Jugendamt Kreis Lippe: noch eine andere Geschichte

Die folgende Geschichte, bei der ebenfalls sich eine Mutter gegen die Sturheit des Jugendamts Kreis Lippe durchsetzen muss, steht in einem gewissen Zusammenhang mit dem "Martyrium einer Mutter". Beide Mütter kennen sich. Und so hat die erste der zweiten einen Tipp gegeben, sich ebenfalls beim NW-Redakteur Gunter HELD zu melden.

Dies ist die Geschichte der ersten Mutter, veröffentlicht ein Vierteljahr vor der anderen:

Kompetenz siegt über Bürokratie

25. August 2021

Die Hartnäckigkeit, mit der Claudia Lerose-Melicchio darum gekämpft hat, dass ihr Sohn für ein Jahr vom Schulbesuch zurückgestellt wird, hat sich gelohnt.

Oerlinghausen. Das Jugendamt des Kreises Lippe hat es in den vergangenen Jahren nicht immer leicht gehabt. Und doch sollte man annehmen, dass das Wohl der lippischen Kinder bei den Mitarbeitern des Kreisjugendamtes immer oberste Priorität hat. Claudia Lerose-Melicchio hat das nach eigenen Angaben jedoch ganz anders erlebt. Sie hat einen kleinen Sohn, der Mitte September sechs Jahre alt wird. Eigentlich das Alter, in dem Kinder eingeschult werden.

Ein wichtiger Termin für zukünftige Erstklässler ist die Schuluntersuchung. Dabei stellt in diesem Fall die Schulärztin des Kreises Lippe fest, ob ein Kind physisch und psychisch in der Lage ist, die Schule zu besuchen. Den ersten Termin im Februar konnte Claudia Lerose mit ihrem Sohn nicht wahrnehmen, weil der Großvater des Jungen verstorben war und in Italien beigesetzt wurde. Der zweite Termin musste wegen Quarantäne verschoben werden. Am 17. März jedoch empfahl die Schulärztin „das Kind aus erheblichen gesundheitlichen Gründen zurückzustellen“.

ieser Empfehlung schloss sich auch die Leiterin der Grundschule an. Bereits im Februar hatte die Leitung der Kita, die Leroses Sohn besuchte, beim Kreisjugendamt darauf hingewiesen, dass es zu einer Rückstellung von der Einschulung kommen könne. Der Sachbearbeiterin im Kreisjugendamt wurden alle Unterlagen zeitnah zugesandt. Doch die ärztliche Beurteilung reichte der Sachbearbeiterin offenbar nicht. Zunächst bat sie um eine ärztliche Bescheinigung.

Die Sachbearbeiterin des Kreisjugendamtes bleibt bei ihrer Entscheidung, den Sohn von Claudia Lerose einzuschulen. Auch ein weiterer, von der Sachbearbeiterin angeforderter Bericht des Kinderarztes, bleibt offensichtlich unberücksichtigt. Dieser hatte eindeutig formuliert: „Eine erzwungene Einschulung trotz o. g. Auffälligkeiten und Empfehlungen einer Rückstellung halte ich aus meiner kinderärztlichen Sicht für kontraproduktiv und unverantwortlich.“

Mittlerweile war der Fall bei der Fachgebietsleiterin Jugend und Familie des Kreises Lippe gelandet, die aber der Entscheidung der Sachbearbeiterin folgte. Sie führt „klar definierte Gründe für eine Schulrückstellung, die zwischen dem NRW-Schulministerium und dem Landesjugendamt Westfalen-Lippe abgestimmt wurden“, an. Diese Gründe lägen bei dem Kind nicht vor, weshalb es nicht ein weiteres Jahr in der Kita bleiben könne.

Mittlerweile ist es kurz vor dem Termin der Einschulung. Die Schulleiterin beurlaubt den Jungen erst einmal. Claudia Lerose schaltet den Rechtsanwalt Arnold Riedenklau ein. Der stellt beim Verwaltungsgericht Minden einen Eilantrag. „Üblicherweise wird dann der Kreis Lippe um eine Stellungnahme gebeten“, sagt Riedenklau im Gespräch mit der NW. Das war in der vergangenen Woche. Am vergangenen Montag erhielt Claudia Lerose von der ersten Sachbearbeiterin eine E-Mail mit der Info: „. . . ich teile Ihnen mit, dass dem Verbleib Ihres Kindes in der Ev. Kita Helpup für das Kita-Jahr 2021/22 durch das Jugendamt zugestimmt wird.“ Eine Begründung für die Entscheidung wurde nicht mitgeteilt.

Lerose: „Ich finde es ungeheuerlich, dass man erst einen Anwalt einschalten muss, bis die Meinung von Experten berücksichtigt wird.“

Kommentar dazu von Gunter HELD

Seit Februar ärgert sich Claudia Lerose mit Mitarbeiterinnen des Kreisjugendamtes herum. Man muss sich vorstellen: Zwei Kinder- und Jugendärzte empfehlen unabhängig voneinander, den Sohn Leroses ein Jahr von der Einschulung zurückzustellen. Das interessiert die Sachbearbeiterin aber nicht. Sie hat ihre Verordnungen und Vorschriften – und die passen nicht. Ja, so ist das Leben. Es läuft nicht immer alles so, wie es in Büchern steht. Es wäre besser gewesen, einfach auf die Experten zu hören.