Die Berichte des Handelsblatt, 13.12.2010

von Sönke IWERSEN

Dippel: "Nicht an Vorgaben gehalten"

Handelsblatt , 13.12.2010 

Der Vergaberechtsexperte Martin Dippel vertritt häufig Unternehmen gegen öffentliche Auftraggeber. Im Interview mit Sönke Iwersen erklärt der Partner der Wirtschaftskanzlei Brandi, warum Baden-Württemberg beim EnBW-Milliardendeal gegen geltendes Recht verstieß.

Handelsblatt: Herr Professor Dippel, hätte das Bundesland den Beratungsauftrag an die Investmentbank Morgan Stanley zum Kauf der EnBW-Aktien ausschreiben müssen?

Martin Dippel: Aus meiner Sicht ja. Hier greift seit Juni die sogenannte Vergabeordnung für Leistungen. Sie regelt, welche Aufträge die öffentliche Hand ausschreiben muss.

Handelsblatt: Aber das Land gibt an, man habe im Einklang mit dem Vergaberecht den Auftrag ohne Ausschreibung direkt vergeben.

Dippel: Diese Argumentation ist rechtlich nicht nachzuvollziehen. Es ist richtig, dass es im Vergaberecht Ausnahmeregelungen gibt. Aber die greifen hier nicht.

Handelsblatt: Warum?

Dippel: Weil es klar festgelegte Schwellenwerte für diese Ausnahmen gibt. Die Vergabeordnung sieht vor, dass Aufträge über einem Volumen von 193 000 Euro ausgeschrieben werden müssen. Ich kenne die Honorarvereinbarung nicht, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass eine Investmentbank einen Deal für 4,7 Milliarden Euro für weniger als 193 000 Euro abwickelt.

Handelsblatt: Und wenn es in diesem Fall doch so sein sollte?

Dippel: Selbst dann hätte das Land sich nicht an die rechtlichen Vorgaben gehalten. Die Vergabeordnung kennt für Auftragsvolumen unter 193 000 Euro zwar Ausnahmen, zum Beispiel bei Geheimhaltungspflicht. In diesen Fällen darf man jedoch nicht vollkommen auf Wettbewerb verzichten, sondern wendet das sogenannte Verhandlungsverfahren an. Dabei wird auf eine öffentliche Ausschreibung verzichtet, es müssen aber grundsätzlich immer noch mehrere Angebote eingeholt werden. Auch die bis Juni geltende Verdingungsordnung sah das so vor.

Handelsblatt: Wie lässt sich feststellen, was genau hier passiert ist?

Dippel: Wenn das Land tatsächlich von einer Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht hat, dann muss der Grund dafür schriftlich niedergelegt sein. Diese Rechtfertigung muss sehr ausführlich sein.
Handelsblatt: Was halten Sie von dem Argument, Deals dieser Größenordnung würden durch Ausschreibung nur gefährdet?

Dippel: Die Praxis bestätigt das nicht. Natürlich gibt es auch für die öffentliche Hand immer wieder Geschäfte, deren Durchführung höchste Vertraulichkeit erfordert. Und die wird trotz Bieterverfahren auch immer wieder erfüllt.

Handelsblatt: Gibt es denn Fälle, bei denen sich die öffentliche Hand rechtswidrig verhalten hat?

Dippel: Ja. Die Zuständigen sind bei der Umgehung der Vorschriften teilweise sogar ausgesprochen kreativ.

Handelsblatt: Könnte es beim EnBW-Verkauf also zu Klagen kommen?

Dippel: Möglich ist, dass ein Wettbewerber von Morgan Stanley ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet. Bei Erfolg würde dann der Europäische Gerichtshof Zwangsgelder verhängen. Ich rechne aber nicht damit. Jede Investmentbank, die diesen Weg gehen würde, stünde danach bei öffentlichen Aufträgen auf verlorenem Posten.