Die Berichte der FAZ, 02.12.2015

von Thomas THIEL

Die 1300-Euro-Frage

F.A.Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung

Frau Sedlacek (Name von der Redaktion geändert) aus Königsbach bei Pforzheim war gerade auf dem Sprung, als es an ihrer Wohnungstür klingelte. Der Mann, der sich als Beamter von der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) vorstellte, wies Sedlaceks Bitte zurück, am nächsten Tag wiederzukommen. Er müsse sofort sehen, ob, wie viele und wie lange schon sie Rundfunkgeräte besitze, sagte er, und ob diese angemeldet seien. Frau Sedlacek besitzt einen Fernseher und ein Radio, hatte beides vorschriftsmäßig angemeldet. Doch die inquisitorischen Fragen nahmen kein Ende, bis sie in jene Lücke stießen, nach der sie suchten: Ob denn ihre Tochter einen Fernseher besitze?
Ja, die Tochter hatte einen Fernseher, obwohl sie schon lange nicht mehr bei der Mutter wohnte und das defekte Gerät nie benutzt hatte. Nichts Böses ahnend und im Glauben, dazu verpflichtet zu sein, führte Frau Sedlacek den Gebührenbeauftragten in das ehemalige Kinderzimmer mit dem defekten Fernseher, woraufhin der Besucher unverzüglich eine Gebühr verlangte, rückwirkend für die letzten sechs Jahre: Eine Summe, die sich auf mehr als 1300 Euro belief. Falls sie die Unterschrift auf dem Anmeldeformular verweigere, drohte er ihr ein Strafverfahren an. Frau Sedlacek, eingeschüchtert von der Drohgebärde, unterschrieb.

Achteinhalb Monate und achtzehn Briefe später

Vergeblich versuchte ihre Tochter hinterher nachzuweisen, dass sie den Fernseher nicht benutzt habe und nie habe benutzen können. Von Beginn an, als sie ihn aus der Rumpelkammer in ihr Kinderzimmer transportiert hatte, habe er nicht funktioniert. Es dauerte drei Monate, bis die GEZ auf Sedlaceks Widerspruch antwortete, der widerspruchsfähige Gebührenbescheid kam erst sieben Monate später. Die Haltung war beide Male eindeutig: Schon die Empfangsbereitschaft des Geräts zählt, argumentierte die GEZ. Auch für defekte Geräte müsse man also zahlen.

Inzwischen war Frau Sedlacek zu einem Techniker gegangen, der ihr bestätigte, dass man das Gerät nicht mehr reparieren könne. Die GEZ ließ das kalt: Der Apparat hätte ja früher vielleicht repariert werden können. Gleichzeitig mit der Ablehnung kam der Gebührenbescheid mit der Androhung einer Zwangsvollstreckung. Der Fernsehtechniker bestätigte Sedlacek nun auch, dass ihr Fernseher schon im Jahr 2000 irreparabel gewesen sei. Zusätzlich erbrachte Sedlacek eine eidesstattliche Versicherung. Nach achteinhalb Monaten und achtzehn Briefen ließ die GEZ ihren Anspruch schließlich im Juli dieses Jahres fallen. Der Grund für die Beharrlichkeit des Gebührenbeauftragten war Sedlacek damals noch nicht bewusst: Er kassiert eine Prämie von rund vierzig Prozent für jede Gebührennacherhebung.