Kleine Chronologie der Zementkartelle

(Nur) Eine kleine Bestandsaufnahme

Seit jeher

Kartelle, also Preisabsprachen und Marktaufteilungen zu Lasten der Kunden und der Verbraucher, gibt es schon seit sehr langem. In der Zement- und Betonindustrie eigentlich schon immer. 
Im Jahre 1961 ist es mal wieder soweit - DER SPIEGEL berichtet über ein solches Kartellverfahren: Portlands Preis-Zement


1975

Der Bundesgerichtshof erklärt in einem Urteil die gemeinsame „Zementverkaufsstelle Niedersachsen“ als wettbewerbsbeschränkende Institution. Über die Praktiken der fraglichen "Zementverkaufsstelle" hatte bereits DER SPIEGEL 1961 berichtet - vor vierzehn Jahren.


Ende der 1980er

Das Bundeskartellamt, zuständig für Wettbewerbsverstöße und Missbrauch von wirtschaftlicher Macht, verhängt wegen Kartellabsprachen in der Zementindustrie (33 Unternehmen) Bußgelder in Höhe von 230 Millionen DM. Es betrifft Zementhersteller in Süddeutschland.

1987 erscheint ein Bericht über Zementkartelle, u.a. in Norddeutschland in der WirtschaftswocheZementierte Strukturen. Kaum ist der Artikel veröffentlicht, lässt sich der Verbandschef und der Konzernherr von Alsen-Breitenburg beim Chefredakteur der Wirtschaftswoche einen Termin geben. Nicht um den Bericht zu widerlegen, sondern um ausführlich zu erklären, weshalb es in dieser Branche keine andere Lösung geben könne, als mit solchen Praktiken zu überleben.

Genau das war geschehen. Nachdem das Bundeskartellamt das großflächige Kartell hatte auffliegen lassen, setzten sich die Hersteller erneut zusammen - aus Sorge um den drohenden Preisverfall. Und beschlossen gleich ein neues Kartell. Diesesmal gleich bundesweit: durch Markteinteilung in Nord, - Ost-, West- und Süddeutschland.


Ende der 1990er

Die Wettbewerbshüter im Bundeskartellamt orten (mal wieder) ein Kartell - diesesmal bei den führenden Transportbeton-Herstellern – sie verhängen 1999 schließlich Bußgelder in Höhe von rd. 250 Mill. DM, allein Readymix soll 102 Mill. DM zahlen.


22.05.2000

Readymix, eines der ganz Großen im Zement- und Betongeschäft, will aus dem erneuten Kartell aussteien und erklärt, dass Kartelle für das Unternehmen künftig „absolut inakzeptabel“ seien. Die Manager geben dem Kartellamt Informationen über die derzeit gängigen Praktiken und kooperieren mit den Wettbewerbshütern. Sie können dafür die Kronzeugenregelung in Anspruch nehmen: Milde bei der Bußgeldbemessung.


2001

Flaute auf dem Bau- und Baustoffmarkt: deutschlandweit werden 70 Transportbetonproduktionen geschlossen und Arbeitsplätze angebaut; Readymix baut 500 Arbeitsplätze ab.


Juli 2002

Das Bundeskartellamt durchsucht mit Hilfe der Kriminalpolizei 30 Zementhersteller (Firmenbüros, Privatwohnungen) wegen mutmaßlicher jahrelanger Absprachen. Die Beamte entdecken dabei eine schriftliche Ausarbeitung. Titel des geheimen Firmenpapiers: „Operation Skunk“ (übersetzt: "Operation Stinktier")
Das geheime Papier liest sich aufschlussreich.Allerdings müssen die Kartellwächter das Dokument wieder herausgeben, da es angeblich ein „Geschäftsgeheimnis“ darstelle.


August 2002

Um die absehbaren Bußgelder ein wenig zu beeinflussen, kündigen auch die restlichen Zementfirmen ihre Kooperation mit dem Kartellamt an. Sie können von der Kronzeugenregelung aber keinen Gebrauch mehr machen, da sich bereits Readymix in diese Rolle begeben hat. Vgl. dazu die Berichte in der WELT vom 12. und 13. August 2002.


12.04.2003

DIE WELT informiert als erstes Medium, dass 29 von 30 Zementfirmen die Kartellverstöße zugegeben haben und dass das Bundeskartellamt eine Rekordbuße von 660 Mio Euro (!) plant.


09.10.2003

DIE WELT bzw. der Redakteur Frank SEIDLITZ bringt den geheimen Plan „Stinktier“ („Skunk“) ans Tageslicht: Die Konkurrenten, die wegen der Kooperation mit dem Bundeskartellamt sauer sind auf Redaymix, wollten das Unternehmen bestrafen - sie beabsichtigten, Readymix zu zerschlagen und unter sich aufzuteilen. Den größten Batzen soll der Marktführer bekommen, die Fa. Heidelberg-Cement.


Oktober 2003

Mittelständische Unternehmen kündigen an, gegen eine eventuelle Übernahmegenehmigung von Readymix durch die großen Branchenführer zu klagen – sie fürchten die Marktdominanz von Heidelberg-Cement.


10.10.2003

Heidelberg-Cement favorisiert derweil eine Übernahmegenehmigung durch die EU-Kommission in Brüssel. Vorteil: Die EU-Wettbewerbshüter würden die Auswirkungen einer Übernahme auf den gesamten EU-Markt betrachten. Das Bundeskartellamt hat nur die Folgen auf dem deutschen Markt im Blick.


Ende Oktober 2003

Die britische Muttergesellschaft von Readymix, RMC, stoppt den Verkauf der Readymix-Tochter – die ursprünglich geplante „Operation Stinktier“ ist nicht zuletzt durch die Veröffentlichungen in der WELT geplatzt.


September 2004

Der mexikanische Baustoff-Konzern Cemex übernimmt die Readymix Mutter RMC in einer freundlichen Übernahmeaktion – Readymix soll Basis für das Osteuropa-Geschäft des weltweiten Produzenten werden.


Januar 2005

Der Kopf der „Operation Stinktier“, der Chef von Heidelberg Cement, tritt zurück; zuvor hatte bereits der Finanzchef dieser Firma seinen Hut genommen.


06.12.2006

Vor dem Landgericht Düsseldorf, wo gerade der "Mannesmann-Prozess" zu Ende gegangen ist, beginnt ein neues Großverfahren: Die belgische Aktiengesellschaft Cartel Damage Claims (CDC), die insgesamt 28 der durch die Preisabsprachen geschädigten Kunden vertritt, verklagt die Firmen des Zementkartells auf Schadensersatz: auf 210 Millionen Euro. 
Eine zivile Schadensersatzklage gegenüber einem Kartell ist erst seit Juli 2005 möglich, seit das "Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)" verändert wurde. Die Düsseldorfer Richter wollen Ende Februar 2007 über die Zulässigkeit dieser Klage entscheiden. Dabei geht es noch nicht um Schaden oder Schadensersatz, sondern ausschließlich um die Frage, ob eine solche Frage juristisch überhaupt zulässig sein kann. Es ist die erste juristische Runde.


21.02.2007

Wie vorgesehen melden sich die Richter am Düsseldorfer Landgericht zu Wort: Sie erklären die Schadensersatzklage von 28 mittelständischen Zementherstellern gegen 6 große Branchenführer für zulässig: Schadensersatzprozess um Zementkartell wird fortgesetzt.  
Die betroffenen Großunternehmen widersprechen – sie wollen den Beschluß vor dem Oberlandesgericht (OLG) zu Fall bringen.


14.05.2008

Auch die Richter am OLG Düsseldorf erklären die Schadensersatzklage für zulässig. Inzwischen ist die Schadensersatzsumme auf 350 Mio € gestiegen.
Die großen Branchenführer geben nicht auf. Sie legen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) ein. Das Verfahren gilt längst als Präzedenzfall.


17.04.2009

Die Richter beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe erklären die Schadensersatzklage der geschädigten kleinen und mittleren Unternehmen ebenfalls für zulässig (Az: KZR 42/08): Das Verfahren vor dem Landgericht Düsseldorf kann erneut beginnen.


26.06.2009

Unabhängig von der Schadensersatzklage der 28 Kleinen gegen die 6 Großen entscheidet der so genannte Kartellsenat beim OLG Düsseldorf gegen die Klage der Großen, die die Bußgeld Bußgeldentscheidung des Bundeskartellamts angefochten haben. Dies ist die zweite, parallele juristische Runde. Die OLG-Richter setzen die verhängten ‚Strafgelder’ um rund die Hälfte auf nunmehr 328,5 Mio € herab (Az: VI-2a Kart 2 - 6/08). 
Nach 36 Verhandlungstagen und 40 Zeugenanhörungen sehen die Kartellrichter am OLG Düsseldorf die Vorwürfe des Bundeskartellamts weitestgehend bestätigt. Allerdings lasse sich die Höhe der mit den illegalen Kartellpreisen erwirtschafteten Gewinne nicht genau nachweisen. Deswegen hätten die Kartellrichter „Sicherheitsabschläge“ vorgenommen und außerdem bei der Bußgeldhöhe berücksichtigt, inwieweit ein Unternehmen zur Sachaufklärung beigetragen habe. Letzteres betrifft vor allem die Fa. Redaymix.
Heidelberg Cement will sich auch mit der reduzierten ‚Strafe’ nicht abfinden: Die Firma legt Beschwerde bei Bundesgerichtshof ein.


10.12.2010

Jetzt leitet auch die EU-Kommission in Brüssel ein Kartellverfahren gegen die Zementhersteller auf europäischer Ebene ein. Grund sind die vielen nationalen Kartellverfahren in mehreren EU-Staaten: Deutschland, Polen, Frankreich. Die europäischen Wettbewerbshüter wollen klären, ob auch auf internationaler Ebene Absprachen hinsichtlich (überhöhter) Preise, Marktaufteilungen oder Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen praktiziert wurden.


01.03.2012

Der erste öffentliche Verhandlungstermin in Sachen Schadensersatzklage von 28 Kleinen gegen 6 Große der Zementbranche findet statt - alles ist noch offen.


20.02.2013

Der Bundesgerichtshof bestätigt die Entscheidung des Düsseldorfer Oberlandesgerichts (OLG) vom 26.6.2009 (Az: KRB 20/12): Die Höhe des Bußgeldes bleibt bei 380 Mio. Euro. Der Beschluss gilt als wegweisend. Die Karlsruher Richter betonen, dass das Bundeskartellamt auch Bußgelder in Millionenhöhe verhängen darf - bis zu 10% des Umsatzes. Denn Kartelle sind illegal und schädigen andere. Tenor der Richter: Kartelle dürfen sich nicht lohnen!
Dieses Urteil betrifft die zweite juristische Runde.


17.12.2013

Auf der Ebene der ersten juristischen Runde, bei der es um Schadensersatzansprüche kleinerer Unternehmen geht, kommt es ebenfalls zu einem Urteil - diesesmal wieder vor dem Landgericht Düsseldorf, nachdem der Bundesgerichtshof am 17.4.2009 entschieden hatte, dass Schadensersatzklagen grundsätzlich zulässig sind.
Allerdings: Das neue Urteil endet anders (Az: 37 O 200/09 (Kart) U). Die Richter einer diesesmal anderen Kammer als im Jahr 2007 stellen fest, dass die Klage der belgischen Firma zwar grundsätzlich zulässig ist, dass es aber zu formalen und materiellen Fehlern gekommen sei: Das Unternehmen sei nicht rechtzeitig Inhaberin der Schadensersatzforderungen der klagenden kleinen und mittleren Firmen geworden. Dadurch laufe die Schadensersatzklage ins Leere, denn sie sei im übrigen auch verjährt.


(HK)