Die Berichte des Handelsblatt, 19.10.2011

von Martin-Werner BUCHENAU, Jürgen FLAUGER

Das Machtkämpfle

Handelsblatt , 19.10.2011 

Kurt Widmaier ist ein wichtiger Mann. Der Landrat von Ravensburg - das Städtchen liegt etwas nördlich des Bodensees - ist nämlich im Nebenberuf Industriekapitän. Die offizielle Bezeichnung für seinen Job kommt zwar in schwäbischer Bescheidenheit eher nüchtern daher: Vorsitzender des kommunalen Zweckverbands Oberschwäbischer Elektrizitätswerke (OEW), steht auf Widmaiers Visitenkarte.

Der OEW hält aber 46,5 Prozent an Deutschlands drittgrößtem Energieversorger, der EnBW. Genau so viele Anteile hält das Land Baden-Württemberg - nachdem der ehemalige Ministerpräsident Stefan Mappus die Aktien vor knapp einem Jahr für rund fünf Milliarden Euro von der Électricité de France (EdF) zurückgekauft hat.

Bisher haben die beiden Großaktionäre ihren Konzern paritätisch geführt. Doch das könnte sich nun ändern. Denn EnBW braucht Kapital - 800 Millionen Euro, um nach der Atomwende in alternative Energien zu investieren. Beim Land ist die Geldspritze jedoch umstritten. Schließlich hat der Steuerzahler mit der Beteiligung binnen zehn Monaten schon einen Verlust von rund einer Milliarde Euro erlitten.
Soll das Land dem schlechten Geld also noch gutes hinterherwerfen? In Stuttgart ist diese Frage noch längst nicht entschieden. Wohl aber in Ravensburg.

Der OEW könnte die Mehrheit erlangen.

Natürlich werde er mit der Regierung über die Kapitalspritze sprechen, sagte Widmaier. Was er dann aber hinzufügte, kam fast einer Kriegserklärung gleich. Der OEW unterstütze den Wunsch von Konzernchef Hans-Peter Villis nach einer Kapitalspritze - und notfalls würden die kommunalen Aktionäre diese auch "einseitig mittragen".

Im Klartext heißt das: Wenn die beiden Parteien nicht an einem Strang ziehen, wird der OEW allein marschieren. Und sich so die Mehrheit an der EnBW sichern.

Das kann die Landesregierung freilich nicht akzeptieren - der Druck ist deshalb groß, dass die Regierung mitzieht.

Jetzt rächt sich, dass der inzwischen abgewählte Ministerpräsident Mappus (CDU) keinen neuen Konsortialvertrag mit der OEW aushandelte, als er dem französischen Energieriesen EdF Ende 2010 die EnBW-Aktien abkaufte. Mit der EdF hatten die Kommunen vereinbart, die EnBW stets paritätisch zu führen - und keiner der Partner sollte die Mehrheit anstreben. Das Land ist zwar in den Vertrag eingetreten, Mappus hat ihn aber im Zuge der Übernahme der Anteile nicht erneuert. Und Ende des Jahres läuft er aus.

Die Parteien verhandeln zwar über einen neuen Vertrag - aber den gibt es noch nicht. Der grün-rote Ministerpräsident Winfried Kretschmann reagierte deshalb gestern reserviert auf den Vorstoß des kommunalen Partners. "Es ist klar, dass wir nicht mit einem vollen Geldsack rumlaufen", sagte er. Und Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) sagte zum Handelsblatt: "Es wird keinen Blankoscheck für die EnBW geben."

Nächste Woche kommt der Aufsichtsrat der EnBW zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Da wird Villis seine Pläne noch einmal vorstellen: Er will die Kapitalbasis des Konzerns stärken, um das gute Rating nicht zu gefährden. Das Unternehmen wird durch die Energiewende und Abschreibungen auf unrentable Beteiligungen belastet. Es benötigt Geld, um den Atomausstieg zu verkraften und in erneuerbare Energien zu investieren.

Schon vorgestern traf sich Villis mit den OEW-Mitgliedern, die seine Pläne unterstützen. Die Landesregierung steht der Strategie aber kritisch gegenüber. Die neuen Machthaber wollen die EnBW radikaler umbauen und für Stadtwerke öffnen, heißt es in Regierungskreisen. In der jetzigen Form sei die EnBW aber kaum attraktiv für größere Versorger aus der Region, heißt es. Stattdessen könnten die Kernkraftwerke der EnBW in eine eigene Gesellschaft ausgegliedert werden. Der Rückbau der Reaktoren könnte dann über die Rückstellungen des Konzerns und die Einnahmen der noch aktiven Anlagen finanziert werden. Die restliche, atomfreie EnBW könnte sich auf das Zukunftsgeschäft konzentrieren und wäre damit attraktiver für Partner.

Die Landesregierung sondiert bereits das Interesse von potenziellen Partnern. "Das können Stadtwerke aber auch ausländische Investoren sein", sagte Kretschmann gestern.