Die 56 Berichte der SÜDWEST PRESSE aus Ulm, 03.08.2013

von Rudi KÜBLER

Moneten, Macht und Medizin

SÜDWEST PRESSE , 03.08.2013 von Rudi KÜBLER

Mediziner wollen am liebsten über Medizin reden. Darüber, was sie alles kann und in ein paar Jahren dank der Forschung können wird. Mediziner wollen Gutes tun. Heilen. Menschenleben retten. Mediziner wollen eines nicht: über so profane Dinge wie Geld reden.


Prof. Klaus-Michael Debatin macht da keine Ausnahme. Als der neue Leitende Ärztliche Direktor des Uni-Klinikums Ulm Ende der vergangenen Woche vor Medienvertretern saß, hob er zunächst auf die Krankenversorgung in seinem Haus ab. Müsste er sich unters Messer legen, kein Problem, „ich bin hier in besten Händen. Wir bieten sämtliche Aspekte der Spitzenmedizin an.“ Sprechen wir von dem Patienten, der dringend an den Tropf muss: dem Uni-Klinikum selber. Nun kennt sich Debatin mit Patienten aus, vor allem den kleinen Patienten, renommierter Kinderarzt und Krebsforscher, der er ist. Mit Betriebswirtschaft hatte er bislang eher weniger am Hut; das kleine Einmaleins für Ärztliche Direktoren, das ihm sein Vorstandskollege, der Kaufmännische Direktor Rüdiger Strehl, angedeihen ließ, legte die fortgeschrittene Erkrankung schonungslos offen. Diagnose: akute pekuniäre Schwindsucht wegen pathologischer Selbstüberschätzung.


Debatin hatte zum ersten Mal „richtige Zahlen“ gesehen. Zahlen, die zusammenpassten. Zahlen, die Sinn machten. Manch einer fragt sich, warum er erst jetzt die „richtigen Zahlen“ gesehen hat. Und manch einer zwinkert dann mit dem Auge. Wahlweise dem linken oder dem rechten. Soll heißen: Debatin müsste eigentlich mehr gewusst haben – zumal er dem alten Vorstand angehört hat und bereits Stellvertreter Reinhard Marres als Leitender Ärztlicher Direktor war. „Sagen wir es so: Im Nachhinein sieht manches anders aus“, sagt Debatin. Die wirtschaftliche Situation sei in den Vorstandssitzungen immer Thema gewesen, „die vorgelegten Zahlen waren plausibel, ich muss mich doch darauf verlassen können“. Schließlich werde das Klinikum von zwei Hauptamtlichen geführt, dem für die medizinischen Belange zuständigen Leitenden Ärztlichen Direktor (bis Ende Juni Reinhard Marre) und dem Kaufmännischen Direktor (bis Ende April Rainer Schoppik), der den wirtschaftlichen Bereich verantwortet. Auf Nachfrage habe es stets geheißen: Die Bauten sind finanziert.


Hatten Marre und Schoppik eine Gelddruckmaschine im Keller stehen? Bis Dezember 2011 hatte es den Anschein. Es wurde investiert und investiert – und die Zahlen, die geschrieben wurden, waren immer: schwarz. „Acht Wochen später war alles ganz anders“, blickt Debatin zurück. Plötzlich, quasi von heute auf morgen, hatte das Uni-Klinikum für 2011 ein Minus von 6,5 Millionen Euro eingefahren, „für alle überraschend. Das haben wir nicht verstanden.“ 2012 verbuchte das Klinikum ein weiteres Minus: rund 15 Millionen Euro, die für die Öffentlichkeit nach unten schön gerechnet wurden.


Ja, mit Zahlen lässt sich einiges anstellen, Spezialisten können recht kreativ mit Bilanzen umgehen. „Das wurde natürlich auch diskutiert“, lässt Debatin durchblicken. Strehl, dem keiner so schnell ein Komma verschiebt, hat in den vergangenen Wochen die Jahresergebnisse seit 2007 durchleuchtet, um dem ganzen Ausmaß des finanziellen Debakels auf die Spur zu kommen und, falls nötig, juristische Schritte in Erwägung ziehen zu können. „Per Stand heute werden wir das aber nicht. Wir haben momentan keinen Hinweis dafür, dass an Zahlen manipuliert wurde.“


Das Vertrauensverhältnis zu Marre und Schoppik habe lange Bestand gehabt. Sagt Debatin. Vielleicht zu lange? „Wir hätten mehr Skepsis haben, einfach wachsamer sein müssen“, lässt sich ein Aufsichtsrat des Uni-Klinikums zitieren, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Ein anderer Aufsichtsrat sieht in erster Linie den Vorsitzenden des Gremiums in der Verantwortung. Hartmut Schrade – er ist als Vertreter des Ministeriums Vorsitzender des Aufsichtsrats – habe sich „völlig unkritisch“ dem alten Vorstand gegenüber verhalten. „Er ließ Schoppik und Marre schalten und walten. Er hatte zu den beiden ein blindes Vertrauen, warum auch immer.“ Dass der Aufsichtsrat sein Misstrauen gegenüber dem Vorsitzenden ausspricht und damit einen Rücktritt Schrades erzwingt, kann er sich nicht vorstellen. Rückhalt bei der Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst hat Schrade jedenfalls. Noch. Theresia Bauer, so der stellvertretende Pressesprecher des Ministeriums Dr. Arndt Oschmann, sehe „derzeit keinen Anlass für einen Wechsel im Vorsitz des Aufsichtsrats“. Auch Debatin findet freundliche Worte für Schrade, dieser habe sich als „langjähriger Betreuer der Uni-Medizin viele Verdienste erworben“.


Dass in den kommenden Wochen und Monaten etliche Baustellen auf ihn warten, ist Debatin klar. Seinen Urlaub hat er zur großen Freude seiner Frau erstmal in den Herbst verschoben. Ja, es gibt viel zu tun. Da ist nicht nur die vertrackte Finanzsituation, „sie trifft übrigens nicht nur das Ulmer Klinikum, sondern drei Viertel aller Uni-Klinika“. Schwarze Zahlen seien in diesem Jahr die Ausnahme, fast alle Kliniken litten unter chronischer Unterfinanzierung, „auch ohne große Investitionen getätigt zu haben“. Schaut Debatin in andere Bundesländer, dann bietet sich ihm das selbe Bild: Die Kliniken machten vermehrt Verluste im ein-, häufig sogar im zweistelligen Millionenbereich. Was jetzt ansteht, sind Gespräche mit den Ministerien, denn „wir können die Finanzierung nicht aus dem eigenen Geschäft schultern. Das haben wir bei der Aufbereitung der Zahlen realisiert.“


Merkwürdig, dass andere nie den finanziellen Schiefstand realisiert und warnend den Zeigefinger gehoben haben. Beispielsweise die Wirtschaftsprüfer. Wenn nicht sie, wer denn dann? Debatins Meinung: „Ernst & Young haben ja auch nicht gestern erst ihr Büro aufgemacht.“


Der Leitende Ärztliche Direktor will jetzt das Land in die Verantwortung nehmen, „das Land ist Besitzer. Das Land hätte eigentlich das, was wir investiert haben, machen müssen. Wir sind in Vorleistung gegangen“, sagt Debatin mit Nachdruck. Dass in Stuttgart dicke Bretter zu bohren sind, davon kann er ausgehen. Aus dem Wissenschaftsministerium ist schon mal zu hören, dass „es nicht überzeugt, wenn heute die Verantwortung für die Finanzsituation allein beim Land gesucht wird. Die finanzielle Stabilisierung muss Ulm selbst schultern.“ Das Fazit aus dem Ministerium: Die Vorstände würden Unterstützung beziehungweise Hilfestellung zur Selbsthilfe bekommen, „aber keine Belohnung zur Lasten anderer für schlechtes Wirtschaften“. Gleichzeitig macht Oschmann deutlich, dass das Ministerium die Entwicklung der Finanzsituation am Uni-Klinikum Ulm im Zeitraum 2007 bis 2012 prüfen werde, „auch unter der Prämisse, ob der Klinikumsvorstand seiner Informationspflicht gegenüber dem Aufsichtsrat flächendeckend, transparent und zeitgerecht nachgekommen ist“.


Die Staatsanwaltschaft Ulm hat indes die Pressekonferenz Debatins und Strehls Ende vergangener Woche zum Anlass genommen, von sich aus ein Vorprüfungsverfahren einzuleiten. Wie deren Leiter Christof Lehr gestern erläuterte, werde im Hinblick auf die finanzielle Situation detailliert geprüft, ob gegen Marre und Schoppik wegen Haushaltsuntreue ermittelt wird. Mit einem Ergebnis des Verfahrens ist laut Lehr Ende August zu rechnen.


Was die Frage aufwirft: Was machen eigentlich die beiden Ex-Direktoren? Schoppik soll im vierten Quartal seinen Job als Kaufmännischer Direktor am Uni-Klinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) antreten. Sowohl das dortige Klinikum als auch die Behörde für Wissenschaft und Forschung wüssten zwar von den Vorgängen in Ulm, heißt es in einer Pressemitteilung. Vor dem Hintergrund, dass ein Ermittlungsverfahren bisher nicht eingeleitet worden sei, sehen sich UKE und die Wissenschaftsbehörde nicht veranlasst, „die getroffene Personalentscheidung in Frage zu stellen“. Marre machte indes einen auf Hape Kerkeling – mit einem hübschen Kärtchen und dem lateinischen Spruch „iam vero absum“ (Ich bin dann mal weg) verabschiedete er sich. Freunde hat er sich damit nicht gemacht, viele, auch langjährige Weggefährten äußerten sich befremdet. Debatin sagt dazu nur: Da müsse sich jeder sein eigenes Urteil bilden.


Unruhe gab es diese Woche auf der Personalversammlung. Personalrat und Aufsichtsrat Dr. Borislav Santag hatte unverblümt die Absetzung von Personalchefin Franziska Harant und Pflegedirektor Rick Pieger gefordert. Beide hätten, so Santag, den „Bankrott der Pflege“ zu verantworten. Insgesamt seien in den vergangenen Jahren 120 Pflegestellen abgebaut worden, die Ausbildung befinde sich in einem „unerträglichen Zustand“. Mit ein Grund für die geforderte Ablösung Harants ist auch die Machtkonzentration auf ihre Person. Sie ist nicht nur Personalleiterin, sondern auch Chefin der Controlling-Abteilung und Geschäftsführerin der Dienstleistungsunternehmen des Uni-Klinikums Ulm (DUU). Darauf angesprochen sagt Debatin, vieles müsse überdacht werden, „tabulos“. Das gelte auch und gerade für Personalfragen. Aber er wolle jetzt nicht in Aktionismus ausbrechen, sondern plädiere „für eine ruhige Hand“. Was ihn bestärkt, sei die große Rückendeckung, die er momentan fühle.


Dass Debatin so viel über Geld reden muss, das hat er sich wohl nicht träumen lassen.