Nürnberger Nachrichten, 11.11.2011

von Michael Kasperowitsch

Die Bank selbst nahm die schweren Vorwürfe ernster als die Justiz

Alle Gerichte haben den Nürnberger Ferdl G. (Name geändert) als krank und als eine Gefahr für die Allgemeinheit eingestuft. Sie stützten sich dabei auf psychiatrische Gutachten, die dem heute 55-jährigen Ingenieur den Wahn attestieren, Opfer des Bankensystems zu sein. Seit mehr als fünf Jahren ist er in forensischen Kliniken eingesperrt. Anderslautende Gutachten, die G. entlasten, kamen nie zur Geltung. Jetzt hat just die betroffene Bank bestätigt, dass sie auf seine Vorwürfe reagiert hat.

„Diverse Schreiben“ von Ferdl G. „hatten damals zu einer internen Untersuchung geführt“, erklärt ein Sprecher der HypoVereinsbank-UniCredit Group in München auf Anfrage der Nürnberger Nachrichten. Es sei dabei festgestellt worden, dass sich Mitarbeiter in der Vergangenheit „im Zusammenhang mit Schweizer Bankgeschäften, unter anderem mit der AKB-Bank, einer Tochter der damaligen Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank AG, weisungswidrig verhalten haben“. Dies habe seinerzeit zu entsprechenden „personellen Konsequenzen“ geführt. Mehrere Mitarbeiter seien entlassen worden, ergänzte der Sprecher auf Nachfrage.

Zu dem Vorwurf von Ferdl G., diese Mitarbeiter hätten Millionenbeträge für Kunden der Nürnberger Filiale vor dem Finanzamt bei den eidgenössischen Nachbarn versteckt und dadurch Steuern hinterzogen, wollte sich der Bank-Sprecher nicht näher äußern. Er bestätigt in seiner Stellungnahme, dass auch die damalige Frau von G. „Mitarbeiterin unserer Bank und für die Betreuung von Privatkunden zuständig war“, macht jedoch keine Angaben dazu, ob sie an den Vorgängen beteiligt war. Das Ehepaar ist längst geschieden.

Lange Liste von Namen


Der Nürnberger hatte seinerzeit behauptet, er habe seine Frau von krummen Geschäften abbringen wollen. Schließlich erstattete der Mann im Jahr 2003 bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Anzeige — wir berichteten.

In dem mehrseitigen Schreiben, das der Redaktion vorliegt, listet er eine lange Reihe mit Namen von Kunden und Verantwortlichen der Bank auf, die seiner Kenntnis nach angeblich in die illegalen Aktivitäten verwickelt waren.

Die Reaktion der Nürnberger Justizbehörde darauf fiel überraschend aus. In Steuerverfahren wird selbst anonymen Hinweisen meist nachgegangen, und obwohl G. Ross und Reiter nannte, stellte die zuständige Staatsanwältin das Verfahren dreieinhalb Monate nach Eingang der Anzeige ein.

Sie sah nicht einmal einen „Prüfungsansatz, der die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens rechtfertigen würde“. Die knappe Begründung: Der Anzeigenerstatter trage „nur pauschal den Verdacht vor, dass Schwarzgeld in großem Umfang in die Schweiz verbracht wird“. Die Angaben seien „unkonkret“.

Aktiver wird die Nürnberger Justiz dafür, als die damalige Frau von G. ihren Mann mitten in dem Bank-Streit wegen Körperverletzung und anderer Taten anzeigt. Er habe sie geschlagen und bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt. Außerdem spricht sie von „Bewusstseinsstörungen“, die sie bei ihm seit längerem wahrgenommen habe. Unter anderem dieses Verfahren führte zur Verurteilung des Nürnbergers. Im Jahr 2006 wird er vom Vorwurf der Körperverletzung wegen Schuldunfähigkeit aufgrund einer Geisteskrankheit freigesprochen. Er habe ein „paranoides Gedankensystem entwickelt“, urteilte ein Gutachter. Seine Angaben zu den Schwarzgeldverschiebungen entsprängen einer wahnhaft psychischen Störung.

„Vorsätzlich falsches Urteil“

Allerdings gibt es für Nachfragen der zuständigen Nürnberger Staatsanwaltschaft und der beteiligten Gerichte bei G.s ehemaliger Frau und deren Kollegen, bei den genannten Bankkunden oder bei den damals verantwortlichen Managern der Nürnberger HVB oder in der Münchner Bankzentrale nach Recherchen unserer Zeitung keine Belege. Erst jetzt kam zutage, dass die Bank selbst die Vorwürfe von G. ernster nahm als die Justiz.

Die Nürnberger Staatsanwaltschaft hat jederzeit die Möglichkeit, das Verfahren wieder aufzunehmen, wenn neue Gesichtspunkte auftauchen. Dafür gibt es nach Auskunft von Antje Gabriels-Gorsolke, Sprecherin der Behörde, jedoch keinen Anlass. Der ehemalige Ministerialrat Wilhelm Schlötterer spricht in der Angelegenheit unterdessen von einem „menschenverachtenden politischen Justiz-Skandal“ bis hinauf zur amtierenden Ministerin Beate Merk (CSU).

Er war früher im bayerischen Finanzministerium selbst für Steuerfahndung zuständig und hat sich des Falles angenommen. Bekannt geworden ist Schlötterer — er ist selbst CSU-Mitglied — durch sein Buch „Macht und Missbrauch“, in dem er sich unter anderem mit der gezielten Einflussnahme von prominenten CSU-Politikern auf Steuerermittlungen und dem seiner Ansicht nach rücksichtslosen CSU-Machtapparat beschäftigt.

Gegenüber unserer Zeitung äußert Schlötterer jetzt den „dringenden Verdacht“, dass Ferdl G. durch ein „vorsätzlich falsches Urteil und ein vorsätzlich falsches Gutachten in die Psychiatrie weggesperrt wurde“, um auf diese Weise „die Bank, ihre einflussreichen Kunden und andere Beteiligte“ zu schützen. Das Justizministerium war mit dem Fall Ferdl G. in der Vergangenheit mehrfach befasst.
 

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2013

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