Die Geschichte von Dr. Harald FRIEDRICH im Überblick

Trinkwasserprobleme, ein Abhör- und Justizskandal und der Missbrauch politischer und wirtschaftlicher Macht

Die Karte veranschaulicht, worum es in diesem Whistleblowerfall geht: um die Versorgung von rund 4 Millionen Menschen entlang der Ruhr mit Trinkwasser. Dabei nimmt die Ruhr auf der einen Seite die Abwässer der Industrie und der Haushalte auf, auf der anderen Seite wird aus diesem "Oberflächengewässer" das Trinkwasser gewonnen. Bei perfektionierten Kläranlagen und Trinkwasseraufbereitungsanlagen, die auf dem neuesten Stand der Technik wären, eigentlich kein Problem. Eigentlich.

Doch die Karte skizziert bereits die ersten Probleme:

  • Die Vormachtstellung des großen Trinkwasseraufbereiters in den hier unterschiedlich markierten Regionen: die Gelsenwasser AG. Ihr gehören die hier blau markierten Wasserwerke entlang der mittleren Ruhr. Sie repräsentieren nicht den neuesten Stand der Technologie
  • Rot dargestellt sind die kommunalen Kläranlagen, die der Ruhrverband betreibt, ebenfalls eine Art Monopol. Auch die rund 70 Kläranlagen setzen nicht die effizienteste Technik ein.

Klicken Sie sich auf der Karte einmal durch - sie versucht, beide Probleme grafisch anzudeuten:

 
(Quasi)Monopole haben die Eigenschaft, sehr behäbig zu agieren, denn sie unterliegen keinerlei Konkurrenzdruck. Wenn diese Behäbigkeit auch noch durch jahrzehntelange Politstrukturen verfestigt wurde, wie dies in NRW durch die jahrzehntelange Alleinherrschaft oder Dominanz der SPD geschah, dann werden jene, die etwas zum Besseren hin verändern wollen, schnell zum Störenfried. Davon handelt die nachfolgende Geschichte.

Die Geschichte beginnt - spätestens - im Jahre 2002. Zu dieser Zeit regiert bereits zum zweiten Male (seit 2000) in NRW eine rot-grüne Landesregierung. Auslöser dieser Geschichte ist die Veröffentlichung eines Berichtes des Umweltministeriums in Nordrhein-Westfalen: Entwicklung und Stand der Abwasserbeseitigung.

Umweltministerin zu dieser Zeit ist Bärbel HÖHN von den GRÜNEN, Dr. Harald FRIEDRICH einer ihrer Abteilungsleiter und zuständig für die Wasserqualität. Letztere ist in den Städten und Gemeinden links und rechts der Ruhr nicht besonders gut und beide, Bärbel HÖHN und Harald FRIEDRICH wollen das ändern. Und müssen das ändern, denn inzwischen schreibt auch die EU-Wasserrichtlinie vor, dass bis zum Jahre 2015 alles 'bestens' sein muss. Eigentlich gute Voraussetzungen, denn auch die Wasserverbraucher, die 4 Millionen Haushalte, die im Ruhr-Einzugsgebiet leben, möchten ebenfalls gerne einwandfreies Wasser trinken.

Vier Jahre später, am 12. Juli anno 2006, um 10:47 Uhr, geht von der Deutschen Presseagentur (dpa) in Düsseldorf ein Fax ab: ein Ausschnitt aus der aktuellen BILD-Zeitung mit einer - für dieses Blatt - vergleichsweise ausführlichen Geschichte, bestehend aus 38 schmalen Zeilen: "Abteilungsleiter gefeuert - wegen Korruptionsverdacht" (siehe aktives Bild).

Zu dieser Zeit heißt der Umweltminister inzwischen anders - es ist Eckhard UHLENBERG von der CDU, der zusammen mit Jürgen RÜTTGERS in NRW ein Jahr zuvor an die Macht gekommen war. UHLENBERG, der Bärbel HÖHN abgelöst hat, ist ein Mann der Wirtschaft - Umwelt kommt erst danach und Umweltschutz ganz zum Schluss.

Der Abteilungsleiter im Umweltministerium ist - bzw. war - bis vor 2 1/2 Wochen immer noch der gleiche, nämlich Dr. Harald FRIEDRICH: ein ausgewiesener Experte u.a. für Wasserfragen. Aus diesem Grund hatte ihn Bärbel HÖHN ins Umweltministerium geholt. Doch jetzt ist alles anders, denn jetzt beginnt eine Art von Showdown, inszeniert im Umweltministerium.

Das fragliche Fax mit dem BILD-Zeitungs-Ausschnitt geht an folgende Faxnummer:

Nachmittags wirft die dpa nochmals das Fax an und sendet zwei weitere Zeitungsausschnitte, die schon einige Tage älter sind, u.a. einen Bericht des Kölner Stadtanzeiger vom 23. Juni:

Die beiden Faxsendungen landen da, wo sie seitens dpa auch hinsollen: Bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf. Konkret: Die Zeitungsberichte landen auf dem Tisch von Staatsanwalt KUMPA. Der macht sich tags drauf einen Vermerk:

Ergebnis seiner Bewertung: "Es soll daher abgewartet werden, ob nach Prüfung des Sachverhalts eine Strafanzeige vom Ministerium erstattet wird".

Wer mit wem an diesem Tag oder auch am Tag zuvor telefoniert und wer wem Hinweise gegeben hat, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass am selben Tag des dpa-Faxes an die Staatsanwaltschaft in Düsseldorf auch das Landeskriminalamt (LKA) eine "Eigene Presseauswertung" vornimmt und unmittelbar Kontakt mit der Stabsstelle "Umweltkriminalität" beim Umweltministerium aufnimmt:

Die Kriminalbeamten arbeiten flott:

  • Der mit der "eigenen Presseauswertung" betraute Kriminalhauptkommissar (KHK) schaltet den Landeskriminaldirektor ein - auf dem Dienstweg, der in diesem Fall sehr schnell funktioniert
  • Der wiederum informiert das Innenministerium   
  • Ein anderer Kriminaler telefoniert sofort mit dem Umweltministerium und macht auf der Stelle einen Gesprächstermin vor Ort aus: bereits am nächsten Tag um 11:30 Uhr.

Nochmals einen Tag drauf, am 14. Juli, verdichtet sich das Tempo der Ereignisse:

  • das Gespräch der Kriminalbeamten ist im Umweltministerium bestens vorbereitet worden. Der zuständige Referatsleiter aus der Zentralabteilung I (Personal), Ministerialrat Dr. Jörg-Michael GÜNTHER, referiert, konkret: trägt den Verdacht schwerer Verstöße gegen haushalts- und vergaberechtliche Vorschriften vor und weist darauf hin, dass "ein Verlust von Beweismitteln" gegen den inzwischen suspendierten Abteilungsleiter Dr. Harald FRIEDRICH nicht zu befürchten ist, da das Dienstzimmer mit einem neuen Schloss versehen wurde und "die Festplatte des Computers gleichfalls gesichert wurde."  
  • eine weitere Zeugin steht ebenfalls schon bereit und äußert den Verdacht des "Geheimnisverrats"
  • und Ende nächster Woche will das Umweltministerium den Kriminalbeamten "weitere Unterlagen persönlich" übergeben.

Damit auch alles 'seine Ordnung' hat, empfehlen die Kriminalen, eine Anzeige zu stellen. Dies geschieht ebenfalls noch am selben Tag um 16 Uhr:

Eine zweite Zeugin steht ebenfalls schon bereit - eine Ministerialrätin aus FRIEDRICH's Abteilung, die ihm offenbar nicht wohl gewogen ist und den Kriminalen eine Fama rapportiert, dass ihr Chef bis vor kurzem, eben der besagte Harald FRIEDRICH, sich über einen seiner Auftragnehmer einen Laptop "bestellt" habe, weil dies "im Projekt drin sei".

Bereits eine Stunde zuvor hat Ministerialrat GÜNTHER noch einen weiteren Vorwurf nachgeschoben und alle Unterlagen dazu, derer er habhaft werden konnte, an das LKA gefaxt: "versuchte Falschabrechnung von Reisekosten". Konkret: Harald FRIEDRICH hatte wohl vergessen, "gestellte Mittagessen" anzugeben, "was Auswirkungen auf die Abrechnung hat", konkret auf die Höhe der Erstattung. Sie fällt dann ein klein wenig höher aus.

Mit diesen Vorwürfen und Aktionen hat das begonnen, was Eckhardt UHLENBERG's Stellvertreter, sein mit ihm befreundeter Staatssekretär Dr. Alexander SCHINK, ihm bereits vorher mitgeteilt hatte: Jetzt kann es endlich losgehen. Hier das Schreiben des Staatssekretärs an seinen "lieben Eckhardt":

Was jetzt so richtig in Fahrt kommt, ist die Geschichte von drei großen Akteuren:

  • Harald FRIEDRICH will die Qualitäten beim Trinkwasser verbessern. Dazu muss er vor allem beim Abwasser ansetzen. Denn die Ruhr dient einerseits als Abwasserableiter, zum anderen wird aus der Ruhr Trinkwasser für 4 Millionen Menschen gewonnen. FRIEDRICH will bessere Umweltstandards, sprich bessere Technologien durchsetzen
  • genau das will die Wasserwirtschaft an der Ruhr ersteinmal nicht, die es sich in der jahrzehntenlangen Regierungszeit ausschließlich roter Landesregierungen recht bequem eingerichtet hat: mit dem richtigen Parteibuch in der Tasche musste man in NRW keine besonders strengen Umweltauflagen befürchten - FRIEDRICH ist der Wasserwirtschaft ein Pfahl im Fleisch
  • genau das hat die Wasserwirtschaft den neuen Umweltminister Eckhardt UHLENBERG auch wissen lassen: in mehreren Briefen hat man indirekt und subtil, aber unmissverständlich gedroht, dass man FRIEDRICH loswerden wolle. UHLENBERG, ein Mann der Wirtschaft, hat dieses Signal verstanden.

Diese Geschichte, die - genau besehen - im Jahre 2000 mit der Einführung neuer EU-Standards beim Trink- und Abwasser begann, haben wir hier rekonstruiert: Über 10 Jahre ziehen sich die vielen Ereignisse hin, die langsam beginnen, nach und nach eskalieren, im Jahr 2006 ihren ersten Showdown erfahren.

Parallel zu diesem Showdown kommt das Thema des krebsfördernden „PFT“ (Perfluorierte Tenside) im Ruhrtrinkwasser auf. David SCHRAVEN von der Welt am Sonntag (WamS) gehört zu jenen Journalisten, die sich nicht mit vordergründigen Erklärungen abspeisen lassen. Dass ausgerechnet Harald FRIEDRICH gefeuert wurde, ließ ihn stutzig werden – er nahm Kontakt mit FRIEDRICH auf. Aus dem Kontakt sollte ein fruchtbare Kooperation werden, denn David SCHRAVEN schrieb nicht nur gegen den amtierenden Umweltminister UHLENBERG an, sondern auch teilweise gegen seine (eher oberflächlich arbeitenden) Kollegen. Für seine hartnäckigen Recherchen und enthüllenden Berichte wurde er Anfang Mai 2008 mit einem „Wächterpreis der Tagespresse“ ausgezeichnet. Dies haben wir unter www.anstageslicht/PFT dokumentiert. Anlass für Minister UHLENBERG im Landtag von NRW und vor aller Öffentlichkeit, dem Journalisten, der Welt am Sonntag und den GRÜNEN eine ausgemachte Kampagne vorzuwerfen.

Nur wenige Tage nach der Wächterpreisverleihung im Mai 2008 kommt es zu einer Steigerung des Showdowns: Harald FRIEDRICH und einige seiner Auftragnehmer, die für das Umweltministerium Gutachten erstellen und Forschung bei den Wasserstandards betreiben, werden in einer Großaktion mit 270 Polizeibeamten durchsucht und FRIEDRICH verhaftet und in U-Haft eingesperrt: wegen des Verdachts des bandenmäßigen Betrugs. Gleichzeitig werden seine und viele andere Telefongespräche abgehört und der gesamte E-mail-Verkehr mitgelesen - es wird eine der größten Lauschaktionen in Deutschland.

Aber auch eine der größten Ermittlungs-'Pleiten': die Vorwürfe des bandenmäßigen Betrugs, der Korruption und Untreue lösen sich nach und nach im Nichts auf: nichts bleibt zum Schluss mehr übrig. Außer Harald FRIEDRICH, der drei Wochen im Gefängnis gesessen und seinen Glauben an den Rechtsstaat ein wenig verloren hat. Dabei ging es nur um besseres Trinkwasser für 4 Millionen Menschen. Aber das gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht gegen die Interessen der Wasserwirtschafts-Unternehmen. Und so ist dieser 'Kampf' bis heute nicht endgültig entschieden.

Die relevanten Vorgänge von Anfang an bis heute finden Sie in der Ausführlichen Chronologie aller Ereignisse.

Die erste Auseinandersetzung von Harald FRIEDRICH mit der Wasserwirtschaft haben wir gesondert dokumentiert unter Der erste Konflikt: Die Kläranlagen an der Ruhr.

Auch den zweiten Konflikt, der sich zwangsläufig ergeben musste: Die Stadt Dinslaken, die ihr eigenes Wasser fördern und nicht vom großen Trinkwassermonopol, der Gelsenwasser AG, kaufen wollte, hatte eine eigene hochmoderne Trinkwasseraufbereitungsanlage geplant. Harald FRIEDRICH hatte der Bürgermeisterin zugeraten. Die Gelsenwasser-Manager wurden sauer und schrieben an den neuen Umweltminister UHLENBERG: Der zweite Konflikt: Trinkwasserprobleme in Dinslaken und eine saubere Lösung.

Wer die großen Wasser-Player in NRW sind und wie sie ihre Geschäftspolitik durchsetzen (können), haben wir unter Strukturen der Wasserwirtschaft rekonstruiert.Worum es eigentlich geht - bzw. gehen sollte, finden Sie hier:


Verbindungsdatenvorratsspeicherung ist das eine. Abhören und Belauschen etwas anderes. Letzteres wurde in diesem Zusammenhang bei Harald FRIEDRICH, mehreren anderen und sogar bei einem Landtagsabgeordneten praktiziert: Lauschangriff und "TKÜ": Wie Staatsanwaltschaft und LKA in NRW u.a. auch Landtagsabgeordnete abhören.

Als die Abhöraktion bekannt wurde, schaltete sich der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf ein, jene Behörde, die direkt unterhalb des Justizministeriums angesiedelt ist und über allen Staatsanwaltschaften steht. Als sich der sogenannte General die Akten kommen ließ, wa er entsetzt: über den "Tunnelblick" der Wuppertaler Staatsanwaltschaft, die - zusammen mit dem LKA in NRW - die Ermittlungen geführt hatten. Ergebnis: Alle Vorwürfe gegen Harald FRIEDRICH lösten sich nach und nach in Luft auf, die diversen Ermittlungsverfahren wurden eingestellt: Generalstaatsanwalt versus Staatsanwalt.

Der politische und wirtschaftliche Hintergrund der ganzen Aktion(en) konnte erst in einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden. Der tagte 2009 bis 2010. Dann waren wieder Landtagswahlen: Die CDU/FDP-Koalition wurde abgewählt. Jetzt regieren Rot und Grün und der neue Umweltminister ist der ehemals abgehörte Landtagsabgeordnete Johannes REMMEL von den GRÜNEN. Er will weiterführen, was einst Bärbel HÖHN und Harald FRIEDRICH zusammen versucht hatten: für 4 Millionen Menschen einwandfreies Trinkwasser durchzusetzen.

Mit dem Hauptakteur bzw. Betroffenen haben wir uns ebenfalls unterhalten - er stand uns Rede und Antwort: in einem Gespräch mit Harald FRIEDRICH.

Wenn Sie diese Geschichte direkt aufrufen oder verlinken wollen, können Sie dies unter www.anstageslicht.de/HaraldFriedrich tun.


(JL)