Die Berichte der Stuttgarter Nachrichten, 09.02.2008

von Jürgen BOCK

Stuttgart bei Notfallversorgung bundesweit Schlusslicht

In keiner vergleichbaren deutschen Metropole dauert es so lange wie in Stuttgart, bis im Notfall der Rettungsdienst kommt. Zahlen zeigen jetzt, dass noch nicht einmal die gesetzliche Hilfsfrist von 15 Minuten eingehalten wird. Rettungskräfte, Grüne und eine Bürgerinitiative fordern vom Land eine Gesetzesänderung.


Einem Verunglückten ist es meist egal, wo er sich befindet. Das Einzige, was zählt, ist schnelle Hilfe. Oft entscheiden Minuten über Leben oder Tod. Nach neuen Erkenntnissen möchte man ihm aber raten, besser nicht in Stuttgart auf Rettung angewiesen zu sein - denn in sämtlichen großen deutschen Metropolen sind die Helfer im Ernstfall schneller am Einsatzort als hier.
Das liegt allerdings nicht an den Rettungskräften, sondern am gesetzlichen Rahmen in Baden-Württemberg. "Die Hilfsfrist, also die Zeit, in der die Retter am Unglücksort sein müssen, ist bundesweit von Land zu Land völlig unterschiedlich geregelt", sagt Tjark Neinhardt von der Bürgerinitiative Forum Notfallrettung Stuttgart. Während das Rettungsdienstgesetz etwa in Nordrhein-Westfalen eine Frist von acht Minuten bis zum Eintreffen am Unglücksort vorsieht, beläuft sie sich im Südwesten auf 15 Minuten. In Hamburg sind es fünf.
Entsprechend ist die Ausstattung der Rettungsdienste bemessen: In Düsseldorf etwa sind laut einer Studie der Bürgerinitiative fast doppelt so viele Notärzte und Rettungswagen im Einsatz wie in Stuttgart - der verunglückte Düsseldorfer wird im Schnitt doppelt so schnell gerettet wie ein Stuttgarter in Not. "Es ist aber nicht davon auszugehen, dass Baden-Württemberger besonders widerstandsfähig sind", sagt Neinhardt mit bitterer Ironie. Abhilfe schaffen könne nur eine landesweite Gesetzesänderung, die die Fristen verkürzt und damit den Einsatz von zusätzlichen Rettungskräften erzwingt.
Mit dieser Forderung ist die Bürgerinitiative nicht allein. Die Grünen im Stuttgarter Gemeinderat haben jüngst bei der Verwaltung eine Stellungnahme beantragt. Die Antwort von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer lässt aufhorchen: Verglichen mit ähnlichen Städten sei "Stuttgart absolutes Schlusslicht", heißt es da. 200 000 Bürgern stehe im Schnitt nur ein Notarzt zur Verfügung. Und: In Stuttgart wird noch nicht einmal die großzügige baden-württembergische Hilfsfrist eingehalten. Zwischen Januar und Oktober 2007 brauchte ein Rettungswagen im Schnitt fast 18 Minuten bis zum Unglücksort, ein Notarzt beinahe 17.
"Rosig sieht es hier nicht aus, wir bewegen uns scharf an der Grenze", sagt Frank Knödler, Leiter der Branddirektion. "Im Sinne der Bürger wären 10 Minuten in Ballungsräumen wesentlich besser." Dafür brauche man aber Fahrzeuge und Finanzmittel. "Das ist ein Landesproblem", sagt Knödler, "wir sind nur die Vollzugsebene. Das Sozialministerium sollte etwas tun."
Dabei wollen die Grünen helfen. "Wir werden beantragen, dass die Stadt auf das Land zugeht, das dann auch mit den Krankenkassen verhandeln muss", so Sprecherin Ursula Marx. Eine Lösung für das "Riesenproblem" zu finden sei aber nicht einfach: "Das liegt nicht in kommunaler Hand."

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