Die Berichte der Rhein-Zeitung seit der Landtagswahl 2011 bis zum Einlenken der SPD, 01.07.2011

Wo der Bartl den Most holt

Rheinland-Pfalz gilt als ein gemütliches Bundesland, regiert von einem gemütlichen Ministerpräsidenten. Das täuscht. In der Justiz des Landes ist der Teufel los. Schuld daran sind der gemütliche Ministerpräsident und seine Regierung: Kurt Beck, der Regierungschef, hat beschlossen, das Oberlandesgericht Koblenz aufzulösen; so steht es, auf Drängen der SPD, im rot-grünen Koalitionsvertrag. Der Verdacht liegt nicht fern, dass diese Auflösung keine Sparaktion ist, sondern ein Racheakt an der Justiz.

Die Landesregierung war damit gescheitert, einen ihr genehmen Kandidaten zum Präsidenten des Oberlandesgerichts zu befördern. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Ruck-Zuck-Beförderung aufgehoben, der Regierung um die Ohren geschlagen und befohlen, die Spitzenstelle neu auszuschreiben. Die düpierte Regierung griff zur Schweinchen-Schlau-Lösung: Ätsch, dann lösen wir halt das Gericht auf; die dortigen Richter werden dem kleineren Oberlandesgericht in Zweibrücken zugeschlagen.

Es ist dies eine Aktion, die an die Auflösung des bayerischen Obersten Landesgerichts durch Edmund Stoiber erinnert, als der die bayerische Landtagswahl haushoch gewonnen hatte und übermütig wurde. Übermut tut selten gut, sagt das Sprichwort; in Bayern hat sich das bald gezeigt. In Rheinland-Pfalz ist es noch schlimmer: Da geht es nicht darum, wie damals in Bayern, Tatkraft und Sparsamkeit zu demonstrieren, koste es, was es wolle. In Rheinland-Pfalz soll der Justiz gezeigt werden, wo der Bartl den Most holt. Beck und sein Minister bezeichnen und betrachten die Gerichte als nachgeordnete Behörden, als Befehlsempfänger, als Ableger des Justizministeriums. Sie behandeln die Justiz, als handele es sich um die Straßenbauverwaltung. Das ist eine Sünde wider den 97. Grundgesetzartikel: „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.“ In Rheinland-Pfalz aber will sich die Exekutive die Justizorganisation unterwerfen.

Delikat ist das Ganze deswegen, weil im rot-grünen Koalitionsvertrag auch noch etwas ganz anderes steht: Dort steht – im eklatanten Widerspruch zur Koblenz-Aktion – der Plan, die Selbstverwaltung der Justiz zu stärken. Es ist so: Weil sich die Grünen bei der Auflösung des Gerichts über den Verhandlungstisch ziehen ließen, haben sie zum Ausgleich einen Prüfauftrag aufsetzen lassen: ob und wie man bewerkstelligen kann, dass die Angelegenheiten der Justiz künftig von der Justiz selbst in die Hand genommen werden können. Die Richter sollen nicht mehr vom Ministerium, also von der Politik, sondern von einem unabhängigen Justizverwaltungsrat befördert werden. Die Selbstverwaltung soll auch die Etathoheit erfassen.

Das sind Forderungen, die der Richterbund und die Neue Richtervereinigung seit Langem erheben. Sie verweisen auf die Empfehlungen des Europarats und auf die Kriterien der EU für die Aufnahme neuer Mitglieder. Dort heißt es: „Die für die Auswahl und Laufbahn der Richter zuständige Behörde sollte von der Exekutive unabhängig sein.“ In den allermeisten EU-Ländern ist das Standard; in Deutschland werden die Richter noch immer von der Exekutive eingestellt und befördert; die Gerichtsorganisation ist dem Justizministerium unterstellt. Die innere Unabhängigkeit der Richter wird hierzulande strukturell und organisatorisch konterkariert. Im Gremium Europäischer Justizverwaltungsräte hat Deutschland deshalb nur einen Beobachterstatus. Der Richterbundsvorsitzende Christoph Frank bemerkt dazu: Im Bereich der richterlichen Selbstverwaltung sei Deutschland „ein Schwellenland“.

Rheinland-Pfalz liegt noch unter dieser Schwelle. Das Gebaren der Landespolitik zeigt, wie notwendig die Befreiung der Justiz aus ihren politischen Abhängigkeiten ist. Wäre das zu viel Unabhängigkeit? Mitnichten. Die Unabhängigkeit der Richter gehört zu den wichtigsten Selbstbeschränkungen der Demokratie.

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2012

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