Interview mit einem, der sich auskennt: Benjamin SARTORY

Der Journalist Benjamin SARTORY arbeitete zum Zeitpunkt der Katstrophe als Regionalreporter für den Westdeutschen Rundfunk (WDR). Er hat sich rund 10 Jahre lange mit dem Drama auseinandergesetzt und darüber berichtet. Wie konnte aus einer Veranstaltung, die dem Spaß und der Liebe gewidmet war, eine tragische Katastrophe werden, die Deutschland nachhaltig prägte?

SARTORY gibt uns im Rahmen eines Interviews eine kompakte Analyse dazu,

  • was falsch gelaufen war und
  • weshalb der Strafprozess 2020 ohne Urteil ausgegangen ist.

ansTageslicht.de: Warum denken Sie, kam es zur Prozesseinstellung und was ist ggf. schiefgelaufen?

Im Gegensatz zu einem Großteil der Öffentlichkeit sehe ich das Prozessergebnis und die Einstellung als soweit in Ordnung an. Das Landgericht (LG) Duisburg hat jeden Stein umgedreht und am Ende ziemlich deutlich belegen können, dass eine mögliche Schuld an der Love Parade so viele verschiedene Institutionen und Personen trifft und sich somit die Schuld so aufteilt, dass man unter dem Radar einer Verurteilung geblieben ist.

Der oberste Gutachter Dr. Gerlach sagt in seinem Gutachten, dass die einzelnen Fehler für sich genommen möglicherweise gar nicht zu einer Katastrophe hätten werden können. Es sind Dinge passiert, die vielleicht von den Auswirkungen nicht verheerend gewesen wären, sondern in der Menge diesen schrecklichen Ausgang zur Folge hatten.

Des Weiteren halte ich die Befürchtungen, dass die Einstellung aufgrund des Coronavirus erfolgte, für unberechtigt, Corona hat möglicherweise das Prozessende, aber auch ohne die Pandemie wäre es zu keiner Verurteilung gekommen.

 

Hätte Ihrer Meinung etwas anders laufen müssen, damit es für die Öffentlichkeit zu einem befriedigenden, Ergebnis gekommen wäre?

Ich denke, in so einem Prozess gibt es für die breite Masse kein befriedigendes Ergebnis in einem Rechtsstaat wie Deutschland, der nicht nach dem Prinzip 'Auge um Auge Zahn um Zahn' handelt. Wir haben auf der einen Seite 21 Tote, das kann man nicht aufwiegen. Wenn man sich die Waage der Justiz anschaut, ist die Aufgabenstellung schon nahezu unmöglich. Folglich muss man schauen, wie groß war die Schuld des Einzelnen und wie kann man ihn belangen. Ich denke, die Schuld der Personen insbesondere die am Ende auf der Anklagebank saßen, war tatsächlich so gering, dass sie schon Buße genuggetan haben.

Dieser Punkt ist in der Berichterstattung weitestgehend untergegangen. Ein Gericht schaut letztendlich auch, was die Angeklagten bereits an Buße getan haben, dazu gehört sicherlich ein Ermittlungs- und Gerichtsverfahren, das insgesamt 10 Jahre angedauert hat. Die Angeklagten standen 10 Jahre im Fokus der Ermittlungen und der Öffentlichkeit haben aufseiten der Veranstalter Jobeinbußen erlitten und müssen sich mit der individuellen Schuld konfrontiert sehen, auch wenn diese gering ist. Man muss beachten, dass es hierbei nicht um eine vorsätzliche Tat geht, sondern um menschliche Fehler, die zum Tode anderen führten.

Deshalb denke ich, dass die Erwartungshaltung in solchen Fällen immer zu hoch ist und meiner Meinung nach unserem Rechtssystem diese am Ende nicht zur Befriedigung aller auflösen kann.

 

Sind Ihnen personelle Konsequenzen, die in Zusammenhang mit der Love Parade standen auf behördlicher Ebene bekannt z. B. kommunale Verwaltung bzw. Stadtverwaltung?

Meines Wissens kam es zu keinen Entlassungen. Die Angeklagten, die auf städtischer Ebene tätig waren, sind zu großen Teilen immer noch im Amt. Eine Duisburger Amtsleitung, die angeklagt wurde, ist heute immer noch in derselben Position tätig.

Oberbürgermeister Sauerland (CDU) wurde von der Bevölkerung abgewählt, dieser galt für viele moralisch als Hauptverantwortlicher. Danach stand die Stadt wie folgend zu Entlassungen im Rahmen der Love Parade: „Solange die Schuld unsere Mitarbeiter nicht gerichtlich bewiesen ist, halten wir an Ihnen fest“.

Es wurden zwei Dezernenten nicht wiedergewählt, das war einmal der am Ende auch angeklagte Baudezernent Dressler, der jedoch auch nicht wiedergewählt werden wollte. Des Weiteren wurde der nicht angeklagte Rechtsdezernent Rabe nicht wiedergewählt, dieser stand jedoch als Zeuge im Prozess vor Gericht. Dies sind die einzigen mir bekannten personellen Konsequenzen.

Im Prozess ist klar geworden, dass bei allem, was bei der Genehmigung falsch gelaufen ist, und es ist etwas falsch gelaufen, sonst hätte die Gefahr erkannt werden müssen, versucht wurde, sich im Vorfeld abzusichern. Die Stadt wollte ohne Hilfe von außen die Planung nicht absegnen lassen, da zu wenig fachliche Expertise vorliegen würde, deshalb wurden externe Experten konsultiert, um die Lage zu beurteilen. Hierbei wurde zum Beispiel eine „Entfluchtungsanalyse“ gemacht. Zudem war der renommierte Prof. Dr. Schreckenberg, ein Experte für Personenströme involviert. Dieser behauptete später im Prozess, sein Prüfungsauftrag war gar nicht so groß gewesen, obwohl er eine beachtliche Summe Geld erhielt.

Am Ende hatten die Stadtmitarbeiter eigentlich keinen Grund, die Veranstaltung abzulehnen. Externe Experten haben das Konzept abgesegnet, der Veranstalter behauptete, er habe Erfahrung mit Großveranstaltungen. Somit hatte der Veranstalter auch das Recht, sich das Projekt abnehmen zu lassen, da vonseiten der Stadt wohl kein Grund vorlag, dies nicht zu tun, und dabei spielten externe Gutachter auch eine zentrale Rolle.

Der oberste Richter sagte: „Wir haben nicht einen Schuldigen, sondern sehr viele Schuldige“. Für mich könnten auch einige der externen Experten zumindest zum Kreis der Mitverantwortlichen gehören. Es stellt sich die Frage, warum offenbar niemand von ihnen über seinen eigenen Tellerrand schaute und die gefährlichen Planungsdefizite erkannte und deutlich Alarm schlug. Aber: Im Nachhinein werden die sich vermutlich denselben Vorwurf machen.

 

Sind die Gutachter, die an der Abnahme des Loveparade-Konzepts mitgewirkt haben, bekannt?

Nach meinem Wissen gab es im Genehmigungsverfahren drei externe Expertisen, die zu Rate gezogen worden (natürlich neben Standards wie Einschätzung der Feuerwehr, Polizei etc.)

1.) Ökotec Fire & Risk für ein Brandschutzkonzept
2.) Traffgo GmbH für eine Entfluchtungsanalyse
3.) Schreckenberg sollte dann für die Stadt Duisburg wohl 2 Dinge tun (so jedenfalls klang es im Strafprozess an):

  • Die bestehende Entfluchtungsanalyse (also Punkt2) noch einmal auf Methodik bzw. Plausibilität prüfen
  • für etwaige Fragen je nach Planungsphase zur Verfügung stehen.

Es ist glaube ich wichtig zu verstehen: Es gab in dem Sinne kein externes Gesamtgutachten, das die Planung absegnete, genauso wenig wie es DIE eine Genehmigung gab für die Veranstaltung. Und wenn man sich die Gutachten anschaut, die es gab, waren sie im konkreten Fall einfach teils irrelevant.

Brandschutzkonzept? - Es hat ja nicht gebrannt auf der Lopa
Entfluchtungsanalyse? - Mag stimmig gewesen sein, denn: Am Ende war nicht die Entfluchtung des Geländes (z.B. bei Panik, Bombe, Feuer) das Problem, sondern die Befüllung. Die Menschen schafften es ja gar nicht drauf aufs Gelände, sondern wurden am Eingang zerquetscht.

Genau in diesem Bereich des Einlasses gab/gibt es Lücken in den verschiedenen Bestimmungen für Großveranstaltungen. So jedenfalls sieht es der zentrale Prozess-Sachverständige Prof. Dr. Gerlach, dessen Einschätzungen letztlich mit zur Einstellung der Verfahren ohne Urteile geführt hat.


(JakSo / LJ)