PFT - Berichte der WamS, 09.07.2006

von David SCHRAVEN

Wie giftig ist das Ruhrwasser

Welt am Sonntag (WamS) , 09.07.2006
von David SCHRAVEN

Das "Kaufland" im Arnsberger Stadtteil Bruchhausen ist ein normaler Supermarkt. Ungewöhnlich sind allerdings die Ein-Liter-Wasserkartons, die kurz vor der Kasse in Stapeln auf Paletten stehen. Seit über einer Woche wird in Arnsberg dieses saubere, abgefüllte Wasser gegen Gutscheine abgegeben. Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder bekommen jeweils 10,5 Liter pro Woche gratis von den örtlichen Wasserwerken. Die Wasserausgabe verlaufe ruhig, sagt Thorsten Klingelnberg, Leiter des Supermarktes: "Es gibt keinen Ärger."


Im Trinkwasser aus dem Arnsberger Möhnebogen hatten Forscher der Uni Bonn perfluorierte Tenside gefunden, kurz: PFT. PFT in höherer Dosierung kann nach Auskunft des Umweltbundesamtes Krebserkrankungen auslösen. Nun soll der PFT-Wert mit einem Aktivkohlefilter gesenkt werden, der derzeit eingebaut wird. Ein grundsätzliches Problem aber bleibt.

Aus der Ruhr und ihren vielen Zuflüssen schöpfen die Wasserwerke des Ruhrgebiets. Seit über hundert Jahren wird das gleiche Verfahren angewandt: Rohwasser wird durch Sandfilter gedrückt, mit Chlor und anderen Chemikalien behandelt und in die Trinkwasserleitungen gepreßt. Millionen Menschen werden so versorgt. Das funktioniere auch gut, sagt der Sprecher der Stadtwerke Hamm: "Es werden alle Grenzwerte der Trinkwasserverordnung zum Teil weit unterschritten." Das stimmt. Nur eben nicht immer.

Zum Beispiel beim PFT. Diesen Stoff setzt die Industrie etwa in Goretex-Jacken, in Teflon-Beschichtungen oder zum Brandschutz ein. PFT ist ein organisches Molekül, das langlebig und fast unzerstörbar ist. Im März untersuchte Martin Exner, Professor für Hygiene-Forschung an der Universität Bonn, wie sich PFT in der Ruhr verbreitetet. Dabei stellte er fest, daß in einem wichtigen Ruhrzufluß nahe Arnsberg die Werte auf über 1700 Nanogramm je Liter schossen. Und: "Die Belastung des Trinkwassers war fast identisch mit der Belastung des Oberflächenwassers in der Ruhr", sagt Exner. Er schätzt, daß sich seit mindestens zwei Jahren PFT in der Ruhr befindet.

Das Umweltbundesamt hält einen Wert von 300 Nanogramm pro Liter für unbedenklich: Grenzwerte, die im Trinkwasser von Arnsberg und Wickede überschritten wurden. Offensichtlich waren die örtlichen Wasserwerke nicht in der Lage, PFT aus dem Wasser zu filtern. Exner informierte die Behörden. Und die reagierten schnell. Aktivkohlefilter werden installiert, sauberes Wasser wird verteilt.

Doch wie kann verhindert werden, daß Schadstoffe wie PFT unerkannt ins Trinkwasser gelangen? Neben der herkömmlichen Methode der Sandfilteranlagen, wie sie noch in vielen Wasserwerken entlang der Ruhr angewandt wird, gibt es zwei weitere Methoden zur Wasseraufbereitung. Die eine bezeichnet man als "Düsseldorfer Verfahren": Das vorgefilterte Wasser wird mit Ozon behandelt und über Aktivkohlefilter geleitet. So gewinnt man sauberes Trinkwasser selbst aus verschmutzten Flüssen.

Eine zweite Methode ist die sogenannte Membran-Nano-Filtration. Dabei wird das Wasser durch ein engmaschiges Sieb, die Membran, gepreßt. Fast alle organischen Moleküle bleiben darin hängen, sauberes Trinkwasser bleibt übrig. Doch längst nicht überall in Nordrhein-Westfalen werden diese modernen Verfahren angewandt.

Dabei diskutieren Fachleute im Düsseldorfer Umweltministerium seit mehr als zwei Jahren über eine Verschärfung der Trinkwasserrichtlinien. Harald Friedrich, bis vor wenigen Wochen noch Abteilungsleiter im Ministerium, war einer der heftigsten Streiter für eine Modernisierung der Technik entlang der Ruhr.

Friedrichs Gegner sind in der Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke an der Ruhr (AWWR) organisiert. Die Stadtwerke entlang des Revierflusses und die Gelsenwasser AG halten eine Veränderung der geltenden Bestimmungen für überflüssig. Heinz-Otto Heimeier, Sprecher der AWWR, sagt: "Eine Erhöhung der Güteparameter zu einem optimalen Wert ist unverhältnismäßig teuer." Schließlich würden die geltenden Grenzwerte eingehalten. Fachleuten schätzen, daß die Umrüstung der Trinkwasseranlagen an der Ruhr bis zu 500 Millionen Euro kosten würde.

Zum Eklat kam es, als Friedrich der Dinslakener Bürgermeisterin Sabine Weiss (CDU) im Januar einen Brief schrieb. Darin riet er ihr zu einer eigenen Wasseraufbereitung nach dem Membranprinzip. Einige Ratsmitglieder drängten indes zu einem Verkauf der städtischen Wasserrechte an die Gelsenwasser AG. Statt eine eigene Membrananlage zu betreiben, könne man das Wasser doch beim Konzern kaufen, hieß es.

Friedrich schrieb: "Keines der von der Gelsenwasser AG (...) in Vertrieb gebrachten Trinkwässer verfügt über eine Wasserqualität, die in ihrer Güte (...) für die menschliche Gesundheit vergleichbar ist (mit) der Wasserqualität, die durch eine Membran-Nano-Filtration erreichbar ist." Daraufhin platzte das Gelsenwasser-Geschäft.

Die Manager des Wasserkonzerns waren aufgebracht. Gelsenwasser-Vorstand Bernhard Hörsgen schrieb einen Brief an Friedrichs Vorgesetzten, den Umweltstaatssekretär Alexander Schink (CDU). Man habe die Stellungnahme des Schink-Untergebenen "mit Empörung zur Kenntnis genommen", heißt es in dem Brief, der der "Welt am Sonntag" vorliegt.

In einem weiteren Schreiben drängte Hörsgen den Abteilungsleiter Friedrich persönlich zum Stillhalten: Man sei schließlich übereingekommen, keine "öffentliche Auseinandersetzung über die Qualitäten von Trinkwässern" zu führen. Das führe "nur zur Verunsicherung der Bürger". Man fühle sich "verunglimpft". Gelsenwasser halte die Grenzwerte der Trinkwasserverordnung ein. Und eine "vertrauensvolle Zusammenarbeit" mit Friedrich sei für Gelsenwasser in Zukunft "kaum mehr möglich".

Zwei Wochen später, Mitte März, attackierten die Wasserverbände Umweltminister Eckhard Uhlenberg (CDU) direkt. In einem "persönlich" adressierten Schreiben verlangten sie, auf eine Verschärfung der Aufbereitungsrichtlinien zu verzichten. Diese seien "fachlich unbegründet und überflüssig". Bis Mitte März hatte sich Uhlenberg noch sehr deutlich für die Membrantechnik ausgesprochen. Auf einer Fachtagung der NRW-Wasserwirtschaft in Oberhausen sagte er beispielsweise, daß "wir" in NRW "hinter dieser modernen, innovativen Technik stehen".

Ende Juni wurde der Abteilungsleiter Harald Friedrich gefeuert. Eine offizielle Begründung für diese Entlassung ist beim Umweltministerium nicht zu bekommen. Der Fall kommt vors Arbeitsgericht.

Zu der diskutierten Verschärfung der Wasser-Richtlinien sagt nun ein Ministeriumssprecher: "Es gibt in NRW keinen dringenden Handlungsbedarf. Das Trinkwasser ist von hoher Qualität. Eine Gesundheitsgefährdung besteht nicht." Damit habe der Minister aber seine Meinung zur Membran-Technik nicht geändert. Nur: "Welche Technik eingesetzt wird, ist Sache der Wasserwerke." Ansonsten wolle man allein "dauerhaft sauberes und sicheres Trinkwasser". Hat Uhlenberg Friedrich auf Druck der Wasserwerke entlassen? "Minister Uhlenberg läßt sich nicht unter Druck setzen", sagt der Sprecher.