Inzwischen hatte die Engelhardt-Brauerei ihr "Engelhardt Haus" aufgegeben und war ins Lützow-Viertel in Berlin-Schöneberg umgezogen. Längst hatten sich auch die Zeiten geändert und der Slogan der neuen Partei, die seit 1933 das Sagen hatte, nahm konkrete Gestalt an: "Das Judenbier von Engelhardt muss weg!".
Die neuen Machthaber, die sich auf eine immer größer werdende Gefolgschaft verlassen konnte, also Menschen, die sich vom neuen Zeitgeist Vorteile versprachen, knöpften sich unmittelbar nach der Machtergreifung ihre Hassfiguren vor: jüdische Bankiers, Industrielle und Unternehmer, aber auch Richter, Rechtsanwälte und andere Berufsgruppen. Dr. Joseph GOEBBELS und der neue "Staatskommissar von Berlin", Dr. Julius LIPPERT, schrieben und sprachen von "Ausmisten" und der "Säuberung von jüdischen und korrupten Elementen."
Ignatz NACHER war einer der ersten.
Man hielt ihm "Korruption" und "Betrug" vor. Er habe im Zusammenhang mit dem Verkauf des "Engelhardt Haus" an die Stadt Berlin im Jahr 1928/1929 den Vorstandschef der Berolina AG mit 120.000 RM geschmiert. Man würde ihm deswegen den Prozess machen. Und für den "überhöhten Kaufpreis", den NACHER kassiert habe, müsse er nun den größten Teil seiner Engelhardt-Aktien an die Stadt Berlin abtreten - als "Entschädigung". Den Rest müsse er an eine "wirtschaftlich einwandfrei arische Übernehmergruppe" veräußern. Sonst würde er ins Gefängnis wandern.
Wenn eine Transaktion dieser Größenordnung auf der Tagesordnung steht, insbesondere die einer Brauerei, die keine Konjunktursorgen kennt, mehren sich die Interessenten. So lieferten sich zwei Interessenten ein Duell:
- Auf der einen Seite das "Eidenschink-Konsortium" aus München, das vor allem zwei Männer ins Feld führen konnte: einen agilen Rechtsanwalt namens Dr. Josef MÜLLER. Der wird nach 1945 erster bayerischer Justizminister für die CSU. Der andere: SS-Gruppenführer Hans RATTENHUBER, der mit Georg EIDENSCHINK verwandt ist. RATTENHUBER wird später Chef der Leibstandarde des "Führers".
- Auf der anderen Seite die Dresdner Bank in Berlin. Die hatte sich des größten Teils ihres jüdischen Personals bereits entledigt und nun führten überzeugte Nazis das Regiment. Die Großbank hatte die besseren, weil schnelleren Verbindungen zu den inzwischen nationalsozialistisch geführten Behörden, der NSDAP und den diversen Polizeiinstitutionen in der Reichshauptstadt.
Im Sommer 1934 hielt sich NACHER erneut auf seinem Gut Sauersberg auf - diesesmal völlig zermürbt von den politischen Attacken, der Ungewissheit, wie es mir der Engelhardt-Brauerei weitergehen könnte, die schließlich sein "Lebenswerk" war, und den Angriffen in der Presse. "Der Stürmer", eine antisemitische Wochenzeitung, die sich vom Hass auf alles Jüdische nährte, hatte ihn bereits vor einem Jahr aufs Korn genommen. "Ignatz Nacher - der Dreckjude von der polnischen Grenze ist ein König geworden" hatte es z.B. in der Ausgabe Nr. 22 geheißen. Ähnlich in der Nummer 26.
Für die beiden Engelhardt-Interessenten günstige Voraussetzungen, wenn der Verkäufer unter massivem Druck steht, selbst wenn er bis zum Letzten kämpft.
Am 28. August 1934, 6 Uhr früh, dann die Polizei von Bad Tölz vor seiner Tür auf Gut Sauersberg. Die Polizisten verhafteten Ignatz NACHER und transportierten ihn nach München. Von da wurde er in Begleitung zweier Kripobeamter im Nachtzug nach Berlin verfrachtet. Dort begann der endgültige Showdown seiner (ersten) Arisierung, in der er alle Brauereien verlor.
Wie es dort weiterging, ist detailliert rekonstruiert im Kapitel Die brutale Enteignung des Ignatz NACHER und seiner Engelhardt-Brauerei.