Die 56 Berichte der SÜDWEST PRESSE aus Ulm, 11.05.2013

von Rudi KÜBLER

Jede Menge Kredit verspielt

SÜDWEST PRESSE , 11.05.2013 von Rudi KÜBLER

Versprechen für die Zukunft – so hatte der Titel des Leitartikels gelautet, hier an dieser Stelle und vor fast genau einem Jahr. Thema: die Eröffnung der neuen Chirurgie. Im Beisein von Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte sich das Klinikum, allen voran der Leitende Ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende Reinhard Marre sowie der Kaufmännische Direktor Rainer Schoppik, feiern lassen für das 240-Millionen-Projekt auf dem Oberen Eselsberg. Ein Projekt, das Patienten und Mitarbeiter zum Vorteil gereiche, wie Marre damals sagte.


Genau dieses eine Jahr später ist das Uni-Klinikum in der Gegenwart angekommen. Der Neubau erweist sich als schwere Bürde. Nicht nur, was die Mängel angeht, die der Landesrechnungshof beanstandet hat, sondern vor allem auch in finanzieller Hinsicht, wie jetzt bekannt gewordene Zahlen zeigen. Die Finanzierung des größten Klinikprojekts im Land ist derart auf Kante genäht, dass offensichtlich Liquiditätsengpässe aufgetreten sind. Um diese zu überbrücken, haben Marre und Schoppik nicht nur einen Drei-Millionen-Kredit von der eigenen Tochter, der Dienstleistungsgesellschaft Uni-Klinikum Ulm, aufgenommen. Sondern: Sie haben auch einen Teil der 30-Millionen-Rate des Landes für den Neubau in den laufenden Klinikums-Betrieb gesteckt. Diese Vorgänge bestätigte der Aufsichtsratsvorsitzende Hartmut Schrade.


Noch beachtlicher werden beide Vorgänge dadurch, dass sie ohne Wissen des Aufsichtsrats abgewickelt wurden. Das Gremium war nicht einmal über die aktuellen Liquiditätsengpässe informiert worden. Wie aus dem Umfeld des zehnköpfigen Aufsichtsrats bekannt wurde, hätten die Aufsichtsräte in ihrer letzten Sitzung ihr völliges Unverständnis gegenüber diesen Geschäftspraktiken ausgedrückt. Lediglich ein Versäumnis Schoppiks und Marres anzunehmen, fällt in der Tat schwer. Denn zu den originären Aufgaben des Klinikums-Vorstands gehört es, den Aufsichtsrat über besondere Anlässe unverzüglich zu unterrichten. Wenn Liquiditätsengpässe nicht unter die Rubrik „besondere Anlässe“ fallen, was denn dann?


In dieses Bild passt, dass die Zahlen des Geschäftsjahres 2012 geschönt wurden, bereinigt um Aufwendungen für Zinsen und Rückstellungen. Alles eingerechnet, beläuft sich der Verlust auf rund 15 Millionen Euro, wie vertrauliche Papiere belegen.


Dass der Aufsichtsrat den Kaufmännischen Direktor nach dessen Kündigung von heute auf morgen loshaben wollte, ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Diese Personalie führt freilich zu einer anderen: Unverständlich ist die Nibelungentreue des Aufsichtsratsvorsitzenden Schrade zu Schoppik – und auch zu Marre. Welche Rolle spielte der Leitende Ministerialrat im Wissenschaftsministerium? War er vom Vorstand zeitnah in alle Vorgänge eingeweiht worden? Und wenn ja: Warum hat er das Gremium, dem er vorsteht, nicht informiert? Für Wissenschaftsministerin Theresa Bauer besteht Handlungsbedarf.


Zwei gute Nachrichten gibt es auch: Das Uni-Klinikum wird erstens nicht bankrott gehen. Da ist das Land vor. Zweitens kann das Klinikum immer noch auf ein Kapital bauen – ein Kapital, das Schoppik und Marre mit Füßen getreten haben: das Personal. Der künftige Vorstand wird allerdings viel daran arbeiten müssen, das Vertrauen der Pflegekräfte und der Ärzte wiederzugewinnen.