Sie sitzen in der ersten Reihe und klatschen laut Beifall: Hermann GÖRING, Joseph GOEBBELS und Adolf HITLER. Auf der Bühne des UFA-Filmpalastes am Berliner Kurfürstendamm verbeugt sich Camilla SPIRA. Es ist ihre erste Rolle - Camilla SPIRA als tapfere Frau des U-Bootfunkers Jaul in dem U-Bootfilm der UFA »Morgenrot«. Der Film hat Premiere.
Camilla SPIRA ist gerührt. Unter den tosenden Ovationen hängt man ihr einen Lobeerkranz mit grünen Banderolen um, auf denen in goldenen Lettern zu lesen ist: »Der Darstellerin der deutschen Frau.«
Camilla SPIRA steht am Beginn einer großen Karriere. Der Film ist zugleich das Ende ihrer Karriere: Camilla SPIRA ist Jüdin.
Unter den begeisterten Kinobesuchern im berühmten UFA-Palast sitzt auch ihr »Schwiegervater«: »Onkel Ignatz«.
»Unsere Zeit verbietet Feiern«, hatte Ignatz NACHER sechs Tage zuvor, am Samstag, dem 28. Januar 1933, im Geschäftsbericht der »Engelhardt-Brauerei Aktiengesellschaft« geschrieben. Es war Aktionärsversammlung, und der Generaldirektor Ignatz NACHER hatte - wie jedes Jahr - eine kleine Ansprache über das wirtschaftliche Jahresergebnis der Großbrauerei gehalten. Das glänzte diesesmal zwar nicht mehr mit den Erfolgszahlen der Vorjahre - aufgrund der miserablen Wirtschaftskonjunktur hatte man einen sechsprozentigen Absatzverlust verbuchen müssen. Für eine fünfprozentige Dividende reichte es trotzdem. Schließlich hat die Aktionärsversammlung auch einen besonderen Anlaß: die bekannte Brauerei feiert ihr 25jähriges Jubiläum als Aktiengesellschaft.
Ignatz NACHER war 1901 eingestiegen. Und hatte die kleine Berliner Brauerei aus der Chausseestraße zum zweitgrößten Brauereikonzern Deutschlands gemacht: mit durchschlagenden Innovationen und cleverer Geschäftspolitik (mehr unter Der Aufstieg der Engelhardt-Brauerei und das alkoholfreie Malzbier von Groterjan). Jetzt freut sich der 64-jährige "Onkel Ignatz" über den Erfolg seiner Schwiegertochter Camilla SPIRA.
Doch die Zeiten sind unübersichtlich und "in Berlin herrscht dicke Luft" wie sich Dr. Joseph GOEBBELS, 36 Jahre, in seinem Tagebuch notiert.