Chronologie eines sich abzeichnenden Organspenden - und Transplationsskandals

 

Die Geschichte der Organtransplantation mit menschlichen Organen beginnt in den 50er Jahren: mit der erfolgreichen Transplantation einer Niere unter zwei Zwillingsbrüdern in den USA - beide haben eine identische DNA, so dass keine Abstoßreaktion erfolgt. 1967 erregt der südafrikanische Chirurg Christiaan N. BARNARD mit der Verpflanzung eines Herzens internationales Aufsehen; der Patient überlebt 18 Tage. Zeitgleich sind auch Chirurgen in Texas/USA in der Lage, Herzen zu transplantieren; sie nehmen jedoch Abstand, weil die Immunabwehr noch nicht ausreichend erforscht ist. Dies ist die größere Herausforderung: zu verhindern, dass neu implantierte Organe als Fremdkörper wieder abgestoßen werden.
Im selben Jahr gründet der holländische Immunologe Jon van ROOD in Leiden die Stiftung  Eurotransplant . Sie soll Leben retten und dafür innerhalb der 7 angeschlossenen Länder (darunter Deutschland) für die

  • schnelle und
  • gleichermaßen faire Verteilung

dieser sehr knappen Ressourcen sorgen.

Die Medizintechnik entwickelt sich in diesem Bereich schnell weiter: Derzeit gibt es in den sieben Eurotransplant-Ländern 72 Transplantationszentren, in denen Spezialisten am Werke sind.
Die Technik ist dabei die eine Seite. Ethische Fragen die andere. Bis heute. 


6. Mai 2015

1992

Weil viele Fragen und Probleme in jedem einzelnen Transplantationsfall, der über Leben und Tod entscheidet, offen und ungelöst sind, setzt sich ein erster Transplantationskodex durch: Er versucht die wichtigsten ärztlichen, ethischen und juristischen Fragen einheitlich zu klären, zumindest in den deutschen Transplantationszentren, die sich in der damaligen Arbeitsgemeinschaft Organtransplantation zusammengetan haben.
Welcher Art die Fragen sein können, thematisiert das Nachrichtenmagazin  DER SPIEGEL  in seiner Ausgabe Nr. 43:  Leben in der Leiche . Konkret: Im Bauch einer hirntoten Frau liegt ein Embryo. Soll man die Maschinen abschalten oder das Leben des ungeborenen Babys retten, das in 18 Wochen zur Welt kommen würde?


1997

Weil die Nachfrage nach Organen (t.w. totkranker Patienten) größer ist als das Angebot (geeigneter Leichen) bzw. weil sich die wenigsten Menschen dazu entschließen (können oder wollen), im Falle eines unerwarteten Falles als menschliches ‚Ersatzteillager’ („Organspender“) für andere zur Verfügung zu stehen, hat die Frage der ethisch fairen Zuteilung eine große Brisanz. Und weil selbst die regierenden Parteien CDU/CSU und FDP, die sonst im Spiel "freier Märkte" und privatisierter Lösungen das Heil fast aller Probleme sehen (zu einem Zeitpunkt, in dem das Wort "Finanzkrise" noch nicht exisierte), bringen sie in diesem Jahr ein Transplantationsgesetz auf den Weg. Sie wollen verhindern, dass die Zuteilung der knappen Organe, die über Leben und Tod entscheiden (können), davon abhängt, ob jemand mehr Geld dafür bezahlen kann als andere. 
Das neue Gesetz stellt deshalb klar: nicht Einkommen, Vermögen oder Ruhm sind ausschlaggebend, sondern allein die medizinische Dringlichkeit. Um die objektiv zu erfassen und das gesamte System der Organspenden klar zu regeln, wird u.a. eine institutionell Arbeitsteilung festgeschrieben, aus der sich die Politik allerdings heraushalten will. Der Gesetzgeber verteilt dabei die Aufgaben:


  1. Die Transplantationszentren führen die Transplantationen durch und führen eine eigene Warteliste, mit der Empfänger bei Eurotransplant gemeldet werden
  2. Die Vermittlung aller Organe erfolgt in den 7 Ländern durch Eurotransplant
  3. Eine einzige Organisation koordiniert bundesweit die Organentnahme; bevollmächtigt wird sie durch den Koordinierungsvertrag, der regelmäßig erneuert wird.
    Diesen Vertrag erhält (ohne Ausschreibung) die DSO, die Deutsche Stiftung Organspende
  4. Nur ein im Hirntod Verstorbener kommt medizinisch als Spender in Frage; das TPG hat die Ausführung der Hirntod-Diagnostik in die Hände der Bundesärztekammer gelegt: einem eingetragenen Verein ohne juristischen Befugnisse.
    Diese liegen bei den Landesärztekammern, die öffentlich-rechtliche Körperschaften sind. Obwohl das sogenannte Hirntod-Konzept unter Medizinern heftige Kontroversen auslöst, hat sich die Bundesärztekammer dazu nie schriftlich geäußert
  5. Organhandel wird unter Strafe gestellt.
    Allerdings: Andere Verfehlungen werden nicht angesprochen oder sanktioniert – der Gesetzgeber geht davon aus, dass es Kriminalität im medizinischen Bereich nicht geben kann. Und dass es deshalb keine rechtsstaatliche Aufsicht gibt. Dies wird später der Kölner Staatsrechtler Prof. Dr. Wolfram HÖFLING immer wieder kritisieren. Zuletzt beispielsweise am 15.12.2012 in der  FAZ
  6. Ethik-Kommissionen nach Landesrecht, die in Zweifelsfragen entscheiden (sollen)


Trotzdem sind viele Fragen und Probleme offen - Spielraum für viele, eigene Wege zu gehen. Und sich dabei individuelle Anerkennung und Ruhm, im Einzelfall auch zusätzliche Einnahmen zu verschaffen. Gilt die Chirurgie bereits als Königsdisziplin in der Medizin, so steht die Transplantationschirurgie noch eine Stufe drüber 


2002

So geht beispielsweise auch der an der Universitätsklinik in Essen agierende und anerkannte Chef-Chirurg Prof. Dr. med. Christoph BROELSCH seine eigenen Wege, wie die Redakteurin der  Süddeutschen Zeitung (SZ) , Christina BERNDT, beschreibt:  Der nette Vetter . BROELSCH operiert diesesmal nicht in seiner eigenen Klinik, sondern in Jena. Dort geht das, was nach Maßgabe der eigenen Ethik-Kommission bei einer Lebendspende nicht möglich wäre: Die (zweite) Niere eines Menschen aus dem ärmsten Land Europas, Moldawien, in den Körper eines offenbar gut situierten Nierenkranken aus Israel einzupfanzen, der - angeblich - sein Vetter wäre. 
Organe gegen Geld ist nach den Regeln von Eurotransplant und nach dem Transplantationsgesetz (eigentlich) ausgeschlossen.
BROELSCH wird acht Jahre später, 2010, zu drei Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt werden: wegen Bestechlichkeit und Nötigung. Er praktiziert eine "Vierklassenmedizin": zuerst die Reichen, dann die Politiker, dann Privatpatienten und zuletzt jene, die (nur) gesetzlich versichert sind. Zwischen 2.000 und 7.500 Euro betragen die 'Sätze', mit denen man bei BROELSCH Operationen beschleunigen kann. Als  "teilweise unerträglich bzw. verwerflich" wird 2010 der Essener Richter die Praxis des berühmten Leberchirurgen verurteilen 


2003

So wie "Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Christoph BROELSCH" ein Schüler des an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) lehrenden "Leberpapstes" Rudolf PICHLMAYR war, wurden auch die Mediziner Hans SCHLITT und Aiman O. vom "Leberpapst" ausgebildet.
SCHLITT und AIMAN O. wechseln nach Regensburg, wo 'höhere Weihen' auf sie warten: SCHLITT wird Chefchirurg und Professor, AIMAN O. sein Oberarzt. 
Im Regensburger Universitätsklinikum läuft die Transplantationsmedizin zu Hochtouren auf. U.a. beginnt Aiman O. mit jordanischen Krankenhäusern zu kooperieren, insbesondere mit dem Jordan Hospital in Amman. Um die klar vorgezeichneten Wege der Eurotransplant zu umgehen und um seinen arabischen Kunden bzw. Patienten die ein oder andere Organspende aus dem europäischen Eurotransplant-Kreislauf zu ermöglichen, werden beispielsweise 4 von 6 Patienten als Einwohner von Regensburg getarnt: unter der Anschrift "Franz-Josef-Strauß-Allee 11" werden sie ins holländische Leiden gemeldet. Was man dort nicht weiß: Es handelt sich um die Adresse des Regensburger Klinikums.
Weil  Prof. Dr. med. Hans J. SCHLITT  und sein wichtigster Oberarzt, Aiman O., wie "ein Herz und eine Leber" zusammenarbeiten, macht AIMAN O. bei seinem Chef auch seine Promotion: Jetzt wird er im Jahr 2005 offiziell "Doktor der Medizin"


2005

Derweil kommt es im Düsseldorfer Klinikum in der Nacht des 8. auf den 9. Dezember zu einem Vorfall. Einem Mann, den man nicht mehr ins Leben zurückholen konnte und dessen Organe nach Einwilligung der Angehörigen zur Spende anstehen, sollen die für andere manchmal totkranken Menschen lebensrettenden Organe entnommen werden. Alles ist für die Operation zur Organentnahme vorbereitet. Allerdings: Es fehlt ein Protokoll, das zwingend vorgeschrieben ist; gemeinhin spricht man auch vom „zweiten Protokoll“, wobei die Formulierung unwesentlich ist. Hintergrund:
Wie die erste so soll auch die zweite Untersuchung zur Hirndiagnostik und Unterschrift eines weiteren, d.h. zweiten Arztes, der eine eigene Untersuchung anstellen muss, unmissverständlich dokumentieren, dass bei dem Toten tatsächlich der Hirntod eingetreten ist, der die absolute Voraussetzung für die Entnahme von dann postmortalen Organen darstellt. So schreibt es zwingend das Transplantationsgesetz von 1997 vor.
Fehlt das zweite "Protokoll" bzw. die zweite Unterschrift eines weiteren unabhängigen Arztes, der nicht zum Transplantationsteam oder dem Entnahmeteam gehören darf, so darf nicht entnommen werden. Grundsätzlich nicht!
Im Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universitätsklinikum wird trotzdem entnommen. Ein Vorfall, der vier Wochen drauf im Januar 2006, bei einer routinemäßigen monatlichen Besprechung der DSO-Mitarbeiter in NRW, zur Sprache kommt. Und der mit dem Satz protokolliert wird, dass bei dieser Organentnahme  "formal nicht alles korrekt"  gelaufen sei. Konkret: Die Entnahme hätte nach dem Wortlaut und der Intention des Gesetzes – zu diesem Zeitpunkt - nicht stattfinden dürfen. Denn grundsätzlich gilt: Ob ein Hirn tatsächlich ‚seinen Geist aufgegeben’ hat (Hirntod eingetreten ist) und

  • ob und
  • wie man das eindeutig feststellen kann,

ist längst umstritten, auch wenn zu dieser Zeit - offiziell - das seit 1968 geltende Hirntod-Konzept angewandt wird. In jedem Fall schreibt das Gesetz deswegen eine weitere Hirntod-Untersuchung vor, die nicht vom selben Arzt vorgenommen werden darf. Und die dann auch lückenlos dokumentiert sein muss.
Im konkreten Fall war der Hirntod bereits eingetreten – so die Obduktion der Rechtsmedizin danach.

Dieser Vorfall wird Folgen haben. Nicht für jene, die eindeutig falsch gehandelt haben, also die seitens der DSO darin verwickelten Akteure, sondern für jene Person, die dies zur Sprache bringt und dieses Problem bzw. diesen Fehler thematisieren will: eine Krankenschwester im Dienste der DSO.
Die interne Auseinandersetzungen um die Aufarbeitung des Vorfalls sind heftig und ziehen sich lange hin; 2007 spricht die DSO der Koordinatorin die Kündigung aus. Es kommt zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung.

Fünf Jahre später, am 8. Mai 2012, wird die  taz -Redakteurin Heike HAARHOFF diesen Fall aufgreifen: in einem ganzseitigen Artikel Monopolist der Organe. Anlass für die DSO bzw. den medizinischen Chef, Prof. Dr. med. Günter KIRSTE, die  taz, die tageszeitung  auf Unterlassung zu verklagen. Die  taz  soll danach nicht mehr behaupten dürfen,  "es fehlte das komplette zweite ärztliche Protokoll." . Bei Zuwiderhandlung solle die Zeitung ein Ordnungsgeld in Höhe von 250.000 Euro zahlen. 

Die  taz  wiederum wird daraufhin eine Strafanzeige gegen den DSO-Chef KIRSTE stellen: wegen "Abgabe einer falschen Versicherung an Eides Statt" - KIRSTE habe vor Gericht "gelogen". 
Der Fall wird im Mai 2013 vor dem Frankfurter Landgericht verhandelt werden


nach 2005

Ungeachtet der hier beschriebenen Vorfälle, über die zu diesem Zeitpunkt nichts an die Öffentlichkeit gedrungen ist, hat die Transplantationsmedizin erstaunliche Fortschritte gemacht. Das Einpflanzen postmortaler funktionierender Spenderorgane wie Herz, Lunge, Leber, Bauchspeicheldrüse und Niere wird zur Routine. Und immer mehr Menschen können dadurch - zumindest eine Weile - länger leben. Wenn sich immer mehr - zumindest medizinisch gesehen - realisieren lässt, konkret: wenn immer mehr dem Tod geweihte Menschen dem sonst absehbaren Tod entrissen werden können, wird der technische Fortschritt bzw. werden die dazu notwendigen Ressourcen schnell zum Kapazitätsproblem. Und damit auch zu einem ethischen Problem. Das ethische Problem wird dabei weiter aufgeladen durch den Umstand, dass Transplantationen inzwischen zu den teuersten - bzw. für die Kliniken: finanziell ergiebigsten - Operationen geworden sind. Bis 2012 wird diese Entlohnung beispielsweise für eine Leber auf rund 100.000 Euro steigen. 
Die Bandbreite der Fragen steigt:

  • Was alles darf gemacht werden?
  • Wie flexibel und unkonventionell darf, muss man handeln, wenn Eile angesagt ist?
  • Wie soll, kann, darf, muss man die Angehörigen gerade eben für (gehirn)tot erklärter Menschen ansprechen, um eine Einverständniserklärung zur postmortalen Entnahme zu erlangen?
  • Wie soll, kann, darf, muss man die Lebenden überzeugen, um sich potenziell für eine Organspende bereit zu erklären?
  • Und: je dringlicher die Notsituation, desto unkonventioneller die Methoden?

Fest steht:

  • Der Bedarf wird immer größer.
  • Die Spendenbereitschaft Lebender sowie Toter bzw. deren Angehörigen ist viel zu gering, um alle sehnlichst hoffenden Empfänger mit Organen zu versorgen

8. Februar 2006

In einer Pressemitteilung teilen die Bundesärztekammer, Eurotransplant und die DSO mit, in Zukunft die sogenannte „gerichtete“ Spende zu gestatten. Bedeutet: Hierbei haben die Angehörigen nur unter der Bedingung einer Organspende zugestimmt, dass eine der beiden beispielsweise Nieren auch in der Familie des Spenders verbleibt. Konkret: Die Ehefrau des Spenders erhält ein Niere, obwohl sie nach ihrem Wartelistenplatz bei Eurotransplant noch nicht an der Reihe gewesen wäre. 
Hintergrund: Immer wieder hatten Angehörige von Hirntoden bei der Frage nach einem Einverständnis eine Zustimmung von Bedingungen – wie. z.B. Übernahme der Beerdigungskosten, Geld – abhängig gemacht. Stets wurde dies von der DSO abgelehnt, auch wenn das zur Folge hatte, dass die Angehörigen einer Organspende dann nicht mehr zustimmten. Bzw. die Organe dann auch anderen nicht (mehr) zur Verfügung standen. 
Das, was die drei Institutionen künftig machen, ist eine Umgehung des Transplantationsgesetz. Mehrere Leitende Krankenhausärzte verurteilen diese Entscheidung als Gesetzesverstoß und melden dies der Überwachungskommission der Bundesärztekammmer. Dort geschieht nichts. 
Wie schwierig es ist, mit festen Regeln arbeiten zu müssen, wo es

  • auf der einen Seite um Leben oder Tod gehen kann und das Leben höchste Priorität haben muss
  • auf der anderen Seite Missbrauch unterbunden werden soll,

zeigen auch die Überlegungen, der Leberarzt Dr. med. Andreas UMGELTER in der  tazveröffentlicht hat und die wir hier ebenfalls zur Diskussion stellen können: Starre Regeln .
Allerdings: Nur wenn Transparenz solche Situationen prägt und nicht alles hinter verschlossenen Türen irgendwelcher Institutionen einseitig verhandelt wird, kann man auf Akzeptanz aller Beteiligten hoffen. Und auf das notwendige Vertrauen potenzieller Organspender setzen.


2006

In Regensburg schreibt jetzt auch die Ehefrau des Oberarztes Aiman O. an ihrer Dissertation. Doktorvater: der Doktorvater ihres Ehemanns, Prof. Dr. Hans SCHLITT - ein Freund der Familie. Und Prof. SCHLITT akzeptiert die Doktorarbeit der Ehefrau. 
Was erst sechs Jahre später mehr oder weniger zeitgleich durch das Nachrichtenmagazin Focus  und das  Laborjournal  2012 bekannt werden wird:

  • Die Ehefrau, die Zahnmedizinerin ist, schreibt über das Thema Behandlungsstrategien beim Leberkrebs. Es ist das Thema ihres Ehemanns
  • lange Textpassagen, Statistiken und Grafiken gibt es in beiden Dissertationen, die in weiten Teilen mehr oder weniger identisch sind
  • beide Arbeiten enden wortwörtlich mit demselben Resümee:  "Nach unseren, hier erhobenen Ergebnissen ist es nicht notwendig Erkrankte wegen ihres fortgeschrittenen Stadiums von vorn herein von einer Lebertransplantation auszuschließen. Es erscheint eher so, dass bei erzielbarer Stabilität der Tumorerkrankung (…) von einer hohen Heilungschance durch eine Lebertransplantation auszugehen ist."
  • im Literaturverzeichnis der Ehefrau taucht die Arbeit ihres Ehemanns mit keinem einzigen Hinweis auf

Anders gesagt: ein Plagiat. Von dem weiß zu dieser Zeit nur der Regensburger 'Leberpabst', Prof. Hans SCHHLITT. Und das fragliche Ehepaar. "Ehegattensplitting"  wird der Laborjournal-Redakteur seinen Artikel betiteln. Doch noch ist es nicht soweit. 
Unbekannt zu diesem Zeitpunkt auch: Die DSO lässt Mitarbeiter zwecks Steigerung des Organspendenaufkommens in aggressiven Gesprächsführungsmethoden schulen, z.B. sogenannte NLP-Techniken (Neurolinguistische Programmierung). Deren Ziel: psychologische Abläufe im Menschen zu beeinflussen. Dass DSO-Mitarbeiter diese Techniken jemals bei Gesprächen mit Angehörigen, die gerade einen engen Verwandten verloren haben, eingesetzt haben, wird die DSO Jahre später vehement bestreiten. Nachweislich hat es ein Schulungsseminar zur Führung von Angehörigengesprächen unter Einsatz von NLP allerdings in Göttingen gegeben, wie die  taz  allerdings erst im Jahr 2006 berichten kann: Beratung mit der Moralkeule 
Bekannt indes werden einige Praktiken und Usancen, die Christina BERNDT von derSüddeutschen Zeitung (SZ)  enthüllt:

Im Mittelpunkt aller dieser wenig bekannt werdenden Vorkommnisse: die Deutsche Stiftung Organtransplantation. Und ihr medizinischer Vorstand, Prof. Dr. med. Günter KIRSTE


2007

Der Nationale Ethikrat in Deutschland favorisiert die sogenannte Widerspruchslösung, wie sie z.B. in Spanien praktiziert wird. Dort ist das Organaufkommen europweit am höchsten. Vermuteter Grund: Grundsätzlich gilt jeder als Organspender, es sei denn, er widerspricht zu Lebzeiten. 
In Deutschland ist es umgekehrt: Ein potenzieller Organspender muss von sich aus erklären, im Falle eines Ernstfalles seine Organe zur Rettung anderer zur Verfügung zu stellen. Hat er das zu Lebzeiten nicht getan, müssen die nächsten Angehörigen befragt werden (Erweiterte Zustimmungslösung). 
Die Politik in Gestalt der amtierenden Gesundheitsministerin Ulla SCHMIDT, SPD (Große Koalition) reagiert nicht. Es gibt überhaupt keine Diskussion darüber. 
Dafür tritt im selben Jahr eine Änderung bzw. Ergänzung zum Transplantationsgesetz in Kraft: Das neue Gewebegesetz soll den Umgang mit menschlichen Geweben (z.B. Haut, Knochen, Muskeln) und Zellen (Blut) regeln sowie die Verwertung dabei zu medizinischen Präparaten


2008

Aiman O., der Oberarzt aus Regensburg, der - neben seinen Operationen u.a. in Jordanien - gerade eben seine Habilitationsschrift geschrieben hat, wechselt nach Göttingen: Dort wird er als Oberarzt zum Chef der Abteilung Lebertransplantation berufen. Die Anzahl der im Jahr transplantierten Lebern steigt ab sofort in kurzer Zeit: von 10 auf 50.  
Auch an anderen Transplantationszentren steigt die Zahl: fast schon Routine.  
Einzig verbleibt überall das Problem, dass es zwar 12.000 totkranke Menschen in Deutschland gibt, die dringend auf eine Ersatzorgan warten, aber zu wenig Spender. Konkret: zu wenige Organe - nur etwa 2.000. Folge: Jährlich sterben rund 1.000 Personen. Das sind täglich drei. So heißt es. Und so wird es landauf und landan rapportiert. 
Valide, d.h. empirisch gesichert sind diese Zahlen nicht. Die DSO, obwohl dazu verpflichtet, organisiert derlei Statistiken bzw. Rücklaufzahlen nicht. Ein ‚Erfolg’ ihrer kontinuierlichen Lobbyarbeit, das nicht machen zu müssen, was in anderen EU-Ländern längst Standard ist


Das Jahr 2010

ist von mehreren Ereignissen geprägt:

  • Die Bundesärztekammer legt als zuständige Überwachungskommission einen Bericht vor, der den Vorfall vom 9. Dezember 2005 am Düsseldorfer Universitätsklinikum untersuchen und aufklären sollte. Dort wurden einem Spender Organe entnommen, obwohl zum Zeitpunkt der Organentnahme eines der gesetzlich vorgeschriebenen Untersuchungsprotokolle „gegenständlich“ nicht vorlag. Dieser sogenannte  ANGSTWURM-Bericht  kommt, obwohl 2008 in Auftrag gegeben - fünf Jahre nach dem Vorfall, als alle Fehler potenziell strafrechtlich verjährt sind - zu dem Ergebnis, dass sich alles nicht mehr aufklären lässt:  "Das gesuchte Protokoll ließ sich nicht finden. Ob es existiert (hat), blieb ungewiss, weil sich die Widersprüche der Angaben am Geschehen beteiligter Personen nicht mit den Mitteln der Kommission lösen ließen. Damit blieb auch ungewiss, ob die eine der zwei nach Sachlage für die Hirntod-Dokumentation nötigen Verlaufsuntersuchungen richtliniengemäß durchgeführt worden war."
  • Unabhängig davon entscheidet in Essen das Arbeitsgericht, dass die Kündigung der Koordinatorin, die kurz darauf, im Januar 2006, Alarm geschlagen hatte, unwirksam ist. Die DSO muss die Mitarbeiterin weiter beschäftigen. Das tut die DSO auch: Indem sie die Krankenschwester isoliert und ausgrenzt - mit den üblichen Methoden. Die Mitarbeiterin wird später - frustriert - aufgeben
  • im März wird der be- und anerkannte Transplantationschirurg BROELSCH zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, nachdem sich herausgestellt hat, dass er einige Operationen bzw. deren Zeitpunkt von Geldzahlungen abhängig gemacht hatte
  • im August gibt Frank-Walter STEINMEIER, SPD und ehemaliger Außenminister (Große Koalition) bekannt, dass er seiner schwerkranken Frau eine seiner Nieren spenden wird. Die Ankündigung bringt ihm hohen Respekt ein. Gleichzeitig demonstriert er mit seinem mutigen Verhalten, wie (überlebens)wichtig das Thema Organspende ist
  • im September veröffentlicht die an der Berliner Charite wirkende  Dr. Sabine MÜLLER , die u.a. für ethische Fragen zuständig ist, einen Aufsatz in der Zeitschrift Ethik in der Medizin : "Revival der Hirntod-Debatte: Funktionelle Bildgebung für die Hirntod-Diagnostik".  
    Bereits 2008 hat in den USA das PRESIDENT’S COUNCIL ON BIOETHICS ein sogenanntes Weißbuch herausgegeben: "Controversies in the determination of death : a White Paper by the President’s Council on Bioethics." Darin wird das seit 1968 geltende Hirntod-Konzept kritisch hinterfragt. Eine Abkehr vom Hirntodkonzept jedoch erfolgt nicht. 

Die  Frankfurter Allgemeine Zeitung  gehört zu den wenigen Medien, die sich dieses Themas annehmen:  Ist die Organspende noch zu retten? 
In einer Auswertung von mehreren Befragungen kommt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in ihrer zusammenfassenden Dokumentation Einstellung, Wissen und Verhalten der Allgemeinbevölkerung zur Organ- und Gewebespende  zu folgendem Ergebnis:  "Um dem Ziel, dass möglichst jeder Mensch eine Entscheidung zur Organ- und Gewebespende trifft, näher zu kommen, müssen zukünftig mehr Anstrengungen auf die Behebung jener Wissensdefizite verwendet werden, die zu einer Ablehnung der Organ- und Gewebespende führen." 
Keine neue Erkenntnis


2011

Jetzt wird die DSO erneut aktiv - sie initiiert eine Imagekampagne:  www.fuers-leben.de .   Dazu zählt auch das Bild vom kleinen Hannes (links) und sein Ausspruch:  "Das andere Kind ist jetzt im Himmel. Nur sein Herz ist hier bei mir." 
Die Kampagne hat ein großzügiger Stifter finanziert. Ist das Geld eines Tages aufgebraucht, wird die Stiftung eingestellt.  
Die Kommunikation der heilen Welt nach draußen ist die eine Ebene, auf der sich das bundesdeutsche Transplantationswesen abspielt. Allerdings ohne dass sich das Spendenaufkommen erhöhen würde. Im Gegenteil: Die Zahlen sind seit Jahren rückläufig. Und es ist keine Besserung in Sicht. 
Das vielfach unkontrollierte Geschehen in den Kliniken und Transplantationszentren, in denen die Chirurgen wie Götter in Weiß regieren, ist die andere Ebene: die tatsächliche Welt des Transplantation. Das wohl meiste wird korrekt abgewickelt. Aber vieles eben nicht


Mai 2011

Im Göttinger Universitätsklinikum (UMG) wirkt Dr. med. Aiman O.. Inzwischen darf er in Göttingen 5% aller Spenderorgane auch ausländischen Kunden bzw. Patienten einpflanzen. Auch wenn sie nicht auf der offizielle Melde- und Warteliste von Eurotransplant stehen, die die u.U. lebensrettenden Organe nach dem MELD-Score (Model for End-stage Liver Disease) zuteilt: nach Krankheitszustand bzw. Dringlichkeit. Dieser MELD-Score wird aufgund dreier Werte, konkret: Laborparametern errechnet. Manipuliert man diese Laborwerte oder dichtet neue hinzu, steigt der MELD-Score. Und damit die formale Dringlichkeit eines mit diesen Daten an die zuständigen Stellen gemeldeten Kunden bzw. Patienten. 
Der Göttinger Oberarzt Aiman O., vorzugsweise als Leberchirurg im Einsatz, macht genau das. Im Zusammenspiel mit einem Kollegen, der genau dafür zuständig ist: einem Internisten, der sich um alles kümmert, was mit dem Magen-Darm-Trakt und dessen verbundenen Organe, z.B. die Leber zu tun hat. Konkret: Beide dichten Kunden bzw. Patienten, die bevorzugt an die Reihe kommen sollen oder die sonst gar keine Chance hätten, beispielsweise ein Nierenproblem an und manipulieren zu diesem Zweck die Laborwerte. So kommt etwa auch ein Bürger aus der Russischen Föderation, Alkoholiker, aber vermögend, zu einer neuen Leber durch Aiman O. - vermittelt über eine medizinische Dienstleistungagentur.  
Über 20 solcher Fälle werden ein Jahr später ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten ...


7. Oktober

Beim Bundesminister für Gesundheit Daniel BAHR, FDP, der erst seit kurzem im Amt ist, sowie bei dem bekannten Leberchirurgen am Frankfurter Uni-Klinikum, Prof. Dr. Wolf Otto BECHSTEIN, der zudem a) als Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft und zeitgleich b) als Vorsitzender des DSO-Stiftungsrates fungiert, geht eine anonyme E-mail ein. Außerdem an alle Bundestagsabgeordenten, die im Gesundheitsausschuss vertreten sind: 

"Leider muss dieser Brief anonym bleiben, da wir sonst von Seiten des Vorstands der DSO mit Repressalien rechnen müssen. Ein offener Dialog wäre uns eigentlich lieber, doch ein Großteil der Mitarbeiter in der Hauptverwaltung und in den Regionen lebt unter ständiger Angst. Die Mitarbeiter werden regelmäßig vom Vorstand eingeschüchtert. Bei kritischen Äußerungen werden Abmahnungen oder fristlose Kündigungen ausgesprochen,"  heißt es in dem Schreiben. Keine 'gute Note' für die DSO - weder hinsichtlich der innerbetrieblichen Atmosphäre noch was die inhaltliche Diskussionskultur in einem so sensiblen Bereich anbelangt, den die DSO - eigentlich - effizient koordinieren und organisieren soll. 
Der Katalog der Kritik ist umfangreich:

  • "Vetternwirtschaft und Selbstbedienung" , konkret: Von goldenen Montblanc-Füllern bis hin zum Umstand, dass der kaufmännische Vorstand BECK sozusagen fast jedes Jahr einen neuen Dienstwagen benötigt
  • Kündigungen und Mobbing auf allen Personalebenen
  • ein großer Teil der Mitarbeiter ist inzwischen  "verunsichert und demotiviert" . Und weiter:  "Viele engagierte, langjährige Mitarbeiter haben die DSO bereits verlassen oder spielen mit dem Gedanken das zu tun. Das alles bleibt natürlich nicht ohne Wirkung auf die Organspende."
  • Grund für das alles:  "ein Führungsstil nach Gutsherrenart"  auf der Ebene der beiden Vorstände, KIRSTE (medizinischer Vorstand) und BECK (betriebswirtschaftlicher Vorstand)
  • Und vor allem: Die Organspenden gehen seit langem kontinuierlich zurück. Und (Gegen)Maßnahmen des Vorstands zeigen keine Wirkung.

"Es ist dringend erforderlich, dass dem Unwesen endlich Einhalt geboten wird. Wo ist das 
Aufsichtsgremium? Kann der Vorstand schalten und walten wie er will ? Wir sind eine Stiftung, die von Krankenkassengeldern bezahlt wird, und kein Wirtschaftsunternehmen! Es geht um Menschenleben!" 

Lesen Sie diesen dramatischen Brief, der neben den eigentlichen Adressaten an diesem Freitag, den 7. Oktober 2011, ebenfalls an den Beirat und an die Mitglieder des Stiftungstrats der DSO geht!


9. Oktober

Bei der  taz  hat an diesem Sonntag auch Heike HAARHOFF Dienst. Sie ist erst seit einem Jahr für das Ressort Gesundheit zuständig. Aufgrund ihrer guten Kontakte und Netzwerkverbindungen erhält auch sie diese E-mail, obwohl die anonymen Absender geschrieben haben, dass diese Mail  "bewusst nicht an die Presse"  geht,  "da wir glauben, dass ein weiterer Skandal das Leben der Menschen auf der Warteliste gefährdet." 
Die Bewältung interner Probleme und die Beseitigung von Missständen seitens der eigenen Hierarchie-Strukturen kommt nur sehr selten vor. Grund: Die Hierarchie-Strukturen sind in der Regel eher Teil des Problems als Bestandteil einer Lösung. In Institutionen, die  "nach Gutsherrenart"  geführt werden und in denen es sozusagen niemand (mehr) wagt, positiv intendierte Kritik vorzubringen, kann das schon garnicht funktionieren. So, wie offenbar bei der DSO.  
Weil dies so selten intern funktioniert, ist es zielführend, wenn man weitere Aufsichtsebenen einschaltet: Sofern es die gibt und sofern die - unabhängig - funktionieren und mit Kritik professionell umzugehen wissen. Auch dies ist eher (sehr) selten (siehe dazu Die DSO: Einflussnahme(n) und Interssensgeflecht ).
So verbleibt ganz oft als wirklich effektiver Weg (nur) der Gang an die Öffentlichkeit. Zum Beispiel über die Medien. Medienvertreter, die ihren Job machen und sich als Initiator und Motor der öffentlichen Diskussion verstehen, wissen mit anonymen Informationen sensibel umzugehen. 
So geschieht es auch in diesem Fall und tags drauf, am Montag, veröffentlicht Heike HAARHOFF in der  taz  einen ersten Bericht: Einschüchterung und Selbstbedienung


10. Oktober 2011

Die DSO gibt eine Pressemitteilung heraus. In der wird der Rückgang der Spendenbereitschaft bestätigt - er sei indes  "ursächlich bisher nicht geklärt" . Und zu den - begründetermaßen anonym vorgetragenen - Vorwürfen heißt es:  " Die DSO ist jederzeit bereit, sich mit klar vorgetragenen Argumenten und Vorschlägen auseinanderzusetzen. Dies geschieht vielfach intern und zusammen mit allen Beteiligten im Gesundheitswesen, besonders den Vertragspartnern. Eine Auseinandersetzung mit anonym vorgetragenen und einer sachlichen Grundlage entbehrenden Vorwürfen verbietet sich."  Unterschrieben von den beiden DSO-Vorständen KIRSTE und BECK, aber auch dem Vorsitzenden des Stiftungsrats, Wolf O. BECHSTEIN, der auf dem Verteiler der E-mail stand


danach

Der Stiftungsrat kommt - aufgrund des öffentlichen Drucks, den die flächendeckende E-mail-Aktion ausgelöst hat sowie die ersten Veröffentlichungen in der  taz  - nicht umhin, sich mit den Vorhaltungen zu befassen. Er wird am 2. November eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beauftragen (müssen), den Vorwürfen nachzugehen. Hintergrund: In absehbarer Zeit steht eine Reform des Transplantationsgesetzes an und erste Diskussionen auf politischer Ebene laufen bereits. Außerdem läuft die Imagekampagne der DSO auf Hochtouren: 

Und die  taz  hat sich damit und den eigentlich notwendigen politischen Diskussionen gerade kritisch auseinandergesetzt:  Mein Herz gehört dir. Weitere Skandale oder Skandälchen, etwa wenn weitere Vorwürfe der Selbstbedienung innerhalb der DSO-Hierarchie ans Tageslicht kämen, könnten da nur kontraproduktiv wirken


22. November

An diesem Tag erhält die Uniklinik Göttingen, die „Universitätsmedizin Göttingen (UMG)“ erstmals Kenntnis von einem anonymen Anruf, der am 4. Juli bei der DSO aufgelaufen war: auf deren Anrufbeantworter und außerhalb der Dienstzeit. Ein sehr kurzer Anruf auf. Die Informationen waren äußerst knapp: Die UMG sei in "kriminelle Machenschaften"  verwickelt, behauptet der Anrufer. Sein zweiter und gleichzeitig letzter Satz ist eine Frage: Ob man sich hier eine Leber  "kaufen" könne? 
Die DSO informiert die zunächst die „Überwachungskommission“ bei der Bundesärztekammer. Nicht die Staatsanwaltschaft.  
Dies ist eines der Probleme: Fehlverhalten wird nach außen hin immer unter den Teppich gekehrt. Das sehen auch viele andere hochrangige DSO-Mitarbeiter so, die DSO-Vorstände (natürlich) ausgenommen. In einem internen Protokoll der DSO zu diesem anonymen Anruf heißt es: Das  "System der Organspende" derzeit deshalb angreifbar, weil von vielen Beteiligten Sachverhalte verschleiert werden, anstatt diese in der Öffentlichkeit zu diskutieren" . Die  taz  wird das erst ein ganzes Jahr später berichten können: Mühsame Suche nach einem Neuanfang.
So wird die Klinikleitung der UMG erst jetzt arlarmiert. Dort reagiert man – im Gegensatz zur DSO – absolut professionell: sofort. Sie konfronziert den Leberarzt, Aiman O., mit den Fakten, stellt ihn zur Rede. Noch am selben Tag. 
Und noch am selben Tag wird zwischen der Universitätsklinik und deren Leiter der Organtransplantation, Aiman O., ein Auflösungsvertrag des Arbeitsverhältnisses zum 30. September des nächsten Jahres, also in 10 Monaten vereinbart.  
Erste Überprüfungen der Informationen aus dem Gespräch mit AIMAN O. bringen die UMG dazu, nur wenig später die Staatsanwaltschaft in Braunschweig zu alarmieren. Die wiederum nimmt - vorerst in dezenter Zurückhaltung - erste Ermittlungen auf. In der Öffentlichkeit wird davon (ersteinmal) nichts bekannt


30. November 2011

Die  taz  legt erneut nach: Sie setzt sich mit dem Lieblingsprojekt der DSO auseinander, den sogenannten Inhouse-Koordinatoren. Die Idee dieses Konzepts: In jedem Krankenhaus z.B. einen Arzt als DSO-Mitarbeiter zu beauftragen, der - rechtzeitig - meldet, wenn sich auf einer Intensivstation ein menschliches Leben dem Hirntod nähert: Auf dass man - durch geeignete Maßnahmen - rechtzeitig potenzielle Organspenden generieren kann. Die DSO will mit diesem Konzept ausschließen, dass bei Patienten der Hirntod übersehen und somit nicht nach Organspenden gefragt werden kann.  
So schlüssig dieses Konzept auf den ersten Blick erscheint, so wenig erfolgreich war es bisher. Das hatten auch die anonymen DSO-Mitarbeiter in ihrer E-mail bemängelt. Und auch das Deutsche Krankenhaus-Institut (DKI) kommt in einer wissenschaftlich angelegten Untersuchung (Zwischenbericht) zum gleichen Ergebnis:  "Des Weiteren zeigt die Inhousekoordination eindeutig, dass die im internationalen Vergleich unterdurchschnittlichen Spenderraten in Deutschland nicht auf unzureichende Meldungen potenzieller Spender durch die Krankenhäuser zurückzuführen sind." Auftraggeber dieser Studie: die DSO.  
Allein: Die DSO-Manager wollen weder den Misserfolg ihres ehrgeizigen Projekts noch die Erkenntnis ihrer selbst beauftragten Studie zur Kenntnis nehmen.  
Heike HAARHOFF von der  taz  fasst das in ihrem Artikel  Nieren bleiben rar alles schnörkellos zusammen


13. Dezember 2011

Jetzt greift auch Christina BERNDT von der  Süddeutschen Zeitung (SZ)  das Thema auf. Sie hat schon die Jahre vorher regelmäßig über Merkwürdigkeiten und Versäumnisse in diesem Bereich berichtet. Jetzt liegen ihr mehrere Berichte vor, dass Mitarbeiter der DSO seitens ihrer Chefs unter Druck gesetzt werden. Z.B. sich von der anonymen E-mail zu distanzieren. Andererseits ist jetzt die Politik hellhörig geworden:  "Die Vorwürfe geben Anlass, für eine umgehende Aufklärung Sorge zu tragen" , so das Gesundheitsministerium an die Adresse des DSO-Stiftungsrates.  
Christina BERNDT fasst ihren Bericht unter der vielsagenden Überschrift Organversagen zusammen


tags drauf, am 14. Dezember 2011

In der DSO ist man mehr als aufgeschreckt. Nicht nur, dass die  taz  nicht müde wird, das Thema Transplantation aufrecht zu erhalten. Beunruhigender für die DSO-Vorstände wirkt, dass sich neuerdings jetzt auch die  SZ  mit den Vorwürfen der anonymen E-mail auseinandersetzt. Dr. Thomas BECK, der kaufmännische Vorstand der DSO, der in den letzten 6 Jahren 4 Dienstwagen 'verbraucht' hatte, spricht im Zusammenhang mit dem Umstand der SZ -Veröffentlichung von einer  "neuen Qualität" , als sich die DSO-Oberen mit ihren regionalen Vertretern in einer Telefonkonferenz zusammenschalten. Ansonsten diskutieren die DSO-Manager ihr letztes Lieblingsprojekt: die Inhouse-Koordinatoren. Wie gehabt, hält man daran fest, eisern. Und folgerichtige Konsequenzen daraus ziehen, will man schon garnicht


16. Dezember 2011

Einer, der weiß, wovon er spricht, ist der inzwischen pensionierte Mediziner Claus WESSLAU. Er war bis Ende letzten Jahres der Aquise-König der DSO. In keiner Region wie in Nordost mit der DSO-Filiale in Berlin war das Spendenaufkommen so hoch. WESSLAU tat das, was man vernünftigerweise macht:

  • Man erhebt Daten, um eine Problem zu analysieren und um danach eine adäquate Lösung zu finden.
  • Man unterstützt die Krankenhäuser im Fall einer zu realisierenden Organspende optimal: WESSLAU beispielsweise schickt stets 2 Koordinatoren zur Durchführung einer Organspende in die Klinik
  • Man begeistert Kollegen und Kolleginnen, wenn man eine wichtige Idee wie die der Organspenden wirksam und flächendeckend umsetzen will.

WESSLAU (Anästhesiearzt in der Berliner Charite) gelingt als geschäftsführender Arzt der DSO-Region Ost, was in keiner anderen Region gelingt. Trotz DSO und ihrer Politik. Jetzt ist er raus aus dem System DSO. Folge: In seiner ehemaligen Region sind die Spenderzahlen wieder eingebrochen.  
Der  taz  steht er Rede und Antwort: 

Und so klingt das Jahr 2011 - aus der Sicht der Öffentlichkeit - vergleichsweise unaufgeregt aus was das Thema Organspenden anbelangt. Bekannt ist nur,

  • dass DSO-Mitarbeiter Kritik an ihrer Führung äußern, dies aber nicht öffen sagen können bzw. wollen, weil sie Repressalien fürchten
  • und dass das Transplantationsgesetz im nächsten Jahr reformiert werden soll, weil es zu wenig Spender gibt.

Alles andere kann – bisher erfolgreich - unter dem Deckel gehalten werden


Das neue Jahr 2012 im März

Der Monat März wird ereignisreich:

  • Unter dem Datum des 1. März bringt das vom Stiftungsrat der DSO beauftragte Wirtschaftsprüfungsunternehmen "BDO Aktiengesellschaft" seinen "Bericht über die forensische Sonderuntersuchung"  der DSO zum Abschluss. Der geht jetzt an den Auftraggeber, geheim natürlich und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Bekannt werden die Ergebnisse dennoch: gegen Ende des Monats
  • Zeitgleich einigen sich die Fraktionen im Deutschen Bundestag über eine Reform, konkret auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf. Danach sollen die Krankenkassen ihre Mitglieder regelmäßig befragen, ob sie sich für oder gegen eine Organspende nach ihrem Tod entscheiden (sogenannte Entscheidungslösung).
  • Am Universitätsklinikum Göttingen liegt inzwischen ebenfalls eine erste Untersuchung über die Praktiken ihres Leberarztes Dr. med. Aiman O. vor. Die Klinikleitung, die bereits beim ersten Verdacht im November schnell reagiert hat, reagiert auch jetzt sofort und zielgerichtet: Die Transplantationsabteilung wird umstrukturiert, Schwachstellen ausgeschaltet, wie die UMG im Jahr 2013 dem  Göttinger Tageblatt erklären wird:  Auch"vor Chefs wird nicht haltgemacht".
  • Am 21. März lädt der Deutsche Ethikrat zu einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung:  Hirntod und Organentnahme. Gibt es neue Erkenntnisse zum Ende des menschlichen Lebens?
  • In einem großen Artikel  System Organspende  dröselt Heike HAARHOFF von der  taz mehrere Merkwürdigkeiten auf, bevor
  • nur wenige Tage später sowohl die  taz  als auch die  Süddeutsche Zeitung über die Ergebnisse des BDO-Gutachtens berichten, das vor kurzem an den Auftraggeber, den Stiftungsrat der DSO gegangen ist: 
    -  Teure Füller, Dienstwagen und Jobs für Verwandte ( taz 
    -  Ein Herz für Dienstwagen ( SZ ). 
    Der Druck der nun mit Hand und Fuß substantiierten Vorwürfe, die DSO-Mitarbeiter bereits vor einem halben Jahr in anonymer Form erhoben hatten, ist so groß, dass nur drei Wochen später der erste der beiden Vorstände, der kaufmännische Vorstand, Dr. Thomas BECK, seinen Rücktritt erklärt

Mai 2012

Die  taz, die tageszeitung  sowie die  Süddeutsche Zeitung  werden angesichts der politischen Debatte im Deutschen Bundestag und in einigen Fachzirkeln nicht müde, die Systemschwächen des Systems DSO zu analysieren:

  • die  taz  berichtet als Erste über den Vorfall vom 8./9. Dezember 2005, als einem gerade Verstorbenen die Organe entnommen wurden, obwohl das zweite Protokoll nicht vorlag. Und wie die DSO die Alarm schlagende Koordinatorin danach in die Mangel genommen hatte:  Monopolist der Organe 
  • nur wenig später kritisiert die  taz , dass die DSO unerlaubte Organentnahmen durch osteuropäische Ärzte geduldet hatte, die in Deutschland gar keine Berufserlaubnis hatten:  Operation ohne Erlaubnis .
  • Die  SZ  berichtet über Kritiker der DSO, nach deren Meinung das gesamte "System DSO" auf den Prüfstand gehöre: Gestörtes Vertrauen

Unabhängig der Kritik und den ungelösten Fragen stimmt der Bundestag am 25. Mai mehrheitlich der geplanten Transplantationsreform zu, nach der jeder Bürger älter als 16 Jahre regelmäßig von seiner Krankenkasse schriftlich befragt werden soll, ob er - im Falle eines Falles - zu einer Organspende bereit ist. Das neue Gesetz verkörpert zwar keine Idealregelung, ist aber ein (kleiner) Fortschritt . Eigentlicher Hintergrund dieser Reform: Die Bundesregierung musste den EU-Vorgaben nach besseren Transplantations-Statistiken Rechnung tragen.


4. Juni 2012

Die  Badische Zeitung  mit Sitz in Freiburg druckt Heike HAARHOFF's großen Artikel "Monopolist der Organe" nach, erschienen am 8. Mai in der  taz . Das Tagblatt wird auch vom medizinischen Vorstand Prof. Dr. Günter KIRSTE gelesen, der in der Nähe von Freiburg wohnt.  
Den  taz -Artikel hat KIRSTE zur Kenntnis genommen. Dass nun seine eigene 'Heimatzeitung' über ihn und 'seine DSO' schreibt, konkret den  taz -Artikel wiederholen lässt, bringt ihn auf. Erbost ruft er bei der Redaktion des  Badischen Tagblatt  an, beschwert sich darüber, dass das Tagblatt einem diffamierendem Bericht der  taz  aufgesessen sei, fordert deshalb ein Interview, um seine Sicht der Dinge dazutun. 
Die  Badische Zeitung  gewährt ihm ein Gespräch, am 25. Juni. Ein Interview druckt die Zeitung aber nicht. KIRSTE wehrt sich dagegen nicht: weder beschwert er sich bei der Chefredaktion noch zerrt er die Zeitung vor Gericht. 
Das macht KIRSTE aber mit der (kleinen) Tageszeitung  taz . Er schaltet seine Anwälte ein. Die sollen für die DSO eine sogenannte Einstweilige Verfügung erwirken, nach der der  taz  eine ganze Reihe von Formulierungen bzw. Behauptungen untersagt werden soll. Und im Falle der Zuwiderhandlung soll die kleine Zeitung 250.000 € Ordnungsgeld bezahlen. Um die Glaubwürdigkeit seiner Argumente zu untermauern, lässt KIRSTE eine Eidesstattliche Versicherung anbeilegen - zur Vorlage vor Gericht. Darin behauptet er u.a., dass bei dem fraglichen Organentnahme-Vorfall im Dezember 2005  "alle vier Untersuchungen stattgefunden haben und der Koordinator auch alle vier Protokolle gesehen hatte." Im Bericht der "Überwachungskommission" der Bundesärztekammer vom 22. Februar 2010, die diesen Vorgang aufklären sollte, liest sich das anders: "Das gesuchte Protokoll ließ sich nicht finden. Ob es existiert (hat), blieb ungewiss, weil sich die Widersprüche der Angaben am Geschehen beteiligter Personen nicht mit den Mitteln der Kommission lösen ließen. Damit blieb auch ungewiss, ob die eine der zwei nach Sachlage für die Hirntod-Dokumentation nötigen Verlaufsuntersuchungen richtliniengemäß durchgeführt worden war." Die  taz  wird deshalb später auf ihre Weise reagieren: Sie wird über ihren Anwalt Strafanzeige gegen KIRSTE stellen, denn KIRSTE habe vor Gericht  "gelogen" . Soweit ist es im Juni 2012 noch nicht.

Jetzt sind es andere Meldungen, die Schlagzeilen machen:


12. Juni 2012; Dienstag

An diesem Tag schreckt Jürgen GÜCKEL, Lokalredakteur beim  Göttinger Tageblatt zunächst nur die Leser seiner Lokalzeitung auf:

Der Verdacht, dass es am Universitätsklinikum bei Lebertransplantationen nicht (nur) mit rechten Dingen zugegangen sein soll, wiegt schwer. Um das so für die Leser schwarz auf weiß zu Papier bringen zu können, musste Jürgen GÜCKEL einen Tag zuvor aufregende Stunden hinter sich bringen, um so etwas überhaupt schreiben zu können. Denn den Startschuss hatte an diesem Tag, einem Montag, eine anonyme E-mail gegeben: letztlich nur ein vager Hinweis. Aber der hatte dann alles ins Rollen gebracht - und das innerhalb weniger Stunden.  
Wie dieser Tag ablief und was alle passierte, hat Jürgen GÜCKEL selbst sehr detailgenau beschrieben. Und warum  "jede windelweiche Presseerklärung ein Aufruf zu tieferer Recherche"  ist: unter Wie das Göttinger Tageblatt den Skandal enthüllte . Auch wenn sich im Laufe des Tages einige Informationen verdichten, die Chefredaktion nickt den geplanten Artikel erst am Abend ab. Zu spät, um die Geschichte der Mutterzeitung, der Hannoversche Allgemeinen (HAZ)  für deren Mantel anzubieten. Dafür setzt GÜCKEL eine entsprechende Kurzfassung für die Presseagentur  DPA  ab


danach

Die  DPA -Meldung verbreitet sich wellenförmig und flächendeckend. Erste überregionale Medien fragen beim  Göttinger Tageblatt  nach. Und in vielen Zeitungen taucht die Meldung in wenigen Zeilen auf. Auch in der  Süddeutschen Zeitung , dort allerdings ohne den Hinweis, dass es eine Enthüllung des  Göttinger Tageblatt  war. 
Das  Göttinger Tageblatt  kann bereits tags drauf nachlegen und von staatsanwaltschaftlichen Durchsuchungen bei Arzt und Service-Firma berichten


16. Juni 2012 Samstag

Christina BERNDT von der  Süddeutschen Zeitung , die schon seit Jahren über Vorkommnisse und aktuelle Fragen zur Organtransplantation berichtet, setzt sich zum ersten Mal mit dem Fall aus Göttingen auseinander. Dran an der Geschichte was sie bereits seit längerem, konnte die vielen Gerüchte aber nicht 'hart' machen, wie sie in ihrer Rekonstruktion ihrer Enthüllungen  schreibt. Jetzt aber ersteinmal zu Göttingen: Geld oder Leber .
Christina BERNDT hat aufgrund ihrer Recherchen bereits weitere Informationen herausgefunden, nämlich dass

  • die DSO davon schon seit längerem wusste
  • und dass sie diese Informationen nicht an die Staatsanwaltschaft weitergegeben hatte.  
    Wenn nämlich eine (knappe) Leber jemandem zu Gute kommt, der auf der Warteliste eigentlich viel tiefer steht, dann stirbt im Zweifel ein anderer: Jemand, der ganz oben steht, denn da sind die wirklich Schwerstkranken gelistet.
  • Dass der Göttinger Oberarzt, der seit wenigen Tagen nun suspendiert ist, bereits sechs Jahre zuvor gemauschelt hatte: Indem er mit einer Leber nach Jordanien geflogen war, den europäischen Institutionen aber vorgegaukelt hatte, dass seine Patientin auf seiner Station in Regensburg liege.
  • Und dass dies keinerlei Konsequenzen für ihn hatte. Zu verflochten sind die vielen Kontrollgremien mit immer den selben Personen (vgl. Das Interessengeflecht der DSO )

Bis zu diesem Zeitpunkt haben über diesen Skandal nur wenige Zeitungen ausführlicher berichtet. Die meisten gaben sich mit der  DPA -Meldung zufrieden


Juli 2012

Auch das  Göttinger Tageblatt , das ja dicht dran ist am Skandal vor der eigenen Haustür, berichtet am Dritten des neuen Monats davon, dass der suspendierte Oberarzt Aiman O. bereits in seiner früheren Station in Regensburg gemauschelt habe. Und wie man auf den Vorfall in Göttingen aufmerksam geworden war:  
Auch hier stand ganz am Anfang ein anonymer Anruf. Auf dem Anrufbeantworter der DSO in Frankfurt. Die gab die Informationen dann nach Göttingen weiter. Und da habe man bereits im letzten Herbst ganz schnell reagiert und einen Auflösungvertrag mit dem Oberarzt geschlossen. Und die Braunschweiger Staatsanwaltschaft alarmiert, die nun ermitteln würde. 

Ganz im Gegensatz zu Regensburg, wo sich kein Staatsanwalt für den Zusammenhang interessiert hatte, dass die unrechtmäßige Zuteilung eines menschlichen Ersatzorgans an einen weniger Kranken durchaus den Tod des Schwerstkranken nach sich ziehen kann. Ein Fall von fahrlässiger oder gar vorsätzlicher Tötung?

Wie schon lange geplant und unabhängig davon, dass jetzt ein größerer Skandal ans Tageslicht gekommen ist, tagt ab 16. Juli die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) in Berlin - unter ihrem Präsidenten, dem Frankfurter Leberchirurgen Prof. Dr. Wolf Otto BECHSTEIN, seines Zeichens gleichzeitig Vorsitzender des DSO-Stiftungsrates und Mitglied in der Ständigen Kommission bei der Bundesärztekammer (StäKo).  
Christina BERND von der  SZ  ist schon die ganzen Tage wild am Recherchieren. Aber 'hart machen' kann sie ihre Informationen nicht. Die Staatsanwälte mauern, bestätigen allenfalls, was man bereits weiß. Eher läuft es auf dei Anmerkung hinaus: Dazu können wir nichts sagen. Was bedeutet: Dazu wollen wir nichts sagen. Bzw.: Dazu getrauen wir uns nicht, etwas zu sagen. 

So fährt Christina BERNDT nach Berlin. Sie will sich mit einigen ihrer Informanten aus der 'Szene' treffen, aber sich auch mit Prof. Dr. Hans LILIE von der Universität Halle unterhalten, einem ausgewiesenen Strafrechtler, der sich auch mit Medizinrecht beschäftigt und zu den etablierten 'Hierarchen' des deutschen Transplantationswesen gehört: als stellvertretender Vorsitzender des DSO-Stiftungsrats sowie als Vorsitzender der StäKo, der  Ständigen Konferenz Organtransplantation  der Bundesärztekammer als Überwachungsorgan für das gesamte Transplantationswesen. LILIE ist Redner und Vortragender auf praktisch allen DSO-Kongressen. 

Auch Prof. LILIE möchte den konkreten Fragen möglichst ausweichen, will/muss Rücksicht auf seine diversen Ämter und Funktionen nehmen, weniger der Unabhängigkeit der Wissenschaft zu ihrem Recht verhelfen. Doch Christina BERNDT weiß schon viel. Und je mehr ein Journalist bereits weiß, umso weniger kann der Gegenpart mit "windelweichen Erkläungen" entflüchten. LILIE muss nach und nach die Informationen der  SZ  bestätigen


20. Juli 2012

Jetzt ist es soweit: Die  Süddeutsche Zeitung  bringt die Geschichte ihrer Redakteurin ganz groß heraus: auf Seite 1 als Aufmacher und auf der Wissenschaftsseite:  Leber im Angebot . Darin schildert sie den Fall in Göttingen und lässt anklingen, dass Aiman O., der in der  SZ überhaupt nicht namentlich genannt wird, bereits an seiner früheren Wirkungsstätte in Regensburg gemauschelt hätte. Wie das so ist bei Themen, die flächendeckend 'Karriere machen', bedarf es regelmäßig eines großen Mediums, das sich 'aus dem Fenster hängt'. Die Süddeutsche Zeitung  gehört zu den führenden Meinungs- und Themenmachern. Wenn dann ein Thema oder ein Skandal, der lokal oder regional bereits publik geworden ist, dann in einem der sogenannten Leitmedien aufgegriffen wird, wird auch das Fernsehen aktiv. Bei dem aktuellen Thema, das erst kürzlich in Form einer Gesetzesänderung auf der politischen Agenda stand, erst recht. 

So greift auch die  Tagesschau  das Thema auf: 

Ab jetzt ist das Thema ein bundesweites Thema und wird auf allen medialen Klaviaturen gespielt.  DER SPIEGEL  setzt 10 Journalisten an das Thema dran,  stern und  Focus  jeweils drei


danach

Sind ersteinmal die journalistischen Schleusen geöffnet, so gibt es kein Halten mehr. Der Übermacht der Medien, die das "öffentliche Interesse auf Information" vertritt, sind auch immer mehr offizielle und halboffizielle Ermittlungsbehörden und Aufsichtsgremien nicht mehr gewachsen: Jetzt kommt immer mehr ans Tageslicht:

  • Aiman O. hatte in Göttingen einen Mitspieler, einen professoralen Gastroenterologen, der ihm jeweils die passenden Laborwerte lieferte, wenn der Transplantationschirurg welche brauchte. Der Professor wird gefeuert
  • nicht nur im Fall des vermögenden Patienten aus Russland wurden Daten manipuliert und eine Leber unberechtigterweise anderen viel schwerer Kranken vorenthalten; inzwischen ist die Rede von über 20 solcher Fälle
  • in Regensburg, der früheren Wirkungsstätte, sind derweil über 40 Manipulationsfälle im Visier; AIMAN O.'s Schirmherr, Mentor und Doktorvater, Prof. Dr. Hans SCHLITT, wird vorübergehend beurlaubt. Dies schmerzt ihn sehr, denn er hätte sehr gerne auch die Weihen der Präsidentschaft über die Deutsche Transplantationsgesellschaft entgegen genommen; daraus wird nun nichts (mehr)
  • im September 2012 macht Christina BERNDT in der  SZ  bekannt, dass auch am Münchner Klinikum rechts der Isar bei Organtransplantationen manipuliert wurde: auch  Münchner Krankenhaus unter Verdacht

Dort z.B. ist man - im Gegensatz zu Göttingen - nicht bereit, wirklich aufzuklären; die Klinikleitung mauert, und zwar nach allen Kräften


November 2012

Während

  • Christina BERNDT ein Interview mit dem Medizinrechtler Hans LILIE führt, der davon spricht, dass dies alles  "kein Flächenbrand" ist,
  • und während das Nachrichtenmagazin  Focus  und das  Laborjournal  leine nächste, kleinere Affäre enthüllen, die darin besteht, dass die Gattin von Aiman O. dessen Dissertation mehr oder weniger abgeschrieben, sprich ein Plagiat produziert hat,

stellt die  taz  Strafanzeige gegen den (immer noch agierenden) DSO-Chef Günter KIRSTE. Die taz  wehrt sich, weil sie ihrerseits von KIRSTE mit einem Gerichtsprozess überzogen wurde: wegen ihrer Berichterstattung über den Vorgang aus dem Jahr 2005, als einem Hirntoten Organe entnommen worden waren, ohne dass - wie es ganz offensichtlich gewesen zu sein scheint - alle Protokolle über die Feststellung des Hirntods vorgelegen haben (siehe unter dem Datum 4. Juni 2012). Darüber berichten

Kurz darauf findet der  Jahreskongress der DSO  in der Hauptstadt Deutschlands, Berlin, statt. Heike HAARHOFF ist dort nicht erwünscht.  “Wir bitten um Ihr Verständnis, dass eine Beteiligung von Journalisten nicht vorgesehen ist“ , schreibt das Vorstandssekretariat von Prof. KIRSTE. Es sei dies eine  “Fachveranstaltung auf Mediziner, Transplantationsbeauftragte und Inhousekoordinatoren ausgerichtet.“ 
Auch Christina BERNDT, die aus München angereist kommt, ist davon betroffen. Man richtet im Berliner DOM-Hotel einen Zusatzraum ein, in dem alles via Video übertragen wird. Im Konferenzssaal selbst sind ausreichend Plätze frei. 
Heike HAARHOFF spricht die Politiker an, die bei diesem Kongress reden (wollen), fragt, ob dies wirklich hinnehmbar sei? Die Politiker, darunter Bundesgesundheitsminister BAHR runzeln die Stirn – sie haben keinen Einfluss auf die Organisation. Und das Wachpersonal an den Türen zum Konferenzraum hat strikte Anweisung, Journalisten auf keinen Fall hineinzulassen! 
Erst als sie einen der praktizierenden Leberpäpste, Prof. Dr. med. Wolf Otto BECHSTEIN ansprechen kann, der a) Chefchirurg des einziges hessischen Transplantationszentrums in Frankfurt ist, gleichzeitig b) Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft, c) als Mitglied in der StÄKO sitzt und d) zudem als Vorsitzender des DSO-Stiftungsrats fungiert, wird sie hineingelassen – BECHSTEIN ist es geradezu unangenehm bzw. peinlich, wie der DSO-Vorstand hier mal wieder nach “Gutsherrenart“  agiert. In der Zwischenzeit hat aber auch die Politik auf die diversen Missstände reagiert:

  • Bundesgesundheitsminister Daniel BAHR, FDP, lehnt den vorgesehenen Nachfolger von Günter KIRSTE ab. KIRSTE's Ära ist ohnehin in Kürze zu Ende - sein Vertrag wird nach all den bekannt gewordenen Vorfällen nicht verlängert
  • der Bayerische Wissenschaftsminister tauscht beim "Münchner Klinikum rechts der Isar" die Leitung des Transplantationszentrums aus - dort laufen u.a. auch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen

Januar 2013

Nach den bekannt gewordenen Vorfällen in Regensburg, Göttingen, München ist nun auch die Uniklinik Leipzig an der Reihe - auch hier wurden Patientendaten gefälscht, um bestimmte Personen bei den lebensnotwendigen Ersatzorganen zu bevorzugen. Auch hier ein krasser Bruch der Spielregeln fairer Verteilung, auf die man sich - eigentlich - geeinigt hat. 
So sieht es offenbar auch die Staatsanwaltschaft in Braunschweig. Sie wagt einen mutigen Schritt: Sie verhaftet Aiman O.. Vorwurf: dringender Tatverdacht des versuchten Totschlags in neun Fällen. 
Dass eine offizielle Ermittlungsbehörde nun den Umstand bevorzugter, weil manipulierter Organtransplantation als versuchten Totschlag interpretiert, weil gleichzeitig andere Schwerstkranke diese Organe nicht erhalten und möglicherweise deswegen sterben (müssen), ist neu. Aber kausal gesehen logisch. 
Inzwischen sehen das auch die ersten Politiker so und beginnen darüber nachzudenken, ob man der Klarheit wegen das Strafrecht ändern, sprich präzisieren solle. Mutige Staatsanwälte kommentiert Heike HAARHOFF in der  taz  


danach im Jahr 2013

Das Jahr 2013 bringt eine Reihe an Veränderungen - die kontinuierliche Recherchearbeit einiger Mediien und deren Veröffentlichungen zeigen Wirkung:

  • Der allmächtige Gottvater der DSO, Prof. Dr. med. Günter KIRSTE scheidet als medizinischer Vorstand endgültig aus der DSO aus. Er landet auch nicht - wie so oft üblich - danach im Stiftungsrat; die Ära KIRSTE ist vorbei
  • Sein Nachfolger, ein Jurist mit großer Erfahrung in Schlichtungsverfahren, Dr. jur. Rainer Hess, wird "Hauptamtlicher Vorstand für die Restrukturierung" der DSO. Er will bis Ende April 2013 konkrete Vorschläge für eine neue Struktur der DSO vorlegen
  • Orientieren sollen sich Überlegungen und Vorschläge daran, das öffentliche Vertrauen in die Organspende und die Sauberkeit der Transplantationsmedizin zurück zu gewinnen. Schließlich geht es um Leben. Und nicht um individuelle Pfründe oder Vetternwirtschaft
  • Aus diesem Grund sind alle Krankenkassen auch gehalten, ihre Mitglieder im ersten Halbjahr 2013 erstmals zu fragen, ob sie im Falle eines Falles bereit sind, Organspender zu werden

24. April 2013

"DSO stellt sich neuen Herausforderungen"  lautet der Titel der Pressekonferenz und der Pressemitteilung, in der Rainer HESS den neuen Weg bekannt gibt. Das sind die Eckpunkte:

  • 4 von insgesamt 12 Sitzen im Stiftungsrat sollen künftig Vertretern von Bund und Ländern gehören. Unverändert bleibt der Einfluss der Auftraggeber: die Bundesärztekammer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der GKV Spitzenverband aller Krankenkassen.
  • Transplantationspatienten und deren Angehörigen sollen mit 2 zusätzlichen Sitzen vertreten sein. Allerdings ohne Stimmrecht, aber mit Antragsrecht
  • Der Fachbeirat soll stärker fachlich ausgerichtet sein
  • Um künftig besser, sprich mit empirisch besser gesicherten Daten und Erfahrungen arbeiten zu können, soll ein Transplantationsregister aufgebaut werden, in dem relevante Informationen über Transplantationsoperationen - anonymisiert - für all jene zur Verfügung stehen sollen, die damit im Dienste der Menschen arbeiten wollen
  • Nach wir vor bleibt die DSO eine privatrechtliche Stiftung, die sich aber - ein (klein) wenig - der öffentlichen Kontrolle öffnen will.

"Es ist der persönlichen Integrität desneuen Vorsitzenden HESS geschuldet, dass der DSO trotz allem wohl nicht sofort neue Skandale drohen. Was aber, wenn weniger gefestigte Charaktere den Laden übernehmen? Spätestens dann muss das Parlament erkennen: Reformen? Vergeigt!" . So fasst Heike HAARHOFF ihre Einschätzung der neuen Pläne in ihrem taz -Kommentar zusammen. 
Organspenden: zwischen Leben und Tod - ohne Vetternwirtschaft? Die Zukunft wird zeigen, ob und wie das geht. Das hängt aber auch von jedem Einzelnen ab. Es gibt immer zwei Möglichkeiten:

  • Alles beim Alten zu belassen und darüber zu 'maulen'.
  • Oder aber sich einzumischen: In jene Belange, die jeden einzelnen angehen. Die Chancen, dass Dinge sich auch ändern (können), steigen ...

2014

Nachdem die Spenderzahlen immer tiefer gesunken sind, verstärkt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ihre Aufklärungskampagne für Organspenden. Nach einer Umfrage der BTgA haben im Vorjahr 65% der Bevölkerung über das Thema "Organspenden" gesprochen bzw. diskutiert. Für einen spürbaren Anstieg der Spender reicht dies jedoch nicht - zu tief sitzt das Misstrauen nach den Skandalen.

Einer dieser Affären wird noch immer im Göttinger Landgericht abgearbeitet: das Verfahren gegen Prof. Dr. Aiman O., der wegen versuchtem Totschlags in 11 Fällen und Körperverletzung mit Todesfolge in 3 Fällen angeklagt ist. Das Verfahrensende wird nicht vor Herbst geschätzt.

Parallel dazu erscheint ein Buch zum Thema: Heike HAARHOFF, Redakteurin bei der taz, die tageszeitung und Wächterpreisträgerin, hat einen Sammelband herausgegeben: "Organversagen. Die Krise der Transplantationsmedizin in Deutschland", über 300 Seiten umfangreich. Das gesamte Spektrum aller relevanter Aspekte wird darin aufgearbeitet.


22. August

Ein neuer Transplantationsskandal scheint sich abzuzeichnen. Diesesmal am renommierten Herzzentrum Berlin, einer internationalen Spitzeneinrichtung der Transplantationsmedizin. Zugleich eine der größten Einrichtung für Herz- und Lungentransplantationen: 1.800 Herze sowie 2.300 Kunstherze wurden hier seit Gründung 1986 ausgetauscht.

Eine seit 2012 im Zusammenhang mit den ersten Skandalen arbeitende Untersuchungskommission, die alle Zentren prüft, und sich seit April das Herzzentrum Berlin vorgeknöpft hat, hatte Unregelmäßigkeiten in mehreren Fällen festgestellt. Erste Folge: Eine Oberärztin, die offenbar 28 Patienten ohne medizinische Indikation zu starke herzstärkende Medikamente verabreicht hatte, die aufgrund des Wirkstoffs Katecholaminen jetzt als besonders gefährdet erscheinen wurde ersteinmal suspendiert. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Ein neuerlicher Skandal würde jetzt vermutlich das Gegenteil dessen bewirken, woran man seit letzter Zeit arbeitet: das Vertrauen in diesen potenziell (über)lebenswichtigen Medizinbereich wieder zu stärken


3. November 2014

RTL-Reporter Jenke von WILMSDORFF plant ein Experiment. In der MagazinsendungExtra will er seinen Plan vorstellen: die nächsten Wochen bei Massenveranstaltungen auftreten, Promis ansprechen u.a.m. Ziel: Die Zahl der Spender zu verzehnfachen. Konkret will er 100.000 neue Spender mobilisieren. Im Februar 2015 soll dann eine mehrteilige Serie "Das Jenke.Experiment Organspende" ausgestrahlt werden


6. Mai 2015

Das Landgericht Göttingen unter ihrem Schwurgerichtsvorsitzenden Ralf GÜNTHER spricht Aiman O. in allen Anklagepunkten frei (versuchter Totschlag in 11 Fällen, Körperverletzung mit Todesfolge in 3 Fällen, siehe Eintrag "2014"). Die Staatsanwaltschaft, die in Berufung gehen will, hat - vorerst - eine Niederlage erlitten, indem sie juristisches Neuland betreten hatte: medizinische Manipulationen zu Lasten Dritter zu sanktionieren.

Allerdings: Die Richter haben zwar Aiman O. freigesprochen, nicht aber das bisherige System Organspenden. So seien die Richtlinien der Bundesärztekammer "verfassungswidrig": Sie verletzten das Gleichbehandlungsgebot, weil beispielsweise Krebskranke oder Alkoholiker, wenn sie seit mindestens 6 Monaten nicht 'trocken' seien, von der Zuteilung lebensrettender Organe von vorneherein ausgeschlossen seien. 

Trotzdem: Aiman O. habe in "verwerflicher Weise" gehandelt - dies sei aber kein "Totschlag". Und es habe am Klinikum eine regelrechte "Manipulationskultur" gegeben. Gegen einen weiteren Arzt, der darin eingebunden war, wird immer noch ermittelt. 

So stand letztlich das System Organspenden auf der Anklagebank. In punkto Manipulationen hat inzwischen der Gesetzgeber reagiert: Seit 1. August 2013 sind Falschangaben von Ärzten in solchen Fällen strafbar. Zu Zeiten Aiman O. waren sie es (noch) nicht.

In einem Kommentar "Schluss mit dem feigen Wegschauen" hat sich die taz-Redakteurin Heike HAARHOFF, die 2013 eine der Wächterpreis-Träger für diese Geschichte war, mit dem Urteil auseinandergesetzt



(JL)

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2013

Die Menschen hinter dieser Geschichte: