Lauschangriff auf Harald FRIEDRICH und "TKÜ": Wie Staatsanwaltschaft und LKA in NRW u.a. auch Landtagsabgeordnete abhören

Der "Wächterpreis der Tagespresse", ausgelobt von der Stiftung "Freiheit der Presse" in Bad Vilbel, gehört zu den renommiertesten und anerkanntesten Journalistenpreisen in Deutschland. Am 7. Mai 2008 erhält den dritten Wächterpreis der Journalist David SCHRAVEN von derWelt am Sonntag. Er hat seit knapp zwei Jahren kontinuierlich über die Trinkwasser- und Abwasserprobleme an der Ruhr und insbesondere auch über den krebsfördernden Schadstoff PFT im Wasser berichtet, hartnäckig recherchiert und sich mit dem amtierenden Umweltminister Eckhard UHLENBERG, CDU, angelegt. Seine Geschichte und die Hintergründe dieser Geschichte sind unter www.ansTageslicht.de/PFT dokumentiert.

07.05.2008

Am selben Tag der feierlichen Wächterpreisverleihung im Kaisersaal des Frankfurter Römer fertigt im Düsseldorfer Landeskriminalamt (LKA) Kriminalhauptkommissar (KHK) LECH erste "Anregungen" für eine Telefonüberwachung nach §§ 100a, 100b und 100g StPO (Strafprozessordnung) an Oberstaatsanwalt (OStA) MEYER in Wuppertal, bei dem die Fäden aller Ermittlungen gegen Dr. Harald FRIEDRICH zusammenlaufen:

Dr. Harald FRIEDRICH war von 1996 bis 2006 Abteilungsleiter im Umweltministerium und zuständig für die Wasserqualität. Die wollte er verbessern, denn das Trinkwasser aus der Ruhr ist kein besonders gutes Wasser. Und auch die EU-Wasserrichtlinien fordern nachhaltige Verbesserung.
Dies durchzusetzen ist in NRW schwierig - die Wasserwirtschaft, die es sich in den vielen Jahrzehnten SPD-dominierter Landesregierungen bequem eingerichtet hat, hält dagegen und hat seit 2005 auch einen politischen Verbündeten: den neuen Umweltminister UHLENBERG von der CDU, der beim Regierungswechsel die "grüne" Bärbel HÖHN abgelöst hat. Die Wasserwirtschaft fordert jetzt - mehr oder weniger unverhohlen - auch die Ablösung des engagierten Abteilungsleiters Dr. Harald FRIEDRICH. Bereits bei zwei Gelegenheiten hatten die Wassermanager das unmissverständlich klargestellt:

 

  • im ersten Konflikt um die Kläranlagen an der Ruhr
  • aber auch bei einer anderen Gelegenheit, als die Stadt Dinslaken ein neues Wasserwerk bauen wollte: Von der ebenfalls das Ruhrgebiet dominierenden Deutschen Steinkohle AG unter Druck gesetzt hatte die Dinslakener Bürgermeisterin das Umweltministerium eingeschaltet. Harald FRIEDRICH hatte ihr ebenfalls geraten, die von den Dinslakenern bereits entschiedene Lösung einer technologisch hochwertigen Nanofiltrationsanlage für die eigene Wassergewinnung zu praktizieren. Das wiederum hatte die ebenfalls das Ruhrgebiet beherrschende Gelsenwasser AG als offenen Affront empfunden und den neuen Umweltminister unmissverständlich wissen lassen, dass es mit Harald FRIEDRICH keinen Dialog mehr geben würde: sozusagen ein zweiter Konflikt wegen Trinkwasserproblemen in Dinslaken und einer sauberen Lösung.

Dies war Anlass für UHLENBERG, nach Strategien zu suchen, den für die Wasserwirtschaft unbequemen Abteilungsleiter loszuwerden. Korruptionsvorwürfe gegen FRIEDRICH gehörten dazu.
Im Juni 2006 hatte er FRIEDRICH fristlos entlassen. Vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf wurde im Oktober 2006 das Arbeitsverhältnis mit einer Abfindung und einer Ehrenerklärung des Ministeriums gegenüber FRIEDRICH aufgelöst.
FRIEDRICH unterstützt seitdem die Recherchen von David SCHRAVEN von der Welt am Sonntag zur PFT-Problematik. MinisterUHLENBERG geriet daraufhin 2007 und insbesondere Anfang 2008 unter Druck. Die strafrechtlichen Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt, die seitdem laufen, können ihm nur gelegen sein. Jetzt steht sogar ein Lauschangriff bevor


08.05.2008

OStA MEYER in Wuppertal, der die Anregungen des LKA jetzt auf dem Tisch liegen hat, ist mit den "Anregungen" zufrieden, wie er in seinem schriftlichen Vermerk festhält:

Auch die Ermittlungsrichterin ám Amtsgericht Wuppertal sieht das so: Sie verfügt noch am selben Tag einen entsprechenden Beschluss, mit dem die TKÜ-Maßnahmen einschließlich der Überwachung des Email-Verkehrs per Gerichtsbeschluss genehmigt werden.


Nun muss man wissen, dass Abhören bzw. TKÜ-Aktionen zu den stärksten Eingriffen des Staates in die grundgesetzlich gesicherte Persönlichkeitssphäre gehören. Sie stehen deshalb unter einem sogenannten Richtervorbehalt: Ein unabhängiger Vertreter des Rechtssystem muss prüfen, ob ein solch schwerwiegender Eingriff gerechtfertigt ist. Der Gesetzgeber hat dazu die strafrechtlichen Hürden hoch gehängt. Soweit die Theorie.


Die Praxis sieht durchgehend anders aus und so auch in diesem Fall. Die Wuppertaler Amtsrichterin gibt innerhalb weniger Minuten 45 Telefonanschlüsse und 60 Email-Konten 'frei', so dass die Ermittlungsbeamten in Kürze rund 2.500 Telefonate mitschneiden und rund 2.300 Emails auswerten können. Als Begründung müssen die diversen Vorhaltungen herhalten, die allesamt aus dem Hause des Umweltministers stammen:

So soll FRIEDRICH bei der Auftragsvergabe von Gutachten im Zusammenhang mit der Verbesserung des Trinkwassers von seinen Auftragnehmern beispielsweise nicht nur "geldwerte Vorteile" kassiert, sondern von einem Auftragnehmer sogar einen Laptop "gefordert" haben


21.05.2008

Einer der zuständigen Lauscher beim LKA, ein Kriminaloberkommissar (KOK), der ebenfalls für die Aufzeichnung der nun überwachten Telekommunikation aller Beschuldigten bzw. Verdächtigten zuständig ist, notiert sich ein Gespräch von Dr. M, das er abgehört hat:


23.05.2008

Welchen strafrechtlich relevanten Neuigkeitswert die abgehörten Telefonate haben, zeigt sich beispielsweise auch an diesem Protokoll: Der LKA-Lauscher macht sich Notizen über ein Gespräch, das Prof. Dr. P. Lehrstuhlinhaber an der renommierten Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) geführt hat:


23.05.2008

An diesem Tag schlagen Staatsanwaltschaft und LKA zu: In einer Großaktion mit über 270 Mann werden das Haus von Harald FRIEDRICH und weitere Privaträume und Ingenieurbüros seiner Auftragnehmer durchsucht, Akten und Unterlagen konfisziert, Harald FRIEDRICH selbst gleich verhaftet und in U-Haft gesteckt.
Die spektakuläre Razzia geht durch die gesamte Presse. Nicht alle Medien berichten mit der notwendigen Sorgfalt. DieEmsdettener Volkszeitung z.B. spricht z.B. vom Ende eines "Kettenhundes":


30.05.2008

Unabhängig von der Verhaftungsaktion geht für die amtlichen Lauscher alles seinen gewohnten Gang. Hier eine "Telefongesprächs-Ausdruck" der LKA-Lauscher über ein etwas längeres Telefonat, das einer der Beschuldigten bzw. Verdächtigen geführt hat - einen Tag nach FRIEDRICH's Verhaftung:


16.06.2008

Der LKA-Lauscher stellt OStA MEYER in Wuppertal eine kleine Liste mit jenen Telefonaten zusammen, in denen es um einen "Smart" ging. FRIEDRICH hatte sich eines Tages, als sein Auto kaputt war, einen Smart von Bekannten ausgeliehen, mit denen er befreundet ist und die just zu dieser Zeit im Urlaub in Brasilien waren. Allerdings ist der Bekannte gleichzeitig ein Auftragnehmer des Umweltministeriums.
Referatsleiterein Dorothea DELPINO, die eifrige Nachrichten- und Dokumentensammlerin in FRIEDRICH's Abteilung, hatte diese Information frühzeitig ihrem Arbeitgeber 'gesteckt' sowie dem LKA mitgeteilt. Jetzt will man auf diesem Weg erfahren, was daran dran ist.
In der Telefongesprächsliste ist auch ein abgehörtes Gespräch mit Johannes REMMEL dabei, der für die GRÜNEN im Landtag von Nordrhein-Westfalen sitzt:

Dieses Gespräch wird in knapp zwei Monaten in NRW ein mittleres Erdbeben auslösen: Parlamentarier dürfen ausdrücklich nicht abgehört bzw. belauscht werden.
In der Staatsanwaltschaft Wuppertal indes sieht man solche grundgesetzlich kodifizierten Verbote offenbar nicht so eng - die Auswertung dieses Gesprächs wandert ganz regulär in die Akten.
Und so wie diese Gesprächsaufzeichnung gesammelt wird, füllen weitere Protokolle immer mehr Leitzordner


10.08.2008

Die Bombe platzt:
David SCHRAVEN eröffnet der NRW-Öffentlichkeit in der aktuellen Ausgabe der Welt am Sonntag, dass im Zusammenhang mit der Verhaftung von Harald FRIEDRICH auch Telefongespräche abgehört wurden. Darunter sogar ein Abgeordneter des Landtages von NRW: Johannes REMMEL von der Fraktion der GRÜNEN


11.08.2008

Einen Tag nach David SCHRAVEN's Enthüllung in der Welt am Sonntag kommt Bewegung in die Geschichte:

 

  • Der Düsseldorfer Generalstaatsanwalt Gregor STEINFORTH (CDU), dem die Staatsanwaltschaft Wuppertal untersteht, mag es nicht glauben, dass die Wuppertaler Kollegen ein Telefonat mit einem Abgeordneten des Landtags belauscht haben. Grundsätzlich lässt sich derlei bei derartigen TKÜ-Aktionen von vorneherein nicht verhindern, weil man ja nicht weiß, mit wem ein verdächtigter Belauschter so alles zu telefonieren gedenkt. Ein solches Gesprächsprotokoll aber nicht unmittelbar danach wieder zu löschen, ist nicht nur rechtswidrig, es ist auch politisch ziemlich 'dumm' - offenbar der Standard in der Wuppertaler Staatsanwaltschaft. STEINFORTH weist OStA MEYER an, ihm sofort sämtliche Ermittlungsakten vorzulegen
  • Aber auch das Justizministerium ist alarmiert und fordert einen umfänglichen Bericht über dieses Ermittlungsverfahren - man will wissen, was los ist.

Wie ernst bzw. schwerwiegend die Situation 'oben' eingeschätzt wird, lässt sich am Tempo erkennen, mit dem die sonst eher etwas gemächlicher arbeitenden Ermittlungsinstitutionen jetzt auf einmal spuren:

 

  • Die Staatsanwaltschaft Wuppertal gibt die Anweisungen noch am selben Tag an die Lauscher im LKA weiter
  • und ebenfalls noch am selben Tag müssen die LKA-Lauscher eine Liste über die abgehörten Gespräche des Landtagsabgeordneten zusammenstellen. Ergebnis:
    • innerhalb von 5 Tagen wurden bisher
    • 22 Telefonanschlüsse überwacht, über die
    • insgesamt 37 Gespräche von Johannes REMMEL belauscht und protokolliert wurden.

Insgesamt wurden im Rahmen der gesamten Abhöraktion bisher 1.470 Telefonate aufgezeichnet, wovon 379 allerdings noch nicht ausgewertet sind:


14.08.2008

OStA MEYER muss nun auch den Rechtsanwälten Auskunft darüber geben, wann der Abgeordnete REMMEL abgehört wurde. Der Oberstaatsanwalt setzt dazu handschriftlich einen Brief auf - Oberstaatsanwälte in Wuppertal tippen solche Schreiben nicht gleich selbst in den PC, sondern schreiben so etwas per Hand, geben das in die Hauspost, die es an das Schreibbüro verteilt, wo der Brief dann in den PC eingegeben wird, damit er danach den gleichen Weg zurück zum Oberstaatsanwalt findet, der ihn persönlich unterschreiben muss, um ihn dann auf den letzten Weg im Hause zu geben (falls dort dann nicht schon längst Feierabend ist): zur Poststelle der Staatsanwaltschaft:

Fünf Tage später muss OStA MEYER erneut an den Rechtsanwalt schreiben (lassen) - man habe in den Akten weitere abgehörte Gespräche entdeckt


20.08.2008

Einer der staatlichen Lauscher, ein "KHK" beim LKA Düsseldorf, der von OStA MEYER inzwischen mit der Löschung der Aufzeichnungen über die abgehörten Gespräche des Landtagabgeordneten beauftragt wurde, notiert, dass alle "Audiodateien aus der Datenbank 'CASE'" gelöscht seien. Allerdings: "Die technischen Daten zu den fraglichen Verbindungen können von mir nicht gelöscht werden":


21.08.2008

Auch KHK LECH von der Ermittlungskommission "Stuhl" bestätigt, dass die Löschung "aller Gesprächsdaten mit Herrn MdL Remmel in Gemini und Case veranlasst" wurde. "Gemini" und "Case" sind die Namen der Datenbanksysteme, in denen die abgehörten Telefonate und E-mails - schön übersichtlich - gespeichert werden:Auch KHK LECH von der Ermittlungskommission "Stuhl" bestätigt, dass die Löschung "aller Gesprächsdaten mit Herrn MdL Remmel in Gemini und Case veranlasst" wurde. "Gemini" und "Case" sind die Namen der Datenbanksysteme, in denen die abgehörten Telefonate und E-mails - schön übersichtlich - gespeichert werden:

Parallel dazu schickt er aber mehreren Kollegen von der Lauschtechnik eine Email:

Und wieder einen Tag drauf erkundigt sich der Kriminalhauptkommissar, ob bereits vor der eigentlichen Lauschaktion Daten im Rahmen der "E-Mail-Account-Überwachung" erfasst wurden:


22.08.2008

Tags drauf bestätigt auch OStA MEYER dem Rechtsanwalt von Harald FRIEDRICH, dass alle Gespräche seines Mandanten mit dem Landtagsabgeordneten REMMEL gelöscht seien:

Außerdem lässt OStA MEYER Telefongesprächsauswertungen aus dem Monat Juni, in denen es um den für 4 Wochen ausgeliehenen "Smart" gegangen war und der Name Remmel auftauchte, durch ein Fehlblatt ersetzen, um alles, was irgendwie mit dem Abgeordenten zu tun hat, in den Akten zu tilgen:


September 2008

Während die staatlichen Lauscher beim LKA mit diversen Löschmanövern zu Gange sind, stellt sich heraus, dass sich alles garnicht wirklich löschen lässt: Die Abhör-Software wurde zum

 

  • Abhören
  • Aufzeichnen sowie zum
  • Aufbewahren, sprich Speichern

konzipiert und programmiert. Löschen ist dabei nicht vorgesehen. Dies stellt sich durch eine entsprechende E-mail des zuständigen Experten beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) von Nordrhein-Westfalen in Duisburg heraus - jetzt muss ersteinmal die Firma ran, die die Lausch-Software bzw. die zentrale Datenbank namens CASE eingerichtet hat:

Gelöscht werden müssen nämlich auch die Aufzeichnungen des Beschuldigten Dr. Harald FRIEDRICH mit seinern Verteidigern, wie OStA MEYER verfügt:

Bei einigen Abgehörten, die unter den Schutzbereich des § 53 der Straffprozessordnung fallen, z.B. Journalisten, geht OStA davon aus, dass diese

 

  • "nur unerheblich betroffen" sind und
  • sie deshalb "kein Interesse an einer Benachrichtigung haben", die eigentlich nachträglich vorgeschrieben ist, wenn Personen, ohne dass sie es ahnen (können), heimlich abgehört wurden.

Schlussfolgerung von OStA MEYER:

Unabhängig davon vermeldet das LKA dem Wuppertaler Oberstaatsanwalt am 17. September, dass "die Auswertung der Mails beider Accounts" für das Verfahren "keine relevanten Sachverhalte" erbracht haben. Soll heißen: Die Begründung, mit der Oberstaatsanwalt MEYER die richterliche Genehmigung durchgesetzt hat, ist in sich zusammengebrochen


18.09.2008

Polizeihauptkommissar (PHK) B, am Landesamt für Polizeiliche Zentrale Dienste (LPZD) von NRW zuständig für die zentrale Polizei-Datenbank CASE, informiert, dass sich das angekündigte Löschen verschiedener Telefonate, E-Mail-Verkehre und anderer Informationen etwas schwieriger als gedacht herausstellt:

Und so spiegelt sich der überraschend komplizierte gewordene Workflow des Löschens von abgehörten Gesprächen in vielen diversen Aktenvermerken und schriftlichen Hinweisen an die vielen damit befassten Dienststellen wider:


24.09.2008

An diesem Tag wird protokolliert, dass die fraglichen Gesprächsaufzeichnungen zwei Tage zuvor gelöscht wurden, wie es in dem Aktenvermerk an diesem Tag heißt:

Und ganz am Ende des Vermerkes steht: "Das zur Löschung dieses Vermerks erstellte Protokoll ist diesem Vermerk angeheftet". Wie sich aus den handschriftlichen Ergänzungen ergibt, wird dieses "Protokoll" aufgrund einer neuerlichen Verfügung vom 24. November dann "vernichtet" - so jedenfalls laut Datum vom 5. Dezember.


Doch vorher sind noch einige andere Probleme zu lösen, die man bisher nicht kennt, weil Löschung von erhobenen Daten nie vorgesehen war: 


Ende September 2008

Das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD), das - im Auftrag der Staatsanwaltschaft und koordiniert vom LKA - die technische Abwicklung der Abhöraktionen durchführt, sieht sich - offenbar zum allerersten Male - bemüßigt, sich an das Innenministerium zu wenden: Man möchte über die Grundsätzlichkeit des Nichtlöschens der durch die Überwachung gewonnenen Daten berichten. Aktueller Grund: Die im Rahmen einer TKÜ-Maßnahme erhobenen Daten lassen sich garnicht löschen - technisch ist das in der Software überhaupt nicht vorgesehen.
Will man Daten doch löschen, so müsse das Aufzeichnungssystem GEMINI nachgerüstet werden: 

Auch hier fallen staatsbürgerliche Theorie hinsichtlich der TKÜ-Maßnahmen und praktischer Ermittlungsvollzug weit auseinander: Haushaltspolitische Restriktionen verhindern die Umsetzung verfassungsrechtlicher Ansprüche


Oktober 2008

Zumindest was den mitgelesenen E-mail-Verkehr zwischen Harald FRIEDRICH und dem Journalisten David SCHRAVEN von derWelt am Sonntag (WamS) anbelangt, informiert OStA MEYER jetzt den Betroffenen: Die 5 mitgelesenen Mails seien weder protokolliert noch ausgewertet worden:

Und am 8. Oktober wird es amtlich vermerkt: Jetzt sind auch die fraglichen Daten in der Datenbank Gemini beim LZPD (Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste) gelöscht - und zwar unter "Vier Augen":

Dass es so einfach und schnell nun doch garnicht geht, belegt ein LKA-Vermerk vom 30. Oktober: Es liegen unterschiedliche Datenlisten vor und keiner weiß, was denn nun genau gelöscht werden solle - ein mittleres Chaos scheint sich breitzumachen:


21.11.2008

Jetzt stellt sich heraus, dass bei den diversen Löschungsaktionen auch uneinheitlich vorgegangen wurde, da bei den staatlichen Lauschern "keinerlei Erfahrung vorhanden war". Schließlich wurde ersteinmal "händisch" gelöscht:

Auch KHK LECH schreibt (mal wieder) einen Vermerk, in dem er die "Auswertung der TKÜ-Mail-Verkehr" zusammenfasst:

  • man habe die Emails mit dem Journalisten David SCHRAVEN mit einem "Beweisverwertungsgebot" gekennzeichnet", so dass "kein Zugriff mehr auf diese Mails mehr möglich" sei
  • auch der Mailverkehr mit einem anderen Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer entfalle unter dieses Beweisverwertungsgebot
  • einige Mails zwischen Harald FRIEDRICH und David SCHRAVEN seien immer noch nicht gelöscht, weil sie "durch das Auswertesystem bei einer Recherche nach dem Suchbegriff 'Löschung' nicht erfasst" wurden und deshalb "keine Berücksichtigung" fanden
  • dass es weitere Emails gäbe, die unter das Beweisverwertungsgebot fallen könnten
  • und diese seien hier alle als Protokollmeldung wie folgt aufgeführt, wie beispielsweise auch die Überwachung des Email-Verkehrs zwischen Harald FRIEDRICH und dem Journalisten David SCHRAVEN:

Im übrigen wolle er aber auch auf folgenden Umstand hinweisen:

Was ganz genau das "hohe politische Interesse" gewesen ist, und wer vor allem daran ein "hohes" Interesse daran gehabt haben könnte, ist in diesem Vermerk nicht weiter spezifiziert. Es dürfte aber für die Adressaten dieses Vermerks, darunter den Wuppertaler Oberstaatsanwalt MEYER, ausreichende Erklärungskraft haben 


24.11.2008

Inzwischen ordnet OStA MEYER an, dass die gesamten TKÜ-Akten zu löschen seien und faxt dies an das LKA an KHK LECH. Der wiederum gibt diesen Auftrag an die staatliche Lauschabteilung weiter:

Mit dieser eindeutigen Anweisung müsste eigentlich alles seinen Gang gehen, um diese fragwürdige TKÜ-Aktion zu einem Ende zu bringen


2 1/2 Jahre später: im Sommer 2011

Kriminalbeamte, die ihren Dienst aufrecht und pflichtgetreu im öffentlichen Bereich versehen, können von ihrem "Dienstherrn" jederzeit dort eingesetzt werden, wo es die "dienstlichen Belange" (vermeintlich) erforderlich machen. Wer beim LKA in Düsseldorf bei der Abt. 44.1 eingesetzt wird, die für TKÜ-Maßnahmen zuständig ist, muss einen "dienstlichen Pflichten" ebenso nachkommen wie Beamte oder Angestellte, die beim Landesamt für Polizeiliche Zentrale Dienste (LZPD) die Abhördatenbanken GEMINI und CASE bedienen und pflegen. So will es das Öffentliche Dienstrecht.


Auch wenn man des öfteren Beamten ein gewisses Desinteresse an dem nachsagt, wozu das alles 'gut sein' soll, was sie so machen, so gibt es doch regelmäßig auch aufrechte Staatsdiener, die das, was sie so machen, zu hinterfragen imstande sind.
Harald FRIEDRICH erhält im Juni 2011 einen Telefonanruf. Anonym, aber der Anrufer gibt sich als jemand aus der amtlichen Lauschabteilung zu erkennen. Das Gespräch ist kurz, es soll keine Unterhaltung werden. Nur den Hinweis wolle er loswerden, dass die aufgezeichneten Telefonate immer noch nicht gelöscht seien - im Gegensatz zur offiziellen Auskunft seitens der Staatsanwaltschaft in Wuppertal. Und im Gegensatz zu den Erwartungen des Generalstaatsanwalts und aller sonstigen beteiligten Institutionen wie beispielsweise der inzwischen abgeschlossene Parlamentarische Untersuchungsausschuss.


Am 15. August 2011 geht daher das Politmagazin Fakt (MDR) auf Sendung und lässt Harald FRIEDRICH ausführlich zu Wort kommen, was ihm widerfahren ist. Jetzt steht aber auch der Hersteller und Lieferant der Abhörsoftware fest, mit der man zwar Aufzeichnen und Speichern, nicht aber löschen kann: die aus dem saarländischen Bexbach stammende Firma Syborg Informationssysteme:

Syborg hat viele Kunden, denen sie sich als "Spezialist für Telekommunikationsüberwachung" verkaufen kann: neben den Bundesländern NRW, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen war Syborg auch in arabischen Ländern gern gesehener "Spezialist" für derlei Bedürfnisse. Unter anderem beim ehemaligen Potentaten von Lybien, Muammar al-GADDAFI.


Mehr über das Telekommunikationsüberwachungsunternehmen unter der Public Domain www.buggedplanet.info, einer Art 'wiki'-Plattform, auf der Informationen über derartige Unternehmen und Institutionen gesammelt werden, die sich sonst hinter ihren Auftraggebern verstecken könnten.


Für Harald FRIEDRICH ist der Fall bis heute (noch) nicht ausgestanden. Auch in einem Rechtsstaat benötigt man oft einen (sehr) langen Atem ... 


(JL)