Die Berichte der "Neuen Westfälischen"
Nr. 1: Das Martyrium einer Mutter
20. November 2021
Das Jugendamt des Kreises Lippe nimmt Elke D. ihr Kind weg. Es hält an einem Gutachten fest, das von einem renommierten Experten als „kaum verwertbar, untauglich und unprofessionell“ bezeichnet wird. Dagegen wehrt sich die Mutter aus Oerlinghausen:
Elke D. (Name geändert) ist verzweifelt. Sie hat Angst, dass ihr der Umgang mit ihrem sechs Jahre alten Kind verboten wird. Mehr noch: Ihr Kind muss bei dem Mann leben, der es nach Meinung einiger Experten sexuell missbraucht haben könnte. Und all das nur, weil die Mutter sich gegen Entscheidungen des Jugendamtes des Kreises Lippe wehrt. So zumindest ist ihre Interpretation. Jugendämter dürfen faktisch keine Entscheidungen treffen, sondern nur Beschlüsse der Familiengerichte umsetzen. Dennoch tut das Jugendamt genau das: Es trifft Entscheidungen. Marita Korn Bergmann, die Anwältin von Elke D., nennt das Amtsanmaßung. „Ich wehre mich gegen die Willkür des Jugendamtes“, sagt Elke D. Das Jugendamt beruft sich bei seinen Entscheidungen auf ein vom Amtsgericht Detmold angefordertes familienpsychologisches Gutachten. Das jedoch richte sich einseitig gegen die Mutter, wie der Juraprofessor und Rechtsanwalt Christian Laue, von Elke D. für strafrechtliche Aspekte beauftragt, in einem Brief an den Landrat des Kreises Lippe, Axel Lehmann, feststellt. In dem Gutachten gebe es offensichtliche Diskrepanzen im zeitlichen Ablauf und es wird in einer Stellungnahme eines anerkannten Experten als „kaum verwertbar, untauglich und unprofessionell“ bezeichnet.
Das Martyrium begann vor drei Jahren
Das nervenzehrende Martyrium von Elke D. begann 2018. Nachdem ihr Lebensgefährte und Vater ihres Kindes ihr gegenüber mehrfach gewalttätig geworden sei, trennt sie sich von ihm. Beim Auszug habe ihr Lebensgefährte sie angebrüllt, erzählt sie: „Du willst Dich trennen? Dann mach ich Dich fertig. Wenn ich will, wirst Du das Kind nie wiedersehen.“ Für das gemeinsame Kind wurde eine Besuchsregelung gefunden.
Der Kindsvater möchte sich in der Neuen Westfälischen nicht äußern. Auf eine entsprechende Mail zum Sachverhalt antwortet er: „Aufgrund der zahlreichen Verfahren die hier bereits gelaufen sind, und eines noch laufenden Verfahrens, bitte ich Sie, mir nachzusehen, dass ich nicht bereit bin, mich in irgendeiner Form zu den unrichtigen Darstellungen der Frau D. zu äußern.“
Ab Ende 2018 habe das Kind nach Besuchen beim Vater Äußerungen gemacht, die darauf hindeuteten, dass es eventuell sexuell missbraucht worden sei. Sichtbar seien Hautrötungen am After gewesen, außerdem fiel das dreieinhalbjährige Kind durch plötzliche Verhaltensänderungen auf. Es nässte sich wieder ein, hatte Alpträume und zeigte Stress- und Angstsymptome, wie aus einem Arztbericht hervorgeht.
Elke D., die selbst nie den Verdacht auf sexuellen Missbrauch ausgesprochen hat, ging mit ihrem Kind mehrfach zu ihrer Kinderärztin, um die Symptome medizinisch abklären zu lassen. Diese fotografierte auch die Verletzungen am After des Kindes. Schließlich stellte sie die Diagnose des Verdachts eines sexuellen Missbrauchs und verwies die Mutter und ihr Kind an die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des St.-Vincenz-Krankenhauses in Paderborn. Dort wurde das Kind vom Chefarzt der Klinik, Friedrich Ebringer, untersucht. Hinzugezogen wurde ein Kinderschutzteam. Diese Experten diagnostizierten einen „dringenden Verdacht auf akute Kindeswohlgefährdung durch sexuellen Missbrauch in wahrscheinlich mehreren Fällen“, schreibt Ebringer. Bei dieser Untersuchung wurden beim Kind auch DNA-Proben entnommen. Anfang Februar 2019 meldete die Klinik die Untersuchungsergebnisse an das Jugendamt des Kreises Lippe. Eine Sachbearbeiterin habe daraufhin, ohne Elke D. vorher zu informieren, Strafanzeige gegen den Vater des Kindes wegen Verdachts auf sexuellen Missbrauch gestellt. Die Staatsanwaltschaft Detmold übernahm die Ermittlungen. Ende Mai wurde das Kind von einer Polizistin befragt, wich allerdings allen Fragen nach dem Verhältnis zum Vater aus. Es sagte lediglich, dass es nicht gern zum Vater gehe.
Wie Rechtsanwalt Laue schreibt, wurden bei den Ermittlungen weder die DNA-Proben ausgewertet, noch wurden Zeugen befragt. Nicht die beiden voneinander unabhängigen Kinderärzte und auch nicht die Therapeuten und Fachberaterinnen zweier unabhängiger Beratungsstellen. Auch der ausführliche Bericht von Anfang Februar 2019, in dem es heißt: „. . . eine Verdachtsabklärung in einer Fachberatungsstelle für sexualisierte Gewalt an Kindern auch gegen den Willen des Vaters (sei) dringend indiziert“. Ebenfalls nicht befragt worden seien die Erzieherinnen aus dem Kindergarten des Kindes, obwohl diese berichteten: „Bei der letzten Unterhaltung zwischen Vater und (Kind) über den Kita-Zaun Ende August hielt die Erzieherin das Kind auf dem Arm, um das kurze Gespräch zwischen Vater und Kind zu erleichtern. Als der Vater (dem Kind) einen Kuss gab, verstummte (es) unmittelbar danach und nässte sich bei erneutem Körperkontakt des Vaters auf dem Arm der Erzieherin ein.“
Offensichtliche Fehler im psychologischen Gutachten
Vorher war bereits vom Amtsgericht Detmold ein Gutachten bei einem familienpsychologischen Sachverständigen in Auftrag gegeben worden. Auf dieses Gutachten, das mit dem 23. Mai 2019 datiert ist, beruft sich die Staatsanwaltschaft unter anderem und stellte das Verfahren gegen den Vater des Kindes auf sexuellen Missbrauch am 9. Juli 2019 ein. In der Begründung heißt es, dass „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für ein Sexualdelikt nicht bestehen“. In dem Gutachten von Ende Mai beschreibt der familienpsychologische Gutachter Untersuchungen des Kindes vom 8. Juli 2019 und vom 12. Juli 2019. Die Diskrepanz ist offensichtlich. In das Gutachten vom 23. Mai können noch keine Untersuchungsergebnisse aus Gesprächen genannt werden, die erst im Juli stattgefunden haben. Trotzdem nimmt die Staatsanwaltschaft in der Einstellungsverfügung vom 9. Juli darauf Bezug: „Andererseits ist offenbar ein familiengerichtliches Gutachten eingeholt worden, welches sich nicht gegen Besuchskontakte des Beschuldigten zu seinem (Kind) ausspricht.“
In dem Gutachten steht auch eine Stellungnahme des Vaters zu den Vorwürfen eines sexuellen Missbrauchs. Diese Stellungnahme wurde dem Gutachter am 12. Juli 2019 mitgeteilt – dem Tag, an dem der Gutachter das Kind zum zweiten Mal untersucht haben will.
Fünf Stunden Persönlichkeitstests ohne Pause
Mittlerweile ist Christian Laue mit dem Fall befasst. Der Strafrechtler ist unter anderem Professor an der Universität Heidelberg, Institut für Kriminologie. In einem Brief an Landrat Axel Lehmann beschreibt er ausführlich die Situation, wie sie sich für Elke D. darstellt, untermauert mit zehn aussagekräftigen Anlagen. Unter anderem verweist er darauf, dass die Staatsanwaltschaft sich auf das familienpsychologische Gutachten berufe. Darin steht, dass dem Kindesvater ein uneingeschränktes Umgangsrecht einzuräumen sei, weil die Staatsanwaltschaft zum dem Schluss kam, dass „offenbar ein familiengerichtliches Gutachten eingeholt worden (war), welches sich nicht gegen Besuchskontakte des beschuldigten zu seinem (Kind) ausspricht“ und daraufhin das Verfahren gegen den Kindesvater einstellte. „Staatsanwaltschaft und Gutachten stützen sich also gegenseitig und berufen sich wechselweise aufeinander“, schreibt Rechtsanwalt Laue. Er vermutet, dass die Staatsanwaltschaft das Gutachten vor der Verfahrenseinstellung nicht gelesen hat.
Am 6. Oktober hat Christian Laue ein Antwortschreiben des Kreises Lippe erhalten. Unterzeichnet ist es vom Verwaltungsvorstand Olaf Peterschröder, einem studierten Architekten, zu dessen Abteilung auch der Bereich „Jugend und Familie“ gehört. In diesem Brief schreibt der Architekt dem Juraprofessor: „Da ich weder die Fachaufsicht über die Familiengerichte noch über die Staatsanwaltschaft bzw. die Strafgerichte habe, kann ich diese auch nicht anweisen, ihre getroffenen Entscheidungen abzuändern.“
Gegenüber der NW bezeichnet Laue dieses Schreiben als Unverschämtheit. „Ich habe selten eine so freche, ignorante und arrogante Antwort von einer Behörde bekommen“, sagt Laue. Und weiter: „Die zehn Anlagen zu meinem Schreiben kamen ohne jeden Knick zurück, so dass ich sicher bin, dass Dr.-Ing. Olaf Peterschröder nicht einen einzigen Blick da hineingeworfen hat.“ Er schließt daraus, „dass der Kreis Lippe nicht daran interessiert ist, das Verhalten des Jugendamtes kritisch zu hinterfragen“.
Im weiteren Verlauf des Falles nimmt das Gutachten des familienpsychologischen Sachverständigen eine beherrschende Rolle ein. Wie Elke D. gegenüber der Neuen Westfälische sagte, habe es nur ein Gespräch zwischen ihr und dem Sachverständigen gegeben, und zwar am 8. Juli 2019. 16 Tage, nachdem das Gutachten geschrieben worden ist. Dieses Gespräch habe etwa eine Stunde gedauert. Weitere fünf Stunden habe der Gutachter damit verbracht, Elke D. ohne Pause Persönlichkeitstests sowie einen Intelligenztest ausfüllen zu lassen. Das Gutachten, eben das mit dem Datum 23. Mai 2019, wurde dem Jugendamt des Kreises Lippe am 15. August 2019 zugeleitet.
Die Mitarbeiter des Jugendamtes wurden sofort aktiv und leiteten weitgehende Schritte zur Sicherung des Kindeswohls ein. Wie Rechtsanwalt Laue in seinem Schreiben an den Landrat darlegt, richteten sich die Reaktionen der Jugendamtsmitarbeiter jedoch nicht nach den Empfehlungen des Expertenteams aus dem St.-Vincenz-Krankenhaus und den unabhängigen Beratungsstellen, sondern einseitig gegen die Mutter des Kindes. Das Kind wurde vom Jugendamt noch am selben Tag, also am 15. August, in Obhut genommen und dem Vater übergeben. Rechtsanwalt Laue bezeichnet diese Maßnahme als „eindeutig rechtswidrig“. Denn vor einer Inobhutnahme müssten die Erziehungsberechtigten in die Einschätzung einer eventuellen Gefährdung des Kindes einbezogen werden. Zudem, so Laue weiter, hätten sich die Mitarbeiter des Jugendamtes einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind und dessen persönlicher Umgebung verschaffen sollen. Stattdessen hätten die Mitarbeiter des Jugendamtes eine „dringende Gefahr“ angenommen, nicht die Entscheidung des Familiengerichts abgewartet, sondern das Kind sofort in Obhut genommen.
Diese Aktion, die Christian Laue im Gespräch mit der NW als „Panikreaktion“ bezeichnet, gründet sich auf eine vom Familiengutachter getroffene Aussage: „Das Gutachten sagt aus, dass die Kindsmutter eine Bindungsintoleranz zeige, sie nicht erziehungsfähig sei und (an) dem Münchhausen-by Proxy-Syndrom (siehe Kasten) leide. Dies führe dazu, dass das Kind zwingend zum Kindsvater wechseln müsse.“
An diesem Satz mache das Jugendamt all seine bisherigen Aktivitäten fest. Und das, obwohl mittlerweile vom Oberlandesgericht Hamm festgestellt wurde, dass die Aussagen nicht auf Elke D. zutreffen. Ihr wurde uneingeschränkte Erziehungsfähigkeit attestiert und auch das Münchhausen-by-Proxy-Syndrom sei bei ihr nicht festgestellt worden. Trotzdem liegt der Lebensmittelpunkt des Kindes weiterhin beim Vater.
Jugendamt erkennt eigene Gutachterin nicht an
Was das Gutachten angeht, hat Elke D. Professor Uwe Tewes beauftragt, zum Gutachten des Familienpsychologen Stellung zu nehmen. Der emeritierte Professor war Leiter der Abteilung für Medizinische Psychologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er hat klinische Berufserfahrungen in der Psychiatrie. Er hatte in seiner klinischen Tätigkeit und als Gerichtssachverständiger häufig mit Kinder zu tun, die Opfer von sexuellen Übergriffen waren, als auch mit Fällen des Verdachts auf Münchhausen-by-Proxy-Syndrom.
Tewes ist auch heute noch als Gutachter tätig. Er stellt für das Gutachten ein vernichtendes Urteil fest: „Das vorliegende Gutachten weist diesbezüglich derart gravierende Mängel auf, dass es aus fachlicher Sicht kaum verwertbar erscheint.“ Hinsichtlich der Diagnose des Münchhausen-by-Proxy-Syndroms bezeichnet er das Vorgehen des Gutachters als „völlig untauglich und unprofessionell“.
Die Stellungnahme dieses Experten lag dem Jugendamt des Kreises Lippe ab Herbst 2019 vor. Für Rechtsanwalt Laue ist es „nicht nachvollziehbar, wie das Jugendamt auf ein solch untaugliches Gutachten derart einschneidende Maßnahmen wie die Inobhutname des Kindes und schließlich die weitgehende Sorgerechtsentziehung stützen kann“. Anfang dieses Jahres habe das Jugendamt dann doch eine Diagnostik in Auftrag gegeben. Bei dieser Untersuchung stellte die Kinderpsychologin fest, dass es dem Kind beim Vater „sehr schlecht“ gehe. Das Ergebnis dieser Untersuchung, die im Auftrag des Jugendamtes geschah, wird vom Jugendamt nicht anerkannt.
Die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme und das Verhalten des Jugendamtes Lippe wird vor dem Verwaltungsgericht Minden am 29. November verhandelt. Elke D. sagt: „Ich frage mich, wer dieses Mal die Verantwortung übernimmt? Will der Landrat weiterhin sein Mantra ,wir haben alles richtig gemacht’ herunterbeten? Für mich ist unglaublich, dass scheinbar aus dem schrecklichen Fall in Lügde keine Konsequenzen gezogen wurden, weder fachlich noch personell. Ich frage mich, warum das Jugendamt des Kreises Lippe nicht in der Lage ist, einst getroffene Entscheidungen zu überdenken, geschweige denn zu revidieren. Ich als Mutter möchte Verantwortung für mein Kind übernehmen, werde aber von den Behörden daran gehindert.“
Nr. 2: Eine Mutter kämpft um ihr Kind
31. Dezember 2021
Das Verwaltungsgericht in Minden stellt fest, dass die Inobhutnahme des Kindes von Elke D. rechtswidrig war. Doch ihr Kind hat sie deshalb noch lange nicht wieder.
Elke D. (Name geändert) hat vor Gericht gewonnen. Am 15. August 2019 war der vom Kindsvater getrennt lebenden Mutter das Kind vom Jugendamt des Kreises Lippe weggenommen worden (die NW berichtete am 20. November exklusiv). Inobhutnahme nennt man so etwas, und das Jugendamt darf diesen Verwaltungsakt vollziehen, wenn ein Familiengericht es anordnet. Doch diese Anordnung gab es nie. Jetzt, Ende November, urteilte das Verwaltungsgericht Minden, dass das Jugendamt Unrecht begangen hat (NW berichtete).
„Es ist das erste Mal, dass ich recht bekomme“, sagt Elke D. Doch wirklich freuen kann sich die Frau, die vordergründig einen gefassten Eindruck macht, nicht. Das Urteil des Verwaltungsgerichts bezieht sich nur auf den Akt der Inobhutnahme. Der endete, als Mitarbeiter des Jugendamtes des Kreises Lippe das Kind dem sorgeberechtigten Vater überbrachten.
Eine Möglichkeit wird als Fakt dargestellt
Wie berichtet, hatten mehrere Experten – nicht die Mutter – erklärt, dass beim Vater ein „dringender Verdacht auf akute Kindeswohlgefährdung durch sexuellen Missbrauch in wahrscheinlich mehreren Fällen“ bestehe. Das geht aus den Akten hervor, die der Neuen Westfälischen vorliegen. Friedrich Ebinger, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des St.-Vincenz-Krankenhauses in Paderborn hatte diesen „dringenden Verdacht“ gemeinsam mit einer weiteren Kinderärztin, einer Psychologin und einer Sozialarbeiterin im Februar 2019 an die zuständige Familienrichterin am Amtsgericht Detmold, Helle Koonert, gesandt. Tatsächlich wurde ein dreimonatiges Umgangsverbot ausgesprochen.
Auch das Jugendamt wurde informiert und erstattete Strafanzeige gegen den Vater des Kindes. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen des von den Experten ausgesprochenen Verdachts auf. Bei den Ermittlungen wurde aber weder mit den Zeugen aus dem St..Vincenz-Krankenhaus gesprochen, noch wurden die DNA-Proben, die im Krankenhaus sichergestellt worden waren, ausgewertet. Das Verfahren wurde eingestellt. Den Akten ist weiterhin zu entnehmen, dass Ende März 2019 das Detmolder Familiengericht einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie beauftragte, ein Gutachten zu erstellen. Dies ist datiert vom 23. Mai 2019 und wurde dem Familiengericht am 9. August 2019 zugestellt. Vier Tage später wurde es den Kindeseltern und dem Jugendamt zugeleitet – versehen mit dem Hinweis zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Auch dieses Gutachten liegt der NW vor.
Wie Hanna Knaub, Mitarbeiterin des Jugendamtes des Kreises Lippe, in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in Minden angab, habe sie das 150 Din-A4-Seiten umfassende Gutachten zusammen mit mehreren Kollegen sofort durchgelesen. Dabei kam Knaub zu der Erkenntnis, dass Elke D. am Münchhausen-by-proxy-Syndrom leide. Das ist eine psychische Erkrankung, bei der (meist) die leiblichen Mütter ihren Kindern Schäden zufügen, sich dann an einen Arzt wenden, um als fürsorgliche Mutter auftreten zu können. Laut Aussage von Knaub vor Gericht habe das Jugendamt eine Gefahr für das Kindeswohl angenommen, wenn die Mutter das Gutachten lese. Sie habe mit der zuständigen Richterin telefoniert, die laut Knaub ihr das Handeln überlassen habe. So kam es zur Inobhutnahme am 15. August 2019, von der Elke D. nichts wusste.
Knaub und ihre Kollegen gingen von einer Diagnose des Münchhausen-Syndroms aus. Die jedoch hat der Gutachter nicht gestellt, wie in der Urteilsbegründung deutlich gemacht wird. Der Gutachter spricht lediglich von einem „fraglichen“ oder „möglichen“ Vorkommen des Syndroms. Doch für das Jugendamt ist dies ein Fakt – und darauf gründen sich alle weiteren Maßnahmen, die das Jugendamt trifft. Dass Elke D. nicht am Münchhausen-Syndrom leidet, ist jedoch auch vom Oberlandesgericht Hamm festgestellt worden.
Trotzdem, obwohl Elke D. sich nichts hat zuschulden kommen lassen, bleiben Jugendamt und Familiengericht bei der Entscheidung, den Lebensmittelpunkt des Kindes beim Vater zu belassen. Und das, obwohl eine vom Jugendamt beauftragte Gutachterin, die Kinder- und Jugendlichentherapeutin Janine Straßburg, nach zwölf Sitzungen eine eindeutige Empfehlung gibt: „Die Therapeutin empfiehlt . . . das Wechselmodell oder alternativ den Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter, um das Kind zu stabilisieren.“ Sie erkennt, dass das Kind nicht über Grenzverletzungen reden kann, solange der Lebensmittelpunkt beim Vater liegt.
Während die Jugendamtsmitarbeiterin Hanna Knaub wieder einem Telefonat mit Straßburg entnommen haben will, dass diese von ihrem Gutachten zurücktritt, nimmt die zuständige Richterin am Familiengericht diese neuen Umstände „offensichtlich nicht zur Kenntnis“, wie der ebenfalls mit dem Fall befasste Juraprofessor Christian Laue sagt.
Auch Axel Lehmann, Landrat des Kreises Lippe, ist von Laue angeschrieben und unter Berücksichtigung des Kindesmissbrauchs in Lügde, das ebenfalls im Kreis Lippe liegt, um eine Stellungnahme gebeten worden. Lehmann hat das Schreiben an den Verwaltungsvorstand Olaf Peterschröder weitergeleitet, der für Laue eine Antwort verfasst, die dieser als Unverschämtheit bezeichnet (NW berichtete). Lehmann selbst äußert sich nicht.
Auch eine schriftliche Anfrage der Neuen Westfälischen an den Kreis Lippe wird abschlägig beantwortet: „Es handelt sich weiterhin um ein laufendes Verfahren, daher sage ich das angefragte Gespräch ab, weil wir laufende Gerichtsverfahren nicht kommentieren“, schreibt Pressesprecher Steffen Adams.
Bei einem weiteren Termin vor dem Familiengericht stellt Rechtsanwältin Phyllis Kauke, die Elke D. vor dem Familiengericht vertritt, schließlich einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin Helle Koonert. Scharf kritisiert Kauke das Protokoll der Verhandlung, dass nicht den Schlagabtausch zwischen den betroffenen Parteien wiedergibt. Und sie geht auf die „dienstliche Äußerung“ der Richterin ein, die einem Befangenheitsantrag folgt. „Erneut scheint sich die Richterin mit unzureichenden, zum Teil inhaltslosen Äußerungen und Ausschweigen aus der Affäre ziehen zu wollen.“ Es dürfe klar sein, dass das Kind zu Unrecht der Mutter entzogen wurde, schreibt Kauke. Die Richterin hätte sofort reagieren und eine Rückführung des Kindes zu Elke D. anordnen müssen. Kauke argumentiert auf mehr als zwei Seiten. Trotzdem wird der Befangenheitsantrag abgewiesen. Doch Aufgeben kommt für Elke D. nicht in Frage.
Herr Landrat, äußern Sie sich!
31. Dezember 2021
Ein Kommentar von Gunter HELD:
Grundsätzlich ist es richtig, wenn ein Vorgesetzter sich vor seine Mitarbeiter stellt. Allerdings sollte er dann den Mut haben, das auch in der Öffentlichkeit zu tun.
Das Jugendamt des Kreises Lippe ist mehrfach öffentlicher Kritik ausgesetzt gewesen – im Fall des "Kinder-Missbrauchsskandals Lügde", aber auch in diesem Jahr, als Mitarbeiter selbstherrlich Expertenmeinungen zur Schuleignung eines Kindes ignorierten und auf Einschulung bestanden. Erst als die "Neue Westfälische" sich des Falls annahm, wurde der Beschluss revidiert. Ohne Erklärung, ohne die Bitte um Entschuldigung bei den Eltern.
Nun geht es wieder um die Ignoranz der Jugendamtsmitarbeiter, die der Mutter des Kindes mit Hinweis auf eine längst widerlegte angebliche psychische Erkrankung nicht glauben, Medizinern nicht glauben, eigenen Gutachtern nicht glauben.
Und Landrat Axel Lehmann? Der schickt nicht einmal seinen untergebenen Verwaltungsvorstand vor, sondern zieht sich auf Formalien zurück. Das geht nicht. Herr Landrat, äußern Sie sich!
Nr. 3: Mitarbeiterin des Jugendamtes lügt vor Gericht
22. Januar 2022
Bei einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in Minden berichtet eine Jugendamtsmitarbeiterin von einem Telefonat, das es nie gegeben hat. Es ist nicht das erste Mal, dass das Jugendamt des Kreises Lippe in der Kritik steht:
Elke D. (Name geändert) kämpft seit mehr als drei Jahren darum, ihre mütterliche Fürsorge für ihr Kind ausüben zu dürfen. Ende November vergangenen Jahres hat sie vor dem Verwaltungsgericht Minden gegen das Jugendamt des Kreises Lippe einen Sieg errungen (NW berichtete). Nun gibt es aufgrund hartnäckiger Recherchen der Neuen Westfälischen neue Erkenntnisse im Fall der Oerlinghauser Mutter, die gegen das Jugendamt Lippe um ihr Kind kämpft.
Im August 2019 war ihr ihr Kind von Mitarbeitern des Kreisjugendamtes weggenommen worden – Inobhutnahme heißt das im Behördendeutsch. Diese Entscheidung haben Mitarbeiter des Jugendamtes gefällt, obwohl sie dazu nicht berechtigt waren. Elke D. widersprach zunächst dieser rechtswidrigen Inobhutnahme und reichte dann auch eine Klage beim Verwaltungsgericht Minden ein, die sie gewann.
Denn bevor ein Kind seiner Mutter oder seiner Familie weggenommen werden darf, muss es dafür eine Entscheidung des Familiengerichts geben. Anne H. (Name der Red. bekannt), Sachbearbeiterin im Jugendamt des Kreises Lippe, erzählte in der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Minden, dass sie mit der zuständigen Familienrichterin telefoniert habe. Diese habe ihr in diesem Telefonat die Entscheidung überlassen, ob das Kind von Mitarbeitern des Kreisjugendamtes in Obhut genommen werden müsse. Schriftlich existiert kein Beleg über das Telefonat.
Grund für das Telefonat, war das Gutachten eines vom Familiengericht beauftragten Gutachters. Dieses Gutachten liegt der Redaktion vor. Darin formuliert der Gutachter, dass es „möglich“ oder „fraglich“ sei, dass Elke D. an einer psychischen Störung leide. Das ist erwiesenermaßen nicht der Fall und auch vom Oberlandesgericht Hamm bestätigt, ebenso wie die Erziehungsfähigkeit von Elke D.
Dennoch nehmen H. und ihre Kollegen die Annahme als Fakt und sehen eine Gefährdung des Kindeswohls, wenn Elke D. das Gutachten liest, sehen „Gefahr in Verzug“ und nehmen Elke D. das Kind weg.
»Zusammenarbeit mit dem Jugendamt Lippe ist schwierig«
Die Familienrichterin sieht diese Gefährdung offensichtlich nicht, denn sie erlässt keine einstweilige Verfügung und rechtfertigt die Inobhutnahme auch nicht nachträglich.
Das Kind wird rechtswidrig von Mitarbeitern des Kreisjugendamtes zum Vater gebracht. Dort lebt es seitdem.
Die beiden Elternteile, die nie miteinander verheiratet waren, trennten sich 2018. Für das Kind wurde eine Besuchsregelung gefunden. Ende 2018 wies das damals dreijährige Kind Verletzungen am Gesäß auf. Elke D. ging mit dem Kind zur Ärztin. Die überwies es in der Folge in die Kinderklinik des St.-Vincenz-Krankenhauses. Dort stellte Chefarzt Friedrich Ebinger gemeinsam mit einer weiteren Kinderärztin, einer Psychologin und einer Sozialarbeiterin einen „dringenden Verdacht auf akute Kindeswohlgefährdung durch sexuellen Missbrauch in wahrscheinlich mehreren Fällen“ fest. Es wurde eine schriftliche Stellungnahme verfasst und dem Jugendamt des Kreises Lippe zugesandt.
Auf diese Stellungnahme angesprochen, sagte Anne H. vor Gericht: „Bei einem zweiten Aufenthalt (in der St.-Vincenz-Klinik, Anm. d. Red.) habe ich erneut mit einem Arzt telefoniert, der nach meinem Dafürhalten sich dann deutlich kritischer im Hinblick auf einen Missbrauch geäußert hat.“ Doch ein solches Telefonat hat es wohl nie gegeben. Der NW liegt eine schriftliche Äußerung von Friedrich Ebinger vor: „Ich habe mich hier noch einmal umgehört. Es gab kein Gespräch mit dem Jugendamt Lippe, in dem sich ein Mitarbeiter unserer Klinik von unserer Stellungnahme distanziert hätte.“ In einem Gespräch mit der NW bezeichnete er eine solche Annahme als „absurd“. Er sagte, dass die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt Lippe „schwierig“ sei.
Die Kinder- und Jugendlichentherapeutin Janine Straßburg wird vom Kreisjugendamt im Sommer 2021 mit einer Diagnostik des Kindes beauftragt. Nach zwölf Sitzungen empfiehlt sie als beste Lösung für das Kind, „das Wechselmodell oder alternativ den Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter“. Anne H. berichtete vor Gericht von einem Telefonat mit Straßburg, in dem diese Abstand von ihrer Beurteilung genommen habe.
Auch diese Aussage stimmt nicht, wie Straßburg in einem Telefonat mit Sonja Howard klarstellte. Howard ist Mitglied im Betroffenenrat des Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Dort beschäftigt sie sich mit Behörden- und Justizversagen und ist in dieser Funktion in den Fall der Elke D. involviert.
Fragen dazu, die die Neue Westfälische an den Kreis Lippe sandte, wurden mit dem Hinweis auf das laufende Verfahren nicht beantwortet.
Das Jugendamt des Kreises Lippe stand schon in der Vergangenheit in der Kritik. Zum Beispiel im Fall des hundertfachen Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz in Lügde, Kreis Lippe. Die Vorwürfe gegen das Kreisjugendamt waren in dem Fall derart massiv, dass sich Landrat Axel Lehmann in seiner Anhörung vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor die Mitarbeiter des Kreisjugendamtes stellte.
Eine Behörden-E-Mail an den Kinderschänder aus Lügde
Er sagte damals, dass in die Bewertung (des Falles) bei den lippischen Sachbearbeitern auch Rückmeldungen des fallführenden Jugendamtes Hameln-Pyrmont eingeflossen seien. Auf die Expertise eines anderen Jugendamtes müsse das Kreisjugendamt auch in Zukunft vertrauen dürfen. Und weiter: „Die grundlegenden Fehler sind in Hameln-Pyrmont gemacht worden. Daher schütze ich meine Mitarbeitenden im Jugendamt vor dem Vorwurf, über Fehlinterpretationen hinaus Fehler gemacht zu haben, und dafür trete ich auch weiterhin ein.“
Andererseits hat es damals, als sich die Ermittlungen gegen den Kinderschänder bereits in einem fortgeschrittenen Stadium befunden haben, eine E-Mail eines Mitarbeitenden des Kreisjugendamtes Lippe an den Hauptverdächtigen gegeben, wie die Neue Westfälische erfuhr.
Ein anderes Beispiel ist im vergangenen Sommer in Oerlinghausen passiert: Das Kind einer Bürgerin sollte eingeschult werden. Vom Alter her passend, entschied sich jedoch die Schulärztin des Kreises Lippe am 17. März vergangenen Jahres dagegen, das Kind einzuschulen. Dieser Empfehlung schloss sich die Schulleiterin an.
Bereits im Februar 2021 hatte die Leitung der Kita, die das Kind besuchte, das Kreisjugendamt darüber informiert, dass es zu einer Rückstellung von der Einschulung kommen könne. Beide Einschätzungen reichten den Sachbearbeitern im Kreisjugendamt nicht. Sie wollten eine ärztliche Bescheinigung. Die bekamen sie auch. Der Kinderarzt formulierte sehr deutlich: „Eine erzwungene Einschulung trotz Auffälligkeiten und Empfehlungen halte ich aus meiner kinderärztlichen Sicht für kontraproduktiv und unverantwortlich.“
Das alles interessierte die Mitarbeiter des Kreisjugendamtes nicht. Sie bestanden darauf, dass das Kind eingeschult werden sollte.
Erst als die Mutter die Neue Westfälische informierte und ein Anwalt einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht in Minden einreichte, revidierte das Jugendamt des Kreises Lippe seine Entscheidung und stellte den Jungen für ein Jahr von der Einschulung zurück.
Ob das Kreisjugendamt seinen Fehler eingesehen hat, ist nicht bekannt. Die Entscheidung wurde der Mutter per E-Mail in einem einzigen Satz mitgeteilt. Keine Erklärung, keine Bitte um Entschuldigung von Vertretern eines Amtes, für das das Wohl von Kindern an erster Stelle stehen soll.
INTERVIEW: „Offenbar ist der Landrat nicht gewillt, sich für die Schwächsten einzusetzen“
22. Januar 2022
Sonja Howard (33), ist Mitglied im Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung und im Nationalen Rat gegen sexuellen Kindesmissbrauch:
Frau Howard, Sie sind Mitglied im Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung und im Nationalen Rat gegen sexuellen Kindesmissbrauch. Wie ist es zu diesem Engagement gekommen?
SONJA HOWARD: Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie Staat und Gesellschaft von Gewalt betroffene Kinder durch Unwissen oder gar Ignoranz und Unfähigkeit über Jahre im Stich lassen können. Nun nutze ich mein Erfahrungswissen gepaart mit dem Fachwissen der letzten Jahre, um anderen Betroffenen zu helfen und vor allem die Politik mit in’s Boot zu holen.
Wie kommt man in diese Gremien, sind Sie berufen worden?
Ja, es gab einen Bewerbungsprozess mit einem Auswahlgremium aus Fachleuten. Berufen wurden wir dann nach Vorschlag des Missbrauchsbeauftragten von der damaligen Familienministerin Franziska Giffey.
Was sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit dort?
Ich beschäftige mich zum Beispiel mit Opferentschädigung für mittlerweile erwachsene Betroffene. Es ist unfassbar wie Menschen, die teilweise Jahrzehnte lang Opfer waren, nun noch um jeden Cent, jeden Therapieplatz und ein würdiges Leben bzw. überhaupt Anerkennung ihres Leids kämpfen müssen. Mein persönlicher Schwerpunkt ist aktuell Behörden- und Justizversagen. Darunter fallen unwissenschaftliche Ideologien wie das elterliche Entfremdungssyndrom, der häufig vorkommende Vorwurf der Bindungsintoleranz, wenn hauptsächlich Mütter versuchen, ihre Kinder vor einem gewalttätigen Vater zu schützen, schlechte familienrechtliche Gutachten, die letzten Endes das Kindeswohl weiter gefährden.
Die Lage, in der sich die Oerlinghauser Mutter, wir nennen sie Elke D., befindet, ist kein Einzelfall. Gibt es in Deutschland ein strukturelles Problem bei den Jugendämtern?
Absolut. Für Jugendämter gibt es keine bundesweit, einheitlichen Standards, kein Jugendamt gleicht dem andern. Es gibt keine Qualitätskontrollen, keine Fachaufsichten und die Zusammenarbeit mit den zuständigen Familiengerichten und Oberlandesgerichten hält auch jeder anders. Die Sozialwissenschaftlerin Kathinka Beckmann hat das einmal so trefflich zusammengefasst: „Es ist Sache des Zufalls und des Wohnorts, wie schnell und ob überhaupt ein betroffenes Kind Hilfe erhält“. Kinderschutz ist also ein bisschen wie russisch Roulette in Deutschland. Dass Sozialarbeiter in ihrem Studium teilweise gar nichts über Kinderschutz und Diagnostik, Täterstrategien und so einfache basics wie „Wie unterschiede ich blaue Flecke, die beim Spielen entstanden sind von Misshandlungsspuren?“ lernen, ist ebenfalls seit Jahrzehnten bekannt. Da kommt dann also jemand frisch aus dem Studium, hat keinerlei Praxiserfahrung und macht solche fatalen Fehler wie Kinder im Beisein der mutmaßlichen Täter zuhause zu befragen, ob es ihnen gut ginge. Und dann müssen wir immer noch darüber diskutieren, ob Kinderrechte ins Grundgesetz gehören.
Das Jugendamt des Kreises Lippe stand schon in Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen in Lügde stark in der Kritik. Was erwarten Sie von Landrat Axel Lehmann?
Dass er sich endlich überhaupt persönlich mit diesem Fall beschäftigt. Offenbar ist der Landrat nicht gewillt, sich für die Schwächsten in seinem Landkreis einzusetzen. Dass er nicht einmal die Akten mit den knallharten Fakten lesen wollte, die ihm ja zugeschickt wurden und aus denen das Behördenversagen ganz klar ersichtlich ist, ist unbegreiflich. Es ist natürlich bequem, die Augen zu schließen und zu sagen „Ach, da spinnt eine hysterische Mutter rum, das Jugendamt wird schon seinen Job richtig machen“.
Aber wir reden von Kindern, deren Wohl durch staatliches Versagen gefährdet wird und von einem Jugendamt, das bereits in mehreren Fällen bewiesen hat, dass es nicht in der Lage ist, das Kindeswohl zu sichern.
Wird andernorts anders mit ähnlich gelagerten Fällen umgegangen?
Ja, es gibt auf jeden Fall Jugendämter, die wissen, dass auch dann, wenn Beweise nicht für eine strafrechtliche Verfolgung gereicht haben, sie definitiv „Im Zweifel für das Kind“ entscheiden müssen. Die Frage muss hier ja nicht lauten „Können wir sicher sein, dass der Vater ein Täter ist?“, darum geht es nicht. Sondern „Können wir angesichts der vorliegenden Hinweise Dritter, Gutachten und Dokumentationen von Kinderärztin, Chefarzt einer Klinik, Psychologen und Kita usw. davon ausgehen, dass das Kindeswohl beim Vater sichergestellt ist?“ Wobei im vorliegenden Fall ja sogar ganz klar polizeiliche Ermittlungsfehler vorliegen und in weiten Teilen erst gar nicht ermittelt wurde.
Elke D. hat gegen das Jugendamt geklagt und vor dem Verwaltungsgericht Minden recht bekommen (NW berichtete). Der Fall vor dem Familiengericht geht aber weiter – nicht öffentlich, wie es der Gesetzgeber bei Familiengerichtssachen vorsieht. Fehlt bei Verhandlungen vor dem Familiengericht die öffentliche Kontrolle?
Ich bin schon lang dafür, dass man die in Amerika üblichen „Court Cams“ auch in Deutschland einführt. Und zwar nicht zur öffentlichen, freien Verfügung, sondern um in Zweifelsfällen Beweise zu haben, zur internen Qualitätssicherung, zur wissenschaftlichen Verarbeitung. Mir berichten immer wieder Familienrechtsanwälte, dass das Familiengericht in Teilen zum rechtsfreien Raum geworden ist. Da wird gedroht und unter Druck gesetzt, von behördlicher Seite gelogen, Richter verbünden sich mit einer Seite und am Ende hat man dann natürlich nur die Aussagen der „unterlegenen“ Partei und ihrer anwaltlichen Vertretung, es steht Aussage gegen Aussage und überprüfen kann es niemand. Ich glaube, eine Kontrollfunktion würde auch dafür sorgen, dass die im Familiengericht Beteiligten allgemein ihre Arbeit besser machen.
Die Fragen stellte Gunter Held.
Nr. 4: Elke D. in den Mühlen der Justiz
23. Februar 2022
Gegen den Vater des Kindes von Elke D. ermittelt das Landeskriminalamt wegen des Verdachts auf sexuellen Kindesmissbrauch. Trotzdem soll Elke D. ihm das Kind bringen:
Ihren Glauben an die Justiz hat Elke D. (Name geändert) fast verloren. Seit mehr als drei Jahren kämpft die Mutter aus Oerlinghausen um ihr Kind. Einmal hat sie bisher recht bekommen. Die Inobhutnahme ihres Kindes im August 2019 war rechtswidrig, stellte das Verwaltungsgericht Minden im November 2021 fest (NW berichtete). Damit ist belegt, dass die Mitarbeiter des Jugendamtes Lippe, Elke D. das Kind nicht haben wegnehmen dürfen. Die Mitarbeiter des Jugendamtes haben sich nach der Lektüre eines vom Familiengericht Detmold in Auftrag gegebenen Gutachtens zu dieser widerrechtlichen Aktion entschlossen. Ohne eine Anordnung des Familiengerichts.
Die mit dem Fall des Kindes von Elke D. betraute Mitarbeiterin des Jugendamtes Lippe, Anna H., (Name der Red. bekannt) sagte vor dem Verwaltungsgericht Minden, dass es ein Telefonat mit dem Familiengericht gegeben habe, in dem dem Jugendamt die Entscheidung über eine Inobhutnahme überlassen worden sei. Eine schriftliche Bestätigung oder ein Gesprächsprotokoll über diesen härtesten Akt, den ein Jugendamt gegenüber einer Familie vollziehen kann, gibt es nicht. Auch war es der Neuen Westfälischen nicht möglich, mit der Richterin beim Familiengericht zu sprechen. „Laufende Verhandlungen kommentieren wir nicht“, sagte Wolfram Wormuth, Pressesprecher des Landgerichts Detmold.
Mittlerweile hat sich die Lage von Elke D. und ihrem Kind dramatisch zugespitzt. Ende Dezember wandte sich Sonja Howard, langjähriges Mitglied im Betroffenenrat des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs beim Bundesfamilienministerium, und mit dem Fall der Elke D. vertraut, an das Landeskriminalamt (LKA). Das LKA hat das im Juli 2019 von der Staatsanwaltschaft Detmold eingestellte Ermittlungsverfahren gegen den Kindesvater wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch geprüft und von Amts wegen wieder aufgenommen. D.s Rechtsanwalt, Christian Laue, Professor am Institut für Kriminologie an der Universität Heidelberg, sagt dazu: „Ein möglicher sexueller Missbrauch durch den Kindesvater ist naturgemäß für die Kindesmutter ein wichtiges und den Blick auf das Wohlergehen des Kindes dominierendes Thema.“
In Absprache mit ihren Anwälten taucht Elke D. ab
Auch das Detmolder Familiengericht wusste von den wieder aufgenommenen Ermittlungen. Dazu Christian Laue: „Dabei wurden dem Amtsgericht (zu dem das Familiengericht gehört, Anm. d. Red.) auch Ermittlungsergebnisse übermittelt, die darauf hindeuten, dass Übergriffe des Vaters gegenüber seinem Kind nicht nur vor mehreren Jahren vorgekommen sind, sondern noch weiter andauern.“
Nach einer Unterredung mit dem LKA stellte das Jugendamt des Kreises Lippe am 4. Januar den Antrag einer einstweiligen Anordnung, „das Kind aus dem Haushalt des Vaters zu nehmen“. Wie Laue weiter erklärte, war mit diesem Antrag eine Situation eingetreten, in der alle Verfahrensbeteiligten – außer dem Kindesvater – überzeugt waren, dass eine Rückkehr des Kindes zum Vater eine Gefährdung für dessen Wohl darstelle. Und es war den Beteiligten auch klar, dass Eile geboten war. Nur die Familienrichterin sah keine Dringlichkeit, sondern terminierte eine mündliche Anhörung auf den 21. Januar. Das Jugendamt hatte zwar die mögliche Kindeswohlgefährdung erkannt, wollte das Kind aber nicht in den Haushalt der Mutter zurückführen, obwohl Elke D. die gerichtliche Bestätigung vorweisen kann, dass sie voll erziehungsfähig sei und nicht an irgendeiner psychischen Erkrankung leide. Das Jugendamt wollte das Kind in einem Heim unterbringen und einem gesetzlichen Vormund unterstellen. „Das kann ich meinem Kind nicht antun“, sagte Elke D. im Gespräch mit der Neuen Westfälischen. „Es hat schon genug gelitten. Eine Heimunterbringung würde es vollkommen aus der Bahn werfen.“
In Absprache mit ihren Anwälten taucht Elke D. mit ihrem Kind ab, erklärt die Sache in der Grundschule, die das Kind besucht, organisiert Homeschooling und ist sich vollkommen klar darüber, dass sie sich auf der Grenze der Legalität bewegt, wenn nicht sogar schon darüber hinaus.
Doch die Sache eskaliert weiter: Am 12. Januar verschickt das Familiengericht einen unverzüglichen Herausgabebeschluss. Christian Laue: „Damit sollte Elke D. gezwungen werden, das eigene Kind – entgegen der Einschätzung durch das LKA, durch zwei unabhängige Begutachtungsstellen (NW berichtete) und durch das Jugendamt – einer möglichen Gefahr des sexuellen Missbrauchs auszusetzen.“ Das Ganze sei noch verstärkt worden durch die Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 25.000 Euro.
Familiengericht hält Herausgabe an den Vater für dringlich
Hierbei allerdings sah das Familiengericht „wegen der Dringlichkeit“ keine Notwendigkeit einer Anhörung. Laue: „Das Familiengericht hält den Schutz des Kindes vor einer Gefahr für nicht dringlich – es bleiben zwei Wochen Zeit bis zur Anhörung – die Rückführung zum Kindesvater und damit in eine mögliche Gefahrensituation für dringlich.“
Aufgrund dieser Beschlüsse und der vorherigen Verfahrensführung des Familiengerichts (NW berichtete), stellte Laue einen Befangenheitsantrag. Der wurde jedoch von Michael Wölfinger, Direktor des Amtsgerichts Detmold, abgelehnt. Es sprächen nicht genügend objektive Gründe dafür, an der Unvoreingenommenheit des Familiengerichts zu zweifeln. Der Juraprofessor aus Heidelberg legte daraufhin eine „sofortige Beschwerde“ ein. Darüber wird das Oberlandesgericht in Hamm entscheiden.
Seit kurzem weht Elke D. noch ein weiterer Wind ins Gesicht. Ende vergangener Woche bekam sie einen Brief von der Leitung der Schule, die ihr Kind besucht. Darin steht, dass der Schulleitung „jegliche weiteren Informationen fehlen“ und dass für das Kind Schulpflicht bestehe. Wenn Elke D. kein ärztliches Attest oder eine behördliche Anordnung vorlegen könne, müsse das Kind die Schulpflicht wieder wahrnehmen. Auf Nachfrage der Neuen Westfälischen bei der Schulleitung hieß es nur: „Dazu sage ich nichts, das ist ein laufendes Verfahren.“ Rechtsanwalt Laue schreibt der Schulleitung: „Sollte das Kind in der nächsten Zeit am Unterricht in Ihrer Schule teilnehmen müssen, wäre es in kürzester Zeit wieder in den Händen des Kindesvaters. Das sollte vermieden werden, bis die jetzt noch offenen Fragen geklärt sind.“
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23. Februar 2022
Kommentar von Gunter HELD
Sich über Streitigkeiten vor dem Familiengericht ein Bild zu machen, ist schwierig. Alle Verhandlungen vor solch einem Gericht sind nichtöffentlich. Und Richter oder Pressesprecher eines Gerichts dürfen sich zu laufenden Verfahren nicht äußern. Diese Einstellung machen sich Behörden zu eigen – auch wenn, wie in diesem Fall, die Betroffene selbst den Weg in die Öffentlichkeit gewählt hat.
Doch durch die Offenlegung sämtlicher Akten des Falles hat Elke D. der "Neuen Westfälischen" den größtmöglichen Einblick auch in die andere Seite des Falles gewährt. Und was dort zu lesen steht, lässt an fachlicher und sozialer Kompetenz ebenso zweifeln wie an Empathie, die gerade bei Familiensachen doch so wichtig ist.
Da gibt es Jugendamtsmitarbeiter, die jahrelang an fehlerhaften Gutachten festhalten, die neue gutachterliche Erkenntnisse ebenso wenig berücksichtigen wie die durchs Oberlandesgericht Hamm bestätigte Erziehungsfähigkeit der Elke D. Und da gibt es Familienrichter, die offensichtlich an einer einmal gefällten Entscheidung festhalten und nicht in der Lage sind, Fehler einzugestehen und endlich im Sinne und zum Wohl des Kindes zu entscheiden – obwohl genau das von menschlicher Größe zeugen würde.
Und dann gibt es noch eine Schulleitung, die eine Gefahr nicht erkennen will und sich damit dem Vorwurf aussetzt, das Kindeswohl nicht im Blick zu haben. Behörden-Wirrwarr.
Nr. 5: Jugendamt des Kreises Lippe wird vorgestellt
8. März 2022
Verwaltungsvorstand und Kreisjugendamtsleiterin berichten den gewählten Volksvertretern:
Die Berichterstattung der Neuen Westfälischen über den Kampf von Elke D. aus Oerlinghausen um ihr Kind und dem daraus resultierenden Zwist mit dem Jugendamt des Kreises Lippe war offensichtlich Anlass für die Mitglieder des Ausschusses für Soziales, Jugend und Sport, sich die Arbeit des Jugendamtes erläutern zu lassen. Dazu waren Olaf Peterschröder, Verwaltungsvorstand 4 und damit auch zuständig für das Jugendamt des Kreises, sowie Ulrike Glathe, Fachbereichsleiterin Jugend und Familie, in die Bergstadt gekommen.
Natürlich wurde nicht über den in der "Neuen Westfälischen" (NW) geschilderten Fall gesprochen, da es ein schwebendes Verfahren ist. Die Berichte der beiden spielten sich im Allgemeinen ab. Zunächst erläuterte Glathe, dass das Kreisjugendamt ein zweigliedriges System, bestehend aus der Verwaltung und dem Jugendhilfeausschuss, sei. Das Kreisjugendamt sei für zwölf Kommunen zuständig, man biete niedrigschwellige Angebote, offene Arbeit, Schulbegleitung und allgemeine soziale Dienste an.
Zentrale Aufgabe sei der Kinderschutz, der im Sozialgesetzbuch VIII beschrieben werde. „Wenn wir Hinweise bekommen, dass Kinder vernachlässigt werden, müssen wir dem nachgehen. Wir prüfen und bewerten die Situation und holen fachliche Expertisen ein“, sagte Glathe. „Wir sprechen dann mit den Eltern und Kindern und handeln dann. Wenn der Schutz des Kindes gefährdet ist, wird das Kind vom Jugendamt in Obhut genommen werden. Das wird dann aber vom Familiengericht entschieden. Der Schutz des Kindes steht an erster Stelle“, sagte Ulrike Glathe.
Bartolt Haase (SPD) wollte dann aber doch noch die Inobhutnahme etwas näher erläutert bekommen, auch was die Dokumentation und die einzelnen Schritte einer Inobhutnahme angeht. Ulrike Glathe verwies auf Verfahrensstandards, die eingehalten würden, und auf die Dokumentation, die in der Jugendamtsakte festgehalten werde. Sie bezeichnete die Inobhutnahme als vorläufige Schutzmaßnahme, wenn die Eltern eines Kindes nicht gewillt oder in der Lage sind, den Schutz des Kindes zu gewährleisten. Es werde dann aber das Familiengericht angeschrieben, das „dann weiter entscheidet“.
Doch das ist offenbar nicht in allen Fällen so. Im Fall der Mutter Elke D. hat eine Mitarbeiterin des Jugendamtes entschieden, dass das Kind von Elke D. in Obhut genommen werden müsse. Diese Entscheidung wurde getroffen, als dem Jugendamt ein familienpsychologisches Gutachten vom Familiengericht zur Kenntnis gebracht wurde. Die Jugendamtsmitarbeiterin berief sich vor dem Verwaltungsgericht Minden, das die Inobhutnahme für rechtswidrig erklärte, auf ein Telefonat, das sie mit dem Familiengericht geführt habe und in dem das Familiengericht dem Jugendamt die Entscheidung über eine Inobhutnahme überlasse. Schriftlich festgehalten wurde nichts. Es wurde auch nicht mit der Mutter Elke D., bei der das Kind den Lebensmittelpunkt hatte, gesprochen. Peter Schröder kritisierte die Veröffentlichung des Falles und sagte: „Ich diskutiere nicht mit Unwissenden.“
Nr. 6: Strafanzeige gegen Mitarbeiterin des Jugendamtes
12. März 2022
Der Kampf von Elke D. gegen das Jugendamt des Kreises Lippe geht weiter. Zudem hat sie in einem Ermittlungsverfahren mit der Bielefelder Polizei gesprochen.
Als das Verwaltungsgericht Minden Ende November vergangenen Jahres die Inobhutnahme des Kindes von Elke D. (Name geändert) für rechtswidrig erklärte (NW berichtete mehrfach), war die Mutter zwar erleichtert, konnte sich aber nicht wirklich freuen. Sie befürchtete damals, dass die Sache noch nicht ausgestanden sei und sie weiter um ihr Kind kämpfen muss. Sie sollte recht behalten.
Mittlerweile hat das Landeskriminalamt (LKA) Ermittlungen gegen den Vater des Kindes aufgenommen. Er steht im Verdacht, sein eigenes Kind sexuell missbraucht zu haben. Diesen Verdacht gab es schon einmal Ende 2018. Nach einer gutachterlichen Stellungnahme von Friedrich Ebinger, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des St.-Vincenz-Krankenhauses in Paderborn, bestehe der „dringende Verdacht auf akute Kindeswohlgefährdung durch sexuellen Missbrauch in wahrscheinlich mehreren Fällen“.
Bei der Untersuchung des Kindes wurden auch DNA-Proben entnommen. Zwar hat es damals ein Gespräch zwischen Elke D. und der Polizei gegeben, und auch das Kind wurde von einer (nicht speziell geschulten) Polizistin vernommen. Nicht als Zeugen geladen wurde der Chefarzt Friedrich Ebinger, ebenso wenig wie die drei Experten für sexuellen Kindesmissbrauch, die mit ihm zusammen die Stellungnahme unterschrieben haben. Und auch die DNA-Proben wurden nicht ausgewertet. Dennoch wurden die Ermittlungen eingestellt.
„Der Verdacht auf sexuellen Missbrauch konnte nicht ausgeräumt werden“, sagt Rechtsanwalt Christian Laue. Der Professor für Kriminologie an der Universität Heidelberg vertritt Elke D. in strafrechtlichen Fragen.
Nach Wiederaufnahme der Ermittlungen gab es am gestrigen Freitag ein fast zweieinhalbstündiges Gespräch zwischen einer Beamtin der Kriminalpolizei und Elke D.
Anders als in mehreren Schreiben des Jugendamtes Lippe angeführt, gingen die Anzeigen wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch gegen den Vater des Kindes nie von Elke D. aus. Die erste Anzeige erstattete das Jugendamt Lippe, nachdem es die Stellungnahme der Kinderklinik Paderborn erhalten hatte – ohne übrigens die Mutter des Kindes von der Anzeige in Kenntnis zu setzen.
Die Wiederaufnahme der Ermittlungen erreichte Sonja Howard, seit Jahren Mitglied im Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, durch einen Anruf beim LKA – weder im Auftrag noch im Namen von Elke D. Howard nahm Kontakt mit dem LKA auf, weil ihre Arbeitsschwerpunkte Behörden- und Justizversagen sind.
"Äußerungen sind objektiv falsch"
Und um Behördenversagen geht es im Fall von Elke D. Da stellt sich die Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes Lippe, Anne H. (der richtige Name ist der Red. bekannt), bei der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Minden hin und sagt die Unwahrheit: „In Bezug auf die St.-Vincenz-Klinik habe ich mit den dort behandelnden Ärzten mehrfach telefoniert. Man hat mir mitgeteilt, dass die dort getätigten Angaben im Wesentlichen aus den Angaben der Mutter bestehen.“ Das Kind selbst, so sagte sie weiter, habe dort über einen vermeintlichen Missbrauch nicht berichtet, „und bei einem zweiten Aufenthalt habe ich erneut mit einem Arzt telefoniert, der nach meinem Dafürhalten sich dann deutlich kritischer im Hinblick auf einen Missbrauch geäußert hat.“ Der Neuen Westfälischen liegt ein Schreiben von Friedrich Ebinger vor, in dem er erklärt, dass es solche Telefonate weder mit ihm noch mit seinen Mitarbeitern gegeben habe. In einem Gespräch ergänzt er, dass solch eine Annahme „absurd“ sei.
Diese offensichtliche Lüge hat jetzt Konsequenzen. Rechtsanwalt Laue hat am 3. März bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld eine Strafanzeige gegen die Mitarbeiterin des Jugendamtes des Kreises Lippe, Anne H., gestellt. Der Vorwurf lautet: „(versuchte) mittelbare Falschbeurkundung“. Das wäre ein Verstoß gegen § 271 des Strafgesetzbuches, der mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe geahndet werden kann. Rechtsanwalt Laue schreibt in der Begründung seiner Strafanzeige: „Die von Frau H. in der Hauptverhandlung vom 29. November 2021 getätigten Äußerungen sind objektiv falsch, was Frau H. auch wusste. Sie hat somit das Verwaltungsgericht Minden aktiv zu täuschen versucht.“
Doch bei all den juristischen Streitigkeiten geht es letztlich um das Kind von Elke D., die seit Beginn des Jahres auf Anraten ihrer Anwälte mit dem Kind abgetaucht ist, denn sie wurde vom Familiengericht Detmold aufgefordert, ihr Kind dem Kindesvater auszuhändigen. „Das mache ich nicht“, sagt sie. „Mein Kind hat schon genug erleiden müssen. Ich weiß, dass ich mich an der Grenze zur Illegalität, vielleicht schon darüber hinaus befinde. Aber ich bin bereit, diese Situation für mein Kind zu ertragen.“
Und so ist sie bei freundlichen Menschen untergekommen, wo sie ihrem Kind einen Tagesablauf bietet. Jeden Tag wird das Kind von ihr unterrichtet. Das Material bekommt sie aus der Schulcloud der Grundschule. Und das Kind blüht sichtbar auf. Das sagt nicht nur die Mutter, das sagt auch das Ehepaar, bei dem Elke D. untergekommen ist. In einem Gespräch mit der Neuen Westfälischen erzählt der Mann: „Bei dem Kind ist auf jeden Fall eine Veränderung festzustellen. Anfangs war es sehr auf die Mutter fixiert, hat oft gesagt: ,Mama, nimm mich auf den Arm’“. Auch das Zubettbringen sei anfangs sehr schwierig gewesen. Immer wieder sei das Kind aus dem Zimmer gekommen. „Das ist jetzt nicht mehr so. Das Kind bleibt zufrieden im Bett und vor allem hat das Einnässen komplett aufgehört.“ Das Einnässen gilt bei Psychotherapeuten als Symptom eines kindlichen Traumas.
Weiter berichtet der Mann, dass das Kind anfangs verbal aggressiv auf ihn reagiert habe. „Es hat schnell angefangen zu schreien und ist weggelaufen“, sagt der Mann. Auch das habe sich gegeben. „Ich spiele und rede viel mit dem Kind. Wir gehen zusammen spazieren und spielen Ball. Die Wutanfälle sind sehr selten geworden, und wenn doch einmal einer kommt, dann rede ich mit dem Kind und es kommt wieder runter.“
Das siebenjährige Kind hat jetzt auch begonnen, eine Geschichte zu schreiben, die er jeden Abend fortsetzt und er hat gelernt, mit einer Strickliesel zu stricken. Es soll ein Schal für seine Mutter werden. Von seinem Vater redet das Kind überhaupt nicht. Aber es sagt, dass es bei seiner Mutter bleiben möchte. „Die gibt dem Kind Liebe und das Gefühl, dass es wichtig ist, zeigt dem Kind aber auch Grenzen auf“, sagt der Mann.
Und das Kind gibt die Liebe zurück. Vor dem Gespräch bei der Polizei kommt auf Elke D.s Handy eine Sprachnachricht: „Mama, ich habe dich lieb und ich wünsche dir Glück heute.“
Am Dienstag, den 5. April 2022, kann Gunter HELD auf einer ganzen Seite den Stand der Geschichte ausbreiten. Wir dokumentieren die einzelnen Aspekte jeweils einzeln: 7a bis 7d. Wir zeigen aber auch, wir die Seite gestaltet ist. Anklicken des Ausschnitts öffnet die vollständige Zeitungsseite als gut lesbares PDF:
Nr. 7a: „Ich will mich um mein Kind kümmern“
5. April 2022
Elke D. ist zwar untergetaucht, nimmt aber trotzdem einen Gesprächstermin im Bielefelder Polizeipräsidium wahr. Auf ihr Kind passt derweil eine Paten-Oma auf.
Als Elke D. ihr Kind ins Bett bringt, zieht das Siebenjährige seine Mutter an sich: „Mama, ich hab dich lieb.“ „Ich dich auch“, sagt sie, drückt ihr Kind und geht aus dem Zimmer. Kurz darauf sind nur noch die tiefen Atemzüge des schlafenden Kindes zu hören. Elke D. geht ins Wohnzimmer, wo die freundlichen Menschen sitzen, die sie mit ihrem Kind im Januar aufgenommen haben.
Die Namen dieses älteren Ehepaares werden nicht genannt, auch der Wohnort nicht. Denn Elke. D. ist auf Anraten ihrer Anwälte abgetaucht. Das Familiengericht Detmold hatte am 12. Januar beschlossen, dass Elke D. ihr Kind zum von ihr getrennt lebenden Kindesvater zurückbringen müsse – obwohl gegen den wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch des Kindes ermittelt wird. Der Beschluss wird erhärtet durch die Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 25.000 Euro, ersatzweise einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten.
Die Unterhaltung mit dem Ehepaar, das von Elke D. und ihrem Kind als Patengroßeltern bezeichnet wird, ist an diesem Abend recht kurz. Für den nächsten Tag ist ein Gespräch der 40-Jährigen mit einer Polizeibeamtin der Bielefelder Polizei angesetzt. Darum dreht sich die Unterhaltung in dem gemütlich eingerichteten Wohnzimmer. Elke D. zweifelt, ob es richtig ist, zu dem Gespräch zu fahren, aber sie sieht auch keine andere Möglichkeit, denn zum ersten Mal wird ihr Gelegenheit gegeben, sich zu den Verdächtigungen zu äußern. Sie hat Sorge, dass sie in Bielefeld festgehalten wird und nicht mehr zu ihrem Kind zurückkehren kann. Ihr Anwalt, der Juraprofessor Christian Laue aus Neckargemünd, hat ihr in Gesprächen deutlich gemacht, dass sie davor keine Angst zu haben brauche. Es gehe in dem Gespräch um die Ermittlungen gegen den Kindesvater wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch, nicht um die Rückgabe des Kindes. Und so versucht auch das Ehepaar, Elke D. zu beruhigen. Gut schläft sie in dieser Nacht nicht.
Früh am nächsten Morgen fährt ihr Paten-Opa sie nach Bielefeld. Es ist noch empfindlich kalt an diesem frühen Märztag. Elke D. merkt es kaum. Sie ist mit ihren Gedanken beim bevorstehenden Gespräch und hat sich doch schon längst entschieden: Sie wird um ihr Kind kämpfen. Mit allen Mitteln, die ihr der Rechtsstaat zugesteht und mit allen Konsequenzen, die sie zu tragen hat. Das Jugendamt des Kreises Lippe will ihr ihr Kind wegnehmen (NW berichtete exklusiv).
Familienrichterin will das Kind dem Vater überlassen – obwohl gegen ihn ermittelt wird
Nachdem das Jugendamt nach jahrelangem Festhalten an der Überzeugung, dem Kind würde es beim Vater gut gehen, abgerückt ist, kann es sich dennoch nicht zu der Ansicht durchringen, dass das Kind am besten bei der Mutter aufgehoben ist. Die Behörde schreibt an das Familiengericht Detmold: „Auch der Aufenthalt bei der Kindesmutter (. . .) wird als kindeswohlgefährdend eingeschätzt, da ein starker Loyalitätskonflikt und eine umfangreiche Beeinflussung von beiden Seiten (gemeint ist wohl auch die Seite des Vaters, Anm. d. Red.) nicht auszuschließen ist.“ Das Kind soll in einem Heim untergebracht werden. Die zuständige Familienrichterin sieht das anders: Das Kind soll zum Vater – seitdem ist Elke D. abgetaucht in die Illegalität.
All die Streitigkeiten seit 2019 und, so empfindet Elke D. es, die Unterstellungen von Seiten des Jugendamtes gehen ihr immer wieder durch den Kopf. „Das ist doch Wahnsinn“, sagt sie immer wieder. „Ich will mich um mein Kind kümmern, will Verantwortung übernehmen und werde vom Jugendamt daran gehindert. Wo ist denn der Rechtsstaat, der vor Willkür schützen soll?“ Sie steht vor der Oetkerhalle in Bielefeld, wo sie sich mit einem Team des WDR verabredet hat. Als der Redakteur, die Kamerafrau und der Tontechniker ankommen, geht sie mit ihnen ein paar Schritte in den Bürgerpark, setzt sich dort auf eine Bank. Die Kamerafrau filmt Elke D. so, dass sie nicht erkannt werden kann. Mit der Anonymität will sie sich und ihr Kind schützen. Auch der Name Elke D. ist erfunden. Es werden ein paar Einstellungen gedreht, sie beantwortet einige Fragen, dann ist es Zeit, sich auf den Weg zu machen. Hat Elke D. Erwartungen? „Ich möchte nur, dass man mir unvoreingenommen zuhört“, sagt sie.
Das macht die Polizistin offenbar. Das Gespräch dauert lange, beinahe zweieinhalb Stunden. Die Wartezeit verbringt der Paten-Opa in einem Café. Er erzählt, dass Elke D. mit ihrem Kind sehr liebevoll und zugewandt umgeht, ihm aber auch Grenzen setzt. „Zu mir als Mann hat das Kind erst nach einiger Zeit Vertrauen gefasst“, sagt er. Anfangs sei das Kind schnell verbal aggressiv geworden oder aus dem Zimmer gelaufen. Das ist lange vorbei. „Ich nehme das Kind ernst. Wenn ich mit dem Kind spreche, hocke ich mich hin, so dass es eine Begegnung auf Augenhöhe ist. Ich habe dem Kind immer wieder Angebote gemacht: Volleyball spielen im Garten, Spaziergänge, auch einen Boxsack und Handschuhe habe ich besorgt. Wenn es wütend wird, was immer seltener passiert, kann es sich am Boxsack austoben.“
Vor kurzem hat das Kind dem Ehepaar gesagt, wie gern es die beiden hat. Als der Mann das erzählt, leuchten seine Augen. „Es ist ein so liebenswertes Kind. Das darf man doch nicht kaputtmachen.“ Auch er kann über das Verhalten des Jugendamtes nur den Kopf schütteln. Er, der mit seiner Frau drei Kinder großgezogen hat, ist der Ansicht, dass sich das Kind jetzt wohlfühlt. Die Spaziergänge und das Volleyball spielen sind zu Ritualen geworden, die das Kind auch einfordert. „Es schläft auch viel leichter ein als zu Anfang und vor allem hat das Einnässen komplett aufgehört“, berichtet der Mann. Einnässen gilt bei Psychologen als Symptom eines kindlichen Traumas.
Um kurz nach zwölf Uhr macht er sich mit dem Fernsehteam auf den Weg zum Polizeipräsidium. Auch dort ist noch Warten angesagt. Langsam wird der Mann nervös. Seine Frau ruft an, fragt, was denn so lange dauere. Wird Elke D. doch festgehalten? Er lässt die Tür nicht aus den Augen. Nach einigen weiteren Minuten ist die zierliche Frau durch die Glastür zu erkennen. „Da kommt sie“, sagt er erleichtert. Elke D. ist fix und fertig, muss sich erst einmal einen Moment setzen, sich sammeln. Nach den Eindrücken befragt, sagt sie: „Eigentlich habe ich einen guten Eindruck von dem Gespräch. Die Beamtin hat sich alles angehört. Aber ich habe mit Behörden bisher nicht so gute Erfahrungen gemacht, da bin ich ein bisschen vorsichtig.“
Mit dem Fernsehteam geht sie auf den Platz vor dem Präsidium. Es werden noch einige Einstellungen gedreht, Elke D. beantwortet vor der Kamera noch ein paar Fragen. Dann geht sie mit dem Mann zum Parkplatz, um wieder zu ihrem Kind zu fahren. Plötzlich dreht sie sich um, kommt schnell zurück. „Das muss ich Ihnen noch zeigen“, sagt sie und holt ihr Handy hervor. „Das habe ich heute morgen vor dem Gespräch bekommen.“ Aus dem Handy erklingt eine glockenhelle Kinderstimme: „Mama, ich hab dich lieb und ich wünsche dir Glück heute.“
7b: Richter müssen Richter beurteilen
Die Anwälte von Elke D. stellen Befangenheitsanträge, die alle abgelehnt werden.
Wenn jemand in Deutschland mit einem Gerichtsurteil nicht einverstanden ist, kann er oder sie sich an die nächste Instanz wenden. Es gibt Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgericht und den Bundesgerichtshof, mithin vier Instanzen. Bei Familienrechtssachen ist das anders. Da gibt es das Familiengericht, bei dem die Verhandlungen grundsätzlich nichtöffentlich sind, und es gibt das Oberlandesgericht als nächste und in der Regel letzte Instanz. Theoretisch könnte eine Sache auch noch vor den Bundesgerichtshof kommen, doch die Zulassung vor dieses Gericht sei extrem selten, sagt die Familienrechtlerin Marita Korn-Bergmann.
Diese Erfahrung machte auch Elke D. (Name geändert), als sie vor Gericht die Rückgabe ihres Kindes erstreiten will. Dieses Kind ist von einer Detmolder Familienrichterin dem Vater zugesprochen worden, obwohl der unter dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs seines Kindes steht.
Doch in einem von der Familienrichterin in Auftrag gegebenen Gutachten wird über Elke D. gesagt, dass sie möglicherweise an einer schweren psychischen Erkrankung leidet – was mittlerweile widerlegt ist. Dieser Verdacht wurde vom Jugendamt des Kreises Lippe als Fakt angesehen und wohl entsprechend an die Familienrichterin weitergegeben, die das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater übertrug.
Rechtsanwältin Phyllis Kauke vertritt Elke D. in Familienrechtssachen. Sie kritisierte wiederholt das Verhalten der zuständigen Richterin, die, so Kauke, das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden, das die Inobhutnahme des Kindes im Jahr 2019 für widerrechtlich befand, nicht zur Kenntnis nahm und nicht handelte. Andernfalls hätte die Familienrichterin sofort die Rückführung des Kindes an die Mutter verfügen müssen, sagt Kauke. Die Rechtsanwältin stellte einen Befangenheitsantrag. Wird so etwas gemacht, erhält die kritisierte Person zunächst die Möglichkeit einer Stellungnahme. Erst danach entscheidet irgendein Richter des betroffenen Amtsgerichts Detmold, ob dem Antrag auf Befangenheit stattgegeben wird. Der Antrag wird nicht an eine unabhängige Stelle, zum Beispiel ein anderes Gericht, weitergeleitet. Erst nach einer erfolglosen weiteren Beschwerde landet das Ganze beim Familiensenat des Oberlandesgerichts, der schon über die Beschwerde zum Sorgerecht entschieden hatte. Phyllis Kauke hat alles durchgezogen. Kein Richter wollte ihrer Argumentation folgen. Auch ein Befangenheitsantrag des Juraprofessors Christian Laue hatte letztlich keinen Erfolg.
7c: Protokoll einer Verhandlung
Massiv kritisiert Phyllis Kauke, die Anwältin von Elke D. in Familiensachen, die Protokollierung einer Verhandlung vor dem Familiengericht Detmold. Das Verfahren wurde von einer einzelnen Richterin geführt. Es gab einen längeren Schlagabtausch zwischen Phyllis Kauke und dem Jugendamt des Kreises Lippe. Nichtöffentlich, wie es bei Familiensachen üblich ist. Ungereimtheiten oder Fehler lassen sich nur mit einem ausführlichen Protokoll belegen, doch das fertigte die Richterin trotz mehrfacher Bitte Kaukes nicht an.
Das gesamte Protokoll besteht nur aus wenigen Zeilen.
Jens Gnisa, Direktor des Bielefelder Amtsgerichts und ehemaliger Vorsitzender des Richterbundes sagt: „Tatsächlich hat der Richter, der das Verfahren führt auch die Protokollhoheit.“ Wolfram Wormuth, Pressesprecher des Landgerichts Detmold, sagt dazu: „Ich kann natürlich nicht für meine Richterkollegen sprechen, aber wenn mich ein Anwalt in einer Zivilkammersitzung bittet, etwas ins Protokoll aufzunehmen, dann mache ich das in der Regel, auch wenn es für die Entscheidung nicht unbedingt relevant ist. In Familiensachen ist – anders als im Zivilprozess – über Termine und persönliche Anhörungen vom Richter aber lediglich ein Vermerk über die wesentlichen Vorgänge des Termins und der persönlichen Anhörung anzufertigen.“
7d: „Das Kind muss bei der Mutter bleiben, das wünscht es sich auch selbst“
Im Interview: Rechtsanwalt Christian Laue ist Professor für Jura an der Universität Heidelberg. Er argumentiert, gerichtliche Fehlentscheidungen rückgängig zu machen.
Herr Laue, was ist so besonders an dem Fall der Elke D.?
Christian Laue: Das Besondere ist, dass die richtige Lösung auf der Hand liegt, aber jetzt seit drei Jahren nicht gefunden wurde – auf Kosten des Kindes: Das Jugendamt stand 2019 vor der Wahl, das Kind bei der Mutter zu lassen, wo es ihm gut ging, oder es ihr wegzunehmen und dem Vater zu geben. Der stand schon damals nach dem Expertenteam der Kinderklinik St. Vincenz, Paderborn, unter dem „dringenden Verdacht der Kindeswohlgefährdung durch sexuellen Missbrauch in wahrscheinlich mehreren Fällen“. Das Jugendamt hat sich gegen diese Expertenmeinung und für eine Übergabe an den Vater entschieden. Die Gerichte haben diese Entscheidung ohne eigene Prüfung abgesegnet. Das war definitiv keine kinderschützende Entscheidung. Jetzt gäbe es die Möglichkeit, die Fehlentscheidung von 2019 auf einfachem Wege zu korrigieren, indem das Jugendamt den Antrag stellt, das Kind bei der Mutter zu belassen. Damit wäre allen geholfen.
Sie haben Axel Lehmann, dem Landrat des Kreises Lippe, den Fall geschildert und um Rückmeldung gebeten. Ist da etwas gekommen?
Da ist gar nichts gekommen. Er selbst hat sich den Fall überhaupt nicht angeschaut.
Was hätten Sie vom Landrat erwartet?
Dass er den Fall objektiv prüft und die richtige Entscheidung trifft. Es ist, wie er selbst immer wieder betont „sein“ Jugendamt, und er könnte es anweisen, beim Familiengericht den Antrag zu stellen, das Kind wieder an Elke D. herauszugeben. Er könnte in kürzester Zeit den gesamten Fall lösen. Das will er aber nicht – aus welchen Gründen auch immer.
Welche Fehler werfen Sie dem Jugendamt des Kreises Lippe vor?
Der entscheidende Fehler war die Übergabe des Kindes an den unter Verdacht stehenden Vater im August 2019. Das war eine potenziell kindeswohlgefährdende Entscheidung. Noch dazu wurde Elke D. vorgeworfen, psychisch schwer erkrankt zu sein. Das war Rufmord und ist nachweisbar falsch. Das Jugendamt hat die von mehreren Experten geäußerten Verdachtsmomente einfach verdrängt, um seine Fehlentscheidung aus dem Jahr 2019 zu verteidigen. Dabei haben Mitarbeiterinnen auch Gerichte angelogen. Dem Auftrag, das Kindeswohl zu schützen, ist das Jugendamt in keiner Phase gerecht geworden.
Vom Verwaltungsvorstand des Kreises Lippe, Olaf Peterschröder, und der Leiterin des Kreisjugendamtes wird immer wieder gesagt, dass das Kindeswohl an erster Stelle steht. Glauben Sie das oder steht an erster Stelle die Prämisse: Das Jugendamt macht keine Fehler?
Im Fall Elke D. steht für Jugendamt, Landrat und Verwaltungsvorstände ganz eindeutig die Verteidigung einer Fehlentscheidung im Vordergrund. Dabei werden auch Kindeswohlgefährdungen in Kauf genommen.
Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes hat vor Gericht gelogen. Welche Konsequenzen kann das haben?
Leider keine unmittelbar strafrechtlichen; das Verfahren wurde eingestellt, obwohl die Lüge nachgewiesen ist. Dienstrechtlich ist eine Mitarbeiterin, die den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung „weglügen“ will, in einem Jugendamt nicht mehr tragbar und sollte weg.
Es scheint, dass die Familienrichterin, die als Alleinrichterin den Fall beim Familiengericht betreut, andere Gerichtsurteile nicht zur Kenntnis nimmt – beispielsweise das Urteil des Oberlandesgerichts Hamm, nach dem Elke D. nicht an einer psychischen Erkrankung leidet und voll erziehungsfähig ist oder das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden, nach dem die Inobhutnahme durch das Jugendamt des Kreises Lippe rechtswidrig war. Was können Sie als Anwalt von Elke D. machen?
Sie nimmt nicht nur andere Gerichtsentscheidungen nicht zur Kenntnis, sondern vor allem die Experten, die nunmehr wiederholt (zuletzt im Juni 2021) gesagt haben, dass ein Verdacht gegen den Vater weiterhin besteht. Wir als Anwälte können immer nur wieder Tatsachen vortragen und darauf hinarbeiten, dass endlich die einzig richtige Entscheidung getroffen wird.
Elke D. ist seit Januar untergetaucht. Nur wenige Menschen wissen, wo sie sich aufhält. Blieb ihr nichts anderes übrig?
Die Alternative war – wie vom Familiengericht angeordnet –, das Kind an den Vater herauszugeben, der nach Expertenmeinung unter dem Verdacht des sexuellen Missbrauchs steht, oder es an das Jugendamt herauszugeben, das das Kind in ein Heim stecken will. Beides ist der Mutter nicht zuzumuten. Dem Kind geht es im Moment gut. Es ist bei couragierten Menschen untergekommen, denen nicht genug zu danken ist. Es hat ein paar Probleme überwunden, die aufgrund der Belastungen in den letzten drei Jahren aufgetreten sind. Es empfindet die jetzige Situation als ein „Abenteuer“. Trotzdem muss jetzt bald eine endgültige Lösung gefunden werden. Das Kind muss bei der Mutter bleiben, das wünscht es sich auch selbst.
Das Gespräch führte Gunter Held.
Nr. 8: Wieder keine Gewissheit für Elke D
6. Mai 2022
In der Verhandlung vor dem Familiengericht gelingt dennoch ein Schritt nach vorn.
Elke D. kämpft seit drei Jahren um ihr Kind. Widerrechtlich war es ihr im August 2019 von Sachbearbeiterinnen des Jugendamtes Lippe weggenommen worden – das hat das Verwaltungsgericht Minden Ende 2021 festgestellt. Diese Entscheidung konnte auch eine faustdicke Lüge einer Jugendamtsmitarbeiterin nicht verhindern (NW berichtete).
Gestern ging es vor dem Familiengericht Detmold um die Frage, wo das Kind am besten aufgehoben ist. Das Kind selbst war gestern nicht mit dabei, die Verhandlung war, wie alle Familienrechtssachen, nichtöffentlich. Vor Zeugen hat das Kind allerdings bereits mehrfach geäußert, dass es bei der Mutter, bei Elke D. bleiben möchte, und die will auch unbedingt die Verantwortung für ihr Kind übernehmen. „Wenn die Behörden mich nur ließen“, sagt sie. Das Jugendamt Lippe des Kreises Lippe möchte das Kind in einem Heim unterbringen und der Kindesvater, gegen den wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch des Kindes von Amts wegen ermittelt wird, beharrt auf einem Herausgabebeschluss, denn das Familiengericht Detmold im Januar verfügt hat. Seitdem ist Elke D. mit ihrem Kind abgetaucht.
„Diese drei Möglichkeiten gibt es“, sagt Elke D.s Rechtsanwalt Christian Laue. Um zu einer Entscheidung zu kommen, soll das Kind angehört werden, denn letztlich geht es um das Wohl des Kindes, wie auch das Jugendamt des Kreises Lippe immer wieder betont. Diese Anhörung scheitere jedoch an der mangelnden Kooperationsbereitschaft des Kindesvaters, der auf die Herausgabe beharre, sagt Laue. Und Phyllis Kauke, ebenfalls Anwältin von Elke D. erläutert, dass es, so lange der Beschluss bestehe, theoretisch möglich wäre, dass der Kindesvater im Gericht das Kind von der Hand der Mutter losreiße und es mitnehme – sogar mit Polizeischutz.
Trotzdem sehen die beiden Rechtsanwälte einen Fortschritt. Aufgabe von Elke D. wird jetzt sein, mit der Ergänzungspflegerin des Jugendamtes, die herausfinden soll, ob dem Kind eine Anhörung zugemutet werden kann, einen Termin zu finden. Und vor allem einen sicheren Ort, an dem dem Kind keine Gefahr droht. Für Elke D. wäre ein Childhood-Haus solch ein Ort. Childhood ist eine Kinderschutzorganisation, die 1999 von Königin Silvia von Schweden gegründet worden ist.
Doch bis dahin bleibt Elke D. untergetaucht, um ihr Kind zu schützen.
Nr. 9: Elke D. ist wieder im Exil
20. Mai 2022
Das Kind der Mutter aus Oerlinghausen sollte von der Familienrichterin des Amtsgerichts Detmold angehört werden. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse.
Die Befürchtungen, die Elke D. (Name geändert) beim Kampf um ihr Kind hatte – sie sind alle eingetroffen. Dabei war ihr Anwalt, der Heidelberger Juraprofessor Christian Laue, nach dem letzten familiengerichtlichen Verfahren am 5. Mai, recht hoffnungsfroh gestimmt (NW berichtete). Am Mittwoch sollte das Kind von Elke D. von einer Familienrichterin des Amtsgerichts Detmold angehört werden, um den Willen des Kindes zu ermitteln, bei wem es zukünftig leben möchte – bei seiner Mutter oder beim Vater. So einfach diese Frage ist, der Fall stellt sich sehr komplex dar.
Auf der Grundlage der Anhörung wollte die Familienrichterin einen Beschluss, vergleichbar mit einem Urteil, fällen. Doch dazu kam es nicht. Es entwickelte sich eine „unheilvolle Dynamik“, wie Laue sagt. Jetzt soll der Beschluss des Familiengerichts ohne Anhörung des Kindes ergehen.
In der Verhandlung Anfang Mai war ausführlich darüber diskutiert worden, wo eine Anhörung des Kindes stattfinden könne. Wenig hilfreich war die Einstellung des Kindesvaters, gegen den wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch seines Kindes ermittelt wird, der jedoch noch immer in Besitz eines Herausgabebeschlusses ist. Dreimal wurde er von den Anwälten Elke D.s aufgefordert, auf den Herausgabebeschluss zu verzichten, um eine zeitnahe Lösung des Falles erreichen zu können. Dreimal verweigerte er seine Zustimmung, die, wäre sie erfolgt, nach Ansicht von Christian Laue in erster Linie dem Wohl des Kindes gedient hätte. Wegen dieser Weigerung hat Elke D. mit der Verfahrensbeiständin (s. Kasten) vor Gericht vereinbart, dass diese mit ihrem Kind an einem sicheren Ort sprechen kann, der nur ihr und der Verfahrensbeiständin bekannt ist. Das war notwendig, weil die Verfahrensbeiständin das Kind noch nicht kennt. Als sicheren Ort gab Elke D. das Childhood-Haus in Düsseldorf an, das genau für solche speziellen Situationen eingerichtet ist.
Elke D. berichtet von einem Telefonat mit der Verfahrensbeiständin, in dem diese gesagt habe, dass sie auf keinen Fall nach Düsseldorf fahren werde. Das sei viel zu weit. Sie habe aber einen anderen Vorschlag. In Lemgo gebe es einen Supermarkt mit einer angeschlossenen Bäckerei. Elke D. solle doch mit ihrem Kind in die Bäckerei kommen. Dort könne sich dann die Verfahrensbeiständin mit dem Kind bekannt machen, während Elke D., die bei einem solchen Gespräch nicht dabei sein darf, ihre Einkäufe im Supermarkt erledigen könne. „Ich habe gedacht, dass ich mich verhört habe“, sagt Elke D. im Gespräch mit der Neuen Westfälischen. „Die Verfahrensbeiständin wollte mein Kind in einem öffentlichen Café kennenlernen und dort beurteilen, ob dem Kind eine Anhörung vor Gericht zuzumuten sei.“ Als D. diesen Vorschlag ablehnte, wurde ihr vorgeworfen, kein Vertrauen zur Verfahrensbeiständin zu haben. Auf D.s Einwand, dass es wenig vertrauensbildend sei, ihr einen bereits von der Verfahrensbeiständin verfassten Bericht über das Kind vorzuenthalten, wurde nicht eingegangen.
Nachdem Rechtsanwalt Laue dem Familiengericht am 11. Mai mitgeteilt hatte, dass unter diesen Umständen ein Treffen mit der Verfahrensbeiständin nicht stattfinden könne, „sind wir in Vorleistung gegangen und haben vorgeschlagen, das Kind direkt mit der Richterin zusammenzubringen“, sagt Laue. Als der Termin feststand, hat Laue noch einmal nachgefragt, ob die Verschwiegenheit eingehalten werde und keiner der übrigen Beteiligten von dem Termin Kenntnis bekäme. Das wurde ihm zugesichert.
Am Dienstag, 17. Mai, kam dann um 15 Uhr vom Detmolder Amtsgericht ein Fax in der Kanzlei Laues an. Darin wurde mitgeteilt, dass die übrigen Beteiligten, Kindesvater und Jugendamt, über den Termin informiert worden seien.
Elke D. befand sich gerade auf dem Weg nach Detmold, als sie die Info erhielt. „Ich wäre am liebsten sofort wieder umgekehrt, denn ich hatte Angst, dass der Kindesvater uns auflauern würde, um mir mein Kind wegzunehmen.“ Doch da sei vom Kindersitz Protest gekommen: „Ich will nicht umkehren. Ich habe etwas zu sagen und ich will das auch sagen“, sagte das sieben Jahre alte Kind. In Absprache mit Rechtsanwalt Christian Laue beschloss sie, den Anhörungstermin nicht wahrzunehmen. Laue informierte das Familiengericht und machte zwei Alternativangebote: Zum einen könne die Anhörung auch kurzfristig im Düsseldorfer Childhood-Haus vorgenommen werden. Das sei auch für den Tag nach der geplanten Anhörung, also am 19. Mai, möglich. Die zweite Alternative sei ein Gespräch in einer angemieteten Wohnung in Detmold, zu der die Familienrichterin und die Verfahrensbeiständin chauffiert werden würden. „Leider ist die Familienrichterin auf keinen der Vorschläge eingegangen“, sagt Laue. „Ich habe auch mehrere Faxe mit der Bitte um Rückruf geschickt und zusätzlich noch mehrere Male telefonisch um Rückruf gebeten. Doch es kam kein Rückruf. Jetzt stehen wir wieder an dem Punkt von vor zwei Wochen, vor dem Verfahren am 5. Mai.“
Dass Elke D.s Ängste berechtigt waren, bestätigte sich, als die Neue Westfälische den Kindesvater in einem Café gegenüber dem Gericht antraf. Der Versuch eines Gesprächs vor dem Café blieb aber erfolglos: „Herr M., dürfen wir Sie etwas fragen?“ „Woher wissen Sie, wer ich bin? Ich habe nichts zu sagen.“ „Wir würden gern Ihre Sicht der Dinge erfahren . . .“ „Ich habe nichts zu sagen, belästigen Sie mich nicht.“ Danach ging er zurück in das Café.
Elke D. wartete bis 15 Uhr auf eine Reaktion des Familiengerichts und fuhr dann wieder in ihre weit entfernte sichere Unterkunft.
Nr. 10: Die Frage nach dem Kindeswohl
1. Juli 2022
Christian Laue, der Anwalt von Elke D., erhebt Vorwürfe gegen eine Richterin des Familiengerichts Detmold. Die hat eine Entscheidung über den Verbleib des Kindes getroffen, ohne auf Rückrufbitten zu reagieren oder sich zu Alternativvorschlägen zu äußern.
Eine Frau betritt mit ihrem sieben Jahre alten Kind einen Supermarkt. Weder die Mutter noch das Kind kennen das Geschäft, ebenso wenig, wie sie die Stadt kennen. Dem Supermarkt angegliedert ist ein Backshop mit einigen Sitzplätzen, das Ziel der beiden. Dort wartet eine andere Frau. Eine Wildfremde für das Kind, und auch die Mutter kennt diese Frau nur aus Telefongesprächen. Dieser Frau soll die Mutter ihr Kind für einige Zeit überlassen. Sie selbst darf bei dem Gespräch, das die Frau mit dem sieben Jahre alten Kind führen will, und indem es um sehr persönliche, die eigene Zukunft betreffende Dinge für das Kind geht, nicht dabei sein. „Sie können in der Zeit doch Ihre Einkäufe erledigen“, hatte die Frau am Telefon gesagt.
Über die Situation des Kindes soll in einem Backshop gesprochen werden
Wie sich das sieben Jahre alte Kind fühlt, wenn es seine Mutter weggehen sieht, wenn es spürt, dass es mit einer fremden Frau allein gelassen wird, ist wohl nicht so wichtig. Denn hier geht es offenbar um Größeres, um das Kindeswohl. Die Frau ist eine Verfahrensbeiständin, die Anwältin des Kindes, wenn es bei Trennungen vor das Familiengericht geht. Sie soll die Interessen des Kindes vertreten – auch gegenüber den Elternteilen, auch gegenüber dem Familiengericht. Die Frau wollte das Kind kennenlernen – in einem Backshop eines Supermarktes. In aller Öffentlichkeit wollte sie im Gespräch klären, ob das Kind in der Lage ist, über die eigene Situation zu sprechen, ob es gefestigt genug ist, Fragen einer Familienrichterin zu beantworten, ob es willens ist, über eigene Zukunftswünsche zu sprechen.
Die Szene ist nur zum Teil fiktiv. Als die Mutter von diesem Plan erfuhr, sagte sie den Termin ab. Die Frau ist eine Verfahrensbeiständin aus Lemgo, die Mutter ist Elke D. (NW berichtete mehrfach), die seit Jahren um ihr Kind kämpft. Gegen das Jugendamt des Kreises Lippe, gegen den Vater des Kindes, gegen den ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch seines Kindes anhängig ist, und gegen immer wieder geäußerte falsche Verdächtigungen, weil Mitarbeiter des Jugendamtes des Kreises Lippe ein familienpsychologisches Gutachten falsch interpretierten. In seinen Ausführungen sprach der Gutachter von einer „möglichen/fraglichen“ psychischen Erkrankung der Mutter. Die Mitarbeiter des Jugendamtes übersehen wohl diese beiden wichtigen Worte und stellen diese „mögliche/fragliche“ Erkrankung als Fakt dar. Lapidar ausgedrückt gilt seitdem beim Jugendamt des Kreises Lippe die Ansicht: Elke D. ist durchgeknallt. Dass das Oberlandesgericht Hamm längst geurteilt hat, dass Elke D. nicht an einer psychischen Erkrankung leidet und voll erziehungsfähig ist, interessiert das Jugendamt des Kreises Lippe offenbar nicht. Jedenfalls gibt es im gesamten Schriftverkehr, der der Neuen Westfälischen vorliegt, keine Bitte um Entschuldigung bei Elke D. Mit der Neuen Westfälischen über den Fall sprechen wollen die Mitarbeiter des Kreises Lippe nicht. Auch Landrat Axel Lehmann verweigert als oberster Dienstherr Versuche der Kontaktaufnahme. „Ein Gesprächsangebot wird es nicht geben“, lässt er seinen Pressesprecher Steffen Adams mitteilen.
Ähnlich verhält sich der Kindesvater. Eine Anfrage der NW bleibt unbeantwortet. Gegen ihn besteht der Verdacht, sein Kind sexuell missbraucht zu haben. Es wird ermittelt. Die Mutter, Elke D., hat diesen Verdacht nie geäußert. Und sie hat auch nie eine Anzeige gegen den Kindesvater erstattet. Die erste Anzeige wegen des Missbrauchsverdachts wurde von Mitarbeitern des Jugendamtes des Kreises Lippe erstattet – nachdem der Chefarzt der St.- Vincenz-Klinik in Paderborn, Friedrich Ebinger, dem Jugendamt Mitteilung darüber machte, dass das Kind „in wahrscheinlich mehreren Fällen sexuell missbraucht“ worden sei. Über diese Anzeige des Jugendamtes gegen den Kindesvater erhielt Elke D. keine Information. Sie wurde ohne ihr Wissen gemacht. Die Staatsanwaltschaft Detmold stellt die Ermittlungen nach kurzer Zeit ein. Es wurde weder mit dem Chefarzt der Paderborner Kinderklinik gesprochen, noch wurden vorliegende DNA-Proben ausgewertet. Diese wurden auch nicht archiviert, sondern nach Einstellung des Verfahrens vernichtet.
Ohne die Mutter zu informieren, wird das Kind in Obhut genommen
Als dem Jugendamt des Kreises Lippe dann vom Familiengericht des Amtsgerichts Detmold das familienpsychologische Gutachten weitergeleitet wurde, entschied die Sachbearbeiterin Anne H. (der richtige Name ist der Redaktion bekannt), dass das Kind sofort der Mutter Elke D. entzogen werden müsse, was dann auch am 15. August 2019 passiert. Ohne dass Elke D. informiert wird, wird ihr Kind von Mitarbeitern des Jugendamtes aus dem Kindergarten herausgenommen und dem Kindesvater gebracht. Diese Entscheidung will sich Anne H. per Telefon von der zuständigen Familienrichterin bestätigt haben lassen, sagt die Sachbearbeiterin in einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in Minden im Herbst vergangenen Jahres aus. Doch in derselben Verhandlung sagt sie auch aus, dass der Chefarzt aus Paderborn seine Einschätzung über den sexuellen Missbrauch des Kindes zurückgenommen habe. In einem Telefongespräch mit der Mitarbeiterin des Jugendamtes, von dem es allerdings weder ein Protokoll noch eine Telefonnotiz gibt. Die kann es auch gar nicht geben, weil solch ein Telefonat nie stattgefunden hat. Das bestätigt der Chefarzt gegenüber der NW.
In seinem Urteil kommt das Verwaltungsgericht in Minden zu dem Schluss, dass die Inobhutnahme des Kindes durch Mitarbeiter des Jugendamtes rechtswidrig war. Im Klartext: Mitarbeiter des Jugendamtes des Kreises Lippe haben einer gesunden, erziehungsfähigen Mutter das Kind weggenommen. Und das durften sie nicht.
Und was macht die zuständige Familienrichterin Koonert? Sie stellt nicht den ursprünglichen Zustand – das Kind hat den Lebensmittelpunkt bei der Mutter, die nachgewiesenermaßen gesund und erziehungsfähig ist, der Vater hat ein Umgangsrecht – wieder her, sondern bestätigt, dass das Kind zum Vater soll. Doch gegen den läuft ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch seines Kindes. Weil Elke D. ihm das Kind deshalb nicht überlassen will, ist sie seit Januar untergetaucht. Aber der Makel der angeblichen psychischen Erkrankung der Mutter zieht sich durch Schriftverkehr und Akten.
Warum ruft die Familienrichterin nicht zurück?
„Es hat den Anschein, dass Familienrichterin Koonert weder die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm zur Erziehungsfähigkeit und psychischen Gesundheit von Elke D., noch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die rechtswidrige Inobhutnahme des Kindes von Elke D. zur Kenntnis genommen hat“, sagt Rechtsanwalt Christian Laue, der Elke D. vor Gericht vertritt. Bevor eine Entscheidung über den weiteren Verbleib des Kindes gefällt werden sollte, muss, so schreibt es das Gesetz vor, Richterin Koonert das Kind anhören. Als Termin wurde der 18. Mai vereinbart. Und das Kind wollte diesen Termin auch wahrnehmen, wie es mehrfach der Deutschlandfunk-Journalistin Marie von Kuck sagte. Nachdem die Neue Westfälische im vergangenen Jahr als erste über den Fall berichtete, findet der Kampf von Elke D. inzwischen ein breites Medienecho. Das ZDF berichtete in der Sendung „Frontal“, der WDR brachte Beiträge in der Lokalzeit OWL und die Produktionsfirma „Wir kämpfen für Kinder“ lieferte für RTL explosiv einen Beitrag.
Eine Zusammenarbeit mit den Medien verweigert Landrat Axel Lehmann mit Hinweis auf den Datenschutz, der allerdings durch die Anonymisierung gewahrt bliebe. Und Michael Wölfinger, Direktor des Amtsgerichts Detmold, dem das Familiengericht zugeordnet ist, erklärt, dass Richterin Koonert nicht für ein Gespräch zur Verfügung stehe, entspreche den Richtlinien für die Zusammenarbeit mit den Medien.
Zu einer Anhörung am 18. Mai ist es nicht gekommen, weil Richterin Koonert vor der Anhörung sowohl das Jugendamt des Kreises Lippe als auch den Kindesvater über den Termin informierte. Aus Angst, der Kindesvater werde Elke D. das Kind entreißen, sagte Rechtsanwalt Laue den Anhörungstermin ab, machte aber zwei Alternativvorschläge und bat in der Zeit von 8.54 Uhr bis zum frühen Nachmittag wiederholt um einen Rückruf von Richterin Koonert. Der erfolgte allerdings nicht. Eine diesbezügliche Frage der NW nach dem „Warum nicht“ wurde vom Direktor des Amtsgerichts nicht beantwortet. Dass die Angst von Elke D. nicht unbegründet war, zeigte sich, als die NW den Kindesvater in einem Café gegenüber dem Gericht sah. Auch dort wollte er kein Gespräch führen.
Richterin Koonert fällte dann eine Entscheidung, ohne das Kind anzuhören. Dem Kreisjugendamt Lippe wird das Sorgerecht und die Ergänzungspflegschaft übertragen, wobei eine Mitarbeiterin des Jugendamtes gegenüber der Rechtsanwältin Phyllis Kauke, die ebenfalls die Interessen von Elke D. vertritt, bestätigte, dass das Kind vom Jugendamt in einem Heim untergebracht werden soll. Es soll Elke D. von dem Jugendamt weggenommen werden, dass das Kind schon einmal rechtswidrig in Obhut genommen hat. Nach Überzeugung von Richterin Koonert soll in diesem Jugendamt eine „neutrale Person besonnen und konkret“ die aktuelle Situation des Kindes prüfen und bewerten.
Interview: „Kinder werden von der Polizei aus der Schule geholt“
Im Interview: Soziologe Wolfgang Hammer veröffentlichte eine Studie über die Situation des Familienrechts und der Jugendämter. Dafür wird er gefeiert und kritisiert.
Herr Hammer, Sie haben mehr als 1.000 Fälle untersucht, in die nach Trennungen das Jugendamt oder das Familiengericht involviert war. Welches sind Ihre Kritikpunkte?
WOLFGANG HAMMER: Zunächst war für mich entscheidend, welche Argumente es gab, dass Jugendamt oder Familiengericht eine Trennung von Mutter und Kind angestrebt oder durchgesetzt hat. Ausgewertet habe ich nur Fälle, von denen ich die Argumentation durch Einsicht in Akten des Jugendamtes oder des Familiengerichts überprüfen konnte. In all diesen Fällen waren das eindeutig keine akuten oder erwiesenen Kindeswohlgefährdungen (KWG), sondern immer das Konstrukt einer zu engen Mutter-Kind-Beziehung, meist in Zusammenhang mit dem PAS-Syndrom.
Das PAS, das Parental Alienation Syndrom, besagt, dass eine enge Bindung an (meistens) die Mutter für die Entwicklung eines Kindes nicht förderlich ist.
Ja, und diese Theorie der KWG ist wissenschaftlich eindeutig widerlegt. Die Theorie sagt aus, dass Mütter ihre Kinder so eng an sich binden, dass sie keinen Freiraum mehr zu eigenen Entwicklung haben.
PAS besagt weiterhin, dass der sexuelle Missbrauch von Kinder von den Müttern erfunden wird, um ihre Ziele durchzusetzen . . .
Das ist so. Der zweite Teil dieser Theorie ist: Wenn Mütter den Vorwurf erheben, dass die Kindesväter gewalttätig oder sogar sexuell übergriffig sind, dann sind das Erfindungen der Mütter. Und dem sind in vielen Fällen Jugendämter und Gerichte gefolgt, obwohl zum Teil in der Vorgeschichte belegt war, dass die Männer ihre Frauen geschlagen und auch gegenüber den Kindern gewalttätig geworden sind. Die Väter haben deshalb oft ihre Interessen gegen die Mütter und vor allem gegen das Kindeswohl durchsetzen können. In einigen dramatischen Fällen wurden die Kinder sogar mit Polizeigewalt aus den Wohnungen der Mütter geholt oder sie wurden während des Schulunterrichts mit Polizeigewalt aus den Schulen geholt und in irgendwelche Heime verbracht.
Gibt es in Deutschland ein strukturelles Problem bei den Jugendämtern?
Na ja, wir haben in Deutschland seit längerem das Problem, dass der Weg der Fremdunterbringung von Kindern sehr ausgeprägt ist. Deshalb haben wir in Deutschland auch mehr Kinder in Heimen als jedes andere vergleichbare europäische Land. Wir haben in Deutschland mehr als 500 Jugendämter. Änderungen im Verhalten von Jugendämtern kann nur durch die übergeordnete Führungsebene angestoßen werden. Es gibt bereits Jugendämter, die konsequent einen fachlichen Stil durchziehen. Da passiert nichts. Bei anderen sind fachliche Fehler gang und gäbe, und da sind die Vorgesetzten diejenigen, die das noch schüren, weil auch die Angst davor haben, dass ein Kind irgendwann zu spät aus der Familie genommen wird, denn das war in der Vergangenheit immer skandalträchtig. Es ist aber noch nie jemand sanktioniert worden, der 20 Kinder ohne Not aus den Familien herausgerissen hat.
Während Ihre Studie von Mütterorganisationen gefeiert wird, äußern sich Juristen und Vätervereinigungen kritisch, nennen den Bericht unseriös, weil in 20 Jahren nur 92 Fälle vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Bundesgerichtshof verhandelt wurden. Haben Sie mit diesen Reaktionen gerechnet?
Eher umgekehrt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass alle führenden Fachleute und -organisationen in diesem Bereich diese Studie unterstützen und dass in vielen Behörden auf Landes- und Bundesebene und in Landtagen die Studie Grundlage für Beratungen ist, wie man das System verbessern und Rechtsbrüche vermeiden kann. Ein repräsentativer Anspruch ist in der Studie nie erhoben worden, aber man kann nicht bestreiten, dass es diese mehr als 1.000 Fälle tatsächlich gibt.
In Deutschland herrscht grundsätzlich die freie Anwaltswahl. Nur ein Kind kann sich seinen Anwalt, den Verfahrensbeistand, nicht aussuchen oder ablehnen. Den bestimmt das Gericht. Kann das richtig sein?
Es gibt leider sehr viele Verfahrensbeistände, die nicht ihren Job machen, nämlich die Interessen des Kindes zu vertreten, sondern die ganz klar auf der Seite der Väter und auch auf der Seite der Gerichte stehen und, weiß Gott, niemals auf Seiten der Kinder. Das aktuelle Modell hat sich als untauglich erwiesen, denn es ist eigentlich eingerichtet worden, um die Rechte der Kinder in einem Verfahren zu stärken.
Haben Mütter, die sich ans Jugendamt wenden, von vornherein schlechte Karten?
Es kommt darauf an, an welches sie sich wenden. Wenn sie eines der schlechten Jugendämter erwischen, dann haben sie schlechte Karten. Wenn Mütter das zuständige Jugendamt nicht einschätzen können und sie niemanden haben, der ihnen hilft, würde ich keiner Mutter raten, sich ans Jugendamt zu wenden. Es gibt so viele Frauen, die sich selbst verfluchen, weil sie durch den Kontakt zum Jugendamt eine Maschinerie ausgelöst haben, die ihnen letztlich die Kinder weggenommen hat.
Das Interview führte Gunter HELD.
Zur Person Wolfgang HAMMER:
Wolfgang Hammer (74) leitete von 1982 bis zu seiner Pensionierung 2013 die Abteilung „Kinder- und Jugendhilfe“ in der Sozialbehörde Hamburg. Er ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Kinderhilfswerks. Von 2005 bis 2013 Vertreter der Jugend- und Familienministerkonferenz bei den Runden Tischen zum Sexuellen Kindesmissbrauch, beim Nationalen Aktionsplan für ein kindergerechtes Deutschland sowie in der Bund/Länder AG zur Erarbeitung des Bundeskinderschutzgesetzes und zum Bundesprogramm „Frühe Hilfen“.
Nr. 11: Schauspielerin auf Spurensuche
9. Juli 2022
Serienstar Rebecca Immanuel hat über den Fall der Oerlinghauser Mutter Elke D. und ihr Kind gelesen und in Detmold ein Video gedreht, in dem es um den Schutz von Kindern geht.
Das Handy klingelt. „Rebecca Immanuel“ steht auf dem Display. „Hier in Detmold gibt es keinen Autoverleih am Bahnhof“, sagt sie erstaunt. Nein, den gibt es nicht – aber kurze Wege. Eine der bekanntesten TV-Schauspielerinnen Deutschlands, „Edel und Starck“, „Der Bergdoktor“, „Die Eifelpraxis“, ist von Berlin aus nach Lippe gekommen. Sie hat über den Fall der Elke D. aus Oerlinghausen gelesen, die seit drei Jahren gegen das Jugendamt des Kreises Lippe kämpft, das ihr das Kind wegnehmen will. Die Neue Westfälische berichtete Ende November vergangenen Jahres als erste Zeitung über den Fall. Bis jetzt sind in der NW neun Beiträge erschienen. Der Fall der Oerlinghauserin findet ein breites Medienecho: das ZDF berichtete im Magazin „Frontal“, RTL in „RTL explosiv“, der WDR in „Lokalzeit OWL“. Außerdem die preisgekrönten Journalistinnen Katrin Langhans in der Frankfurter Rundschau und Marie von Kuck, die an einem Feature für den Deutschlandfunk arbeitet, das im Herbst gesendet werden soll.
Rebecca Immanuel engagiert sich seit Jahren für den Kinderschutz
Auch Rebecca Immanuel, die sich seit Jahren ehrenamtlich für den Kinderschutz einsetzt, wollte etwas tun. So entstand die Idee, an den Ort zu fahren, wo sich das Kreisjugendamt und das Familiengericht befinden – nach Detmold, und dort ein Video zu drehen, dass auf Facebook und Instagram veröffentlicht wird. Mit einem Kameramann steht sie im Durchgang zwischen Bahnhofsgebäude und Tunnel zu den Zügen, an dessen Wände Sprayer ihre Tags hinterlassen haben. Erste Einstellungen werden gedreht – Immanuel vor dem Infokasten mit dem Stadtplan. „Wir sind jetzt hier“, sagt sie und deutet auf das Symbol für den Bahnhof auf dem Stadtplan. „Und das Gericht ist wo? Oh, das ist ja wirklich nicht weit.“ Nein, 500 Meter. An den Wasserspielen auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz vorbei, und dann ist man schon da.
Auf dem kurzen Fußmarsch zum Gerichtskomplex werden weitere Einstellungen gedreht – im Schatten, denn so schön der strahlend blaue Himmel auch ist, für Filmaufnahmen ist das Sonnenlicht viel zu hart. Ein Detmolder folgt ihr, sein Fahrrad neben sich herschiebend. „Ich kenne Sie doch . . . „Er möchte ein Gespräch beginnen. Rebecca Immanuel ist sehr freundlich, aber klar: „Es tut mir leid, normalerweise immer gerne, nur heute haben wir hierfür zu wenig Zeit. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“
Als sie in der Grünanlage auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz steht, wird sie von etlichen Menschen erkennend angelächelt. Sie lächelt freundlich zurück – nur nicht, wenn gedreht wird. Dann ist sie konzentriert auf das, was sie rüberbringen möchte: Die nach ihrer Ansicht fragwürdigen Fehlentscheidungen des Jugendamtes des Kreises Lippe und der Richterin am Familiengericht Detmold zulasten des Kindes. „Die Mitarbeiter des Kreisjugendamtes haben ein familienpsychologisches Gutachten, das die Familienrichterin im Fall Elke D. angefordert hat, fehlinterpretiert und eine Möglichkeit als Fakt angesehen. Sie haben einer gesunden, erziehungsfähigen Mutter eine psychische Erkrankung unterstellt“, sagt sie voller Irritation im Gespräch mit der NW.
Die nächste Einstellung wird vor der hohen hölzernen Eingangstür des Gerichts gedreht. „Landgericht“ steht über der Tür des spätklassizistischen Gebäudekomplexes. Neben der Tür, unter dem leicht verblichenen Wappen des Landes NRW, sind die Institute aufgeführt: Landgericht, Amtsgericht, Staatsanwaltschaft. Im Video Rebecca Immanuels geht es um das Amtsgericht, denn dazu gehört die Abteilung Familiengericht.
Dann möchte sie weiter zum Verwaltungsgebäude des Kreises Lippe, wo das Kreisjugendamt untergebracht ist. Sie fragt eine Passantin nach dem Weg. Und auch hier wieder: Ein erkennendes Lächeln und dann, „ich kenne Sie doch aus dem Fernsehen . . .“ „Ja“, schmunzelt die Schauspielerin, „das stimmt, können Sie uns sagen, wie wir zur Kreisverwaltung kommen?“ „Ach, das ist schon ziemlich weit weg. Ich würde sie ja im Auto mitnehmen, aber da ist für den Kameramann dann kein Platz mehr.“ „Das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich rufe ein Taxi.“
Die Idee: Ein Gespräch mit dem Kind über die Zukunft – in einem Backshop
Das Kreishaus ist eingerüstet, wird renoviert. Hinein kommt Rebecca Immanuel nicht, es ist Samstag. Ein Hinweisschild auf das Kreisjugendamt gibt es außen auch nicht. Trotzdem wird gefilmt. Ebenso wie das Ortsschild Lemgo. Dort hat die Verfahrensbeiständin, die vom Gericht verordnete Anwältin des Kindes von Elke D., ihre Kanzlei. Und dort befindet sich auch der Supermarkt, in dessen angegliedertem Backshop die Verfahrensbeiständin das Kind kennenlernen wollte. Ohne dass Elke D. dabei sein sollte, wollte die Verfahrensbeiständin mit dem Kind über dessen Zukunft sprechen. Mit einem sieben Jahre alten Kind, für das diese Anwältin eine völlig fremde Person ist. An einem öffentlichen Ort, an dem es von der Mutter allein gelassen werden sollte. „Kann man sich einen größeren Mangel an Empathie vorstellen“, fragt Rebecca Immanuel. „So ein wichtiges Gespräch an solch einem Ort zu führen, ist unseriös und zeugt nicht gerade von pädagogischem Fachwissen.“ Im Video gezeigt werden weder der Supermarkt noch der Backshop, denn beide Geschäfte können rein gar nichts für die wohl nicht dem Kindeswohl entsprechende Idee der Verfahrensbeiständin.
Am nächsten Tag wird das Video in Hamburg geschnitten. Das dauert länger, als Immanuel veranschlagt hat. Kurz vor Mitternacht ist es fertig. Am Montagmorgen wird es zunächst auf Facebook und anschließend auf Instagram gepostet. Rechtzeitig vor der nächsten Verhandlung Elke Ds. vor dem Familiengericht. Das Video geht schnell viral. Innerhalb von vier Tagen haben es auf Facebook 15.600 Nutzer gesehen, viele Kollegen der Schauspielerin teilen den Clip, noch mehr wünschen Elke D. und ihrem Kind Glück bei der Verhandlung und loben den Mut Immanuels, solch ein Video zu veröffentlichen. Bei Instagram geht das Ding noch mehr ab: Innerhalb von drei Tagen hatte das Video dort eine Reichweite von mehr als 56.000 Nutzern, das Reel mehr als 100.000 Zuschauer.
Genutzt haben die oft von Herzen kommenden Wünsche nichts. Bei der Verhandlung am vergangenen Dienstag hat die Familienrichterin Koonert einfach nicht entschieden. Sie bleibt bei ihrem Beschluss, dass das Kind von Elke D. weder bei der Mutter bleiben darf, noch dem Kindesvater zugeführt werden soll, gegen den ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch des eigenen Kindes anhängig ist. Somit bleibt das Sorgerecht beim Jugendamt des Kreises Lippe. Bei dem Jugendamt, dass das Kind schon einmal rechtswidrig in Obhut genommen hat (NW berichtete).
In ihrer Begründung heißt es, dass die Mutter Elke D. verhindert habe, dass das Kind von ihr, der Richterin Koonert, angehört werden konnte. Darüber echauffiert sich Ds. Anwalt Christian Laue: „Das ist eine Verdrehung der Tatsachen. Sowohl Elke D., vor allem aber das Kind wollte mit der Richterin sprechen. Aber weil die Richterin entgegen einer Absprache den Kindesvater von der Anhörung informiert hatte, hatte das Kind Angst, sein Vater würde es der Mutter wegnehmen. Auf Alternativangebote ist Richterin Koonert nicht eingegangen.“ Jetzt liegt die Sache beim Familiensenat des Oberlandesgerichts Hamm.
Das Video ist zu sehen unter fb.watch/e31ZWyN56o/
Nr. 12: Eine Odyssee in Stichpunkten
26. August 2022
Bis zum August 2019 war das Leben der alleinerziehenden Mutter Elke D. zum großen Teil in Ordnung. Dann unterstellte ihr das Jugendamt des Kreises Lippe eine psychische Erkrankung und nahm ihr ihr Kind weg. Längst ist die Unterstellung gerichtlich widerlegt. Ihr Kind bekommt sie trotzdem nicht zurück.
Der Fall der Mutter aus Oerlinghausen, wir nennen sie Elke D., wird zunehmend komplexer. Dieser Text ist die zwölfte Veröffentlichung in der Neuen Westfälischen seit November 2021. Elke D. kämpft vor allem gegen das Jugendamt des Kreises Lippe, das ihr das mittlerweile siebenjährige Kind 2019 weggenommen und an den Kindesvater gegeben hat, obwohl gegen ihn Ermittlungen wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauchs dieses Kindes liefen und wieder laufen sowie gegen das Familiengericht Detmold.
Und weil sie sich auch öffentlich wehrt, mittlerweile beschäftigen sich auch das ZDF, der WDR, RTL, der Deutschlandfunk sowie die seit Jahren ehrenamtlich im Kinderschutz engagierte Schauspielerin Rebecca Immanuel mit dem Fall, wird ihr Vorgehen unverhohlen von Seiten der Verwaltung des Kreises Lippe und des Gerichts kritisiert.
Um den Fall übersichtlicher zu machen, sind im Folgenden die Aktionen und Stellungnahmen von Elke D., ihren Rechtsanwälten, dem Jugendamt des Kreises Lippe, der Verwaltung des Kreises Lippe, des Familiengerichts Detmold sowie beteiligten Ärzten und Gutachtern stichpunktartig aufgeführt.
Mehrfach versuchte die Neue Westfälische mit den Verfahrensbeteiligten zu sprechen. Doch dazu waren weder der Landrat des Kreises Lippe als Dienstherr des Kreisjugendamtes, noch der Kindesvater, die den Fall führende Richterin oder die Verfahrensbeiständin bereit.
Kontakt zum Jugendamt
- Das Kind von Elke D. wird Anfang 2015 geboren.
- 2017 und Anfang 2018 kommt es zunehmend zu einer Zerrüttung der Beziehung mit dem Kindesvater (KV).
- Anfang 2018 wendet sich Elke D. erstmals an das Jugendamt des Kreises Lippe, von dem es in Oerlinghausen eine Zweigstelle gibt.
- Im Frühjahr rät eine Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes Elke D., zu ihrer Mutter zu fahren.
- Im April 2018 zieht Elke D. aus dem gemeinsamen Haus aus. Eine Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes ist während des Auszugs dabei und erinnert Elke D.: „Vergessen Sie nicht, ihre Ausweispapiere und die des Kindes mitzunehmen.“
- Elke D. informiert die Mitarbeiterin des Jugendamtes und den Kindesvater, dass sie zunächst bei ihrer Mutter unterkommen wird.
- Der Kindesvater beschwert sich beim Jugendamt des Kreises Lippe, dass er nicht wisse, wo sich sein Kind aufhalte.
- Elke D. bezieht eine Wohnung in Oerlinghausen. Mit dem Kindesvater wird eine Umgangsregelung vereinbart.
- Seit Frühjahr 2018 besucht das Kind von Elke D. eine Kindertagesstätte.
- Im August eskalieren verbale Beleidigungen und Handgreiflichkeiten des Kindesvater gegenüber Elke D.
Das Kind klagt über Schmerzen am Po
- Nach einem schlimmen Vorfall beantragt Elke D. beim Familiengericht Detmold ein Näherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz gegen den Kindesvater. Familienrichterin Koonert gibt diesem Antrag für drei Monate statt. Danach wird der Umgang nochmals geregelt, die Eltern sollten sich nicht mehr begegnen.
- Ende August gibt es am Gartenzaun der Kita ein Gespräch des Kindes mit dem Kindesvater. Um die Unterhaltung zu erleichtern, hatte die Erzieherin das Kind auf den Arm genommen. Als der Kindesvater dem Kind einen Kuss gibt, „verstummt das Kind unmittelbar danach und nässt sich bei erneutem Körperkontakt des Kindesvater auf dem Arm der Erzieherin ein“, sagt die Erzieherin.
- Am 15. November 2018 klagt das Kind von Elke D. nach einem Vaterwochenende zum ersten Mal über Schmerzen am Po. Das Kind berichtet vom Horn eines Drachen, das ihm in den Po gesteckt worden ist. Elke D. stellt das Kind bei einer Kinderärztin vor, um den Grund für die Schmerzen untersuchen zu lassen.
- Die Kinderärztin diagnostiziert körperliche Symptome am Po des Kindes.
- Die Kinderärztin rät Elke D., die ärztliche Beratungsstelle gegen Misshandlung von Kindern in Bielefeld aufzusuchen. Dort wird zu einer ausführlichen Diagnostik geraten.
- Der Kindesvater als Mitinhaber des Sorgerechts und der Gesundheitsfürsorge lehnt eine Diagnostik ab.
- Daraufhin überweist die Kinderärztin das Kind in die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des St. Vincenz-Krankenhauses. Dort wird das Kind vom Chefarzt Friedrich Ebinger und einem Kinderschutzteam, darunter eine Psychotherapeutin, begutachtet. Es werden rote, ins lila gehende körperliche Symptome am Po des Kindes festgestellt.
- Es werden DNA-Proben genommen.
Das familienpsychologische Gutachten
- Am 6. Februar 2019 erhält das Familiengericht Detmold und das Jugendamt des Kreises Lippe eine gutachterliche Stellungnahme von Friedrich Ebinger und dem Kinderschutzteam. Dort wird ein „dringender Verdacht auf akute Kindeswohlgefährdung durch sexuellen Missbrauch in wahrscheinlich mehreren Fällen“ geäußert.
Jugendamt stellt Strafanzeige
- Am Morgen des 7. Februar stellt die Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes Lippe, Anne H. (Name der Redaktion bekannt) eine Strafanzeige gegen den Kindesvater wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Elke D. wird von dieser Anzeige nicht informiert.
- Die Staatsanwaltschaft Detmold beginnt ein Strafverfahren gegen den Kindesvater, das vier Jahre alte Kind wird am 28. Mai von einer Polizistin ohne spezielle Ausbildung vernommen. Es weicht allen Fragen nach dem Verhältnis zum Kindesvater aus.
- Die DNA-Proben aus Paderborn werden nicht ausgewertet. Weitere Zeugen wie Friedrich Ebinger und sein Team, die Erzieherin aus der Kita, Therapeuten und Fachberaterinnen unabhängiger Beratungsstellen werden nicht befragt.
- Am 28. März 2019 wird Johannes Völler, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapeut und Sozialpädagoge, von Richterin Koonert beauftragt, ein Familiengutachten zu erstellen.
- Mit dem Datum 23. Mai 2019 übersendet Völler seinGutachten an das Familiengericht Detmold.
- Am 9. Juli 2019 wird das Verfahren wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch gegen den Kindesvater mangels Beweisen eingestellt. Dabei berief sich die Staatsanwaltschaft Detmold auch auf das familienpsychologische Gutachten von Johannes Völler, das mit dem 23. Mai 2019 datiert ist, aber unter anderem Untersuchungen des Kindes vom 8. Juli 2019 und 12. Juli 2019 beschreibt.
Die Inobhutnahme
- Das Jugendamt des Kreises Lippe erhält das familienpsychologische Gutachten vom Familiengericht am Morgen des 15. August 2019. Mittags entscheidet Sachbearbeiterin Anne H., das Kind von Elke D. in Obhut zu nehmen. Der Grund ist eine im Gutachten unterstellte psychische Erkrankung und Erziehungsunfähigkeit von Elke D.
- Das Kind wird zum Kindesvater gebracht. Elke D. legt noch am gleichen Tag mündlich und am folgenden Tag schriftlich Widerspruch gegen die Inobhutnahme ein.
- Zwischen den Eltern wird eine Umgangsregelung vereinbart. Das Kind besucht regelmäßig seine Mutter Elke D.
- Der renommierte Professor der Psychologie und erfahrene familienpsychologische Gutachter Prof. Uwe Tewes kommt in seiner Stellungnahme vom 25. September 2019 zu einem vernichtenden Urteil über das Völler-Gutachten: „Völlig untauglich und unprofessionell.“
Elke D. ist gesund
- Das Oberlandesgericht Hamm (OLG) erklärt am 24. September 2020, dass Elke D. erziehungsgeeignet sei und nicht an der psychischen Erkrankung, dem Münchhausen-by-Proxy-Syndrom, leide.
- Der Kindesvater meldet das Kind am 2. November 2020 zur Diagnostik bei der Ärztlichen Beratungsstelle gegen Vernachlässigung und Misshandlung in Bielefeld an.
- Vom 16. Februar bis zum 11. Mai 2021 finden zwölf Diagnostiktermine mit dem Kind statt.
- Am 1. Juni 2021 liegt der Bericht der Beratungsstelle vor.
- Die Therapeutin empfiehlt „das Wechselmodell oder alternativ den Lebensmittelpunkt bei der Kindesmutter, um das Kind zu stabilisieren“.
- Das Ergebnis der Diagnostik der unabhängigen Beratungsstelle wird vom Jugendamt des Kreises Lippe nicht anerkannt.
- Im September 2021 findet erneut eine Verhandlung vor dem Detmolder Familiengericht statt. Die Familienrechtlerin Phyllis Kauke, die Elke D. ebenfalls anwaltlich vertritt, stellt den Antrag an Richterin Koonert, den Beschluss des OLG hinsichtlich des Sorgerechts zu überprüfen, und weiterhin, ob das Kind beim Kindesvater bleiben soll. Laut Kauke sagt Richterin Koonert in der Verhandlung: „Wechselmodell? Never ever.“ Das Protokoll dieser Verhandlung besteht nur aus wenigen Zeilen.
- Daraufhin stellt Kauke am 5. November 2021 den ersten Befangenheitsantrag gegen Familienrichterin Koonert. Diesem Antrag folgen weitere. Alle werden abgelehnt.
- Am 29. November 2021 stellt das Verwaltungsgericht Minden fest, dass die Inobhutnahme des Kindes durch Mitarbeiter des Jugendamtes rechtswidrig war.
Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes lügt
- In dem Verfahren wird auch die Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes, Anne H. befragt. Sie lügt vor Gericht, indem sie behauptet, ein Arzt der Paderborner Kinderklinik habe sich in einem Telefonat mit ihr deutlich vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs des Kindes distanziert.
- Gegenüber der Neuen Westfälischen erklärt Friedrich Ebinger, Chefarzt der Kinderklinik, dass weder er noch seine Mitarbeiter in der Sache mit Anne H. telefoniert hätte und dass die Klinik bei ihrer Einschätzung des sexuellen Missbrauchs in wahrscheinlich mehreren Fällen bleibe.
Ermittlungen werden neu aufgenommen
- Ende Dezember 2021 wendet sich Sonja Howard, Mitglied im Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, an das Hilfetelefon des Landeskriminalamtes (LKA) und schildert dort den Fall. Daraufhin nimmt das LKA von Amts wegen die Ermittlungen gegen den Kindesvater wieder auf.
- Die Familienrichterin Koonert am Detmolder Familiengericht erlässt am 12. Januar 2022 den Beschluss, dass Elke D. ihr Kind an den Kindesvater herauszugeben hat. Bei Zuwiderhandlung könne ein Ordnungsgeld bis zu 25.000 Euro oder sechs Monate Ordnungshaft verhängt werden.
- Elke D. ist nicht bereit, ihr Kind an den Kindesvater herauszugeben, gegen den ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch seines Kindes läuft. Sie hält sich seitdem mit ihrem Kind an einem unbekannten Ort auf.
- Anfang April wird Elke D. im Bielefelder Polizeipräsidium vernommen. Es geht um die Ermittlungen gegen den Kindesvater.
- Am 5. Mai wird erneut vor dem Detmolder Familiengericht verhandelt. Unter anderem geht es um die Anhörung des Kindes. Die wäre möglich, wenn der Kindesvater auf die Herausgabe an ihn verzichten würde.
- Dreimal wird der Kindesvater gefragt, ob er durch den Verzicht auf die Herausgabe des Kindes, dessen Anhörung ermöglichen und damit den Lauf des Verfahrens beschleunigen würde.
- Dreimal lehnt der Kindesvater dies ausdrücklich ab.
Treffen im Backshop
- Es wird vereinbart, dass Elke D. mit der Verfahrensbeiständin Hillebrenner, der vom Gericht bestimmten Anwältin des Kindes, einen Termin zu einer Anhörung vereinbaren solle. Wo und wann dieser Termin stattfindet, darüber wurde Stillschweigen vereinbart, sagt Christian Laue, der Anwalt von Elke D.
- Die Verfahrensbeiständin Hillebrenner schlägt vor, das Kind in einem Backshop eines Supermarktes in Lemgo anzuhören. Die Mutter könne derweil ihre Einkäufe erledigen.
- Elke D. lehnt diesen Vorschlag als absurd ab. Der Alternativvorschlag, die Anhörung in einem Childhood-Haus in Düsseldorf vorzunehmen wird von der Verfahrensbeiständin abgelehnt.
- Für den 18. Mai wird eine Anhörung des Kindes vor der Familienrichterin Koonert im Beisein der Verfahrensbeiständin Hillebrenner im Gebäude des Amtsgerichts Detmold angesetzt.
- Am 17. Mai, Elke D. befindet sich gerade auf dem Weg nach Detmold, teilt die Familienrichterin mit, dass sie den Termin der Anhörung dem Jugendamt und dem Kindesvater mitgeteilt habe.
- Daraufhin sagt Rechtsanwalt Laue den Anhörungstermin ab, da ein „Kampf ums Kind“ von Seiten des Kindesvater zu befürchten sei. Gleichzeitig bittet er die Familienrichterin Koonert mehrfach per Telefon und per Fax um einen Rückruf, um die Sache zu besprechen. Richterin Koonert reagiert nicht.
- Das Kind ist bitter enttäuscht, weil es nicht mit der Richterin sprechen kann.
- Das Familiengericht Detmold entzieht am 24. Mai auch dem Kindesvater das Sorgerecht. Es ordnet eine Ergänzungspflegschaft an. Zum Ergänzungspfleger wird das Jugendamt des Kreises Lippe bestimmt.
- Am 9. Juni erlässt die Richterin am Familiengericht Detmold, Richterin Holstein, den Beschluss, dass Elke D. ihr Kind dem Jugendamt des Kreises Lippe zu übergeben hat. Richterin Holstein ermächtigt einen Gerichtsvollzieher, den Beschluss nötigenfalls mit polizeilicher Hilfe durchzusetzen.
- Wiederum wird Elke D. ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 25.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.
- Christian Laue, der Anwalt Elke D.s, beantragt am 17. Juni eine mündliche Verhandlung und eine Neuentscheidung.
- Am 22. Juni wird die Rechtsanwältin Hillebrenner aus Lemgo, die, die das Kind in einem Backshop anhören wollte, erneut zur Verfahrensbeiständin, also zur Anwältin des Kindes, bestimmt.
- Ebenfalls am 22. Juni wird eine erneute Verhandlung für den 5. Juli festgelegt. In dem Termin wird trotz Anwesenheit aller Verfahrensbeteiligten auf Anordnung der Richterin nicht in der Sache verhandelt.
- Nach diesem Termin bestätigt die Familienrichterin Koonert am 8. Juli die einstweilige Anordnung, das Kind von Elke D. sofort Mitarbeitern des Jugendamtes des Kreises Lippe zu übergeben.
- Eine Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes Lippe beantragt am 11. Juli die Festsetzung eines Ordnungsgeldes bis zu 25.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, gegen Elke D.
Strafanträge gegen Richter
- Der Heidelberger Juraprofessor Christian Laue, der Elke D. vertritt, stellt am 14. Juli Strafanträge gegen die Familienrichterinnen Koonert und Holstein wegen Verleumdung und übler Nachrede.
- Nach Ansicht von Laue begründet Richterin Koonert ihren Beschluss vom 8. Juli mit falschen Tatsachenbehauptungen, weshalb sie sich der Verleumdung strafbar gemacht habe.
- Richterin Holstein hat sich nach Ansicht von Christian Laue der üblen Nachrede wegen strafbar gemacht. Sie behaupte, sagt Laue, Elke D. habe ihrem Kind am 18. Mai verboten, vor der Richterin Koonert zu erscheinen und seinen Willen kundzutun. Diese Behauptung sei unwahr und geeignet, Elke d. verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen.
- Ebenfalls am 14. Juli stellt Laue beim Direktor des Amtsgerichts Detmold, Michael Wölfinger, Ablehnungsgesuche gegen die Richterinnen Koonert und Holstein wegen Befangenheit.
- Am 22. Juli verfügt der Senat für Familiensachen am Oberlandesgericht Hamm einen Anhörungstermin am 2. September.
Kommentar: Fehlende Größe
Mitarbeiter des Jugendamtes des Kreises Lippe nehmen ein Kind in Obhut. Das hat bis zu dem Zeitpunkt seinen Lebensmittelpunkt bei der Mutter gehabt. Die Inobhutnahme stellt sich als rechtswidrig heraus.
Also wird doch wieder die ursprüngliche Situation hergestellt: Das Kind kommt zurück zur Mutter, der Kindesvater hat Umgangsrecht – meint man.
Doch das hieße, dass sowohl die Mitarbeiter des Kreisjugendamtes wie auch die Familienrichterin, die die Inobhutnahme hätte anordnen müssen (was sie nicht tat), Fehler hätten sie zum Wohl des Kindes zugeben müssen. Diese Größe haben sie nicht. Dafür wird immer wieder auf eine psychische Erkrankung der Mutter hingewiesen, die längst gerichtlich widerlegt ist. Und als sich dann die Mutter an die Presse wendet, um den Fall öffentlich zu machen, wird auch das zu ihrem Nachteil ausgelegt. Schlimmer geht’s kaum.
Nr. 13: Ein kleiner Hoffnungsfunke für Elke D.
29. September 2022
Das sieben Jahre alte Kind der Mutter aus Oerlinghausen ist angehört worden. Nun heißt es für sie: Warten auf Nachricht vom Oberlandesgericht Hamm.
Dem Kind von Elke D. geht es gut – den Umständen entsprechend. Es treibt Sport, trifft sich mit Freunden und liest – manchmal 90 Seiten am Tag. Und es könnte sein, dass das Oberlandesgericht Hamm (OLG) eine Wendung im Fall des Sorgerechtsstreits (die „NW“ berichtete mehrfach) herbeiführt. Jedenfalls ist Phyllis Kauke, die Anwältin von Elke D. – „ganz vorsichtig optimistisch“. „Es scheint, als ob das OLG den Fall entscheiden und ihn nicht wieder zurück an das Familiengericht nach Detmold geben möchte“, sagt Kauke.
Die Mutter aus Oerlinghausen hält sich seit Januar zusammen mit ihrem Kind an einem unbekannten Ort auf. Zu diesem ungewöhnlich drastischen Schritt entschloss sich Elke D. nach Absprache mit ihren Anwälten, dem Heidelberger Juraprofessor Christian Laue und Phyllis Kauke, weil die Familienrichterin Koonert am Detmolder Amtsgericht den Beschluss verkündet hatte, dass Elke D. ihr Kind dem Kindesvater überlassen sollte. Gegen diesen hatte das Landeskriminalamt von Amts wegen Ende 2021 ein erneutes Ermittlungsverfahren eröffnet. Ihm wird vorgeworfen, sein eigenes Kind sexuell missbraucht zu haben. „Solange dieser Verdacht im Raum steht, werde ich mein Kind nicht dem Kindesvater überlassen“, sagte Elke D. im Gespräch mit der „Neuen Westfälischen“.
Seit drei Jahren streitet sich Elke D. mit dem Jugendamt des Kreises Lippe. Im Verlauf der Trennung vom Kindesvater, mit dem Elke D. nie verheiratet war, und ihres Auszugs aus dem gemeinsamen Haus hatte sie sich an das Jugendamt des Kreises Lippe gewandt und dort um Hilfe gebeten. „So etwas würde ich heute nie wieder machen. Und wenn es unumgänglich ist, nur in Begleitung eines Rechtsbeistandes“, sagt Elke D. heute. Die Mutter, die bereit ist, für das Wohl ihres Kindes auch persönliche Konsequenzen auf sich zu nehmen, hat das Vertrauen zum Jugendamt des Kreises Lippe verloren. Zu viele, für sie „ungeheure Dinge“ sind passiert: Als im Verlaufe ihrer Trennung von der Richterin Koonert am Detmolder Familiengericht ein familienpsychologisches Gutachten angefordert wird, mutmaßt der Gutachter Johannes Völler aus Marsberg darin eine angebliche psychische Erkrankung bei Elke D. Das Gutachten wird später vom renommierten Psychologen und familienpsychologischen Gutachter Prof. Uwe Tewes als „völlig untauglich und unprofessionell“ bezeichnet. Und schon lange ist auch richterlich vom OLG bestätigt worden, dass Elke D. psychisch gesund und erziehungsfähig ist.
Der Kindesvater will sich nicht äußern
Der Kindesvater wollte sich der „Neuen Westfälischen“ gegenüber nicht zur Sache äußern. Eine E-Mail blieb unbeantwortet. Auch die Familienrichterin Koonert und die Verfahrensbeiständin Hillebrenner wollten sich nicht äußern. Axel Lehmann, der Landrat des Kreises Lippe, als Dienstherr des Kreisjugendamtes, ging zwar nicht auf den Wunsch nach einem Gespräch ein, doch der Pressesprecher des Kreises Lippe, Steffen Adams, antwortete auf zwei Fragen der „Neuen Westfälischen“. Die „NW“ wollte wissen, wie Lehmann auf die nachweisliche Lüge einer Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes vor dem Verwaltungsgericht in Minden im November 2021 reagierte und ob es Konsequenzen gab. Darauf antwortet Steffen Adams: „Falschaussagen vor Gericht sind strafrechtlich relevant. Der Kreis Lippe hat jedoch keine Hinweise, dass gegen irgendeinen Mitarbeitenden ermittelt würde oder eine Anzeige wegen Falschaussage vorläge.“ Zum Fall Elke D. dürfe sich der Kreis Lippe nicht äußern, da es sich um ein laufendes Verfahren handele.
Als das Familiengericht das Gutachten zur Stellungnahme an das Jugendamt des Kreises Lippe schickt, trifft die Sachbearbeiterin noch am gleichen Tag die Entscheidung, das Kind in Obhut zu nehmen und dem Kindesvater zuzuführen. Zu Unrecht, wie das Verwaltungsgericht Minden im Herbst 2021 feststellt. Die Inobhutnahme war rechtswidrig. Und es ist nicht das erste Mal, dass das Jugendamt des Kreises Lippe in der Kritik steht. Involviert war es auch in den Fall Lügde, bei dem Pädophile auf einem Campingplatz in Lügde (Kreis Lippe) hundertfach pornographische Aufnahmen von Kindern gemacht haben. Ebenfalls involviert war das Kreisjugendamt in den Fall einer Mutter aus dem Kalletal, die ihre zur Tatzeit drei-, sechs- und achtjährigen Kinder sexuell missbraucht, Fotos davon angefertigt und verschickt hat. Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes des Kreises Lippe berichtete in der Gerichtsverhandlung, dass die Angeklagte Hilfe bei alltäglichen Dingen benötigt habe. Die Betreuung sei im Sommer 2020 erfolgreich beendet worden. Die Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes habe keine Hinweise auf sexualisierte Gewalt festgestellt.
Der sexuelle Missbrauch soll jedoch auch stattgefunden haben, während die Frau von Mitarbeitern des Jugendamtes des Kreises Lippe betreut worden war. Der jüngste Fall in dem die Kreisverwaltung Lippe im Zusammenhang mit Kinderpornographie genannt wird, handelt von einer mittleren Führungskraft aus dem IT-Bereich der Kreisverwaltung Lippe („NW“ berichtete). Dem Mann wird die Sammlung und Verbreitung kinderpornographischen Materials vorgeworfen. Gegen ihn wird ermittelt. Wie Landrat Axel Lehmann während einer Pressekonferenz einräumte, habe der Mann Zugriff auf die Originalakten des Lügde-Falls gehabt.
Die „NW“ wollte deshalb wissen, ob Konsequenzen aus der wiederholten Kritik an der Arbeit des Kreisjugendamtes gezogen worden wären. Adams: „Der Kreis Lippe sieht sich in der ständigen Verantwortung und Pflicht, die Qualität des Kinderschutzes kontinuierlich weiterzuentwickeln. In den vergangenen knapp vier Jahren seit Lügde hat der Kreis Lippe zahlreiche Maßnahmen ergriffen und Qualitätsstandards weiterentwickelt, um den Kinderschutz in Lippe die höchste Priorität einzuräumen. Dies immer in engem Austausch mit dem Landesjugendamt. Gegenwärtig entwickeln und implementieren wir als mutmaßlich erster Kreis in Deutschland ein institutionelles Schutzkonzept. Hier spielen insbesondere die Dynamiken in Kinderschutzfällen, eine konsequente Risikoanalyse und eine Ursachen-Wirkungsanalyse für die Maßnahmenplanung eine herausgehobene Rolle. Wir begreifen uns als lernende Behörde.“
Um eine Entscheidung über das Sorgerecht für ein Kind fällen zu können, muss das Kind angehört werden. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. Vorangegangen sein muss auch ein Gespräch des Kindes mit der Verfahrensbeiständin. Die Verfahrensbeiständin, im Fall des Kindes von Elke D. ist es die Rechtsanwältin Hillebrenner aus Lemgo, wird einem Kind vom Gericht vorgegeben. Die freie Anwaltswahl, die in Deutschland herrscht, gilt nicht für Kinder. Nach zwei geplatzten Anhörungsterminen entschied das Familiengericht ohne Anhörung des Kindes, entzog dem Kindesvater ebenfalls das Sorgerecht und ordnete eine Ergänzungspflegschaft an. Zum Ergänzungspfleger wird das Jugendamt des Kreises Lippe bestimmt. Das Jugendamt, dass das Kind widerrechtlich in Obhut genommen hatte.
War der Fall bis dato von Familienrichterin Koonert alleine bearbeitet worden, tritt in Hamm beim OLG der Familiensenat, bestehend aus drei Richtern, an. Dort wurde beschlossen, dass das Kind zunächst von der Verfahrensbeiständin angehört werden müsse – dieses Mal war es möglich, dass die Verfahrensbeteiligten, Jugendamt und Kindesvater nicht über den Termin informiert werden. Das ist jetzt geschehen. Elke D. ist mit ihrem Kind zur Anhörung nach Detmold gefahren. Im „Spielzimmer“ des Amtsgerichts, das über eine kinderfreundliche Einrichtung verfügt, sprach das Kind mit der Verfahrensbeiständin. Seiner Mutter erzählte das Kind im Anschluss an das Gespräch, dass es der Verfahrensbeiständin Hillebrenner mehrfach gesagt habe, dass es bei der Mutter leben möchte. So jedenfalls gab Elke D. die Quintessenz des Gesprächs wieder. „Meinem Kind hat das Gespräch gefallen. Es war froh, der Verfahrensbeiständin seine eigene Meinung sagen zu können, und möchte das auch vor dem Familiensenat machen.“
Die Verfahrensbeiständin schreibt nun ihren Bericht und übersendet ihn an das OLG. Dann wird der Familiensenat das Kind anhören, um sich ein eigenes Bild machen und dann eine Entscheidung treffen zu können. Elke D. kann im Moment nur abwarten – und sich vorsichtigen Optimismus für ihr Kind erlauben.
Nr. 14: Elke D. kehrt nach Oerlinghausen zurück
2. Dezember 2022
Das Oberlandesgericht Hamm hat im Fall der Oerlinghauser Mutter eine Entscheidung getroffen. Ihr Kind besucht wieder die Schule und hat sich gut in die Klassengemeinschaft eingefügt. Die schulischen Leistungen des sieben Jahre alten Kindes sind gut.
Elke D. wohnt wieder mit ihrem Kind in Oerlinghausen. Das hat der Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm möglich gemacht. Auch im Ermittlungsverfahren gegen den Kindesvater, der des sexuellen Missbrauchs seines Kindes verdächtigt wird, gibt es Neuigkeiten. Und es gibt Menschen, die Elke D. und ihr Kind über Wochen beherbergt haben und nun berichten, wie sie die beiden erlebt haben.
Zehn Monate ist Elke D. nicht in ihrem Zuhause in Oerlinghausen gewesen. Zehn Monate, in denen sie mit ihrem mittlerweile sieben Jahre alten Kind von Unterschlupf zu Unterschlupf gezogen ist. Auf der Flucht vor dem Vater ihres Kindes, gegen den das Landeskriminalamt NRW Anfang des Jahres nach einem Hinweis von sich aus ein erneutes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch des eigenen Kindes eingeleitet hat (NW berichtete mehrfach). Auf der Flucht war sie auch vor dem Jugendamt des Kreises Lippe, dessen Mitarbeiter ihr schon einmal, im August 2019, das Kind rechtswidrig weggenommen haben.
Zehn Monate auch, in denen Elke D. dafür sorgte, dass ihr Kind den schulischen Anschluss nicht verpasst und trotz der Ausnahmesituation Spielkameraden im gleichen Alter fand. Oft hatte sie Unterstützung in den Familien, die sie aufgenommen hatten. Ein Mann spielte mit dem Kind Volleyball, bot dem sechs Jahre alten Kind die Möglichkeit, Aggressionen loszuwerden. Das war zu Beginn des „Exils“, wie Elke D. die Zeit ihres Untertauchens nennt. Dieser Mann berichtete der Neuen Westfälischen auch, dass das Kind einige Zeit gebraucht habe, bis es ihm vertraute.
Mit dem Beschluss des OLG sind zahlreiche Auflagen verbunden, die die Mutter „als sehr belastend empfindet“. So hat sie weder das Sorgerecht noch die Gesundheitsfürsorge und auch nicht das Umgangsrecht. Das hat die vom Familiengericht Detmold eingesetzte Ergänzungspflegerin Pia Baldischwyler, die das Kind noch nicht kennengelernt hat, und die dafür sorgen soll, dass es dem Kind gut geht. Auf Anfrage erklärte Steffen Adams, Pressesprecher des Kreises Lippe, dass ein persönlicher Kontakt für die Ergänzungspflegschaft wichtig sei, um dem Kindeswohl optimal gerecht werden zu können. Sollte der Aufenthaltsort unbekannt sein, sei das Familiengericht umgehend zu informieren.
„Es war ein seltsames Gefühl, die Wohnung nach einer so langen Zeit wieder zu betreten“, sagt Elke D. Ihr Kind hatte offenbar weniger Probleme. Obwohl das Kind gern mit dem „Mann von der Zeitung“, den es bereits mehrere Male gesehen hat, sprechen wollte, ist das nicht möglich. Die Ergänzungspflegerin hat jeglichen Kontakt mit der Presse untersagt – das Kind wurde dazu nicht befragt. Also erzählt Elke D., wie das Kind bei der Rückkehr sofort ins Kinderzimmer gelaufen ist und begonnen hat zu spielen. Auch die beiden Katzen wurden heftig geknuddelt.
Für die beiden heißt es nun: Abwarten, bis ein Termin für die Verhandlung vergeben wird, in dem über den zukünftigen Lebensmittelpunkt des Kindes entschieden wird. Das jedoch kann sich nach Auskunft von Christian Laue und Phyllis Kauke, den Anwälten Elke Ds., noch bis Mitte nächsten Jahres hinziehen.
Im Fokus dieses komplexen Falls, den die Neue Westfälische seit einem Jahr begleitet, steht auch ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch des eigenen Kindes gegen den Kindesvater.
Ein solches Ermittlungsverfahren gab es bereits 2019. Damals hat eine Mitarbeiterin des Jugendamtes den Kindesvater angezeigt, nachdem sie von Friedrich Ebinger, Chefarzt der Kinderklinik St. Vincenz, eine gutachterliche Stellungnahme erhalten hatte, in dem von einem „dringenden Verdacht auf akute Kindeswohlgefährdung durch sexuellen Missbrauch in wahrscheinlich mehreren Fällen“ berichtet wurde. Auch DNA-Proben beim Kind wurden genommen. Das Ermittlungsverfahren wurde geleitet von der Detmolder Staatsanwältin Helena Werpup. Im Zuge der Ermittlungen wurde am 20. Februar 2019 die Kindesmutter und am 28. Mai 2019 das damals vier Jahre Kind von einer Polizistin vernommen. Am 4. April wies die Staatsanwaltschaft Detmold die Kreispolizeibehörde Lippe an, die in Paderborn gesicherten Spuren „rechtsmedizinisch untersuchen zu lassen“. Das jedoch wurde nicht gemacht. Das Ermittlungsverfahren wurde am 9. Juli 2019 mangels Beweisen eingestellt. Auf Anfrage erklärte Alexander Görlitz, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Detmold: „Die Einstellung . . . war das Ergebnis einer Gesamtwürdigung sämtlicher zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Beweismittel.“
Es wurde weder mit dem Chefarzt Friedrich Ebinger, noch mit seinen drei Mitarbeitern gesprochen, die die gutachterliche Stellungnahme ebenfalls unterschrieben hatten. Auch die Erzieherinnen der Kita, die das Kind besuchte, wurden nicht zum Gespräch gebeten. Allerdings bezieht sich die Staatsanwaltschaft auf ein familienpsychologisches Gutachten, das auf den 23. Mai 2019 datiert ist, dem Familiengericht jedoch erst Anfang August 2019 zur Kenntnis gegeben wurde.
»Ermittlungen widersprachen kriminalistischen Gepflogenheiten«
Rechtsanwalt Christian Laue, der als Professor am Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg, viel Erfahrung in Strafsachen hat, kritisiert: „Üblich bei Ermittlungen in einem solchen Fall ist, dass bei dem Verdächtigen eine Hausdurchsuchung gemacht wird. Damit soll verhindert werden, dass etwaige Beweisstücke vernichtet werden. Dass solch eine Durchsuchung nicht gemacht wurde, widerspricht allen kriminalistischen Gepflogenheiten.“ Ebenfalls für falsch hält er die Entscheidung, die DNA-Proben kurzzeitig nach Abschluss der Ermittlungen vernichtet zu haben. Er verweist darauf, dass Missbrauch in der Kindheit den Opfern erst später bewusst werde. Deshalb beginne die Verjährungsfrist erst mit dem 30. Geburtstag der Opfer. In den Richtlinien zur Beweissicherung steht: In Verfahren gegen unbekannte Täter sind Gegenstände, die für Zwecke des Strafverfahrens noch benötigt werden, in der Regel bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung aufzubewahren. Das bestätigt auch Pressesprecher Görlitz, schränkt aber ein: „Das . . . Verfahren richtete sich jedoch nicht gegen Unbekannt.“
Das Landeskriminalamt NRW sieht den Fall anders. Sonja Howard, Mitglied im Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, wandte sich in ihrer Funktion als Kinderschutzexpertin an das LKA. Sie berichtet, als sie den Fall schilderte, war die erste Reaktion am Telefon: „Da wurde ja quasi gar nicht ermittelt. Wir werden dieses Verfahren sofort von Amts wegen neu einleiten.“
Doch mehr als neun Monate lang geschah kaum etwas. Erst jetzt, nach einem Wechsel des Ermittlers, sollen Zeugen, unter anderen auch Sonja Howard, vorgeladen werden.
Auch dieses neu eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen desselben Verdachts gegen denselben Verdächtigen wie 2019 wird wieder von der Staatsanwältin Helena Werpup geleitet. Ermittelnde Behörde ist dieses Mal jedoch die Polizei Bielefeld, nicht mehr die Kreispolizei Lippe.
Bemerkenswert im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren, das noch nicht abgeschlossen ist, ist ein Satz in der Beschlussbegründung des OLG Hamm: „Für eine Gefährdung durch sexuellen Missbrauch seitens des Vaters bestehen keine zureichenden Anhaltspunkte.“ „Das ist eine Anmaßung“, kritisiert Rechtsanwältin Phyllis Kauke. Und eine Seite weiter steht zu lesen: „Die in 2018/2019 bekanntgewordenen Tatsachen begründen derzeit keinen stichhaltigen Verdacht gegen den Vater.“ Dazu wieder Kauke: „So kann der Familiensenat nicht argumentieren.“
Zudem stellt das OLG fest: Die Mutter sei nicht in der Lage, ihre eigenen Interessen dem Wohl des Kindes unterzuordnen. Ihr Handeln wirke sich in vielerlei Hinsicht negativ auf das Kindeswohl aus. Das Einnässen sei ein Hinweis für die psychische Belastung des Kindes, es sei emotional nicht gesund. Der Familiensenat erwähnt jedoch nicht, dass es ausschließlich im Zusammenhang mit dem Kindesvater zum Einnässen kommt, wie mehrere Personen gegenüber der Neuen Westfälischen sagten. Bernhard Kuchler, Pressesprecher des OLG Hamm sagte auf Anfrage: „Der Senat hat ausgeführt, dass das Kind mit der Angst vor Entdeckung lebe, Ängste sowie Misstrauen gegenüber dem Vater, den Behörden und den Gerichten habe und sich von feindlichen Absichten umzingelt sehe.“
Die NW hat mit Personen gesprochen, die Elke D. während ihres Exils Unterschlupf boten. Sie vermitteln ein anderes Bild der Mutter als das, was vom Kreisjugendamt und dem Senat gezeichnet wird. Übereinstimmend sprachen sie von einem interessierten, aufgeweckten Kind, das offen auf sozialen Kontakte reagiert. Mehrfach hat das Kind den Wunsch geäußert, mit einem Richter sprechen zu wollen, was jedoch durch das Verhalten der Detmolder Familienrichterin verhindert wurde (NW berichtete).
Die Beziehung von Elke D. zu ihrem Kind erlebten sie als fürsorglich, zugewandt, empathisch, reflektiert und liebevoll, ohne das Kind zu überbehüten. „Ich habe die beiden als eine normale alleinstehende berufstätige Mutter mit Kind erlebt“, sagte jemand.
Der Kindesvater reagierte nicht auf Anfragen der NW.
Nr. 15: Gute Nachricht für Elke D.
27. Januar 2023
Die Oerlinghauser Mutter bekommt Hilfe von unerwarteter Seite. Einen Beschluss des Oberlandesgerichts halten ihre Rechtsanwälte für außergewöhnlich.
Solch ein Weihnachtsgeschenk macht froh. Kurz vor dem Fest erhielt die Oerlinghauser Mutter Elke D., die seit Jahren gegen das Jugendamt des Kreises Lippe um ihr Kind kämpft (NW berichtete mehrfach) von ihrer Rechtsschutzversicherung die Information, dass die Versicherung Gerichts- und Anwaltskosten bis zu einem Streitwert in beträchtlicher Höhe übernimmt. „Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet“, sagt Elke D., als sie die Neue Westfälische vor kurzem darüber informierte.
Zu verdanken hat sie diese Unterstützung der Beharrlichkeit der Rechtsanwältin Marita Korn-Bergmann aus Aschaffenburg. Sie hat Elke D. in dem Prozess vor dem Verwaltungsgericht in Minden vertreten, in dem die Richter im November 2021 feststellten, dass Mitarbeiter des Jugendamtes des Kreises Lippe das Kind von Elke D. am 15. August 2019 widerrechtlich der Mutter wegnahmen.
Für Elke D. sind die Vorgänge in der Behörde „rein willkürliche und nicht am Kindeswohl orientierte Handlungen des Kreisjugendamtes“. Dagegen wehrt sich die Mutter auf dem Rechtsweg. Sie geht juristisch gegen das Jugendamt und gegen Entscheidungen des Familiengerichts Detmold vor. „Solch eine Entscheidung ist nicht nur mutig“, wie Sonja Howard, Mitglied im Betroffenenrat der Bundesregierung gegen sexuellen Missbrauch von Kindern, sagt, „sie ist auch mit finanziellen Belastungen verbunden.“
Alle Vorgänge sind penibel dokumentiert
Der Vorteil, den Elke D. auf ihrer Seite hat, ist die lückenlose Dokumentation aller Akten, auf die sie und ihre Anwälte, der Heidelberger Juraprofessor Christian Laue, Anwalt für strafrechtliche Sachen, die Münsteraner Familienrechtlerin Phyllis Kauke und Marita Korn-Bergmann, Fachanwältin für Familienrecht aus Aschaffenburg, Zugriff haben. Das Jugendamt des Kreises Lippe hat der Oerlinghauser Mutter bisher allerdings trotz Anfrage der Anwälte nur einen Teil der Akten ihres Falles zur Verfügung gestellt. Auf Nachfrage der Neuen Westfälischen erklärte Ulrike Glathe, Leiterin des Kreisjugendamtes, dass das Jugendamt den Betroffenen die Akten zur Verfügung stellen würde, wenn ein berechtigtes Interesse vorliege.
Zum speziellen Fall der Elke D. äußern sich gegenüber der Neuen Westfälischen trotz mehrfacher Nachfrage weder die Leiterin des Kreisjugendamtes, Ulrike Glathe, noch der Verwaltungsvorstand Olaf Peterschröder. Auch der Dienstvorgesetzte, Landrat Axel Lehmann, lässt über seinen Pressesprecher Steffen Adams mitteilen: „Ein Gesprächsangebot mit dem Landrat wird es nicht geben.“ Jede Frage wird mit dem Hinweis auf das laufende Verfahren und den Datenschutz blockiert.
Die im Oktober 2022 getroffene Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm, das Kind bis zur Hauptverhandlung bei seiner Mutter wohnen zu lassen, bezeichnen die Anwälte Elke D.s als außergewöhnlich. Ebenso die Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung. Solch eine Zusage werde nur nach positiver interner Prüfung der Erfolgsaussichten erteilt, sagt Rechtsanwaltin Marita Korn-Bergmann. Sie strengt jetzt eine Schadenersatzklage gegen das Jugendamt des Kreises Lippe an. Ein Mahnbescheid gegen das Jugendamt wurde bereits erlassen. Das Jugendamt hat hiergegen Widerspruch eingelegt, so dass das Verfahren vor dem Landgericht in Detmold fortgeführt wird.
Die Klageforderung wird gestützt auf eine Vielzahl von Amtspflichtverletzungen durch Mitarbeiter des Jugendamtes des Kreises Lippe. Geltend gemacht werden materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche, unter anderem wegen rechtswidriger Inobhutnahme, Nichteinhaltung fachlicher Standards bei der Mitwirkungspflicht an Familiengerichten sowie unrechtmäßigen Eingriffen in laufende Familienverfahren. Das zuständige Gericht ist das Landgericht in Detmold. Im gleichen Haus, in dem sich auch das Amtsgericht befindet, wo die nach Ansicht von Christian Laue und Phyllis Kauke unverständlichen Entscheidung gegen Elke D. gefällt worden sind.
Gegen die Familienrichterin Koonert, die den Fall der Elke D. beim Familiengericht, einer Abteilung des Amtsgerichts Detmold, bearbeitet, hat Rechtsanwalt Laue einen Befangenheitsantrag gestellt. Eine Entscheidung darüber steht noch aus.
Nr. 16: Jugendamt empfiehlt Elke D. einen umstrittenen Film
15. Juni 2023
Die Oerlinghauser Mutter Elke D. darf nach einem Gerichtsbeschluss mit ihrem Kind in der Bergstadt wohnen, ohne vom Kindesvater behelligt zu werden. Unschöne Dinge gibt es trotzdem. Das Jugendamt des Kreises Lippe erschwert eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, sagt eine Anwältin.
Elke D. fühlt sich unfrei. Die Oerlinghauser Mutter, die seit Jahren gegen das Jugendamt des Kreises Lippe um ihr Kind kämpft, muss immer wieder Respektlosigkeiten und Schikanen von Mitarbeitern des Jugendamtes des Kreises Lippe aushalten. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hatte im Herbst 2022 beschlossen, dass ihr Kind bei Elke D. bleiben darf. Das Jugendamt des Kreises Lippe soll keinen Zugriff bekommen – wohl aber Teile des Sorgerechts wie insbesondere die Gesundheitsfürsorge. Und Elke D. muss ständig für das Kreisjugendamt erreichbar sein. Dieses Jugendamt stellt die Ergänzungspflegerin, die sicherstellen soll, dass das Kindeswohl durch den Aufenthalt bei der Mutter nicht gefährdet ist.
Elke D. erklärt sich mit allem einverstanden. Für sie ist nur wichtig, dass das Kind den Lebensmittelpunkt bei ihr hat und sie zumindest die Aktivitäten des Kindes mitbestimmen darf. Doch die Ergänzungspflegerin des Kreisjugendamtes sieht den Beschluss des OLG offensichtlich als Einbahnstraße: Anfang des Jahres erkrankt sie. Elke D. wird weder darüber informiert, noch wird eine Vertreterin benannt. Die Krankheit erstreckt sich über beinahe zwei Monate. Auch ihre Anwältin Phyllis Kauke versucht, Kontakt zur Ergänzungspflegerin zu bekommen – per Mail, per Fax, per Telefon. Mehrfach springt die Mailbox an, auf der sie Nachrichten hinterlässt. Irgendwann erreicht sie unter der Nummer der Ergänzungspflegerin tatsächlich eine andere Mitarbeiterin des Jugendamtes des Kreises Lippe. Doch die weiß keine Einzelheiten über den Fall Elke D. Sie sagt der Anwältin, dass die Mailbox nicht richtig funktioniere. „Mich verwundert es nicht, dass das Jugendamt nicht erreichbar ist“, sagt Kauke im Gespräch mit der NW.
Die Pressestelle des Kreises stellt die Situation anders dar. Auf eine entsprechende Anfrage antwortete Patrick Bockwinkel, Pressesprecher des Kreises Lippe: „Eine Vertretung der erkrankten Mitarbeiterin ist benannt und unmittelbar tätig geworden und war sowohl telefonisch als auch per Mail erreichbar.“ Die Telefonanlage des Kreises sei auf einem modernen Stand. Funktionsstörungen der Anrufbeantworter seien nicht bekannt. Es sei kein Fall bekannt, in dem Mailboxnachrichten nicht abrufbar gewesen wären, obwohl diese aufgesprochen worden sein sollen.
Die Frage der NW nach einem Gespräch mit dem Landrat wurde nicht beantwortet. Auch der Kindesvater antwortete nicht auf eine Gesprächsanfrage.
„Warum erklärt sich das Jugendamt nicht für befangen?“
Die Ergänzungspflegerin, die sich regelmäßig davon überzeugen soll, dass das Kindeswohl in der mütterlichen Wohnung nicht gefährdet ist, war zuletzt am 29. März zu Besuch. Dieser Besuch eskalierte nach Aussage von Elke D., weil die Ergänzungspflegerin die Anwältin Phyllis Kauke in Anwesenheit des Kindes provozierte. „Mein Kind wurde durch die Situation sehr belastet. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Ergänzungspflegerin ist für mich nicht mehr vorstellbar“, sagt Elke D.
Noch mehr irritiert sie, als sie von der Ergänzungspflegerin per E-Mail den Rat bekommt, sich den Film „Weil du mir gehörst“, anzusehen. Der Film handelt von einer hochmanipulativen Mutter, die alles versucht, um ihre Tochter dem Vater zu entfremden. Der Film wird von Väterrechtlern gelobt, weil er die Interpretation ermöglicht, dass Mütter grundsätzlich manipulativ handeln. Jürgen Rudolph, ein Anwalt aus der Väterrechtsszene wird im Abspann als Berater genannt. Der Film spiegelt die PAS-Theorie (Parental Alienation Syndrom), das Elterliche Entfremdungssyndrom. Diese, von Experten mittlerweile als pseudowissenschaftliche Theorie bezeichnet, wurde 1985 vom amerikanischen Kinderpsychiater Richard Gardner aufgestellt. Sie behandelt die Situation eines Kindes dergestalt, dass ein Elternteil durch Worte und Taten das Kind so manipuliert, dass es den anderen Elternteil ablehnt.
Zu sexuellen Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern vertrat Gardner 1991 die Auffassung, dass „innerfamiliäre Pädophilie (Inzest) weit verbreitet und . . . wohl eine alte Tradition“ sei. 1998 wird Gardner zitiert in Treating Abuse Today, 8 Nr. 1, Denver: „Das sexuell missbrauchte Kind werde allgemein als Opfer betrachtet, obwohl das Kind die sexuelle Handlung initiiert haben könnte. Ob die Erfahrung traumatisch ist, sei eine soziale Einstellung. Sexuell missbrauchten Kindern könne geholfen werden, wenn sie lernten, dass sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern nicht allgemein als verwerflich betrachtet werden. Für die Therapie der Mütter empfahl er, sie solle ihre Wut auf den Ehemann entschärfen und sexuell wieder mehr ansprechbar für ihn werden. Dem pädophilen Vater könne in der Therapie geholfen werden, wenn er rationalisiere, dass Pädophilie eine weltweit verbreitete und akzeptierte Praxis sei, und es nichts gebe, wofür man sich schuldig fühlen müsse.“
Gardners Theorie darf in vielen Ländern nicht mehr als Beweismittel vor Gericht herangezogen werden. Doch das Elterliche Entfremdungssyndrom wurde und wird in deutschen Jugendämtern weiterhin gelehrt und angewendet.
Rechtsanwältin Phyllis Kauke sagt im Gespräch mit der NW deutlich: „Die Ergänzungspflegerin hat Elke D. den Film „Weil du mir gehörst“ empfohlen. Ich muss deshalb davon ausgehen, dass sie meiner Mandantin gegenüber einen Manipulationsvorwurf erhebt. Andererseits hat sie bei ihrem letzten Besuch am 29. März gesagt, dass es dem Kind bei Elke D. gut gehe und alles super sei.“ Weiterhin fragt sie sich, weshalb das Kreisjugendamt sich nicht längst selbst für befangen erklärt hat. „Es läuft wegen der rechtswidrigen Inobhutnahme des Kindes eine Schadenersatzklage gegen das Kreisjugendamt. Da kann mir doch niemand erzählen, dass das keine Auswirkungen auf das Verhalten der Jugendamtsmitarbeiter gegenüber Elke D. hat.“
Die Neue Westfälische begleitet Elke D. seit November 2021. In dieser Zeit werden zahlreiche Missstände der Behörden offenbar: Mitarbeiter des Jugendamtes des Kreises Lippe verbreiteten, dass Elke D. an einer psychischen Erkrankung, dem Münchhausen-by-proxy-Syndrom, leide, was nachweislich und vom Oberlandesgericht (OLG) Hamm bestätigt, nicht der Fall ist oder war. Trotzdem nehmen sie Elke D.s Kind in Obhut – rechtswidrig, wie das Verwaltungsgericht Minden feststellt. In dieser Verhandlung belügt eine Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes das Gericht. Der Lebensmittelpunkt des Kindes lag damals laut Beschluss der Detmolder Familienrichterin Koonert beim Kindesvater, wohin es von Mitarbeitern des Jugendamtes nach der rechtswidrigen Inobhutnahme gebracht wurde und sollte dort auch bleiben, wenn Elke D. sich nicht gewehrt und alles versucht hätte, ihr Kind zu schützen.
Noch im Februar 2019 hatte eben diese Jugendamtsmitarbeiterin Anzeige gegen den Kindesvater wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch des eigenen Kindes gestellt. Diese Anzeige wurde gestellt, nachdem ein Kinderschutzteam der Paderborner Kinderklinik in einer gutachterlichen Stellungnahme den „sexuellen Missbrauch in wahrscheinlich mehreren Fällen“, festgestellt hat. Nach kurzer Zeit werden die Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft Detmold mangels Beweisen eingestellt. Zeugen wurden nicht vernommen, lediglich das Kind musste gegenüber einer nicht speziell für Kinderbefragungen ausgebildeten Polizistin aussagen. Die in der Kinderklinik sichergestellten DNA-Proben werden von dort zwar von Mitarbeitern der Kreispolizeibehörde Lippe abgeholt, dann aber ohne eine gerichtsmedizinische Beurteilung vernichtet. Ein „eklatanter Fehler der Staatsanwaltschaft“, wie Rechtsanwältin Stefanie Höke in einem Gespräch mit der NW sagt (siehe das Interview weiter unten).
Einschätzung einer Unbeteiligten
- Der Fall der Oerlinghauser Mutter Elke D. ist komplex. Die Neue Westfälische begleitet Elke D. seit November 2021 in ihrem Kampf gegen das Kreisjugendamt Lippe, das ihr zeitweise ihr Kind wegnehmen und in einem Heim unterbringen wollte. Vieles in diesem Fall spielt sich im juristischen Bereich ab. Die Neue Westfälische wollte wissen, wie der Fall der Elke D. von einer Juristin eingeschätzt wird, die nicht in die Verfahren involviert ist und keine Interessen vertritt.
- Die Rechtsanwältin Stefanie Höke aus Verl, die Opfer im Bethel-Prozess vertritt, hat sich dazu bereit erklärt.
- Da bei den bisher 15 Veröffentlichungen zu dem Thema weder die Staatsanwaltschaft, noch das Familiengericht, noch das Kreisjugendamt oder der Landrat des Kreises Lippe die wiederholt angebotene Möglichkeit nutzten, der Neuen Westfälischen ihre Sicht der Dinge zu schildern, beziehen sich die genannten Fakten auf die Korrespondenz, Akten und die Beschlüsse zu dem Fall, die der Neuen Westfälischen komplett vorliegen.
- Und da es bei keiner der bisherigen Veröffentlichungen dazu gekommen ist, dass irgendetwas in der Berichterstattung richtiggestellt werden musste, ist davon auszugehen, dass die Berichterstattung korrekt ist.
- Die Kenntnisse, die die Rechtsanwältin Stefanie Höke über den Fall gewonnen hat, stammen alle aus der Lektüre der Zeitungsberichte in der Neuen Westfälischen.
Interview: „Bei der Staatsanwaltschaft sind eklatante Fehler passiert“
Als nicht involvierte Juristin beantwortet Rechtsanwältin Stefanie Höke einige juristische Fragen des Falles von Elke D., der Oerlinghauser Mutter, die um ihr Kind kämpft.
Die Staatsanwaltschaft Detmold steht im Fall der Oerlinghauser Mutter Elke D. in der Kritik. Am 7. Februar 2019 erstattet eine Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes Lippe Strafanzeige gegen den Vater des Kindes von Elke D. Der Vorwurf: Er soll sein Kind in „wahrscheinlich mehreren Fällen sexuell missbraucht“ haben. Das äußert ein Kinderschutzteam der Kinderklinik Paderborn. Die Staatsanwaltschaft Detmold beginnt ein Ermittlungsverfahren. Das wird am 9. Juli mangels Beweisen eingestellt. Vorhandene DNA-Proben wurden nicht ausgewertet und kurz nach Einstellung des Verfahrens vernichtet. Die Staatsanwaltschaft bezog sich dabei auch auf ein familienpsychologisches Gutachten.
Stefanie Höke: Die Einstellung erfolgte, ohne dass das Gutachten der Staatsanwaltschaft vorlag?
Ja, das Gutachten, das auf den 23. Mai 2019 datiert ist, wurde dem Jugendamt des Kreises Lippe und dem Familiengericht in Detmold erst am 15. August 2019 übermittelt. Wie kann sich die Staatsanwaltschaft auf das Gutachten beziehen?
Wenn sich die Staatsanwaltschaft auf das abschließende familienpsychologische Gutachten stützt, dann hätte es vorliegen müssen. Bei der Staatsanwaltschaft sind eklatante Fehler passiert. Die Staatsanwaltschaft hat die Aufgabe, sämtliche be- und entlastenden Beweise zu überprüfen. Es gab jedoch DNA-Spuren, denen man nicht nachgegangen ist. Wenn der Staatsanwaltschaft solche Beweise vorliegen, muss denen auch nachgegangen werden. Es tut sich der Eindruck auf, als ob die Staatsanwaltschaft ergebnisorientiert gearbeitet hat, ohne die vorliegenden Beweise zu prüfen. Das Verfahren hätte gar nicht eingestellt werden dürfen, bevor die DNA-Proben ausgewertet worden sind. Selbst wenn das abschließende Gutachten vorgelegen hätte, hätte die Staatsanwaltschaft auf die Auswertung der DNA-Proben, der eigentlich wichtigsten Beweismittel, warten müssen, bevor sie über den Ausgang des Verfahrens entscheidet.
Die DNA-Proben wurden nicht nur nicht ausgewertet, sie wurden auch nach Einstellung des Verfahrens vernichtet. Wie kann das sein?
Dass die DNA-Proben so schnell nach Einstellung der Ermittlungen vernichtet wurden, ist meines Erachtens falsch, denn es gibt die Beschwerdemöglichkeit, wenn das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde. Damit wurden sämtliche Rechtsmittel abgeschnitten. Ein ganz eklatanter Fehler der Staatsanwaltschaft.
Gibt es andere Konsequenzen?
Ja, es wurden nicht nur jetzt die Rechtsmittel abgeschnitten, sondern auch die für das Kind, das später noch einmal tätig werden könnte. Die Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch an Kindern beginnt erst, wenn die Opfer das 30. Lebensjahr erreicht haben. Auch deshalb hätten die DNA-Proben zweifelsohne aufbewahrt werden müssen. Diese Fehler passieren jedoch häufiger. Da wird standardisiert vorgegangen und gar nicht drauf geschaut, ob es eine Verjährungsfrist gibt, die erst mit dem 30. Lebensjahr des Opfers beginnt.
Anfang 2022 wurden die Ermittlungen von Amts wegen erneut aufgenommen – und derselben Staatsanwaltschaft übertragen, deren Fehler Sie eben geschildert haben. Zwar hat die Ermittlungen zunächst eine andere Staatsanwältin geführt, die wurde jedoch nach kurzer Zeit von dem Fall abgezogen, und seitdem führt die Staatsanwältin, die schon das zu untersuchende Ermittlungsverfahren geleitet hat, das erneute Ermittlungsverfahren. Wie kann das sein? Sollte man nicht annehmen, dass die Staatsanwaltschaft befangen ist?
Das geht überhaupt nicht. Auch wegen des öffentlichen Drucks, der glücklicherweise geherrscht hat, hätte das neue Ermittlungsverfahren eine andere Staatsanwaltschaft übernehmen müssen. Ich will niemandem etwas unterstellen, aber ich halte es für sehr schwierig, die Arbeit einer Kollegin, die vielleicht im Nachbarbüro sitzt und mit der man täglich in der Kantine Kaffee trinkt, zu untersuchen.
Gibt es Rechtsmittel, um den Fall einer anderen Staatsanwaltschaft zu übertragen?
Nein, die gibt es nicht. Im Bethel-Fall ist es gelungen, nach der Kritik an der Bielefelder Staatsanwaltschaft, die Duisburger Staatsanwaltschaft einzubinden, weil der öffentliche Druck da war und sich das Justizministerium eingeschaltet hat. Das Justizministerium ist die einzige Möglichkeit.
Die polizeiliche Ermittlungsarbeit ist beim Kriminalkommissariat (KK) 12 in Bielefeld angesiedelt. Dort hat zunächst eine Polizeibeamtin die Ermittlungen geführt, wurde jedoch nach mehreren Monaten von dem Fall abgezogen. Als dann die Vernehmung des Kindes anstand, schaltete sich wieder die Polizeibeamtin ein, obwohl ihr Kollege über alle Kompetenzen verfügt, die für die Vernehmung eines Kindes notwendig sind. Ist das üblich?
Generell ist es so, dass die Polizeibeamtin die Vernehmungen korrekt macht. Aber sie ist einmal von dem Fall abgezogen worden. Und da darf man durchaus fragen, ob sie frei und unbefangen an den Fall, an die Vernehmung des Kindes herangeht. In meinen Augen ist das die falsche Person. Ich würde diese Vernehmung durch diese Beamtin nicht mitmachen. Die anwaltliche Vertretung ist ja auch anwesend und könnte sagen, dass die Vernehmung doch bitte von dem Polizeibeamten vorgenommen wird, der das Verfahren bislang gut führt und leitet.
Die anwaltliche Vertretung ist bei der Vernehmung nicht mit dabei. Das Kind ist bei der Vernehmung allein . . .
Warum?
Weil gesagt worden ist, wenn sich jemand dazusetzt, würde das Kind manipuliert.
Das ist das erste Mal, dass ich so etwas höre. Ich bin immer bei den Vernehmungen der betroffenen Personen dabei, egal, ob das Kinder oder Erwachsene sind. Durch meine Anwesenheit findet doch keine Beeinflussung statt. Und auch das Kind hat das Recht auf eine anwaltliche Begleitperson.
Die Fragen stellte Gunter Held.
Nr. 17: Liste von falschen Angaben des Jugendamtes im Fall Elke D
20. Dezember 2023
Der Neuen Westfälischen liegt eine Mitteilungsvorlage des Jugendamtes des Kreises Lippe für den Jugendhilfeausschuss vor, die allerdings zum überwiegenden Teil geschwärzt ist. Trotzdem können einige Lügen im Fall Elke D. nachgewiesen werden.
Noch immer ist die Situation von Elke D. und ihrem Kind nicht geklärt. Noch immer kämpft die Oerlinghauser Mutter gegen das Jugendamt des Kreises Lippe. Noch immer hat sie nicht das volle Sorgerecht. „Das Kreisjugendamt (KJA) ist offensichtlich daran interessiert, Elke D. in einem schlechten Licht dastehen zu lassen“, sagt Christian Laue, einer der Anwälte Elke Ds. Jetzt liegen der Neuen Westfälischen weitere Dokumente vor.
Im Januar 2022 tagt der Jugendhilfeausschuss des Kreises Lippe. Von der Neuen Westfälischen angeforderte Unterlagen aus dieser Sitzung erhält die Zeitung erst Monate später. Im nichtöffentlichen Teil werden zwei Punkte behandelt: Absprachen zur frühzeitigen Sensibilisierung der Mitglieder im Jugendhilfeausschuss mit Blick auf außergewöhnliche Fälle mit Öffentlichkeitsaufmerksamkeit und ein Sachstandsbericht im Fall „Das Martyrium einer Mutter“. Unter dieser Überschrift ist im November 2021 exklusiv in der Neuen Westfälischen zum ersten Mal über den Fall der Oerlinghauser Mutter Elke D. berichtet worden. Auf der Tagesordnung des Jugendhilfeausschusses des Kreises Lippe ist vermerkt, dass eine Vorlage zum zweiten Punkt nachgereicht wird.
Schon die ersten Sätze dieser Sachdarstellung seien subtil manipulativ, sagt Rechtsanwalt Laue.
- „Der Fallverlauf umfasst mittlerweile sieben Aktenbände“, heißt es. Mag sein, sagt Laue, Elke D. wurde bisher jedoch nur in den Band drei Einsicht gewährt.
- „Die Kindesmutter hat inzwischen den sechsten Rechtsbeistand“, heißt es weiter. Das ist falsch. Nicht mitgeteilt wird, dass einer der Anwälte das Mandat aus gesundheitlichen Gründen zurückgegeben hat. Der Satz, sagt Laue, vermittele, dass Elke D. nur einen, nämlich „den sechsten Rechtsbeistand“ habe. Richtig, aber unerwähnt ist, dass Elke D. aktuell von drei Rechtsbeiständen vertreten wird.
- „Zudem wandte sich die Kindesmutter bereits dreimal an den Petitionsausschuss des Landtags NRW.“ Das ist falsch. Elke D. hat sich einmal an den Petitionsausschuss gewandt. Es gab eine zweite Petition – nicht von ihr – und keine dritte.
- „Der Rechtsbeistand der Kindesmutter hatte zudem versucht, im Zusammenhang mit der Petition die Immunität der Abgeordneten (Plural, Anm. d. Red.) aufzuheben, um diese in ein gerichtliches Verfahren mit einzubeziehen.“ Das ist falsch. Rechtsanwalt Laue hat lediglich einen Landtagsabgeordneten, nämlich Günther Bergmann (CDU), damals Mitglied im Petitionsausschuss, als Zeugen benannt. Von einer Aufhebung der Immunität war nie die Rede.
Soweit nur der erste Absatz der Mitteilungsvorlage.
In der Chronologie des Fallverlaufs werden weitere Sachverhalte falsch dargestellt oder weggelassen. Elke D. lebte unverheiratet mit dem Vater ihres Kindes in einem gemeinsam gekauften Haus in Oerlinghausen.
2018 trennt sich das Paar, Elke D. zieht auf Anraten einer Mitarbeiterin des Jugendamtes des Kreises Lippe aus. Beim Auszug ist die Jugendamtsmitarbeiterin, der Name ist der NW bekannt, anwesend und erinnert Elke D.: „Vergessen Sie nicht, die Ausweispapiere Ihres Kindes mitzunehmen.“ Elke D. informiert die Jugendamtsmitarbeiterin, die beim Auszug dabei war, und den Kindesvater, dass sie zunächst zu ihrer Mutter ziehen werde. Das steht nicht in der Vorlage. Dort heißt es in der Zeitleiste April 2018: „Kindesmutter verlässt den Kreis Lippe . . . und teilt . . . nicht den Aufenthaltsort mit. Aufenthaltsort nicht bekannt.“
Bitte um Hilfeplangespräche abgelehnt
Auf eine entsprechende Frage antwortet der Sprecher des Kreises Lippe: „Der Auszug 2018 ist nicht auf Anraten des Kreisjugendamtes geschehen. Dass der Aufenthaltsort nicht bekannt ist, bezog sich auf eine Angabe des Kindsvaters. Diese verkürzte Passage hätte an der besagten Stelle in der Vorlage sicherlich klarer formuliert werden können.“
Nur zwei Tage nach dem Auszug ruft der Kindesvater bei der Mitarbeiterin des KJA an und beklagt sich darüber, dass er nicht wisse, wo sein Kind sei. Die Mutter von Elke D. hat den Kindesvater jedoch während dieser zwei Tage an ihrem Haus vorbeifahren sehen, was sie gegenüber der Neuen Westfälischen bestätigt. „Er hat auch Fotos vom Auto meiner Tochter gemacht, das vor dem Haus stand, ihr eines aufs Handy geschickt und dazu geschrieben, dass er wisse, wo sie sei.“
Der Kindesvater hat auf das Angebot einer Stellungnahme nicht reagiert.
Die Mutter von Elke D. berichtet in dem Gespräch mit der NW weiter: „Der Kindesvater wollte an diesen beiden Tagen sein Kind sehen. Meine Tochter stimmte einem einstündigen Treffen auf dem Spielplatz gegenüber unserer Wohnung zu. Anschließend beschimpfte er meine Tochter in Gegenwart des Kindes vor unserer Haustür.“ Auch davon ist in der Zeitleiste nichts erwähnt.
Später zieht Elke D. nach Oerlinghausen. Das Kind kann weiterhin die gewohnte Kita besuchen und hat den Lebensmittelpunkt bei Elke D. Der Kindesvater hat Umgangskontakte. Doch die Trennungssituation eskaliert, der Kindesvater wird gegenüber Elke D. gewalttätig, sie erwirkt ein dreimonatiges Näherungsverbot. Ein Hilfeplangespräch, um das Elke D. die Mitarbeiter des KJA Lippe wiederholt bittet, wird abgelehnt oder die Anfragen nicht beantwortet.
Erstmals im November 2018 klagt das Kind nach einem Wochenende beim Vater über Schmerzen am Po. Die Klagen häufen sich jedes Mal nach den Besuchswochenenden. Elke D. will die Ursache der Schmerzen abklären lassen und stellt ihr Kind einer Kinderärztin vor, die das Kind wöchentlich sehen will.
In der Zeitleiste wird, so vermutet Rechtsanwalt Christian Laue, der Eindruck erweckt, dass Elke D. von sich aus fast wöchentlich Ärzte aufsucht. „Viel ist in der mir vorliegenden Verwaltungsvorlage allerdings geschwärzt“, sagt Laue.
Dann beauftragte eine Familienrichterin des Amtsgerichts Detmold im März 2019 den Gutachter Johannes Völler, ein familienpsychologisches Gutachten zu erstellen.
In der Zeitleiste heißt es unter August 2019: „Im . . . (geschwärzt, es kann aber nur „familienpsychologisches Gutachten o. ä. dort stehen, Anm. Laue), . . . gab es klare Hinweise/Aussagen, das Kindesmutter am Münchhausen by Proxy Syndrom leide.“ (Rechtschreibfehler im Original.)
Das Kind wird vom KJA in Obhut genommen.
´ Im September 2019 steht in der Vorlage: „Familiengericht bestätigt die Inobhutnahme durch das Jugendamt – legitimiert sie.“ Das ist falsch. Die Aktion ist nicht legitimiert worden, weshalb das Verwaltungsgericht Minden im November 2021 die Inobhutnahme für rechtswidrig erklärt.
´ Ebenfalls im September 2019 informiert Elke D. das KJA mit drei Stellungnahmen/Attesten unterschiedlicher Ärzte, dass sie nicht an der vom KJA unterstellten schweren psychischen Erkrankung leidet. Auch das steht nicht in der Chronologie der amtlichen Vorlage.
´ Im Mai 2020 ruft Elke D. den Petitionsausschuss des Landtages NRW an und beschwert sich über das KJA. Der Landtagsabgeordnete Günther Bergmann, damals Mitglied im Petitionsausschuss, nimmt sich der Sache an.
´ Februar 2021: „Kindesmutter nimmt Petition von 2020 wieder auf.“ Das ist falsch. Die zweite Petition wurde von Sonja Howard, Mitglied im Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung und mit dem Fall der Elke D. gut vertraut, auf den Weg gebracht. Sie sendet Bergmann Atteste, die die geistige Gesundheit Elke Ds. bescheinigen. Er fährt nach Detmold, um mit den Mitarbeitern des KJA zu sprechen. Im Anschluss an das Gespräch in Detmold telefoniert er mit Howard und teilt mit, dass sich der Fall für ihn jetzt ganz anders darstelle, nachdem er im KJA erfahren habe, dass Elke D. psychisch schwer erkrankt sei. Die Frage der Neuen Westfälischen, ob die Mitarbeiter des KJA in dem Gespräch erwähnt haben, dass Elke D. an einer schweren psychischen Erkrankung leide, beantwortet Bergmann aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht.
Die Mitarbeiter des KJA wussten zu dem Zeitpunkt, dass Elke D. gesund ist. „Sie hätten die angebliche Erkrankung gar nicht erwähnen dürfen“, sagt Rechtsanwalt Laue.
Interview: "Wissenschaftlich ist das PAS schlicht und einfach nicht haltbar!"
Der Familienrechtler Prof. Ludwig Salgo sagt deutlich: Das Parental Alienation Syndrom (PAS), das Elterliche Entfremdungssyndrom, muss von Richtern zurückgewiesen werden.
Frage: Herr Professor Salgo, Familiensachen werden vor Einzelrichtern verhandelt. Die Öffentlichkeit ist ausgeschlossen, die Protokollhoheit liegt beim Richter. Wie können Richter kontrolliert werden, denn auch die machen sicherlich Fehler?
LUDWIG SALGO: Im Bereich des Kinderschutzes entsteht eine Fehlerkultur: wir reden über und arbeiten Fehler auf. Und es ist gut so, dass wir in Familiensachen keine Öffentlichkeit haben. Es geht um den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Eltern und der Kinder. Und der Jugendamtsmitarbeiter, der zum Termin kommt, will sich auch unbefangen äußern können. Richtig ist zwar, dass es kein Wortprotokoll gibt, aber der Richter muss die zentralen Gesichtspunkte alle festhalten, auch damit eine höhere Instanz das überprüfen kann. Ein Wortprotokoll würde das Ganze auch sehr verlängern. Aber wenn nicht wortwörtlich protokolliert wird, so muss dennoch ein Aktenvermerk erstellt werden. Wenn das abgelehnt wird, kann das angemahnt werden. Das Gericht muss den wesentlichen Inhalt einer Kindesanhörung in einem Vermerk festhalten und den Beteiligten zugänglich machen. Und jeder Verfahrensbeteiligte hat grundsätzlich die Möglichkeit, etwas zu den Akten zu geben, und der Richter muss sich von Amts wegen mit dem, was etwa zu einer möglichen Kindeswohlgefährdung vorgetragen worden ist, auseinandersetzen. Der Gesetzgeber „kontrolliert“ bereits das Gericht; dieses muss eine Reihe von Erkenntnisquellen ausschöpfen: Kindesanhörung, Elternanhörung, Beteiligung des Jugendamtes, Bestellung eines qualifizierten Verfahrensbeistandes, eventuell Einholung eines Gutachtens und umfassende Verpflichtung zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen.
Warum werden Familiensachen nicht von drei Richtern oder einem Richter und zwei Schöffen bearbeitet? Ist das eine Kostenfrage?
Das ist sicherlich auch eine Kostenfrage. Es geht darum, dass ein Richter erst einmal Zugang finden muss zu den Eltern und zu den Kindern, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen. „Anhörung“ ist nicht Vernehmung. Nicht der richterliche Eingriff ist beim Familiengericht das Ziel, vielmehr die Herstellung von Einvernehmen oder das Erreichen von Hilfeakzeptanz zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung. Wir haben erst beim OLG drei Richter. Kinder könnten bei einer Anhörung vor dem Familiensenat von drei Richtern eher eingeschüchtert sein, auch wenn diese Richter keine Roben tragen und die Anhörung in einem kindgerechten Raum stattfindet. Das Gesetz fordert für diese Richter auch belegbare Grundkenntnisse über die Kommunikation mit Kindern. Eine gesetzgeberische Möglichkeit wäre, dem Berufsrichter am Familiengericht Fachrichter aus dem Bereich der sozialen Arbeit und der Psychologie an die Seite stellen. So etwas könnte ich mir vorstellen. Solche Besetzungen auf der Richterbank mit Berufsrichtern und Fachrichtern gibt es beim Arbeitsgericht oder bei der Kammer für Handelssachen.
Wie werden Familienrichter weitergebildet? Denn gerade in dem Bereich ist doch eine hohe soziale Kompetenz gefordert. Und diese Kompetenz wird, soweit ich weiß, im Jurastudium nicht vermittelt.
Das Familienrecht wird in der Juristenausbildung sehr stiefmütterlich behandelt. Wenn überhaupt, dann ist dort von den vermögens- und unterhaltsrechtlichen Dingen die Rede. Aber seit dem 1. Januar 2022 gibt es eine wesentliche Veränderung: Die Präsidien in Amts- und Oberlandesgerichten dürfen keine Richter an den Familiengerichten einsetzen, die nicht nachweisen können, dass sie Kenntnisse des Kindschaftsrechts und des Familienverfahrensrechts haben. Sie müssen wissen, welche Möglichkeiten das Jugendamt hat, sie müssen entwicklungspsychologische Grundkenntnisse haben und die Gesprächsführung mit Kindern beherrschen. Sie müssen entsprechende Fortbildungen nachweisen. Aber es gibt Umsetzungsprobleme. Umgesetzt werden muss das nun von den Ländern. Wir haben bislang keine Übersicht über den Stand der Umsetzung der gesetzlichen Qualifikationsoffensive. Übrigens werden auch an die Verfahrensbeistände ähnlich hohe Anforderungen wie an den Richter gestellt.
Werden in der Weiterbildung von Familienjuristen die Theorien des Parental Alienation Syndroms (PAS) – deutsche Bezeichnung: Elterliches Entfremdungssyndrom – des amerikanischen Kinderpsychiaters Richard Gardner gelehrt?
Wir können froh sein, dass sie nicht gelehrt werden. Weltweit und bei den Vereinten Nationen haben sich führende Wissenschaftler mit diesem PAS auseinandergesetzt. Wissenschaftlich ist das PAS schlicht und einfach nicht haltbar. Richter müssten das Vorbringen eines solchen sogenannten Syndroms sogar zurückweisen. Die Befürworter des PAS stehen weltweit in einer Minderheit. Die führenden Psychiater, Psychologen und Kinderärzte sowie die Fachverbände lehnen PAS ab, von einer anerkannten „Theorie“ kann deshalb auch nicht gesprochen werden.
Was können Anwälte tun, wenn von einem Jugendamt ganz offensichtlich PAS-Theorien vertreten werden?
Zunächst sollte so etwas dem Jugendamtsleiter mitgeteilt werden. Dann würde ich es den Mitgliedern des Jugendhilfeausschusses mitteilen und wenn das noch nicht hilft, würde ich mich an das Stadtparlament, also den Rat, wenden und ihn darüber informieren, dass im Jugendamt nicht haltbare, von der überwiegenden Mehrheit der Wissenschaftler weltweit abgelehnte „Theorien“ angewendet werden.
In Deutschland herrscht freie Anwaltswahl – nur nicht für Kinder in Familienverfahren. Da wird vom Richter ein Verfahrensbeistand, ein „Anwalt des Kindes“, bestellt. Nun sollte zwischen Anwalt und Mandant ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehen. Welche Möglichkeiten hat ein Kind, einen Verfahrensbeistand abzulehnen, dem es nicht vertraut?
Es wird umgangssprachlich vom „Anwalt des Kindes“ gesprochen. Der Gesetzgeber hat sich für einen anderen Begriff entschieden, weil tatsächlich ein Missverständnis entstehen kann. Ein Kind hat noch nicht eine Auswahl- und Kontrollkompetenz. Es ist beschränkt geschäftsfähig. Wenn ein Verfahrensbeistand eingesetzt wird, ist dem in der Regel vorausgegangen, dass es massive Kollisionen der Interessen des Kindes mit denen der Eltern gab. Oder es gab Vernachlässigungen oder Missbrauch des Kindes. Ein Verfahrensbeistand muss dann die Interessen des Kindes in das Verfahren einbringen. Er muss so authentisch wie möglich den Willen des Kindes herauskriegen und diesen Willen unbedingt in das Verfahren einbringen, auch wenn dieser Wille ihm nicht passt. Aber er darf nicht das Kindeswohl aus den Augen verlieren. Wenn zum Beispiel ein Kind bei einem Elternteil bleiben will, bei dem es vernachlässigt oder missbraucht wird, muss ein Verfahrensbeistand zwar den Willen des Kindes einbringen, aber er wird hierzu auch etwas sagen müssen. Diese Wille- und Wohlaufgabe ist eine sehr schwierige und herausfordernde. Wenn ein Kind kein Vertrauen hat, sollte es das auf jeden Fall dem Richter mitteilen. Die Auswechslung des Verfahrensbeistandes geht nur, wenn er die Interessen des Kindes nicht in das Verfahren einbringt oder das Kind durch seine Vorgehensweise schädigt oder es keine Vertrauensbasis mehr gibt.
Die Fragen stellte Gunter HELD.
Zur Person Prof. Dr. Ludwig SALGO, Goethe-Universität Frankfurt/M - in Kurzform:
wurde 1946 in Budapest geboren, tritt seit 1977 für die Rechte von Kindern ein, lehrte ab 1992 Familien- und Jugendrecht, seit 2015 als Seniorprofessor an der Universität Frankfurt, ist Experte für Kindeswohlgefährdung und Heimkinder.
Nr. 18: Der Kreis Lippe will ElKe D zur Kasse bitten
April 2024
Rechtsanwalt Christian Laue sieht in der finanziellen Forderung eine Nötigung in betrügerischer Absicht. Weil der Kindesvater nicht zahlte, wird das Konto der Oerlinghauser Mutter gepfändet.
Online-Banking ist eine tolle Sache. Nicht so toll ist, wenn einem vom Bildschirm die Info entgegenleuchtet, dass das Konto gepfändet sei. Genau das ist Elke D. passiert, obwohl sie weder vergessen hatte, eine Rechnung zu bezahlen, noch sonst irgendwelche Forderungen offen waren. Der Vorgang, dem die Pfändung zugrunde lag, war eine Forderung des Kreises Lippe gegen ihren ehemaligen Lebensgefährten, den Vater ihres Kindes, gegen den noch immer wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch des eigenen Kindes ermittelt wird.
Wenn Elke D. in einer Mitteilung die beiden Worte „Kreis Lippe“ liest, ist sie aufs Höchste alarmiert. Zu viel Unrecht hat sie vom Jugendamt des Kreises Lippe erfahren. Widerrechtlich wurde ihr Kind von Mitarbeitern des Kreisjugendamtes in Obhut genommen und zum Vater gebracht. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Minden sagte eine Mitarbeiterin des Jugendamtes die Unwahrheit. Vor Gericht hatte sie behauptet, dass ein Arzt der Paderborner Kinderklinik in einem Telefonat den Verdacht auf sexuellen Missbrauch durch den eigenen Vater zurückgenommen habe.
Dieser Verdacht war von einem Expertenteam unter Leitung des Chefarztes der Kinderklinik, Friedrich Ebinger, geäußert und dem Jugendamt des Kreises Lippe zur Kenntnis gebracht worden. Von dem Telefonat, das die Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes geführt haben will, gibt es weder eine Telefonnotiz noch ein Gesprächsprotokoll. Die Neue Westfälische wies nach, dass es solch ein Telefonat nie gegeben hat.
Auch die Empfehlung der Ergänzungspflegerin, ebenfalls eine Mitarbeiterin des Jugendamtes des Kreises Lippe, an Elke D., sie solle sich doch mal den Film „Weil du mir gehörst“ ansehen, ließ Elke D. konsterniert zurück. Im Film geht es um eine hochmanipulative Mutter, die ihr Kind dem Vater, von dem sie geschieden ist, entfremdet. Der Film stellt die Pseudotheorie des amerikanischen Kinderpsychologen Richard Gardner dar. Der verbreitete seine Ansicht als Parental Alienation Syndrom, auf Deutsch: Elterliches Entfremdungssyndrom. Doch das gibt es nach Ansicht zahlreicher renommierter Wissenschaftler nicht. Gardner hat es erfunden. Und seit dem vergangenen Herbst darf es auch nicht mehr als Argumentation vor Familiengerichten verwendet werden. Elke D. und ihre Rechtsanwältin Phyllis Kauke empfanden diese Empfehlung als Affront und als ein Zeichen dafür, wie Elke D. im Jugendamt des Kreises Lippe angesehen ist.
Elke D. hat nie eine Rechnung über Nachzahlungen erhalten
All das ist wenig geeignet, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Elke D. und dem Kreisjugendamt herzustellen. Und dann kam die Kontopfändung. Elke D. meldete sich telefonisch beim Kreis Lippe und fragte nach. Sie erfuhr, dass Nachzahlungen von Kita-Gebühren für ihr Kind nicht bezahlt worden seien. Diese Rechnungen datieren aus dem Jahr 2019, ab dem Zeitpunkt, an dem das Kind widerrechtlich vom Kreisjugendamt in Obhut genommen und dem Kindesvater übergeben worden ist. Sie erfuhr, dass Rechnungen und Mahnungen an die Adresse des Kindesvaters gesandt worden wären. Als der die Zahlungen nicht leistete, habe die Rechnungsstelle des Kreisjugendamtes eben das Konto der Mutter gepfändet, weil der Kreis Lippe davon ausgeht, dass eine gesamtschuldnerische Haftung besteht, was nicht der Fall ist, da dieser Passus im Betreuungsvertrag mit der Kita nicht enthalten ist. Als Elke D. erklärte, dass sie weder eine Rechnung noch eine Mahnung noch die Androhung der Pfändung postalisch erhalten habe, nahm der Mitarbeiter des Kreises Lippe die Pfändung zurück.
Ausgestanden war die Sache damit noch nicht. Obwohl Elke D. vom Jugendamt des Kreises Lippe keine Informationen darüber erhielt, wie sich der mittlere dreistellige Betrag zusammensetzt, den sie bezahlen soll, wurde sie von einer Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes als Schuldnerin bezeichnet. Dieses Festhalten an einer einmal getroffenen Entscheidung scheine beim Kreisjugendamt Lippe Methode zu haben, sagte Phyllis Kauke, eine Anwältin Elke D.s. Das erinnerte Elke D. an einen ebenfalls in der NW veröffentlichten Fall eines Kindes, dass nach Ansicht einer Jugendamtsmitarbeiterin eingeschult werden sollte, obwohl die Amtsärztin des Kreises Lippe, die Leiterin der Kita, die das Kind besuchte, die Leiterin der Grundschule und der Kinderarzt sich alle für eine ein Jahr spätere Einschulung ausgesprochen hatten. Erst nach Einschaltung eines Anwalts und der Veröffentlichung in der NW wurde der späteren Einschulung stattgegeben.
Elke D. fühlt sich der Willkür von Jugendamtsmitarbeitern ausgesetzt. Anwalt Laue machte in einem Brief an die Behörde deutlich, dass die Frage der Rechtmäßigkeit der Forderung zwischen dem Amt für Vollstreckung und dem Jugendamt hin- und hergeschoben wurde. Das Ergebnis für Elke D.: Von keiner Stelle des Kreises Lippe hat sie eine Auskunft über die rechtliche Grundlage der Forderung erhalten. Allerdings erfuhr sie in einem Telefonat, dass der geforderte Betrag beim Kindesvater per Rechnung und Mahnung geltend gemacht worden sei. Dieser habe sich jedoch nicht zahlungswillig gezeigt.
Deshalb habe man das Konto der Mutter gepfändet, die bis dato keine Informationen über den Vorgang hatte. „Eine solche Vorgehensweise ist haarsträubend“, empört sich Christian Laue. Bei jeder Zwangsvollstreckung, sagt Laue, bedürfe es eines Vollstreckungstitels – und zwar gegen jeden Gesamtschuldner, gegen den vollstreckt werden soll. Ein solcher Titel ist Elke D. nie zugestellt worden. Laue resümiert: „Dieses Verhalten ist rechtswidrig und willkürlich.“
Der Rechtsanwalt macht auch einen „erpresserischen Duktus“ in einer Mail der Abteilung für Vollstreckung des Kreises Lippe aus. Er zitiert die E-Mail vom 29. Februar 2024: „ (. . .) mir liegt nach wie vor der offene Vollstreckungsauftrag von Frau Hagestolz (Name geändert, Anm. d. Red.) gegen Sie vor. Bitte zahlen Sie die offene Summe in Höhe von (. . .) bis zum 08.03.2023, um eine erneute Vollstreckung und Pfändung Ihres Kontos zu vermeiden.“
Der Text erfüllt nach Ansicht des Kriminalistikprofessors den Tatbestand der Erpressung. Warum? Weil der Kreis Lippe mit der Pfändung des Kontos droht, um Elke D. zu einer Handlung in Form der Zahlung zu nötigen. Dadurch bewirke der Vertreter des Kreises bei Elke D. einen Vermögensnachteil, um den Landkreis Lippe zu bereichern.
Erst als Laue einen sehr deutlich in diese Richtung formulierten Brief an den Kreis Lippe schickte, erklärte der Kreis Lippe, dass sich die Pfändung erledigt habe, gab aber als Begründung Systemfehler an.
Politik zeigt wenig Interesse am Fall Elke D
Die „Neue Westfälische“ stellt den größten Fraktionen des Jugendhilfeausschusses Fragen. Zwei Parteien reagieren nicht: CDU und FDP
Der Jugendhilfeausschuss des Kreises Lippe ist die Kontrollinstanz für das Jugendamt des Kreises. Der Ausschuss ist entsprechend den gewählten Mehrheiten besetzt. Im Kreis Lippe besteht er aus 45 Mitgliedern. Viele davon sind Vertreter von Wohlfahrtsverbänden, 18 Personen sind Vertreter politischer Parteien. Sechs Mitglieder gehören zur SPD, die auch den Vorsitzenden Antonius Grothe stellt, fünf gehören zur CDU, die die stellvertretende Vorsitzende Birgit Tornau stellt. Drei Politiker der Grünen, zwei der FDP und je einer der Linken und der Freien Wähler gehören weiterhin zum Jugendhilfeausschuss.
Wenn es um Informationen für den Ausschuss geht, bereitet oft das Jugendamt des Kreises Lippe die Vorlagen für die Ausschussmitglieder vor. Dabei sind die Mitarbeiter des Kreisjugendamtes der Integrität verpflichtet. Das Innenministerium des Bundes schreibt dazu: „Die Integrität der Verwaltung ist eine wichtige Voraussetzung für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Funktionsfähigkeit des Staates. Integrität bedeutet, dass in Deutschland alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst rechtstreu, unbestechlich und objektiv Entscheidungen treffen.“ Und zu diesen Entscheidungen gehört natürlich auch, was in Vorlagen hineingeschrieben wird. Die Mitglieder des Ausschusses müssen sich darauf verlassen können, dass sie umfassend und vollständig informiert werden, denn diese Information ist Grundlage für Entscheidungen.
Die Neue Westfälische hat in einem Artikel über den Fall Elke D. im Dezember 2023 nachgewiesen, dass das Jugendamt des Kreises Lippe den Mitgliedern des Jugendhilfeausschusses falsche Angaben zum Fall Elke D. gemacht hat.
So erfahren die Ausschussmitglieder in der Mitteilungsvorlage des Kreisjugendamtes: „Familiengericht bestätigt die Inobhutnahme durch das Jugendamt – legitimiert sie.“ Das ist falsch. Die Aktion ist nicht legitimiert worden, weshalb das Verwaltungsgericht Minden die Inobhutnahme für rechtswidrig erklärte.
Das Jugendamt schreibt auch, dass es klare Hinweise/Aussagen gegeben habe, dass die Kindesmutter am Münchhausen-by-Proxy-Syndrom leide.
Nicht in der Mitteilungsvorlage aufgeführt sind die drei Stellungnahmen/Atteste un-terschiedlicher Ärzte, dass Elke D. nicht an der vom Kreisjugendamt unterstellten schweren psychischen Erkrankung leidet.
Auch dass sich Elke D. dreimal an den Petitionsausschuss des Landes NRW gewandt habe, wie es in der Vorlage steht, ist falsch. Sie hat nur eine Petition geschrieben.
Basierend auf diesem Artikel hat die NW die vier größten Fraktionen im Jugendhilfeausschuss, SPD, CDU, Grüne und FDP, angeschrieben und nachgefragt, ob es aufgrund der erwiesenen falschen und fehlenden Informationen bei der nächsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses Nachfragen an das Kreisjugendamt geben werde.
Die Fraktionen der CDU und der FDP haben auf die Anfrage nicht reagiert.
Von den Grünen schrieb die Fraktionsgeschäftsführerin Birgitt Höhn: „(. . .) von Herrn Loke (Werner Loke ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im lippischen Kreistag, Anm. d. Red.) darf ich Ihnen mitteilen, dass die Fraktion sich mit dem Sachverhalt gründlich auseinandersetzen wird und gegebenenfalls weitere Schritte einleitet.“
Der SPD-Kreistagsabgeordnete Antonius Grothe ist Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses. Er schrieb als Antwort auf die Fragen der Neuen Westfälischen: „Die Fraktion ist von den zuständigen VerwaltungsmitarbeiterInnen laufend über den Sachverhalt informiert worden. Wir sehen keinen weiteren Beratungs- bzw. Informationsbedarf.“
Nr. 19: Anwältin will hohen Schadensersatz für Elke D
20. April 2024
Vor der 4. Zivilkammer des Landgerichts Detmold bestreiten die Vertreter des Kreises Lippe sämtliche Vorwürfe von Elke D. Das Gericht hält die Inobhutnahme für schadenersatzfähig. Elke D. sagt: „Mein ganzes Leben hat sich verändert.“
Anwältin Marita Korn-Bergmann ist nicht unzufrieden mit dem ersten Verhandlungstag im Schadenersatzprozess, den Elke D. gegen den Kreis Lippe führt. „Die Vorsitzende Richterin Sabine Diekmann hat deutlich gemacht, dass die rechtswidrige Inobhutnahme des Kindes von Elke D. am 15. August 2019 schadenersatzfähig ist“, sagt die Anwältin Elke D.s im Gespräch mit der Neuen Westfälischen. Außerdem teile die Kammer die Ansicht, dass die Vorfälle, auf die sich die Klage auf Schadenersatz bezieht, nicht verjährt seien.
In dem Prozess geht es um Schadenersatzforderungen in Höhe von 556.000 Euro. „Das ist in diesem Bereich eine der höchsten Forderungen, die in Deutschland geltend gemacht wurde“, erklärt Korn-Bergmann.
Die Höhe erklärt sie mit dem Leid, den Mitarbeiter des Jugendamtes des Kreises Lippe der Mutter aus Oerlinghausen zugefügt haben. und den tiefgreifenden Rechts- und Grundrechtsverletzungen. Das begann damit, wie berichtet, dass Mitarbeiterinnen des Kreisjugendamtes der Oerlinghauser Mutter das damals vierjährige Kind rechtswidrig weggenommen haben. Das geschah, als Elke D. ihr Kind mittags aus der Kita abholen wollte. Sie wurde in einen separaten Raum geführt, während ihr Kind in Obhut genommen wurde. Das Verwaltungsgericht Minden stellte in einem Urteil im November 2021 fest, dass diese Aktion rechtswidrig gewesen sei.
Die Vorsitzende Richterin Diekmann erklärte, dass die Kammer davon ausgeht, dass die widerrechtliche Inobhutnahme im August 2019 der Ausgangspunkt für alle weiteren Streitpunkte ist. Und sie stellt fest, dass es Anfang 2022 eine Einstweilige Anordnung des Familiengerichts Detmold gegeben habe, demzufolge Elke D. große Teile des Sorgerechts entzogen wurden. Korn-Bergmann präzisiert: Es gebe zwei Verfahren, die aktuell am Oberlandesgericht Hamm (OLG) anhängig seien. Im August 2023 sei beiden Eltern, sowohl Elke D. als auch dem Kindesvater, gegen den noch immer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch des eigenen Kindes läuft, die Sorge komplett entzogen worden. Es ist ein Vormund eingesetzt worden. Bei dieser Entscheidung habe sich das Gericht auf die Ausführungen des Jugendamtes des Kreises Lippe gestützt.
Das zweite Verfahren vor dem OLG ist vom Kindesvater angestrengt worden. Er will unbegleiteten Umgang, obwohl das Kind diesen Umgang ablehnt.
Anwältin verlangt Schadenersatz für zehn Vorwürfe
Insgesamt führt Korn-Bergmann zehn Punkte an, für die nach ihrer Ansicht Schadenersatz geleistet werden müsse. Unter anderem wirft sie dem Kreisjugendamt Amtsanmaßung, fehlerhafte Ausführung ihrer gerichtlichen Aufgaben und Verstöße gegen den Datenschutz vor.
Bevor die Vorsitzende Richterin Elke D. die Möglichkeit gab zu schildern, was sie alles erlitten habe, stellte sie fest, dass das Gutachten, aufgrund dessen das Kreisjugendamt die Inobhutnahme vornahm, nicht belastbar untersucht worden sei. Man hätte nach der Lektüre nicht zu dem Schluss kommen dürfen, dass Elke D. am Münchhausen-by-proxy-Syndrom leide. (Elke D. verletzt das Kind selbst, Anm. d. Red.) Das Einholen eines familiengerichtlichen Beschlusses wäre angeraten gewesen. Korn-Bergmann wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Elke D. nie am Münchhausen-by-proxy-Syndrom gelitten habe, dass das auch mehrfach belegt sei, aber trotzdem bis in die jüngste Zeit vom Jugendamt des Kreises Lippe weiterhin behau
Elke D. berichtete dann über die Belastungen, mit denen sie zu kämpfen habe. „Die Inobhutnahme spielt immer noch eine Rolle und kommt immer wieder hoch“, sagte sie. Und auch die Angst, dass ihr das Kind weggenommen werde. „Wenn ich das Kind von der Schule abhole, schaue ich immer zuerst nach, ob der Schulranzen noch da ist.“ Sie berichtete von Angstzuständen, die bis zwei Monate nach der Inobhutnahme medikamentös behandelt worden wären.
Im Gespräch mit der NW erklärte sie, dass sie sich mit den Kenntnissen ihrer begonnenen Ausbildung zur Psychotherapeutin, die sie aufgeben musste, selbst einigermaßen gegen die Angstzustände therapiert habe.
Weiterhin berichtete sie von Schlaf- und Essstörungen, von Herzklopfen und Schweißausbrüchen. „Ich musste immer wieder mit Vorwürfen des Kreisjugendamtes gegen meine Person fertig werden, die auch unter die Gürtellinie gingen.“ Auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin nannte sie die immer wieder kommunizierte angebliche psychische Erkrankung als einen solchen Vorwurf unter die Gürtellinie. Ebenso den Vorwurf, dass sie ihr Kind vernachlässige. Als sie nach der Inobhutnahme bei einer Mitarbeiterin des Kreisjugendamtes um ein Hilfeplangespräch gebeten habe, sei sie mit den Worten weggeschickt worden: „Sie sind krank, suchen Sie sich Hilfe.“ Die Konfrontationen mit dem Jugendamt des Kreises Lippe lösen körperliche Reaktionen bei ihr aus. Auch ihre Arbeitsfähigkeit habe gelitten. Ihre Führungsposition an ihrer Arbeitsstelle habe sie verloren.
„Mein ganzes Leben hat sich verändert.“ Allerdings könne sie, seit ihr Kind wieder bei ihr sei, Dinge besser bewältigen. Aber das Kind habe Alpträume, dass es wieder von Mitarbeitern des Jugendamtes mitgenommen werde. „Ich habe den Eindruck, dass ich vor dem Kreisjugendamt immer auf der Hut sein muss.“
Die Gegenseite und deren Rechtsanwältin Klaudia Hugenberg, bestreiten sämtliche Vorwürfe. Eine Vertreterin des Kreisjugendamtes schilderte, dass sich das Kind gefreut habe, den Vater zu sehen und freudig auf ihn zugelaufen sei. Woher sie das wisse, wollte Korn-Bergmann wissen, denn sie sei doch nicht dabei gewesen. Das sei ihr so berichtet worden, lautete die Antwort. Sie sei damals Teamleiterin gewesen. Die Verhandlung wird an einem nicht näher benannten Termin fortgesetzt.
Alle Berichte und Kommentare stammen von Gunter HELD, "Neue Westfälische Zeitung"
Online am: 20.03.2023
Aktualisiert am: 24.04.2024
Inhalt:
- Ein Überblick über die Geschichte: Das Skandaljugendamt Kreis Lippe und das Martyrium einer Mutter
- Jugendamt Kreis Lippe: noch eine andere Geschichte
- Chronologie der ganzen Geschichte: das Martyrium einer Mutter
- Die Berichte der "Neuen Westfälischen" über das "Martyrium einer Mutter"
- Making-of: Wie Gunter HELD diese Geschichte machen konnte
- Der "NW"-Redakteur Gunter HELD
Tags:
Behördenwillkür | Gutachter | Justiz | Kinder
Auszeichnungen:
"Wächterpreis der Tagespresse" 2023