"Zweite Karrieren" beim Bundesfinanzministerium nach 1945

"...die Säuberungsaktion führte ohne Rücksicht auf Position und Qualifikation zu umfangreichen Entlassungen und Suspendierungen, wodurch die Funktionsfähigkeit der Finanzverwaltung fast zum Erliegen kam",

heißt es in einer historischen Darstellung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) aus dem Jahre 1969 zu den Vorgängen nach 1945. Autor: Alfons PAUSCH, ein ehemaliger Finanzbeamter, für dessen Buch sich der damalige Bundesfinanzminister Franz-Josef STRAUSS, CSU, das Vorwort selbst zu schreiben nicht zu schade war.

 

Wie "rücksichtlos auf Position und Qualifikation" die ideologische "Säuberungsaktion" tatsächlich war, dokumentieren wir hier an

 

a) 3 Beispielen aus dem hier zitierten Buch

sowie

b) einem anderen Fall, der sich teilweise ebenfalls im BMF abgespielt hatte.

 

Beispiel 1: Franz Etzel – Bundesfinanzminister 1957 – 1961

Franz ETZEL wurde 1930 Mitglied der DNVP, der Deutschnationalen Volkspartei. Die DNVP war eine rechtskonservative Partei der Weimarer Republik, deren Programm die Züge des Nationalismus, Antisemitismus und des kaiserlich-monarchistischen Konservatismus trugen. Ab 1931 wurde ETZEL für zwei Jahre deren Jugendführer im Landesverband Niederrhein. Die DNVP galt als Steigbügelhalter der NSDAP und machte gemeinsame Sache mit dieser, z. B. beim Volksentscheid gegen den Young-Plan 1929. Im letzten Jahr ihres Bestehens nannte sie sich zunächst noch "Deutschnationale Front". ehe sie im Juni 1933 zur Selbstauflösung gezwungen wurde. Viele ihrer Mitglieder erhielten in der NSDAP eine neue Heimat.

Zwischen 1939 – 45 nahm ETZEL als Infanterist am Zweiten Weltkrieg teil, zuletzt als Oberleutnant der Reserve.

Danach gehörte er zu den Mitbegründern der CDU im Rheinland und startete eine erfolgreiche Karriere als Politiker. Er saß im Vorsitz des Wirtschaftspolitischen Ausschusses seiner Partei, war über Jahre Bundestagsmitglied, Vizepräsident der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), ehe er 1957 Bundesminister der Finanzen wurde.

1964 gab es einen erfolglosen Reanimationsversuch der DNVP. In Folge dessen ging die Partei 1964 in die neugegründete NPD auf.

Beispiel 2: Karl Maria Hettlage - Staatssekretär BMF 1959 – 1962 (unter ETZEL) und 1967 – 1969 (unter STRAUSS)

ETZEL’s Staatssekretär, Karl Maria HETTLAGE, weist eine noch düstere Vergangenheit auf.

Im berühmten Munzinger-Personen-Archiv steht geschrieben: „Nachdem er sich mit den nationalsozialistischen Machthabern überworfen hatte, wechselte er 1938 in die Privatwirtschaft." Er selbst sagt, die Nationalsozialisten hätten ihn aus seinem Amt des Städtekämmerers von Berlin gejagt.

HETTLAGE vor 1945

Die Realität sich etwas anders aus: Am 11.09.1938 wurde HETTLAGE SS-Hauptsturmführer, SS-Nr. 276309. Er war zwar kein NSDAP-Mitglied, aber dennoch enger Mitarbeiter, Erfüllungsgehilfe und Vertreter von Albert SPEER, zunächst als Generalbaumeister in Berlin und während des Krieges Leiter der Finanz- und Wirtschaftsabteilung des Rüstungsministeriums. In der Funktion des Generalbauinspektors war er an der systematischen Vertreibung Tausender Berliner Juden aus ihren Wohnungen beteiligt.

Die Historikerin Susanna SCHRAFSTETTER schreibt dazu  in ihrem Aufsatz Verfolgung und Wiedergutmachung, Karl. M. Hettlage: Mitarbeiter von Speer und Staatssekretär im Bundesfinanzministerium (in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 3/2008, S. 431 ff.):

„Beginnend mit der dritten Aktion im August 1941 konnten die Juden auch nicht länger Zuflucht im „Schachtelraum“ suchen, sie wurden nun deportiert. HETTLAGEs Hauptamt II erstellte die Listen der Juden, die aus ihren Wohnungen vertrieben und der Gestapo zur Deportation überantwortet werden sollten.“

Doch HETTLAGEs politische Karriere begann schon lange vorher. Von 1922 bis 1925 war er Mitglied  im Westfälischen Treubund, der  aus der verbotenen rechtsradikalen Organisation Escherich (Orgesch) hervorging sowie „Zeitfreiwilliger“ einer Schwarzen Reichswehreinheit. 1933 gehörte HETTLAGE, er zu den Gründungsmitgliedern der nationalsozialistischen Akademie des Deutschen Rechts. Darüber hinaus war er, wie Friedrich Karl VIALON (siehe weiter unten), Mitglied im NS-Rechtswahrerbund.

Nach HETTLAGEs Zeit als Stadtkämmerer Berlins fing er ab April 1940 beim Generalbauinspektor (GBI) und Alber SPEER an zu arbeiten.

Bei vielen Bauvorhaben des GBI, z. B. der Neugestaltung Berlins, wurden Zwangsarbeiter, die wie Kriegsgefangene in Lager untergebracht waren, eingesetzt und 'vermietet'. Ein profitables Geschäft.

Susanna SCHRAFSTETTER schreibt:

Gerade bei der Vermietung der Kriegsgefangenen an Bauunternehmungen verbuchte der GBI ordentliche Gewinne. Nach Abzug der Kosten für den Unterhalt der Lager Kaulsdorf und Falkensee errechnete HETTLAGE für den Zeitraum von Oktober 1941 bis März 1942 einen Reingewinn von 110.000 Reichsmark. “Sonnabends und Sonntags wird keine Suppe verabreicht“, hatte er unter dem Abschnitt „Verpflegung und Lagerinsassen“ notiert.

Nachdem Albert SPEER 1942 von Adolf HITLER zusätzlich zum Rüstungsminister ernannt wurde, arbeitete auch HETTLAGE auf zwei Schauplätzen: bei der Generalbauinspektion und jetzt auch als Leiter der Wirtschafts- und Finanzabteilung des Rüstungsministeriums.

Susanna SCHAFSTETTER:

"In dieser Position spielte er eine wichtige Rolle in der Organisation der deutschen Rüstungs- und Rüstungsmaschinerie"

So war er als Leiter der „Rüstungskontor GmbH“, zu der die „Mittelwerk GmbH“ gehörte, verantwortlich für die Gründung und Fertigstellung des thüringischen KZ "Dora Mittelbau". Er saß auch im Beirat dieser Firma, deren 'Mitarbeiter' - die KZ-Insassen - hier unter Tage in Bergwerksstollen die sogenannte Vergeltungswaffe "V 2" bauen mussten. Im KZ Dora Mittelbau - einem Außenlager des KZ Buchenwald - waren 60.000 Häftlinge inhaftiert. Rund 20.000 überlebten die inhumanen Arbeitsbedingungen nicht und verendeten dort jämmerlich.

In den Nürnberger Prozessen hatte HETTLAGE das Glück, seiner eigenen Vergangenheit entkommen zu können.

Susanna SCHRAFSTETTER: Der Finanzexperte hatte seinen Lebens- und Berufsweg erfolgreich zurechtgebogen. Außerdem kam ihm zugute, dass die Alliierten die Mittelwerk GmbH nicht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit rücken wollten. Grund: Die Amerikaner hatten sich Werner von BRAUN geschnappt, den Erfinder der "V 2" - Rakete.

Beim Entnazifizierungsausschuss 1948 erledigte HETTLAGE den Rest dann selbst: Auch die Generalbauinspektion erwähnte HETTLAGE in seinem vierseitigen, einzeilig getippten Lebenslauf mit keinem Wort.

HETTLAGE nach 1945

HETTLAGE, der auch Abgeordneter der Zentrums-Partei war, hatte bereits 1938 eine „Nebentätigkeit“ im Vorstand der Commerzbank, wo er bis 1951 blieb.

Seine Nachkriegskarriere ging steil bergauf:

  • 1949 Honorarprofessor in Bonn
  • 1953 erhielt er den Lehrstuhl für Rechtswissenschaft der Universität Mainz, lehrte dort Öffentliches Recht und Finanzwissenschaften
  • 1956 Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
  • 1958 Haushaltsdirektor im Bundesfinanzministerium in Bonn und
  • ein Jahr später schließlich Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.

Dort war der Katholik für die Wiedergutmachung NS-Unrechts und Kriegsopferentschädigung verantwortlich. Als Experte für Wiedergutmachungsfragen stand ihm Ernst FÉAUX de la Croix zur Verfügung. Der war Jahre zuvor, 1934 – 1945, noch in der völkerrechtlichen Abteilung des Reichsfinanzministeriums tätig. FÉAUX war Mitglied der SA, der NSDAP, des NS-Rechtswahrerbunds sowie der Akademie für deutsches Recht - bei den beiden letzeren zusammen mit HETTLAGE. In einer rassistischen Denkschrift der Akademie schrieb FÉAUX u. a.:"Fremdrassige können nicht zum deutschen Volk gehören, selbst wenn sie die Reichszugehörigkeit besitzen und ausschließlich deutschsprachig sind".

HETTLAGE, der den häufig erkrankten Finanzminister ETZEL vertrat, war außerdem 1960 Senator der Max-Planck-Gesellschaft, wechselte 1962 zur Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. 1965 dann für zwei Jahre Präsident des IFO-Instituts für Wirtschaftsforschung und von 1967 – 69 abermals Staatssekretär im BMF, diesmal unter Franz Josef STRAUSS. 1967 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband verliehen.

So wie der rüstige Mann vor 1945 aktiv und umtriebig war, egal ob KZ Dora Mittelbau oder Commerzbank, gab er sich auch nach 1945: HETTLAGE saß im Beirat der Fritz-Thyssen-Stiftung, im Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums, Vorsitzender der Treuhand-Vereinigung AG, Studienstiftung des Deutschen Volkes.

Anlässlich seines 90. Geburtstags am 28.11.1992 – drei Jahres vor seinem Todestag – wurde der ehemalige BMF-Staatssekretär von seinem ehemaligen Mainzer Professoren-Kollegen Klaus VOGEL gewürdigt: „Zuverlässigkeit, Pflichtbewusstsein, Bereitschaft zum Einsatz für das Gemeinwohl“ zeichneten HETTLAGE zeit seines Lebens aus, heißt es in VOGEL’s Festschrift zum 90. Jahrestag HETTLAGE’s.

HETTLAGE‘s Biographie wurde erst spät von Geschichtswissenschaftlern aufgearbeitet, bis dahin blieb sein Name zumeist im Schatten von Albert SPEER – ein maßgeblicher Erfolgsfaktor für seine Zweite Karriere in der Bundesrepublik. Allein die Stasi mühte sich seinerzeit mit eifrigen Recherchen über HETTLAGE ab und widmete ihm einen ausführlichen Beitrag im Braunbuch der DDR – unter dem Kapitel: Handlanger der Monopolherren.

Und so sieht die Biografie in der offiziellen Darstellung des Bundesfinanzministeriums aus (PAUSCH):

Beispiel 3: Rolf Dahlgrün – Bundesfinanzminister 1962 – 1966

Die Biografie von ETZELs Nachfolger im Bundesfinanzministerium, Rolf DAHLGRÜN, sieht folgendermaßen aus:

NSDAP - Mitglied von Anfang an (1933) bis 1945. Auszeichnung als als NS-Führungsoffizier. DAHLGRÜN war zudem persönlicher Freund von Luftfahrtminister und GESTAPO-Gründer Hermann GÖRING.

Nach dem Krieg wechselte er sofort zur FDP, war von 1953 – 57 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, Bundestagsmitglied und wurde schließlich 1962 Bundesfinanzminister. Sein offizieller Lebenslauf laut Bundesfinanzministerium (PAUSCH):

Beispiel 4: Friedrich Karl Vialon – der Finanzbeamte, der über Leichen ging

Der Jurist VIALON wurde am 10.07.1905 in Frankfurt / Main geboren. Sein Vater war Kaufmann bei der Reichsbank und der AEG. Im Alter von 19 Jahren, 1924, bestand VIALON sein Abitur an einem humanistischen Gymnasium. Nach der Schule folgte das Studium der Rechtswissenschaften und nur ein Jahr später, 1925, promovierte er zum Dr. der Jurisprudenz. Bereits seit 1927 war er im badischen Justizdienst, ehe 1930 die zweite juristische Staatsprüfung an anstand. Ergebnis: Mit Prädikat "lobenswert" bestanden.

Karriere 1933 – 1945

Im Munzinger Archiv steht über seinen beruflichen Werdegang: „Die folgenden Jahre sahen ihn als Gerichtsassessor bei Amtsgerichten, Landgerichten und Staatsanwaltschaften und schließlich als Regierungsrat im Justizministerium Karlsruhe.“ In dieser letzten Funktion arbeitete er  in der Abteilung Organisation und Personal als Haushaltssachbearbeiter und anschließend  zwei Jahre (1935 – 1937) beim Landgerichtsrat am OLG Karlsruhe - wieder als Haushaltssachbearbeiter.

Zwischendurch, und dazu schweigt das Munzinger Personenarchiv, trat VIALON der NSDAP bei: gleich zu Beginn der Nazi-Ära 1933. VIALON ließ wenig aus. So war er außerdem beim NSV, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt der NSDAP sowie dem NS-Rechtswahrerbund. Nebenbei dann noch im Reichsbund der Deutschen Beamten, Reichsluftschutzbund, NS-Reichsbund für Leibesübungen, NS-Altherrenbund der Deutschen Studenten, Kolonialbund.

Die relevanten Mitgliedschaften zahlten sich offensichtlich aus: 1937 wurde VIALON vom Reichsjustizministerium für das Reichsfinanzministerium vorgeschlagen, das ihn von Juni für knapp zwei Jahre bis Ende 1939 berief. Hier war er wiederum in der Haushaltsabteilung tätig.

Zu Kriegsbeginn wurde VIALON für ein Jahr zum Kriegsdienst eingezogen (1. Sept. 1939-25. Juli 1940). Anschließend erneut im Reichsfinanzministerium: Bis Dez. 1941 Beauftragter des Reichs-Finanzministers in den westlichen Wiederaufbaugebieten. April 1941 stand eine Beförderung zum Oberregierungsrat an. Von Dezember 1941 bis April 1942 arbeitete er im Reichsfinanzministerium als Referent für verschiedene Länderhaushalte.

Anschließend sammelte VIALON Auslandserfahrungen: Von Mai 1942 bis Ende 1944 war als Regierungsrat bzw. Regierungsdirektor und Chef der Finanzabteilung u. a. für die Vereinnahmung jüdischen Vermögens im Reichskommissariat Ostland in Riga verantwortlich. Hier, wo zigtausende Juden ermordet wurden, war VIALON für die „Sicherung der jüdischen Vermögenswerte“ zuständig. Als SS-Reichsführer HIMMLER am 21. Juni 1943 befahl, "alle im Gebiet Ostland noch in Gettos vorhandenen Juden in Konzentrationslagern zusammenzufassen", entwarf  VIALON eine Art Extra-KZ. In einer Geheim-Verfügung schrieb der Finanzbeamte:

„So wird z. B. ein kleiner Teil des bisherigen Rigaer Gettos voraussichtlich zu einem Konzentrationslager umgestaltet, in dem Werkstätten-Betriebe wehrwichtige Aufträge erledigen ... Die Leitung dieses zu errichtenden KZ soll nach meinem Wunsch vom Generalkommissar Riga übernommen werden ... Der finanzielle Ertrag soll, wie bisher, meinem Haushalt zufließen."

VIALONs Vorhaben ging nicht auf, die KZ-Pläne wurden von HIMMLER durchkreuzt. VIALON klagte über das „beängstigende“ Ansteigen der Schulden des Reichskommissariats.

1944 wurde er zum Ministerialrat ernannt.

Nachdem die Ostgebiete verloren gingen, war VIAOLN noch kurz für das Reichsfinanzministerium tätig, ehe er am 18. Januar 1945 abermals zur Wehrmacht eingezogen wurde. Er diente als Feldwebel und Zugführer und wurde im Mai von den Amerikanern als Kriegsgefangener inhaftiert.

Nachkriegskarriere

VIALON war nur kurz in Haft: bereits im Juli 1945 wurde er entlassen. Seine Nachkriegskarriere konnte beginnen. Er fing klein an, arbeitete zunächst als Wirtschafts- und Steuerberater. Doch dann ging es schnell. Von 1949 bis 1950 war er Direktor eines Bielefelder Textilbetriebes mit 400 Mitarbeitern. Im März 1950 begann im Bundesfinanzministerium (BMF) VIALONs zweite Karriere als politischer Beamter:

  • 1951 wurde er Ministerialrat
  • 1954 Ministerialdirigent und
  • 1956 schließlich Ministerialdirektor.

Doch als ein Jahr später Franz ETZEL Finanzminister wurde, kam es zum Streit und VIALON wurde entlassen. Infolge dessen befand sich VIALON, der Mitherausgeber der Zeitschrift „Die Öffentliche Verwaltung“ war, im Alter von 52 Jahren im einstweiligen Ruhestand.

Doch VIALON hatte noch Vieles vor, wurde

  • 1958 Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt, wo er vier Jahre bleibt. Zusätzlich arbeitet er 1959 als Lehrbeauftragter in Saarbrücken.
  • Ab 1960 ist er Leiter der Abteilung „Wirtschaft, Finanzen und Soziales“.

Munzinger schreibt: „V. galt als hervorragender Fachmann auf seinem Gebiet“. Wohl nicht zuletzt deshalb erhielt er 1961 eine Honorarprofessur für Öffentliches Finanzrecht an der Universität Saarbrücken.

1962 wechselte VIALON ins Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Hier arbeitete bis 1966 er als Staatssekretär unter Bundesminister Walter SCHEEL (FDP), der früher ebenfalls NSDAP-Mitglied war. Außerdem gehörte er 1962 zu den Gründungsmitgliedern des ZDF-Verwaltungsrates, in dem er bis 1964 saß.

Anzeige wegen Meineids oder: Das große Herauswinden

VIALON wurde 1963 in einem Prozess gegen den ehemaligen Chef des LKA Rheinland-Plalz und einstigen SS-Obersturmführer Georg HEUSER als Zeuge gehört. Es ging unter anderem um Erlasse, die die Verwertung von Gold- und Silbersachen Kleidungsstücken von Juden vorsahen. Konkret ging es um einen von VIAOLN unterzeichneten Geheimerlass vom 27. August 1942, wonach "alle Gold- und Silberwaren" in den Gettos "genau zu erfassen ... meiner Dienststelle zur Verfügung zu stellen"waren.

Doch der vitale VIALON konnte sich plötzlich an nichts mehr erinnern:"Ich kann nicht behaupten, daß das Schreiben gefälscht ist ... Ich betone aber ganz klar, dass ich mich an diesen Erlass nicht erinnere. Ich habe keine Kenntnis von ihm."

Und unter Eid sagte er aus, von Massenvernichtungen nie etwas Konkretes gehört zu haben und so einiges ohne genaues Lesen unterzeichnet zu haben. Er erklärte am 25 März 1963 vor dem Koblenzer Landgericht:

"Der Tatbestand der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung ist mir nicht bekannt gewesen. Ich habe erst nach dem Kriege - ich möchte sagen: wie jeder andere - davon erfahren."

Allein an einen Erlass vom 25. September 1942 konnte er sich erinnern. Darin ging es um einen Befehl über die Einbehaltung von Gebrauchsartikeln aus dem "angefallenen jüdischen Vermögen" für arbeitende Juden. Auf die Frage, woher die Kleidung, die Wäsche und die Schuhe kämen, antwortete VIALON lapidar: "Die Juden hatten ja viele Sachen im Koffer mit ins Getto gebracht."

Daraufhin wurde VIALON wegen Meineids angezeigt. Die Staatsanwaltschaft begann zu ermitteln. Dabei erhielten die Koblenzer Staatsanwälte Hilfe aus der DDR: deren Staatsanwälte ließen die westdeutschen Kollegen fast 200 Aktenblätter in Ost-Berlin kopieren und machten auch Besuch in Koblenz.  

Doch das Ermittlungsverfahren zog sich über viele Jahre hin. Auf eine SPD-Anfrage im Bundestag 1966 antwortete die Bundesregierung, dass VIALONs Tätigkeit im Krieg bereits 1950 bekannt war, weshalb man das Ende des Verfahrens abwarten wolle. Im Zusammenhang mit den Vorwürfen zog sich VIALON im Dezember 1966 abermals in den einstweiligen Ruhestand zurück.

1968 wurde die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Erst nach Revision der Staatsanwaltschaft ordnete das Oberlandesgericht Koblenz die Durchführung des Prozesses an. Drei Jahre später kam es schließlich zum Gerichtstermin. Ergebnis: VIALON wurde mangels Beweise vom Meineid freigesprochen. Wegen seiner eigentlichen Vergangenheit hatte er ja nicht vor Gericht gestanden. Er hatte nur als Zeuge aussagen sollen.

Ein zwischenzeitlich begonnenes Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Bonn gegen VIALON wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord wurde 1973 eingestellt (8 Js 216/64). VIALON verstarb am 8. April 1990 im Alter von 94 Jahren - unbehelligt seiner Karriere vor 1945.

(M.D.)

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