Die Berichte des Handelsblatt, 20.01.2011

von Martin-Werner BUCHENAU, Jürgen FLAUGER

Wahrheit à la Mappus

Handelsblatt , 20.10.2011 

"Die schwäbische Hausfrau wird von dem Geschäft begeistert sein." 

1) Leider hat die schwäbische Hausfrau keinerlei Grund, begeistert zu sein. Denn das Geschäft war unter mehreren Aspekten miserabel. Zum einen schon deshalb, weil das Land im Jahr 2001 seinen Anteil an der EnBW an die Électricité de France (EdF) für 38,40 Euro pro Aktie verkauft hatte - der Rückkauf aber dann zum Aktienpreis von 41,50 Euro erfolgte.

Zum anderen war dieser Preis, entgegen der Darstellung von Stefan Mappus (CDU), keineswegs günstig: Nur fünf Tage vor der Verkündung des Deals hatte die Landesbank Baden-Württemberg, eine Tochter des Landes, ihre Kursschätzung für EnBW von 40,50 auf 37 Euro gesenkt. Kurz nach der Bekanntgabe gab die Société Générale ein Kursziel von 34 Euro aus.

Heute, zehn Monate später, ist der Kurs auf 33 Euro gefallen. Insgesamt bezahlte das Land für 45 Prozent der Anteile knapp fünf Milliarden Euro. Baden-Württemberg hat nach Schätzung von Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) rund eine Milliarde Euro mit diesem Geschäft verloren. Und muss vermutlich noch einmal 400 Millionen Euro nachschießen, da EnBW wegen der Energiewende eine Kapitalerhöhung benötigt.

Der Steuerzahler, versprach Mappus, gehe bei dem Deal kein Risiko ein. Denn die Zinsen der Anleihe, die das Land zur Finanzierung begab, würden durch die Dividendenzahlungen von EnBW gedeckt. Aber auch das ist falsch - denn von einer Dividende kann derzeit keine Rede sein. Im ersten Halbjahr hat EnBW einen Verlust von 600 Millionen Euro verbucht. "Ein Stück moderne Industriepolitik", wie von Mappus propagiert, ist der Deal also auf keinen Fall. Eher schon ein Fall von massiver Fehlkalkulation und Misswirtschaft.

"Wir haben vor unserer Kaufentscheidung die Zahlen und Fakten gründlich geprüft." 

2) Davon kann keine Rede sein. Denn bei einer Firmenübernahme ist es üblich, dass der Käufer mit Hilfe von Wirtschaftsprüfern und Investmentbankern ausführlich die Bücher des zu kaufenden Unternehmens prüft - vor allem bei einem Geschäft in der Größenordnung des EnBW-Deals. Doch genau eine solche "Due Diligence", wie dieser Vorgang in der Sprache der Investmentbanker heißt, hat es nach Angaben der jetzigen grün-roten Landesregierung bei dem Deal nicht gegeben. Dafür kann auch die strenge Vertraulichkeit keine Entschuldigung sein - denn der Vertrag kann auch unter dem Vorbehalt abgeschlossen werden, dass bei einer nachträglichen Due Diligence keine Risiken auftauchen, über die vorher nicht gesprochen wurde.

Beraten wurde Mappus von der Investmentbank Morgan Stanley und deren Deutschland-Chef Dirk Notheis. Vor der Verpflichtung der Berater gab es entgegen üblichen Gepflogenheiten kein Auswahlverfahren, auch das ist sonderbar.

Hätten die Experten genauer in die Bücher der EnBW geschaut, wären ihnen wohl auch einige Risiken aufgefallen. Insbesondere die 26-Prozent-Beteiligung, die EnBW-Chef Hans-Peter Villis vor zwei Jahren für 2,1 Milliarden Euro am Oldenburger Regionalversorger Ewe erwarb, galten seit langem als überteuert. Im Juli 2011 musste EnBW den Wert der Ewe-Aktien um 370 Millionen Euro berichtigen. Hinzu kamen Abschreibungen von 245 Millionen Euro auf die Beteiligung am österreichischen Versorger EVN.
Die EnBW rutschte im ersten Halbjahr also nicht nur wegen der Belastungen durch den Atomausstieg in die Verlustzone, sondern auch wegen unrentabler Beteiligungen. Insgesamt sei die Aktenlage zum EnBW-Deal "ausgesprochen dünn", sagen Regierungsvertreter.

"Der Abschluss des Kaufvertrags konnte vom Finanzminister nach Artikel 81 der Landesverfassung genehmigt werden."

3) Das ist schlichtweg falsch: Laut Artikel 81 der baden-württembergischen Landesverfassung dürfen außerplanmäßige Ausgaben vom Finanzminister nur dann genehmigt werden, wenn ein "unvorhersehbares und unabweisbares" Bedürfnis besteht. Der Staatsgerichtshof in Stuttgart, der den EnBW-Deal am 6. Oktober für verfassungswidrig erklärt hatte, sieht aber keinen der beiden Gründe für eine Notbewilligung als gegeben an. Die Landesregierung hätte das Milliardengeschäft Ende 2010 nicht am Landtag vorbei abwickeln dürfen, erklärte der Vorsitzende Richter Eberhard Stilz. Sie habe das Haushaltsbewilligungsrecht des Landtags verletzt. "Der Finanzminister hat die Grenzen des ihm (...) zustehenden Notbewilligungsrechts überschritten, weil dieses nur in Fällen großer zeitlicher Eile Anwendung finden kann", sagte Stilz. Diese habe aber nicht bestanden. Auch Kursschwankungen am Aktienmarkt könnten keine Rechtfertigung für die Umgehung des Landtags sein, denn das Budgetrecht des Parlaments sei ein "Kernelement der Gewaltenteilung" und ein "wirksames Instrument der parlamentarischen Regierungskontrolle".

"Zur Frage des Parlamentsvorbehalts wurde vorab ein verfassungsrechtliches Gutachten der beratenden Anwaltskanzlei einge- holt, welches das Vorgehen des Finanzministers bestätigt." 

4) Die Aussage ist zweifelhaft: Das Gutachten der Stuttgarter Kanzlei Gleiss Lutz, das dem Handelsblatt vorliegt, datiert vom 15. Dezember - neun Tage nach der Übernahme. Es wurde also im Nachhinein erstellt. Theoretisch möglich ist allenfalls, dass die Rechtsauffassung der Gutachter vor dem Deal am 6. Dezember 2010, etwa wegen der strikten Vertraulichkeit des Geschäfts, nur "mündlich" eingeholt wurde. Das aber ist höchst unwahrscheinlich. Denn üblich ist in einem solchen Fall, ein Schriftstück zu erstellen - und es entweder nicht zu verteilen oder auf jeder gedruckten Seite den Empfänger quer über dem ganzen Text zu vermerken. Auf eine "mündliche Einholung" würden sich wohl, versichern Juristen, noch nicht einmal arbeitslose Provinzanwälte einlassen.

"Wir haben gegenüber der französischen Seite klargestellt, dass es keine Mehrheitsbeteiligung für die EdF geben wird. Daraufhin setzte Paris die Zeichen auf den Verkauf seiner Anteile. Damit waren wir unmittelbar gefordert."

5) Auch das stellt die EdF ganz anders dar: "Die Initiative ging eindeutig von Mappus aus, es gab einen sehr starken politischen Willen, alles musste sehr schnell gehen", sagte ein hochrangiger EdF-Manager dem Handelsblatt. "Wir wollten unsere Anteile behalten, die Partnerschaft mit der OEW fortsetzen. Aber der uns gebotene Preis war einfach zu attraktiv."

Das deckt sich mit Aussagen aus Kreisen der neuen grün-roten Landesregierung. EdF-Vertreter hätten noch kurz vor dem Deal gegenüber Winfried Kretschmann, dessen Aufstieg zum Ministerpräsidenten schon wahrscheinlich war, bekräftigt, sich weiter bei EnBW engagieren zu wollen.

Anders als von Mappus dargestellt, war auch keine Gefahr in Verzug. Mappus begründete diese angebliche Gefahr damit, dass der Konsortialvertrag, den EdF mit dem zweiten Großaktionär geschlossen hatte, dem kommunalen Zweckverband Oberschwäbischer Elektrizitätswerke (OEW), Ende 2011 auslaufen würde. Der Vertrag regelte, dass die beiden Großaktionäre EdF und OEW den Konzern EnBW paritätisch führen und keiner die Mehrheit anstrebt.

Doch selbst wenn EdF den Vertrag nicht verlängert hätte, wäre EnBW nicht ohne weiteres in die Hände etwa des russischen Konzerns Gazprom geraten. Denn OEW hatte ein Vorkaufsrecht und hätte dieses jederzeit nutzen können. Die von Mappus geschilderte Gefahr gab es also gar nicht.

"Die EdF hat einen Parlamentsvorbehalt ausdrücklich abgelehnt. In diesem Punkt blieb sie trotz mehrfacher Vorstöße von unserer Seite unnachgiebig." 

6) Dem widerspricht die EdF vehement. In der Öffentlichkeit hat sich der französische Energiekonzern bislang zwar nicht dazu geäußert. Doch jetzt tritt er der Darstellung von Mappus entgegen. "Wir haben nie verlangt, dass das Parlament nicht eingebunden werden sollte", sagte ein Konzernsprecher: "Und darüber hinaus haben wir vom Käufer eine schriftliche Bestätigung bekommen, dass es nicht nötig ist, dass das Parlament eingebunden wird." Schon als Mappus dem Landtag diese angebliche Bedingung der EdF vortrug, stellte sich die Frage, warum sich ein Regierungschef von einem Vertragspartner vorschreiben lassen sollte, wie er mit den Anforderungen seiner Verfassung umgeht. Zumal Parlamentsvorbehalte bei Transaktionen unter Beteiligung der öffentlichen Hand in Demokratien gang und gäbe sind - und von den beteiligten Investmentbanken sowie den Vertragspartnern akzeptiert werden.

"Geschäfte in einer solchen Größenordnung und dieser Konstellation können nur dann Erfolg haben, wenn auf allen Seiten strengste Vertraulichkeit gewahrt wird." 

7) Mappus lebt offenbar in seiner eigenen Welt. Wäre der Erwerb der EnBW-Aktien Gegenstand einer Landtagsdebatte gewesen, hätte das den Preis der Transaktion keineswegs verteuert. Denn der Angebotskurs hätte dann trotzdem sofort festgelegt werden können: mit einem freiwilligen Angebot. Dagegen hatten die Anwälte von Gleiss Lutz, die von der baden-württembergischen Landesregierung als Rechtsberater engagiert wurden, folgendermaßen argumentiert: Durch eine etwaige Abstimmung im Parlament könne der Angebotspreis erst viele Tage nach Bekanntgabe der Transaktion festgelegt werden - in dieser Zeit aber würden Spekulanten den Preis in die Höhe treiben. Doch diese Darstellung ist "schlichtweg falsch", sagen hochrangige Investmentbanker und Anwälte dem Handelsblatt. Durch ein freiwilliges Übernahmeangebot für die ausstehenden Aktien hätte das Land den Preis des Angebots ohne Spekulationseffekte einloggen können.

Ohnehin wäre ein etwaiger Schaden äußerst gering gewesen. Denn laut Gleiss Lutz gibt es nur zwei Prozent freie Aktionäre. Hätten Spekulanten den Preis also um 50 Prozent in die Höhe getrieben, was viel wäre, hätte das Land für alle Aktien lediglich rund 50 Millionen Euro mehr zahlen müssen. Die dazu nötige Vereinbarung mit den Großaktionären, dass diese ihre Aktien nicht andienen, wäre sicher möglich gewesen. Es handelt sich ja um baden-württembergische Kommunen.