Dossier I des WESER-Kuriers vom 14.05.2010


Bericht 1: "Im Zweifel für den Staatsanwalt" - Anklagevertreter verstrickt sich ins Rotlichtmilieu

von Christine KRÖGER, WESER-Kurier 14.05.2010

Hannover. Die Staatsanwaltschaften in Hannover und Verden haben schwere Verfehlungen des heutigen Hannoveraner Oberstaatsanwalts Uwe Görlich ungeahndet gelassen. Sie drehten und wendeten die Verdachtsmomente, Aussagen, Indizien und Beweise gegen ihren Kollegen so lange, bis sie ihn am Ende nicht mehr anzuklagen brauchten.

Die Justizaffäre kam viele Jahre nicht ans Licht, der Behördenapparat hielt dicht. In dem Verfahren gegen Görlich rühmte sich der damalige Verdener Oberstaatsanwalt Roland Herrmann gar, 'Rechtsanwälte vertröstet' und die Presse 'klein gehalten' zu haben. Das belegen Dokumente, die dem WESER-KURIER vorliegen. Verdens damals bereits amtierender leitender Oberstaatsanwalt Helmut Trentmann will davon nichts wissen. Seine Behörde habe 'zu keiner Zeit versucht, auf die Presseberichterstattung einzuwirken', teilt er auf Anfrage mit.

Gegen Görlich, damals noch Staatsanwalt in Hannover, war die Liste der Vorwürfe außergewöhnlich lang: Er hatte sich ab Mai 2000 mächtig für die Belange der Bordellbetreiberin Silke F.* und ihres Etablissements ins Zeug gelegt. F. saß damals im Vechtaer Frauengefängnis eine mehrjährige Haftstrafe wegen Betruges ab. Görlich ermöglichte es ihr, trotz Haft ihre Geschäfte in Hannover weiter zu führen. Er lud sie zu mehrtägigen 'Vernehmungen' nach Hannover vor und intervenierte bei seinen für Hafterleichterungen zuständigen Kollegen.

In Silke F.s Bordell war der Anklagevertreter damals häufig zu Gast, angeblich um gegen die Hannoveraner Kiezgröße Frank Hanebuth und dessen Rockerbande 'Hell's Angels' zu ermitteln. Das schriftliche Fixieren möglichst jeden Details ist das A und O staatsanwaltlichen Arbeitens, doch Görlich dokumentierte seine 'Ermittlungen' kaum. Er verfasste lediglich wenige inhaltsarme Vermerke, einige dürftige Vernehmungsprotokolle und ein paar lose Notizzettel.

Für gewöhnlich ermittelt vor Ort auch kein Staatsanwalt im Alleingang, er arbeitet mit Hilfe der Polizei. Görlich aber informierte die Beamten vielfach nicht einmal über seine Aktivitäten. Angeblich, weil die Polizeidirektion Hannover vom Milieu unterwandert, korrupt und nicht vertrauenswürdig sei. Umso ausführlicher sprach Görlich aber mit Silke F. und ihren Prostituierten. Ihnen verriet er sogar juristische Kniffe, die bei Polizeikontrollen illegale Prostitution legal erscheinen lassen sollten.

Obendrein scheint der Staatsanwalt brisantes Beweismaterial unterschlagen zu haben: ein Videoband aus F.s Bordell. Auf Nachfrage wollte er die Kassette in seinem Büroschrank 'vergessen' haben. Im Nachhinein erwies sich ein Teil des Bandes als gelöscht; die noch vorhandenen Aufnahmen waren unverfänglich; zudem wollte Silke F. dem Staatsanwalt mehr als nur ein einziges Band gegeben haben. Auf einem soll nach Zeugenaussagen neben Zuhältern auch Görlich selbst zu sehen gewesen sein - unter anderem, wie er die Dienste einer Prostituierten in Anspruch nahm.

Neben diesen Vorwürfen gegen Görlich gab es Hinweise auf Verfehlungen von mindestens zwei weiteren Hannoveraner Anklagevertretern: Dietmar Eisterhues und Wolfgang Burmester. Der Objektivität halber hätte es nahegelegen, das Verfahren an eine andere Staatsanwaltschaft abzugeben. Aber Hannovers leitender Oberstaatsanwalt Manfred Wendt ließ ab November 2000 zunächst seine eigene Behörde ermitteln. Und er vertraute die pikante Angelegenheit ausgerechnet dem ebenfalls involvierten damaligen Oberstaatsanwalt Burmester an. Erst als sich nicht nur in Hannovers Rotlichtmilieu, sondern auch in der dortigen Polizei Gerüchte mehrten, die Staatsanwaltschaft halte ihre Hand schützend über Silke F.s Bordell, gab Wendt das Verfahren schließlich nach Verden ab.

Doch auch dort stießen die beschuldigten Staatsanwälte auf Verständnis, Großzügigkeit und Diskretion. Der damalige Oberstaatsanwalt Herrmann hinterfragte die zahlreichen widersprüchlichen Aussagen in dem Verfahren kaum, blies geplante Durchsuchungsaktionen kurzfristig wieder ab und ließ sogar offensichtlich unwahre Erklärungen als 'plausibel' auf sich beruhen. Am 4. Dezember 2001 stellte er das Verfahren schließlich ein: Aus seiner Sicht erfüllten Görlichs Verfehlungen entweder keinen Straftatbestand, oder sie waren nicht ausreichend zu belegen. Verdens leitender Oberstaatsanwalt Trentmann bestätigt das. Görlich sei damals verdächtig gewesen, 'sich möglicherweise eines strafbaren Verhaltens im Zuge eigener Ermittlungstätigkeit im Zusammenhang mit Vorfällen um ein Bordell schuldig gemacht' zu haben. Eine 'umfassende Prüfung' habe diesen Verdacht nicht bestätigt, daher sei das Verfahren 'mangels Tatverdachts eingestellt worden'.

Staatsanwalt Görlich blieb nicht nur strafrechtlich unbehelligt, er wurde nicht einmal disziplinarrechtlich belangt. Er wechselte lediglich innerhalb der Anklagebehörde die Abteilung. Seine Behördenleitung und das niedersächsische Justizministerium nannten das einen 'ganz normalen Vorgang' und bestritten jeden Zusammenhang zwischen Versetzung und Vorwürfen gegen den Beamten. Bis heute hält die Staatsanwaltschaft Hannover daran fest, 'dass sämtliche Vorgänge sowohl in der Öffentlichkeit als auch von den für die Dienstaufsicht zuständigen Stellen umfassend behandelt und überprüft worden sind'.

Die Affäre tat der Karriere ihrer Protagonisten keinen Abbruch. Görlich wurde zum Oberstaatsanwalt befördert und ist heute in Hannover für Wirtschaftskriminalität zuständig. Herrmann hat es zum leitenden Oberstaatsanwalt und Behördenleiter in Oldenburg gebracht. Der Behördenapparat hielt in dieser Affäre nicht nur dicht, in seinem Getriebe hat es noch nicht einmal geknirscht. Erst intensive Recherchen des WESER-KURIER konnten belegen, was die Staatsdiener mit viel Aufwand unter den Teppich gekehrt haben.

*Name von der Redaktion geändert

Hier können Sie sich den Artikel im Original-Layout herunterladen: "Im Zweifel für den Staatsanwalt"


Bericht 2: Unter die Robe gekehrt - "Habe versucht die Sache klein zu halten. Bis jetzt relativ erfolgreich."

von Christine KRÖGER, WESER-Kurier, 14.05.2010

Wegen Rechtsbeugung, Strafvereitelung im Amt und ähnlicher Delikte gibt es in Deutschland kaum Verurteilungen, das beklagen kritische Juristen seit Langem. Und wenige Justizaffären zeigen das so deutlich, wie die um den heutigen Hannoveraner Oberstaatsanwalt Uwe Görlich.

Er konnte es sich erlauben, gegen zahlreiche Dienstvorschriften zu verstoßen, sich ins Rotlichtmilieu zu verstricken und illegale Prostitution zu decken. Auch offensichtliche Widersprüche und Unwahrheiten schadeten seiner Karriere nicht. All das dokumentieren Unterlagen aus den Akten gegen Görlich, die dem WESER-KURIER vorliegen. Er hat die bislang weitgehend unbekannte niedersächsische Justizaffäre aus diesen Dokumenten rekonstruiert.

Auf Rockerjagd im Milieu

Die Affäre begann am 23. Mai 2000: Görlich vernahm Silke F.* als Zeugin in einem Betrugsverfahren. In diesem Gespräch soll die Betreiberin eines Wohnungsbordells in Hannover nebenbei erwähnt haben, sie beschäftige Frauen, „die vorher unter erheblichem Druck in den Laufhäusern am Steintor gearbeitet und dort erhebliche Schulden gemacht haben“. Dabei sei „auch der Name ,Boxer-Frank' gefallen“, heißt es in den Akten.

Görlich gab später zu Protokoll, allein aufgrund dieser Aussage Silke F.s habe er den „Hell's Angels Hannover“ und ihrem Anführer Frank Hanebuth das Handwerk legen wollen. „Boxer-Frank“ wird Hanebuth im Milieu genannt, und er hat diesen Namen nicht von ungefähr. Ende 2001 wurde der Ex-Boxer zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er einen aufmüpfigen Rockerkumpan lebensgefährlich im Gesicht verletzt hatte. Der Rockeranführer ließ sich schon damals als „Chef“ des Rotlicht- und Vergnügungsviertels Steintor in Hannover feiern.

Silke F. wusste offensichtlich, was für ein Kaliber „Boxer-Frank“ war. Über ihre Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft sagte sie später aus: „Wenn die Rot-Weißen (Szenename der „Hell's Angels“, d. Red.) davon erfahren, bin ich tot.“ Trotzdem glaubte Görlich nach eigenem Bekunden, dass die in F.s Bordell arbeitenden Prostituierten allein durch gutes Zureden über Hanebuth und seine Machenschaften auspacken würden.

Für Rotlichtkriminalität wie Zuhälterei oder Menschenhandel war Görlich allerdings gar nicht zuständig. Er sollte sich vielmehr um die Verfolgung von Geldwäsche kümmern. Genau die habe er mit Hilfe der Prostituierten den „Höllenengeln“ und ihrem Anführer nachweisen wollen, behauptete er später. Er berief sich dabei auf einen damals neuen Erlass zur Bekämpfung organisierter Kriminalität. Darin erlaubte Niedersachsens Justizministerium auch Anklagevertretern, Initiativermittlungen zu führen. Von Initiativermittlungen sprechen die Behörden, wenn sie mutmaßliche organisierte Kriminelle auch ohne konkreten Verdacht ins Visier nehmen.

Um es vorwegzunehmen: Görlich wies Hanebuth weder Geldwäsche noch andere Straftaten nach. Die „Erwartung, über den Kontakt zu einer konkurrierenden Bordellbetreiberin und zu einigen Prostituierten eine Rotlichtgröße wie Hanebuth wegen nennenswerter Straftaten überführen zu können“, sei „schon im Ansatz nicht aussichtsreich“ gewesen, heißt es später in den Akten. Dass die Erfolglosigkeit von Görlichs angeblichen Ermittlungen offensichtlich vorprogrammiert war, zeigt auch die Einschätzung von Polizisten, die Görlichs „Informantin“ F. damals schon lange kannten: Sie hielten diese für eine „notorische Betrügerin“, die weder Lügen noch Intrigen scheue.

Zur Vernehmung ins Bordell

Noch an dem Tag, an dem er Silke F. zum ersten Mal vernommen hatte, begann Görlich seine „Initiativermittlungen“ – mit einem Besuch ihres Etablissements. In den folgenden Monaten erkor der Staatsanwalt die Bordellbetreiberin dann zu einer Art „V-Frau“. Sie „wurde von Staatsanwalt Görlich faktisch als Informantin bzw. Vertrauensperson geführt“, ist in den Unterlagen zu lesen.

Diese „Informantin“ aber saß damals im Vechtaer Frauengefängnis eine mehr als vierjährige Haftstrafe ab. Sie hatte in 110 Fällen die Kunden einer Partnerschaftsvermittlung betrogen. Nun hatte sie ihrer Ansicht nach einen Deal mit dem Anklagevertreter geschlossen: Sie lieferte ihm Informationen aus dem Milieu, dafür erleichterte er ihr die Haft.

Seinen Part dieser angeblichen Absprache erfüllte Görlich in der Tat: Als Silke F. Strafunterbrechung an Wochenenden beantragte, bat er den zuständigen Staatsanwalt, dem Gesuch stattzugeben. F. sei eine „wichtige Informantin“ gegen Rockerboss Hanebuth, und ihr Bordell „nicht zu beanstanden“. Der Kollege entsprach der Bitte.

Görlich selbst bestellte F. binnen sechs Monaten zehn Mal ganz offiziell zu Vernehmungen nach Hannover ein. Viele dieser Vorladungen erstreckten sich über zwei Tage, die bevorzugten Termine waren dabei der Donnerstag und der Freitag. Auf diese Weise konnte die Bordellchefin anschließend gleich in Hannover bleiben, um dort auch das Wochenende außerhalb der Gefängnismauern zu genießen.

Neben der nun seltener eingesperrten „Informantin“ war auch deren Wohnungsbordell Görlichs „Initiativermittlungen“ dienlich. Das Etablissement lag nämlich verkehrsgünstig – gar nicht weit entfernt von Görlichs Behörde. Immerhin „vielleicht 20“ Bordellbesuche räumte der Staatsanwalt ein. Er habe es schließlich dorthin nicht weit gehabt, rechtfertigte er den unkonventionellen Vernehmungsort.

Rechtskniffe frei Haus

Silke F. machte kein Geheimnis aus ihren guten Beziehungen zur Staatsanwaltschaft. Als die Polizei bei einer Razzia eine ihrer Prostituierten festnehmen wollte, wies die Bordellchefin darauf hin, dass Görlich die Beschäftigung der jungen Frau für rechtens erklärt habe. Der Staatsanwalt bestätigte den erstaunten Beamten, die Papiere der Hure geprüft und für in Ordnung befunden zu haben. Sie waren es nicht, tatsächlich arbeitete die Frau illegal.

Mit Görlichs Hilfe war es der Bordellbetreiberin ein Leichtes, ihr Geschäft während der Haft weiterzuführen. Görlich brachte das zwar kaum Erkenntnisse über Hanebuth und seine Rockerbande, F. jedoch verdiente auf diese Weise viel Geld. Sie gab Einnahmen von 75000 D-Mark monatlich an, die Polizei errechnete mindestens 90000.

Silke F. und ihre Angestellten versicherten, Görlich habe ihnen zugesagt, sie könnten sich jederzeit an ihn wenden, wenn sie es mal mit der Polizei zu tun bekämen. Der Staatsanwalt nannte diese und andere Zusagen gerne „vertrauensbildende Maßnahmen“, als er später vernommen wurde. Irgendwie musste er die Prostituierten ja aussagewillig machen, auf dass sie ihm die Machenschaften Hanebuths und seiner „Höllenengel“ enthüllen.

Obwohl Görlich diese angeblichen Machenschaften verborgen blieben, hielt er seine Zusagen an die Frauen ein und verriet sogar manchen Rechtskniff. „Mädels“ unter 21 Jahren sollten F. bescheinigen, dass sie sich in deren Bordell nicht zum ersten Mal prostituierten, schlug Görlich vor. So könne die Bordellchefin empfindlichen Strafen wegen Ausbeutung von Prostituierten entgehen, sollte die Polizei sie mal wegen der Beschäftigung sehr junger Frauen in Bedrängnis bringen.

Für seine „Rechtsberatungen“ wollte Görlich keine Gegenleistungen „irgendwelcher Art“ bekommen haben – nicht einmal, wenn er die „Mädels“ für eine derartige „Beratung“ eigens zu Hause aufsuchte. Eine der Prostituierten wollte beispielsweise wissen, was sie tun müsse, wenn ihre Bewährungszeit auslaufe. Für einen Staatsanwalt nicht eben eine knifflige Frage, ein knappes „nichts“ wäre als Antwort passend gewesen. Doch Görlich besuchte die Frau daheim – angeblich zur Klärung eben dieser Frage. In den Akten heißt es dazu, der Anklagevertreter habe der Prostituierten „vorgetäuscht, sich intensiv um deren Straferlass zu bemühen, obwohl dieser nach Ablauf der Bewährungszeit automatisch erfolgte“.

Mehr noch: Silke F. wurde in einer Vernehmung einmal sehr deutlich – freilich erst, nachdem wegen der Ermittlungen gegen ihren einstigen Gönner die Hafterleichterungen widerrufen worden waren. Da schalt sie Görlich einen „typischen Freier“, der sich in ihrem Etablissement „als großen Zampano“ habe feiern lassen, weil er angeblich „in Hannover aufräumen“ wolle. Dem Journalisten eines Nachrichtenmagazins berichtete die Bordellchefin überdies, sie habe Videokassetten, auf denen der Staatsanwalt bei mehr als „Zeugenvernehmungen“ zu sehen sei. Ihr Rechtsanwalt habe ihr allerdings davon abgeraten, dem Journalisten die Filme zu geben. Vermutlich wäre das auch schlecht fürs Geschäft gewesen: Welcher Freier geht in ein Etablissement, aus dem solche Aufnahmen an die Öffentlichkeit gelangt sind?

Die abgeblasene Durchsuchung

Silke F.s Angaben über kompromittierende Videoaufnahmen mag mancher unter milieutypischer Geltungssucht abhaken. Doch scheint diese Behauptung nicht einfach aus der Luft gegriffen. Sicher ist, dass es mindestens eine Videokassette gab, die angeblich für Görlichs Ermittlungen gegen die „Hell's Angels“ wichtig war. Für die Ermittlungen gegen Görlich war das Band später tatsächlich von Bedeutung.

Laut F. bekam Görlich zwei oder drei Kassetten aus den Überwachungskameras des Bordells. Darauf sollten unter anderem „Hell's Angels“ mit einer „Frischfleischlieferung“ zu sehen sein. „Frischfleisch“ werden im Milieu neue Prostituierte genannt. Immer wieder hätten die Rocker versucht, auf diese oder andere Weise an F.s Etablissement mitzuverdienen, sagte die Bordellbetreiberin aus. Doch behauptete sie zudem, in den Videofilmen sei außer den Rockern auch Görlich mehrfach zu sehen.

In den spärlichen Vermerken, mit denen Görlich seine „Initiativermittlungen“ dokumentierte, findet sich kein Wort über die Kassetten. Weder, dass er sie erhalten, noch, wo er sie gelassen hat, notierte der Staatsanwalt. Der Polizei übergab er die Bänder nicht zur Auswertung, wie das vorschriftsmäßig gewesen wäre.

Unterschlug der Staatsanwalt etwa Beweise? Der Verdener Oberstaatsanwalt Roland Herrmann, der die Ermittlungen gegen Görlich leitete, wollte dessen Dienst- und Privaträume durchsuchen lassen. Doch so weit kam es nicht: Am Tag zuvor vereitelte Herrmann die von ihm selbst initiierte Durchsuchungsaktion. Er fuhr nach Hannover und unterrichtete den beschuldigten Kollegen über seinen Verdacht. Görlich bestritt sämtliche Vorwürfe und erklärte sich umgehend bereit, eine Videokassette herauszugeben.

Es sei die einzige, die er je erhalten habe, beteuerte Görlich. Der Polizei habe er sie nicht übergeben, weil Silke F. ihm versichert habe, die Ordnungshüter wüssten von dem Band und würden es demnächst bei ihm abholen. Eine wegen vielfachen Betruges inhaftierte Bordellchefin als Mittlerin zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft – diese Erklärung nannte Herrmann in einem Vermerk „plausibel“.

Als die Polizei nicht kam, wollte Görlich das Band vor lauter Arbeit schlicht in seinem Schrank „vergessen“ haben. Inhaltlich gebe die Kassette auch nicht viel her, berichtete er, die meisten Akteure seien kaum zu erkennen. Sehenswert sei eine einzige Szene, die sich allerdings eher durch Komik als durch Informationswert auszeichne: Ein „Hell's Angel“ entdecke die Kamera, werfe sich auf den Boden, um ihrem Fokus zu entkommen, und krabble dann auf allen Vieren davon.

Der lockere Umgang seines Kollegen mit den schwerwiegenden Vorwürfen zusammen mit dessen „plausiblen“ Erklärungen überzeugten Herrmann am Ende offenbar so sehr, dass er die Durchsuchungen kurzfristig abblasen ließ. So blieb ungeklärt, ob es weitere Videos gab – und was auf ihnen zu sehen war.

Doch auch die eine Kassette, die Görlich seinem Verdener Kollegen aushändigte, brachte diesen am Ende nicht weiter. Die Polizei stellte zwar fest, dass auf dem Band tatsächlich zu sehen war, wie ein „Hell's Angel“ das Bordell betrat. Allerdings auf zwei Beinen und ohne der Kamera Beachtung zu schenken. Nach dieser Szene sei das Video dann gelöscht, meldete die Polizei dem Oberstaatsanwalt. Das wirkt verdächtig, könnte man meinen, doch Herrmann sah das offenkundig anders. In seinen Ermittlungen ging er diesem Umstand jedenfalls nicht weiter nach.

Polizei unter Generalverdacht

Görlich enthielt der Polizei viel mehr als ein Video vor, er führte seine angeblichen „Initiativermittlungen“ weitgehend im Alleingang durch. Vor Herrmann rechtfertigte er das später damit, dass bei der Polizei in Hannover vieles im Argen liege. Viele Dienststellen seien undicht, vom Milieu unterwandert, korrupt, nicht vertrauenswürdig. Wegen dieses „permanenten Korruptionsverdachts“ gegen die Polizei habe es keine „vernünftige Zusammenarbeit“ gegeben, bilanzierte Oberstaatsanwalt Herrmann.

Am schlechtesten kam bei Görlich die „Sitte“ weg, das Fachkommissariat Milieu der Polizeidirektion Hannover. Silke F. und ihre Prostituierten sagten aus, der Staatsanwalt habe ihnen stets eingebläut, sich ausschließlich ihm persönlich und auf gar keinen Fall Beamten der „Sitte“ anzuvertrauen. Eine Polizeirazzia in ihrem Bordell habe Görlich mal eine „Retourkutsche der Sitte“ genannt, wusste F. zu berichten. Eine Retourkutsche dafür, dass der Anklagevertreter angetreten sei, dem korrupten Treiben dieser Polizisten Einhalt zu gebieten.

Sofern er Hannovers Polizei überhaupt einschaltete, wandte sich Görlich nach der Razzia in F.s Bordell nur noch an die Abteilung Organisierte Kriminalität. Auch mit diesen Beamten geriet er allerdings rasch aneinander: Sie wollten seine Vorbehalte gegen die „Sitte“ nicht ohne Weiteres teilen, und Belege dafür lieferte Görlich offenbar keine. Dann forderten die Kriminalisten zu allem Überfluss, der Staatsanwalt solle fortan den direkten Kontakt zu Silke F. und ihren Angestellten meiden. Sie fürchteten Fehler in der indirekten Informationsübermittlung von den Frauen über Görlich an die Polizei sowie um Görlichs persönliche Sicherheit.

Diesem Rat folgten weder der Anklagevertreter noch die Bordellchefin. Görlich behauptete, F. habe einfach nicht aufgehört, ihn mit Anrufen zu „belästigen“. Die Auswertung seiner Telefondaten ergab allerdings, dass der Staatsanwalt nicht nur F.s Anrufe weiter entgegennahm, sondern sie nach wie vor auch seinerseits anrief.

Mit der schlechten Meinung über Hannovers Polizei stand Görlich in seiner Behörde nicht alleine da. Sein stellvertretender Abteilungsleiter Dietmar Eisterhues sagte aus, auch er habe es für „wenig sachgerecht“ erachtet, wenn die Polizeidirektion Hannover Initiativermittlungen gegen die „Hell's Angels“ führe. Mit Görlich habe er sich deshalb überlegt, die Ermittlungen an die Polizei in Celle abzugeben, doch die habe aus Kapazitätsgründen abgelehnt.

Eisterhues teilte nicht nur Görlichs Bedenken gegen Hannovers Polizei, er ging mit ihm auch ins Bordell. Mehrmals, behauptete Silke F.. Ein einziges Mal, hielt Eisterhues dagegen, und das rein dienstlich. Immerhin räumte er ein, in der Küche des Bordells sei man auf Kosten des Hauses auch in den Genuss eines Gläschens Sekt gekommen. Görlich dagegen erinnerte sich nicht einmal an solche Genüsse: Er trinke keinen Sekt, bei seinen zahlreichen Bordellbesuchen sei ihm allenfalls mal ein Kaffee vorgesetzt worden.

Widersprüchlich blieben die Angaben, inwieweit der Hannoveraner Oberstaatsanwalt Wolfgang Burmester in die „Initiativermittlungen“ in und rund um das Wohnungsbordell involviert war. Offiziell war er es nur einmal: Zuständigkeitshalber sagte er auf Görlichs Antrag hin Silke F. Vertraulichkeit zu. Solche Zusagen bekommen Informanten und V-Leute zu ihrem Schutz, damit sie anonym bleiben können, wenn sie gegen Schwerverbrecher und organisierte Kriminelle aussagen.

Doch die Vertraulichkeitszusage dürfte nicht alles gewesen sein. Silke F. behauptete, Görlich habe stets seine guten Verbindungen zu Burmester betont. Ihre Wünsche wie zum Beispiel Arbeitsgenehmigungen für ausländische Prostituierte werde Burmester schon zu erfüllen wissen. Zusammen mit diesem Versprechen habe Görlich ihr die Handynummer seines Kollegen anvertraut.

So kam es vermutlich auch zu einem kurzen Draht zwischen Bordellchefin und Oberstaatsanwalt: F. gab bei der Polizei an, Burmesters Telefonnummer längst auswendig zu wissen. Eine Bedienstete des Frauengefängnisses bestätigte, dass die Inhaftierte nicht nur mit Görlich, sondern auch mit Burmester telefoniert habe.

Gerüchte nehmen überhand

Mit jedem Monat, der während Görlichs „Initiativermittlungen“ ins Land ging, mehrten sich im Milieu die Gerüchte, die Hannoveraner Staatsanwaltschaft halte ihre Hand schützend über F.s Bordell. Als Behördenleiter Manfred Wendt im November 2000 von diesen Gerüchten erfuhr, beauftragte er ausgerechnet Oberstaatsanwalt Burmester, ihnen auf den Grund zu gehen. Und erst als Wendt Ende Januar 2001 feststellen musste, dass die Gerüchte nicht nur im Milieu, sondern auch innerhalb der Polizei kursierten, schrieb er seinem Vorgesetzten, dem Generalstaatsanwalt in Celle: „Ich bitte nunmehr, eine andere Staatsanwaltschaft zu beauftragen.“

In dem Schreiben gab sich Wendt Anfang Februar 2001 sicher, wer da geplaudert haben musste: „Der Polizei gelang es nicht, den Vorgang vertraulich zu behandeln“, behauptete er. Mit Verspätung wollte der Behördenleiter nun vielleicht besonders vorbildlich erscheinen, jedenfalls gab er sich sehr geschäftig: „Eile ist geboten“, schrieb er seinen Vorgesetzten. Dabei schien ihm auch längst klar zu sein, dass sich sein Mitarbeiter Görlich nicht einwandfrei verhalten hatte. Wendt betonte: Die Bordellbetreiberin F. sei bereits wieder im geschlossenen Vollzug; er selbst werde ihre gnadenweise Haftunterbrechung widerrufen; und weil ja die „Geheimhaltung ohnehin nicht durchzuhalten“ sei, habe seine Behörde auch noch die Steuerfahndung eingeschaltet, die in F.s Bordellbuchführung nach dem Rechten sehe.

Undichte Stellen in Behörden

Was der leitende Oberstaatsanwalt Wendt der Generalstaatsanwaltschaft vorenthielt: Undichte Stellen gab es wohl auch in Wendts eigener Behörde. Das legt ein bereits im Dezember 2000 verfasster Polizeivermerk nahe, der ein Gespräch der Polizei mit Wendt und Burmester dokumentierte. Nach diesem Vermerk ging das Gerede über Görlichs Milieukontakte mitnichten auf Indiskretionen der Polizei zurück, die Gerüchte sollten vielmehr aus der Staatsanwaltschaft Hannover durchgesickert sein.

Drei Wochen nach dem Generalstaatsanwalt bekam auch Niedersachsens damaliger Justizminister Christian Pfeiffer Post vom Leiter der Hannoveraner Staatsanwaltschaft. In dem Schreiben klärte Wendt nun den Minister über die Ermittlungen gegen Görlich auf. Allerdings nur sehr behutsam. Des Staatsanwalts zahlreiche Bordellbesuche tat Wendt beispielsweise mit den Worten ab: „Wiederholt war er persönlich im Bordell. Mit einzelnen Prostituierten hat er persönlich gesprochen.“ Überraschend sicher schien dem Behördenleiter: „Intime Kontakte dürfte es dort aber nicht gegeben haben.“ Er warb auch um Verständnis für seinen verdächtigen Mitarbeiter: „Bei der Prüfung des Anfangsverdachts sind die Arbeitsbelastung, das Engagement und die teilweise ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden von Staatsanwalt Görlich berücksichtigt worden.“

Mitte Februar 2001 übernahm der Verdener Oberstaatsanwalt Herrmann von seinem Hannoveraner Kollegen Burmester das Verfahren gegen Görlich. Allerdings fehlte es auch ihm nicht an Verständnis für den beschuldigten Anklagevertreter. Die zahlreichen mehrtägigen Vorladungen der Bordellchefin ließen sich „bei großzügiger Betrachtung sachlich begründen“, vermerkte Herrmann beispielsweise. Nur vorsichtig fügte er hinzu, die Ladungen stellten zugleich „ein gewisses Entgegenkommen“ an Silke F. dar.

Durch seine „rechtlichen Beratungen“ habe Görlich zudem die „Gegenseite in die Lage versetzt, gesetzeskonforme Prostitutionstätigkeit vorzutäuschen“ und „damit die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden“ erschwert, ermittelte Herrmann. Doch ging er wohlwollend davon aus, der Beschuldigte – immerhin ein Staatsanwalt – habe das vermutlich einfach „nicht erkannt“.

Die Polizei sei nur „halbherzig und unprofessionell“ in Görlichs Ermittlungen eingebunden worden, notierte Herrmann weiter. Doch spielte er das zu bloßen „Kommunikationsproblemen“ herunter. Über die Videoaufzeichnungen aus dem Bordell habe der Staatsanwalt „unglaubwürdig“ ausgesagt. Zudem habe er es versäumt, sie der Polizei zu geben. Doch sei zugunsten des Beschuldigten „nicht auszuschließen, dass er die Tätigkeit der Polizei für aussichtslos hielt“.

Aussagen nicht glaubwürdig

Insgesamt betrachtet seien Görlichs Angaben nicht „durchgehend glaubwürdig“, fasste Herrmann zusammen. Der Beschuldigte habe Vermerke von Polizei- und Vollzugsbeamten „vorsätzlich oder fahrlässig falsch“ genannt und von einer „Reihe von angeblichen Missverständnissen“ gesprochen. Diese von Görlich behauptete „Vielzahl von Missverständnissen oder Lügen“ sei „nicht glaubhaft, zumal die Gegenversion in sich schlüssig“ war.

Doch Herrmann ging diesen unglaubwürdigen Erklärungen und Ungereimtheiten nicht weiter nach. Wohl auch deshalb blieb von der langen Liste der „strafrechtlich relevanten Vorwürfe“, die der Verdener Anklagevertreter prüfte, nichts übrig: Verrat von Dienstgeheimnissen, Strafvereitelung, Vollstreckungsvereitlung, Verfolgungsvereitlung, Täuschung, Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz, Beihilfe zur Zuhälterei. Die meisten dieser Anschuldigungen sah Herrmann am Ende als entkräftet an, die übrigen seien „nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachzuweisen“. Am 4. Dezember 2001 stellte er die Ermittlungen gegen Görlich ein.

Herrmanns Behördenleiter, Verdens leitender Oberstaatsanwalt Helmut Trentmann, fasste die dicken Verfahrensakten für den Justizminister in einem Satz zusammen: „Das Ermittlungsverfahren gegen Staatsanwalt Görlich ist eingestellt worden.“ Immerhin fügte er noch hinzu: Görlich bleibe „jedoch insbesondere vorzuwerfen, dass er unter Missachtung zahlreicher Grundsätze“ die Bordellbetreiberin F. „faktisch als Informantin und Vertrauensperson geführt und dabei eine bedenkliche Nähe zu ihrem Bordellbetrieb entwickelt“ habe.

Trentmanns Kollege Wendt in Hannover nahm weder an den offenkundigen Verfehlungen noch an den widersinnigen Angaben seines Mitarbeiters Anstoß: Er leitete nicht einmal ein Disziplinarverfahren gegen Görlich ein. Dabei braucht es für ein solches Verfahren bei Weitem keinen Verstoß gegen das Strafrecht, es reichen einfache „dienstliche Pflichtverletzungen“ oder ein „gravierendes Fehlverhalten im Privatbereich“ aus.

Oberstaatsanwalt Herrmann, der es später zum leitenden Oberstaatsanwalt und Behördenleiter in Oldenburg brachte, bewies in dem delikaten Verfahren neben Großzügigkeit viel Diskretion. Lange drang nichts durch die Mauern der eingeweihten Behörden. Nur einmal titelte die Lokalzeitung in Vechta: „Staatsanwalt mit gutem Rotlichtkontakt.“ Tags darauf legte eine hannoversche Zeitung nach: „Eine Hand wäscht die andere: Staatsanwalt gewährt Bordellchefin ungewöhnlich viel Hafturlaub.“

Die Berichte deckten mit den zahlreichen Vorladungen der Bordellbetreiberin nach Hannover nur ein Zipfelchen der Justizaffäre auf und stellten teilweise falsche Zusammenhänge zu F.s Vergangenheit her. Kein Wunder, denn die Journalisten hatten es schwer: Die Anklagebehörde hielt mit Informationen zu dem Verfahren offenbar absichtlich hinterm Berg. „Durch Indiskretionen in der JVA wurde die Presse aufmerksam“, hielt Herrmann etwa zwei Wochen nach den Veröffentlichungen in den Akten fest. Mit JVA meinte er das Frauengefängnis in Vechta, in dem Silke F. damals inhaftiert war. „Ich habe versucht, die Sache klein zu halten. Bis jetzt relativ erfolgreich. Weitere Artikel sind nicht erschienen.“ Trotzdem befindet Herrmanns damaliger Chef Trentmann, bis heute Verdens leitender Oberstaatsanwalt, auf Anfrage: Die Angelegenheit sei damals „in der Öffentlichkeit sehr ausführlich behandelt“ worden.

Noch während Herrmann gegen Görlich ermittelte, sollte dieser innerhalb der Staatsanwaltschaft Hannover versetzt werden. Doch noch Jahre danach bestritt das Justizministerium auf eine Anfrage im niedersächsischen Landtag jeden Zusammenhang zwischen den Ermittlungen und dieser Versetzung.

Später wurde Görlich zum Oberstaatsanwalt und Abteilungsleiter befördert. Heute ist er für Wirtschaftskriminalität zuständig, bei der es um Taten wie Vorteilsnahme oder Bestechung geht. Und in seinen Plädoyers wirft Görlich Angeklagten gerne mal vor, jenseits aller Paragrafen auch „unmoralisch“ gehandelt zu haben.

*Name von der Redaktion geändert

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