Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 16.04.2011

Die Millionenfalle, Teil 60

An einem Tag X passiert etwas Unscheinbares: Eine Brise weht Kieselstein Y in eine andere Lage, und am Tag Z stolpert jemand darüber und bricht sich das Genick. Kleine Ursachen und Zufälle, große Wirkungen. Wer heute beim World Conference Center Bonn (WCCB) X und Y und Z betrachtet, die Ratsdebatte Mittwochabend verfolgte und die Beraterpapiere studiert, kommt nicht umhin, den 28. August 2007 als verhängnisvollen WCCB-Tag zu sehen.

Da werden die Weichen für die Katastrophe nach der Katastrophe gestellt - für das rechtliche Chaos nach dem wirtschaftlichen Desaster. Es ist der Tag, an dem "im Grundbuch - mit Belastung auf allen Grundstücken - eine Grundschuld in Höhe von 13.300.000,- EUR zu Gunsten der Fa. Arazim B.V. eingetragen" wird - ein Zweieinhalbzeiler auf Seite 44 des WCCB-Berichts des Rechnungsprüfungsamtes (RPA), der in dem 475-Seitenwerk als unbedeutende Randnotiz erscheint. Der 28. August 2007 markiert aus Sicht der Stadt aber auch das Geburtsdatum einer kleinen Kröte.

Der Arazim-Faktor

  • 3. November 2006: Spatenstich durch OB Bärbel Dieckmann (SPD).
  • 30. November 2006: Der städtische Projektbeauftragte Arno Hübner erinnert "Investor" Man-Ki Kim an den Eigenkapital-Nachweis.
  • 14. Dezember 2006: Hübner erinnert Dr. Ha-S. C., Rechtsanwalt von Kim, an den Nachweis der Gesamtfinanzierung.
  • 19. Januar 2007: Kim erläutert den Projektbeauftragten, dass er "nicht davon ausgegangen ist, dass die Übertragung von Kapital aus Asien nach Deutschland diese Probleme verursachen könnte".
  • 7. Februar 2007: Kim schließt mit der Investmentfirma Arazim Ltd. (Zypern) einen notariellen Sicher-heitenvertrag sowie einen Kreditvertrag von bis zu 10,3 Millionen Euro zu 60 Prozent Zinsen bei Rückzahlung binnen sechs Monaten.
  • 15. Mai 2007: Grundsteinlegung mit feierlicher Zeremonie
  • 15. August 2007: Kim überträgt Arazim Ltd. 94 Prozent der Anteile an der UNCC GmbH (Bauherr/Geschäftsführer Kim), weil er den Kredit nicht fristgerecht zurückzahlt.
  • 28. August 2007: Eintragung einer Grundschuld für die Firma Arazim B.V. (Niederlande) über 13,3 Millionen Euro im UNCC-Grundbuch.
  • 2. April 2008: Stadt mahnt Kim erneut wegen fehlendem Eigenkapitalnachweis.
  • Mai 2008: Arazim Ltd. holt sich das Darlehen plus Zinsen von einem Kim-Konto durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zurück.
  • Fazit: Bis zur UNCC-Insolvenz im Herbst 2009 ist das Investment-Unternehmen Arazim Ltd. (Zypern) Hauptgesellschafter des WCCB-Bauherrn UNCC, und Arazim B.V. (Niederlande) steht bis heute im UNCC-Grundbuch.

"Investor" Man-Ki Kim hat sich 10 Millionen Euro von Arazim Ltd. (Zypern) geliehen - einer Investmentfirma, für die die Bezeichnung "Heuschrecke" zutreffen mag oder nicht: Jedenfalls "waren wir die ersten, die überhaupt Fremdkapital in das Projekt eingebracht haben, was immer gerne übersehen wird", sagt Arazim-Anwalt Zvi Tirosh im Dezember 2010 dem GA.

Es scheint, als sei Arazim auch der einzige Akteur im WCCB-Zirkus gewesen, der Kim realistisch beurteilte: Ein Habenichts, der in der Welt herumlief, um irgendwo Fremdkapital zu ergattern, das er dann andernorts, wie in Bonn, als Eigenkapital vorzeigte.

Weil Tirosh Kim als windige Erscheinung einstuft, verlangt er für Arazim Ltd. (Arazim) ein Pfand: 94 Prozent der UNCC-Anteile und damit am WCCB, falls Kim nicht fristgerecht zurückzahlt. Weil Kim das verschläft, lässt Arazim die Anteile pfänden.

Damit nicht genug: Kim akzeptiert Arazim auch im Grundbuch an dritter Stelle. Dabei übersieht er am 28. August 2007 eine Kleinigkeit: Dort steht nicht Arazim Ltd. (Zypern), sondern Arazim B.V. (Niederlande), also eine andere Company als die kreditgebende. Und das ist heute das große Problem; sonst wäre das Löschen der Grundschuld Formsache, weil Arazim Ltd., der Kreditgeber, Darlehen und Zinsen längst zurückhat.

Seit Herbst 2009, als das Prestigeobjekt zur größten Baustillstandsruine der Stadt schrumpft, schleichen Berater um die verworrene Rechtslage und prüfen und prüfen, wie Bonn doch noch kriegen könnte, was es unbedingt haben will: ein UN-Kongresszentrum samt Hotel. Das Ganze natürlich rechtssicher, zügig und erst recht preiswert, denn das Stadtsäckel ist leer.

Seitdem hat sich auch das Machtgefüge völlig verschoben: Insolvenzverwalter Christopher Seagon taucht als neuer, starker Akteur auf dem WCCB-Schachbrett auf. Es braucht einige Zeit, bis ein Oberbürgermeister das akzeptiert. "Seagon will aus dem Projekt das Maximale für sich herausholen", kritisiert Jürgen Nimptsch (SPD) noch im Frühjahr 2010 im Stadtrat. Auch muss der OB in Sachen Arazim lernen, dass Moral nicht Recht bedeutet: Da habe jemand seine 10 Millionen mit Wucherzinsen zurückerhalten und habe - sinngemäß - den Hals immer noch nicht voll. Nachvollziehbare Empörung. Doch so landet das WCCB auch psychologisch in der Sackgasse.

Fast ein Jahr später hat Nimptsch sich der "Realität Seagon" gebeugt. Der OB wirbt für eine "einvernehmliche" Heimfalllösung zwischen Stadt und Insolvenzverwalter. So würde Bonn endlich Eigentümer von Grundstück samt Aufbauten. Bezahlt oder bebürgt hat die Stadt ohnehin fast alles.

Doch Einvernehmlichkeit kostet: Für 8,5 Millionen Euro aus der Stadtkasse könnten Seagon und Nimptsch Partner werden. Für die europaweite Ausschreibung zum Fertigbauen würde Seagon auch die Pläne herausrücken - aber er will nicht sagen, ob das, was er hat, für eine Ausschreibung reicht.

Würde eines Tages das Hotel verkauft, soll Seagon via "Earn-out-Klausel" profitieren. Zwischendurch verspricht er, Arazim aus dem Grundbuch herauszuklagen, aber es klingt in dem einvernehmlichen Heimfallvertrag auch an, dass das nicht gelingen könnte. Eine Grundschuld gilt nach dem ABC des Insolvenzrechts als insolvenzfest.

Fest steht: rechtssicher, zügig, preiswert - daraus wurde nichts. Der 18-monatige Beratungsmarathon liefert kein mehrheitstaugliches Ergebnis. Deshalb meldet OB Nimptsch vor Tagen: Berater beraten, er entscheidet. Basta. In Bonn ist das jedoch so eine Sache: Der OB hat keine Mehrheit. So wird Nimptsch am Donnerstagabend überstimmt.

Seine ratsinterne Konsenssuche sieht so aus: Er visiert Genossenhilfe an. Bezirksregierung Köln, Aufsichtsbehörde: Dort sitzt Nimptschs Hoffnungsträgerin, die Regierungspräsidentin Gisela Walsken (SPD). Professor Janbernd Oebbecke, Verwaltungsrechtler der Uni Münster, hat im WDR das nahende Ping-Pong-Spiel skizziert: In jedem Fall müsse der Rat noch einmal abstimmen.

Bleibe er bei seiner Entscheidung und beanstande Nimptsch den Beschluss, weil er ihn für rechtswidrig halte, könne, aber müsse Walsken nicht entscheiden. Rechtswidrig kann er jedoch kaum sein, denn der Beschluss plädiert ja gerade dafür, dass die Stadt stärker ihre Rechte aus dem Projektvertrag wahrnimmt.

Fest steht auch: Alle Beratungskunst tanzt seit Monaten unausgesprochen um Arazim. Das Leben lehrt, dass man Kröten schlucken muss, so lange sie klein sind. Es gab nach GA-Informationen eine Phase, da hätte man mit vier bis acht Millionen Euro Arazim zum Auszug aus dem Grundbuch bewegen können. Doch das verhindert eine Mischung aus gefühltem Recht und moralischer Empörung über so viel Cleverness.

Statt dessen investiert Nimptsch fast sieben Millionen für "Kröten-Experten", die ihn beraten, mit welcher juristischen Therapie Arazim am besten - rechtssicher, zügig, preiswert - zu behandeln sei. Das dauert, und so reift die kleine Kröte in rund 1 300 Tagen zu einer großen. Wird Nimptschs Plan via Genossenhilfe reanimiert und misslingt dann Seagons Arazim-Vertreibung aus dem Grundbuch, könnte Arazim dort (der GA berichtete) bald an erster Stelle stehen - mit über 20 Millionen Euro inklusive Zinsen. Wer kauft dann noch das Hotel?

WCCB für Einsteiger:

Die Stadt Bonn beschließt 2003 den Bau eines Weltkongresszentrums (WCCB). Als Investor wird 2005 die SMI Hyundai Corporation (Reston/USA) von Man-Ki Kim ausgewählt. Der Bund schenkt das Grundstück, das Land NRW gibt einen 36-Millionen-Zuschuss und die Sparkasse KölnBonn einen über die Stadt abgesicherten Kredit von zunächst 74, später 104 Millionen. Der Investor soll 40 Millionen Eigenkapital beisteuern. Nach dem Spatenstich (2006) gerät das WCCB in Schieflage: wegen fehlenden Eigenkapitals und einer mysteriösen Baukostenexplosion. Im September 2009 fällt das Projekt wie ein Kartenhaus zusammen.

Das Karussell könnte sich aber auch drehen und aus Partnern Gegner machen. Bewegt sich Bonn endgültig in die Richtung von CDU/Grüne/BBB und Zwangsversteigerung (nur sie könnte das Arazim-Problem rechtssicher entsorgen) sowie den zügigen Weiterbau ohne europaweite Ausschreibung über den Zwangsverwalter, marschieren Seagon und Arazim getrennt und doch gemeinsam gegen die Stadt.

Egal, welche Richtung Bonn einschlägt, in jedem Fall ordnen bald Richter das Schachbrett. Angesichts dieser "Auf-hoher-See-Perspektive" erstaunt, mit welchem Selbstvertrauen die Debattenredner vorgestern auftrumpfen. Kraftvolle Rhetorik suggerierte zu wissen, welche WCCB-Zukunft die bessere oder wahrscheinlichere ist.

Konsequent wird verschwiegen: Alle juristischen Unwägbarkeiten von heute sind Folgen städtischer Versäumnisse von gestern - der Verwaltung, nicht des Rates. Jede Form von Heimfall, ob nach Schwarz-Grün oder à la Nimptsch, ist alles andere als rechtssicher.

Was schreibt der ehemalige Rechtsberater Jürgen Lauer der Stadt am 7. August 2009 noch ins Stammbuch? Es bestehe "die Gefahr, dass ein Heimfallanspruch, der aus wichtigem Grunde geltend zu machen ist, nicht mehr durchzusetzen sei, weil die Stadt das Ausbleiben des Kapitals akzeptiert habe". Er meint Kims fehlendes Eigenkapital.

Auch weiß die Stadt bereits im Mai 2008, dass Kim vertragswidrig Anteile an Arazim verpfändet und übertragen hat - obwohl sie später so tut, als höre sie "Arazim" zum ersten Mal. Zwei Sündenfälle, die Kündigungsanlässe sind, die Bonn aber verstreichen lässt und damit seinen Heimfallanspruch möglicherweise verspielt.

Das wissen auch Seagon und Arazim. Ob die Rechtsgrundlage für Nimptschs Lösung sicherer wird, indem er sich für 8,5 Millionen mit Seagon einen Verbündeten kauft? Von beiden Beschlussvorlagen hält jedoch nur der Schwarz-Grün-Plan einen Notausgang (Zwangsversteigerung) für das Szenario eines verwirkten Heimfalls bereit.

Die Rechtsrisiken trüben die allgemeine Zuversicht neutraler Beobachter und erhellen Arazims Aussichten. Überhaupt ist die WCCB-Geschichte eine Geschichte extremer Schicksale - eine von Fluch und Segen. Was für die Stadt als komplettes Fiasko enden kann, würde Arazims bisheriger WCCB-Erfolgsstory die Krone aufsetzen.

Ein Teil der Geschichte könnte sich sogar wiederholen: Als im Sommer 2009 die Stadt das "Rechtsrisiko Arazim" in der Eigentümerfrage auf die leichte Schulter nimmt, weil ihr der neue Investor Honua aus Hawaii angenehmer erscheint, wird sie vom Gericht mit einer Pro-Arazim-Entscheidung kalt erwischt. "Das hat dem Projekt das Genick gebrochen", sagt Tirosh Ende 2010. Heute schweigt er - und beobachtet jeden Zug der Akteure auf dem Schachbrett.