Die Entstehungsgeschichte der Initiative HeldenStärker

Oder: Ein Kindernotfall ist kein Kinderspiel

Aufgeschrieben von Marion MUHALIA, Mitglied im Vorstand von HeldenStärker e.V.

Die Gründerin und Initiatorin von “HeldenStärker”, Stefanie SEEGER, verlor ihren Sohn als er gerade einmal zweieinhalb Jahre war. Er war nicht schwerkrank. Er starb an einem Fieberkrampf. SEEGER wählte sofort den Notruf: Die Rettungskräfte kamen und waren sehr bemüht. „Es war spürbar, dass ein Kindernotfall keine Routine ist. Alles war unglaublich hektisch.“ 

Aber es hatte nicht funktioniert. 

Nach der ersten Trauer war schnell klar, SEEGER will etwas ändern an der Situation: Im Kreis Bergstraße gibt es keinen Kinderrettungswagen – da unterscheidet sich der ländlich geprägte Kreis kaum von anderen in Deutschland. Auch der Notarzt, der bei SEEGER im Einsatz war, war nicht auf Kindernotfälle spezialisiert. 

Gemeinsam mit Freunden ging sie ins Gespräch mit Experten und mit den Organisationen, die den Rettungsdienst im Kreis Bergstraße gewährleisten. Aber ein spezielles Fahrzeug für Kindernotfälle ist kaum eine Option und birgt Nachteile. Wie sollte in Zeiten von Fachkräftemangel gewährleistet werden, dass das Fahrzeug rund um die Uhr besetzt ist? Und was ist, wenn es zwei Notfälle zur gleichen Zeit gibt? Eine andere Lösung muss her und das schnell! Wäre es nicht besser, wenn alle professionellen Retter auch auf Kindernotfälle bestens vorbereitet wären?

Viele Gespräche und Beratungen später war klar: Wenn das passieren soll, muss es eine private Initiative geben, denn an den öffentlichen Stellschrauben zu drehen, würde dauern. Zu viele “Wenn und Abers” und zu viele Grenzen wurden deutlich. Auch war schnell klar, dass keine öffentlichen Gelder dafür zur Verfügung stehen würden. Denn: „Kindernotfälle sind ja selten“, so das meist gehörte Argument. Eine Rettungskraft wird etwa alle fünf bis sechs Wochen mit einem Kindernotfall konfrontiert. Diese Fälle machen zwischen rund 3 und 11 Prozent aller Einsätze aus. Diese Zahlen, sind nicht einfach zu recherchieren und zu vergleichen. Die Zahlen variieren stark, weil wenig Studien existieren und alle einen Kindernotfall anders definieren. 

Doch gerade weil Kindernotfälle seltener sind, müssen sie praktisch geübt werden. Die Handgriffe lernen die Retter nicht auf der Straße und in der Ausbildung kommen sie zu kurz. SEEGER gründete mit Freunden den Verein HeldenStärker, um zeitnah erste Schulungen für Kindernotfälle anbieten zu können – natürlich mit einem professionellen Schulungspartner.

Das System ist das Problem, nicht Menschen, die täglich ihr Bestes geben

Es war und ist es den Gründungsmitgliedern wichtig, den Rettungskräften, den Notärztinnen und Notärzten mit Respekt zu begegnen. Sie sind nur die Leidtragenden eines Systems, das nicht optimal ist. Sie geben täglich ihr Bestes. Kindernotfälle sind für Rettungskräfte belastend. Das liegt zum einen daran, dass Babys und Kleinkinder nicht einfach kleine Erwachsenen sind. Sie haben physiologischen Besonderheiten und zum Beispiel die falsche Dosierung von Medikamenten hat viel schneller gravierende Folgen. Auch die meist anwesende Familie macht den Einsatz nicht einfacher für die Fachkräfte.

Der Respekt der Berufsgruppe gegenüber hat bei der Namensfindung eine wichtige Rolle gespielt. Kein Vorwurf sollte mitklingen und auch der Tod von SEEGERs Sohn stand nie im Mittelpunkt für den Verein. Der Antrieb lag immer im Jetzt und in der Zukunft. Die Kinder von heute und morgen brauchen eine gute Versorgung im Ernstfall. HeldenStärker e.V. wurde im Herbst 2018 gegründet und schon im Mai 2019 waren die ersten 23 Retter geschult. Ende 2024 kann der Verein 600 Frauen und Männer zählen, die besser auf den Kindernotfall vorbereitet sind.

Während die erste Schulung hauptsächlich von Bekannten und Verwandten der Gründer finanziert wurde, wuchsen mit der Bekanntheit auch die Spendeneinnahmen, die nicht dem persönlichen Schicksal geschuldet waren. Auch in der Politik spürten die HeldenStärker immer eine Offenheit und bekamen von Seiten des Kreises Aufmerksamkeit. 

Politische Veränderungen sind notwendig

Als aber die neue Ausschreibung für den Rettungsdienst im Kreis rausgehen sollte, war es aber nicht möglich, regelmäßige Kindernotfallschulungen von den Bewerbern zu fordern wegen des Landesrechts. Ein Fakt, den HeldenStärker nicht hinnehmen wollte. „Wir hatten keine Ahnung von den politischen Gegebenheiten und wurden auf das Landesrecht verwiesen. Aber wenn das Landesrecht verhindert, dass so eine Anforderung in einer Ausschreibung stehen darf, muss sich eben das Landesrecht ändern“, folgerte der Vereinsvorstand SEEGER und Marion MUHALIA pragmatisch. „Warum sollte in einem so entwickelten Land wie Deutschland, die Gesundheit von Kindern von Spenden abhängen? Warum sollen wir dafür weiterhin ehrenamtlich unsere Freizeit opfern?“

Neben der Organisation der zweitägigen Schulungen einem jährlichen Fachtag (seit 2022, weil als Folge in der Corona-Pandemie keine Schulungen stattfinden konnten), starteten sie eine Petition online und vor allem beim Hessischen Landtag. Ihre Forderung: Bei der Überarbeitung des Rettungsdienstgesetzes 2024 müssen praktische Fortbildungen für Kindernotfälle verpflichtend werden. Das Fortbildungsniveau darf nicht schwanken, je nachdem, wie wichtig es dem Arbeitgeber ist oder hoch die Eigeninitiative der Retter. Egal wie gut ausgebildet eine Notärztin und ein Notfallsanitäter sind, sie müssen die lebensrettenden Handgriffe regelmäßig üben. Denn die Physiologie und die Behandlung von Kindern unterscheiden sich stark von der von Erwachsenen.

Ob die Petition Erfolg hat, bleibt abzuwarten. Zum Zeitpunkt ist noch nichts entschieden. HeldenStärker will aber nicht aufgeben, für eine qualitativ hochwertige Fortbildung von Rettern zu kämpfen bevor das Ziel erreicht ist.