - reingewaschen werden. F. wurde inzwischen aus der U-Haft entlassen.