Die Berichte des Handelsblatt, 17.03.2011

von Martin-Werner BUCHENAU

EnBW wird zum Abenteuer

Handelsblatt , 17.03.2011 

Der milliardenschwere Einstieg beim Energieversorger EnBW wird für das Land Baden-Württemberg zum riskanten Abenteuer. Grund ist die Katastrophe in Japan und die beschlossene Abschaltung von sieben deutschen Kernkraftwerken.

Dies hat nicht nur den Wert der Atommeiler der Konkurrenten Eon und RWE dezimiert - der Börsenwert dieser beiden Konzerne schmolz in wenigen Tagen um jeweils rund zehn Prozent oder insgesamt acht Milliarden Euro. Auch bei EnBW dürfte ein enormer wirtschaftlicher Schaden entstanden sein. Denn mit 50 Prozent ist der Anteil des Atomstroms bei dem Unternehmen etwa doppelt so hoch wie bei RWE oder Eon.

Im Dezember 2010 hatte Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) angekündigt, einen Anteil von 45 Prozent des EnBW-Großaktionärs EDF für 4,67 Milliarden Euro zu übernehmen. Damit kommt der Versorger aus Karlsruhe komplett in staatliche Hand.

Das Finanzierungskonzept des Landes sieht vor, die jährlichen Zinskosten für den Aktienkauf von 109 Millionen allein aus den Dividendeneinnahmen zu bestreiten. Doch dies wackelt. Wegen des Endes für zwei der vier EnBW-Kernkraftwerke sinkt der Spielraum für künftige Dividendenzahlungen.
Schon im Dezember galt der Kaufpreis als ambitioniert. Baden-Württemberg war - drei Monate nach der von der Bundesregierung beschlossenen Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke - bereit, als Unternehmenswert für EnBW rund 17 Milliarden Euro anzusetzen. Ein stolzer Betrag, betrachtet man eine für Übernahmen wichtige Kennzahl: den Unternehmenswert bezogen auf das operative Ergebnis vor Abschreibungen (Ebitda). EnBW schob sich auf Basis des Kaufangebots mit einem Wert von 5,5 zwischen RWE (5,1) und Eon (5,9).

Dabei hätte sich für EnBW "wegen der schwächeren Marktposition eine niedrigere Bewertung ergeben müssen", sagt ein Experte für Firmenübernahmen, der wegen der politischen Brisanz nicht namentlich genannt werden wollte.

Die Stilllegung von Neckarwestheim I und die ebenfalls dauerhaft notwendige Abschaltung von Philippsburg I bringen EnBW pro Jahr Umsatzeinbußen von mindestens 550 bis 600 Mio. Euro. Das ermittelte der Saarbrücker Energiewissenschaftlers Uwe Leprich. Andere Energieexperten sprechen von Gewinneinbußen in dreistelliger Millionenhöhe.

Nach Ansicht von Branchenkennern dürfte es EnBW kaum gelingen, diese Ausfälle mittelfristig voll zu kompensieren. Denn der Konzern muss milliardenschwere Ausgaben für Investitionen in neue Stromerzeugungskapazitäten stemmen. Das Unternehmen hält dagegen: "Die EnBW war 2010 operativ stark und wird auch in 2011 stark sein", hieß es in einer Mitteilung von gestern. Der Vorstand sehe keinen Grund, Ausblick oder Planungen zu ändern. EnBW hatte im Februar erklärt, für 2011 einen Rückgang des Gewinns vor Steuern und Zinsen um zehn bis 15 Prozent zu erwarten. Im vergangenen Jahr hatte EnBW einen Gewinn von 1,93 Milliarden Euro eingefahren.

Mappus hatte den Einstieg bei EnBW wiederholt als "gutes Geschäft" bezeichnet. Die erste Dividende von 172 Millionen Euro bedeutete einen Überschuss von rund 50 Millionen Euro. Mappus verteidigte die Übernahme außerdem mit dem enormen Kurs-Potenzial der Aktie, die Anfang 2008 noch 60 Euro gekostet hatte. Das Land bietet 41,50 Euro pro Aktie.

Dass der Börsenkurs der EnBW-Aktie bislang nicht eingebrochen ist, hat einen einfachen Grund: Die Frist zur Annahme des Übernahmeangebots endet am 18. März um 24 Uhr. Noch knapp zehn Prozent der Aktien befinden sich in Streubesitz. Nachdem bis zur Katastrophe in Japan nur ganz wenige Aktionäre ihre Aktien angeboten hatten, setzt jetzt ein regelrechter Run ein. Der Preis, den das Land bietet, dürfte so schnell nicht wieder erreicht werden. Für Landesvater Mappus keine gute Nachricht: Denn die Abfindungen der freien Aktionäre schlagen noch einmal mit rund einer Milliarde Euro zu Buche.
Selbst Koalitionspartner FDP ist vorsichtig und spricht davon, dass man die Anteile wohl länger als die geplanten zwei bis drei Jahre halten werde. "Es ergibt keinen Sinn, die Aktien zu einem niedrigeren Preis zu verkaufen", sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke.