Groß und stark durch Vitamine – Der Pharmamulti Hoffmann-La Roche

 

Die Schweizer F. Hoffmann-La Roche AG, kurz meist „Roche“ genannt (www.roche.ch), ist ein großer Akteur im globalen Pharma-Zirkus.
Der Chemie-Konzern wurde 1896 in Basel von Fritz Hoffmann-La Roche gegründet. Bereits in den ersten zehn Jahren wurden Dependancen in Paris, New York und England gegründet. Internationalisierung wurde vom Start weg groß geschrieben und man hatte fleissig expandiert – „globalisiert“ würde man heute sagen.

Erfolge feierte man unter anderem mit Schmerz- und Schlafmitteln. Aber groß wurde das Unternehmen mit Vitaminen. Die Entwicklung von Verfahren zur künstlichen Herstellung diverser Vitamine für den Massenmarkt machten Roche zum Branchenprimus und das Vitamingeschäft zur Haupteinnahmequelle. In den 1960ern sorgten die Psychopharmaka Valium und Librium für weitere Erfolge und Roche schwang sich zeitweilig zum größten Pharma-Konzern der Welt auf. 1965 übernahm Roche den Genfer Aromastoff-Hersteller Givaudan und damit auch dessen Tochterfirma Icmesa . Eine Übernahme die später noch Wellen schlug, denn Icmesa verursachte als „Enkelfirma“ von Roche 1979 die berüchtigte Seveso-Katastrophe die auch die Basler „Großmutter“ in eine Krise stürzte.

Stress durch ein Beruhigungsmittel

Die verschlossene Informationspolitik der Firma brachte Roche im Laufe der Jahre den Ruf eines "schweigsamen Riesen" ein. In Geschäftsberichten wurden etwa Immobilien oder Patente relativ nichtssagend mit jeweils einem Schweizer Franken ausgewiesen. Aussagekräftige Zahlen hielt man soweit wie möglich unter dem Deckel, über Details konnten Außenstehende nur mutmaßen. "Schreiben Sie am besten gar nichts über uns", sagte der damalige Roche-Chef Adolf JANN einmal auf eine Anfrage der Züricher Zeitung Finanz und Wirtschaft. Das besondere: Roche war zu diesem Zeitpunkt an keiner Börse notiert, also bräuchte man laut JANN auch den Kapitalmarkt nicht. Die Firma igelte sich im wahrsten Sinne des Wortes ein.

Als Roche dann 1973 doch einmal eine Pressekonferenz gab, war dies der Not geschuldet und wurde von der überraschten Presse als geradezu "sensationell" bezeichnet. Grund für die ungewohnte Offenheit: Eine von der britischen Monopol-Kommission veröffentlichte Untersuchung, welche die mit den Beruhigungsmitteln (Psychopharmaka) „Valium“ und „Librium“ erzielten Gewinne als "übermäßig" anprangerte und die Preispolitik des Konzerns verurteilte. Roche rechtfertigte die hohen Preise mit den hohen Forschungsaufwändungen des Unternehmens. Jahrelange Rechtsstreitereien folgten, die sich auf andere europäische Länder ausweiteten.

Mit der britischen Regierung schloss man schließlich 1975 einen Vergleich: Roche zahlte einen Teil der Gewinnsumme aus den Valium- und Libriumverkäufen zurück und senkte die Verkaufspreise der Präparate. Auch neben den Tumulten um die Psychopharmaka-Preise gab es in den Siebzigern einige Unruhen beim Basler Chemie-Giganten. Zum einen durch die von Roche-Manager Stanley Adams enthüllten Preisabsprachen im Vitaminbereich sowie das Seveso-Desaster

Die 80er Jahre – Gentechnik und HIV

1980 wurden durch die Zusammenarbeit mit der amerikanischen Biotech-Firma Genentech neue Wege beschritten. 1986 kam das erste gentechnisch produzierte Roche-Produkt auf den Markt. Neue Erkenntnisse in der Krebsforschung kamen zutage. Außerdem nahm die Diagnostik-Sparte von Roche Forschungsarbeiten im Bereich der neu erkannten AIDS-Krankheit auf und führte 1986 einen Test zum Nachweis des HIV-Virus ein. Im Gegensatz zu früher setzte Roche jetzt verstärkt auf die internationalen Kapitalmärkte, gründete zu diesem Zweck 1989 die Roche Holding AG. Zu dieser Zeit bestand wiederum ein Kartell, um die Preise auf dem Vitaminmarkt hochzuhalten.

Die neunziger Jahre – Abschied vom Vitamin, Grippe und Volks-DNA

In den Neunzigern gab es weitere Übernahmen, unter anderem wurde Genentech 1999 vollständig übernommen. Für Furore im Produktbereich sorgten unter anderem ein neuartiges AIDS-Präparat sowie das Grippemittel Tamiflu, dass vor allem im Zusammenhang mit der "Vogelgrippe" Berühmtheit erlangte. Eine Kooperation mit der amerikanisch-isländischen Firma deCODE rief besorgte Datenschützer auf den Plan. Die genetischen Daten fast aller Einwohner Islands wurden durch deCODE in einer Datenbank erfasst. Roche kaufte sich ein und erwarb durch seine Beteiligung die Verfügungsgewalt an den medizinischen Daten einer ganzen Nation.

Zum Ende des Jahrzehnts wurde Roche gemeinsam mit anderen Pharmaunternehmen in den USA wegen Preisabsprachen verurteilt. Weitere Urteile und Vergleiche folgten in den USA und Europa. Die Summe, die Roche am Ende insgesamt für seine Kartellbeteiligung auf der Rechnung hatte, lag laut dem Nachrichtenportal swissinfo.ch bei rund 3,2 Milliarden Schweizer Franken. Für etwas mehr, nämlich 3,4 Millarden, verkaufte Roche 2002 die zum Sorgenkind gewordene Vitaminsparte zusammen mit den Feinchemikalien an die holländische Firma DSM. Mit dem Verkauf trat Roche nach rund 70 Jahren endgültig von der Vitaminbühne ab, auf der die Firma so groß geworden war.

Image ist alles

Nach der Jahrtausendwende rollte Roche als eines von 39 Pharmaunternehmen einen Prozess gegen die Republik Südafrika an. Das Schwellenland, vor allem durch AIDS und Tuberkulose drangsaliert, wollte als Reaktion auf hohe Arznei-Preise billigere Kopien zulassen. Die Konzerne pochten auf ihr Patentrecht und klagten. Dafür hagelte es weltweit Kritik und die Klage wurde zurückgezogen. Zu einem Imageschaden kam es trotzdem, der Deutschland-Chef von Roche erklärte später einmal, dass man die Klage bedauere. Möglicherweise auch um das Image wieder aufzupolieren, spendete das Schweizer Unternehmen 2005 und im Folgejahr große Mengen Tamiflu an die World Health Organisation, die bei der Bekämpfung der "Vogelgrippe" als Notvorrat dienen sollten.

Im Zusammenhang mit AIDS sorgte 2003 dass revolutionäre Präparat Fuzeon für Schlagzeilen. Bei Produkteinführung galt es als das bis dato wirksamste Mittel, wurde allerdings auch zu einem Rekordpreis eingeführt. In Deutschland kostet die Behandlung im Jahr fast 25.000 Euro, im AIDS-gebeutelten Afrika soll das Medikament gar nicht zu erhalten sein. Roche rechtfertigte den Preis mit hohen Kosten, allein die Entwicklung habe über 600 Millionen Dollar gekostet.

 Die gesamte Pharmaindustrie – und damit auch Roche – steht wie kaum eine zweite Branche immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik. Zum Beispiel wegen der hohen Preise wichtiger Medikamente in der Dritten Welt. Oder weil Krankheiten in armen Ländern gar nicht erforscht werden. Dort gebe es keinen lukrativen Markt, wie Roche-Deutschland-Chef Hagen PFUNDNER in einem ZEIT CAMPUS-Interview im Dezember 2008 einräumte. Die hohen Medikamentenpreise werden von den forschenden Unternehmen mit den hohen Kosten für deren Entwicklung gerechtfertigt.

Noch mehr Geld werde allerdings für Werbung und Marketing ausgegeben lautet ein anderer Vorwurf. Laut PFUNDNER sei dies nötig, da sich auch ein gutes Pharma-Produkt nicht von allein verkaufe. Allerdings gibt es mehrere Studien, die belegen, dass weit mehr Geld in Werbemaßnahmen als in die Entwicklung neuer Mittel fließt. Auch die Art und Weise wie die Hersteller ihre Mittel an den Patienten bringen möchte, wird nicht von allen gut geheißen. Immer wieder wird über aggressive Marketing- und Verkaufsstrategien der Pharmaindustrie berichtet.

Roche heute

Hoffmann-La Roche steht heute auf den zwei Beinen “Pharmaceuticals” und “Diagnostics”. Beim weltweiten Medikamenten-Umsatz lag der Konzern 2007 auf dem siebten Rang. Die 78.000 Mitarbeiter des Konzerns erwirtschafteten im selben Jahr einen Umsatz von etwa 40 Milliarden Dollar, was ungefähr dem Bruttoinlandsprodukt des EU-Staates Bulgarien entsprach. Stolz wird im Geschäftsbericht eine Führungsposition der Pharma-Division in der Krebsforschung hervorgehoben, sowie die Weltmarkt-Führung im Bereich Diagnostics betont. Filialen gibt es weltweit, unter anderem in Deutschland, Japan, oder den USA. Pharmazeutika sind die bedeutendste Ausfuhrware der Schweiz, 2007 nahm der Medikamentenexport ein Viertel der nationalen Gesamtausfuhr ein. Rang zwei: Industriemaschinen. Auch für seine Heimatstadt Basel ist der Pharmamulti nicht nur als Steuerzahler von großer Bedeutung. Etwa 4 Prozent der knapp 190.000 Einwohner Basels arbeiteten 2007 bei Roche. Die Firma unterhält diverse Stiftungen, veranstaltet Konzerte und tritt als Museumsförderer auf. Die Anteils-Mehrheit bei Roche hält ein Pool aus Gründererben, außerdem ist der ortsansässige Konkurrent Novartis mit etwas weniger als einem Drittel der stimmberechtigten Anteile als Großaktionär vertreten. Eine der Familien-Erbinnen, Gigi Oehri, drückt als Präsidentin beim Schweizer Fußball-Erstligisten FC Basel auch dem Basler Sportgeschehen ihren Stempel auf.


(RÖS)