Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 09.05.2012

Die Millionenfalle, Teil 77: Das kontrollierte Gerücht vom Weltkonzern

So oft wie der ehemalige WCCB-Projektleiter Arno Hübner als Entlastungsfaktor zitiert wird, wirkt er wie ein Kronzeuge der Verteidiger. Die Anklage der Staatsanwälte, so Kims Strafverteidiger, sei wie ein "Kartenhaus zusammengebrochen". In der 91. Minute fragen sich die Zuhörer, welches Kartenhaus da gerade wankt. Staatsanwalt Ulrich Stein stellt einen Beweisantrag: Das Gericht soll den Journalisten und ehemaligen GA-Redakteur Bernd Leyendecker in den Zeugenstand rufen.

Dem staatsanwaltlichen Sprossenprinzip folgend sind die Ermittler nun offenbar auf der untersten - "Es stand ja auch in der Zeitung" - Sprosse gelandet. Sie luden jetzt jenen Journalisten vor, der unzutreffende Informationen über SMI Hyundai 2005 verarbeitet hatte. Stein fasst die Aussage des Ex-GA-Redakteurs zusammen: Danach wurde der Journalist Ende Juli 2005 in Hübners Büro im Stadthaus gebeten, wo ihm von Kim und seinem Rechtsanwalt Dr. Ha-S. C. in Hübners Beisein unter anderem die Hyundai-Konzernstruktur erläutert wurde. Dabei sei auch das Hyundai-Sponsoring der Fußball-WM 2006 in Deutschland in Höhe von 200 Millionen Euro erwähnt worden.

Auch habe Leyendecker, so der Staatsanwalt, berichtet, dass seine Befragung von Ratsmitgliedern, die die nicht-öffentliche Präsentation von Kim und Dr. Ha-S. C. am 14. November 2005 im Sternzimmer des Alten Rathauses miterlebt hatten, ein einheitliches Meinungsbild ergeben habe - hinsichtlich der Nähe zu einem Weltkonzern. In einem weiteren Gespräch im März 2006 habe Dr. Ha-S. C. dem Journalisten im Hotel "Kanzler" unter anderem berichtet, dass Hyundai über 20.000 hochqualifizierte Mitarbeiter verfüge, von denen ein Teil für das Planen und Bauen des WCCB zur Verfügung stehe.

Oberstaatsanwalt Fred Apostel hatte vergangene Woche Hübner gefragt: "Haben Sie versucht, die Presse zu instrumentalisieren?" Hübner verneinte. In einer Mail an WCCB-Kollegin Zwiebler hatte Hübner am 12. November 2005 angemahnt: "Es ist wichtig, dass wir die Presse auf unserer Seite halten." Mit Leyendeckers Aussage vor der Staatsanwaltschaft werden Hübners Mails aus 2005 bestätigt, nicht aber seine Aussage vor Gericht sieben Jahre später. Insofern droht Hübner nun, der gemeinsam mit Zwiebler wegen Untreue im besonders schweren Fall angeklagt ist, ein Verfahren wegen Falschaussage.

Rückblende

Mitte November 2005 knirscht es hinter den Kulissen in der CDU-Fraktion. Auch das verrät die Mail von CDU-Mitglied Hübner an CDU-Mitglied Zwiebler vom 12. November 2005 um 11.11 Uhr. Als hartnäckige Fragesteller sind schon Heinz Hentschel und Klaus-Peter Gilles aktenkundig - und durch diese Mail nun auch Georg Fenninger, "der ist schon manchmal radikal", mailt Hübner.

Und "dieser Hass innerhalb der CDU gegen unsere OB, das ist der größte Kardinalsfehler". Der damalige Stadtdirektor teilt Zwiebler mit, worauf es nun vor der Ratsabstimmung ankomme: "Wir müssen gegenüber den Fraktionen die Umwegrendite betonen." Es folgen am 14. November 2005 die Präsentation und am 16. November eine Weltkonzern-Darstellung im General-Anzeiger. Da wird die entscheidende Abstimmung im Stadtrat vier Wochen später zur Formsache.

Heute ist die damalige Präsentation unauffindbar, und es ist unsicher, ob jene mit den aufgeführten Milliarden-Umsätzen, die man gefunden hat, die vorgeführte ist. Bis Dienstag erschien es vor Gericht so, als sei die "Weltkonzern-Theorie" nicht mehr als ein aus dem Nichts geborenes Gerücht, dem erst die Presse und dann der Stadtrat aufgesessen ist. Wer hat den Geist wo aus der Flasche gelassen? Keine Spur davon in den Akten. Auch der "uneingeschränkt zur Wahrheit verpflichtete" Zeuge Hübner "konnte keine Verbindung zwischen SMI Hyundai und dem Autoweltkonzern herstellen".

Seltsam jedoch, dass nahezu alle Ratsmitglieder das Gegenteil glaubten oder glauben sollten - so sehr, dass einige nach der nicht-öffentlichen Kim-C. -Präsentation am 14. November 2005 darüber witzelten, dass Hyundai zwar Hauptsponsor der Fußball-WM 2006 in Deutschland sei, aber selbst keine Busse produziere, weshalb die von Mercedes ausgeliehenen Mannschaftsbusse großflächig mit Hyundai-Aufklebern bepflastert werden müssen. Dass SMI Hyundai Corporation via Namen selbst mit "Weltkonzern-Aufkleber" unterwegs war, dämmerte damals niemandem. Warum auch? Schließlich hatte, so schien es, die Sparkasse KölnBonn nach eingehender Prüfung grünes Licht gegeben, und auch die Presse berichtete über die Nähe von SMI Hyundai zum Weltkonzern.

Was die Sparkasse über SMI Hyundai wirklich wusste (siehe Millionenfalle 74), fiel unter das Bankgeheimnis. Und was die städtische Verwaltungsspitze wusste, darüber informierte sie den Rat schriftlich in fein austarierter Dosierung. Darin kein Wort vom Autoweltkonzern. Was mündlich mitgeteilt wurde, etwa Ratsmitgliedern oder Journalisten, war nur für den 14. Dezember 2005 wichtig: Da sollte der Stadtrat pro Kim und SMI Hyundai abstimmen.

Bis Ende 2005 ging das Kalkül auf: Die Presse blieb, wie von Hübner angemahnt, "auf der Seite" und druckte die Mär vom Weltkonzern, und der Rat stimmte pro Kim und SMI Hyundai als WCCB-Investor. Danach hatte das kontrolliert lancierte Gerücht seine Schuldigkeit getan. Die Stadt Bonn wähnte sich am Ziel. Und saß in der Falle.

Fata-Morgana-Weltkonzern

Bald standen nicht "hochqualifizierte" Mitarbeiter" aus dem Fata-Morgana-Weltkonzern für das WCCB zur Verfügung, sondern Landsmann Young-Ho Hong aus Berlin plante und baute - und meist plante er während des Bauens. Hong hatte gerade die Botschaft Südkoreas samt Garten renoviert - und jetzt ein Weltkongresszentrum mit 350-Zimmerhotel vor der Brust. Gleichzeitig suggerierte Dr. Ha-S. C. im März 2006 weiter: "Wir investieren 140 Millionen Euro und werden diesen Betrag nicht überschreiten; denn jeder weitere Euro wäre unser Risiko."

Tatsächlich begann, kaum war die Tinte unter dem Projektvertrag Anfang März 2006 getrocknet, die Plünderung der mit öffentlichen und öffentlich versicherten Millionen gefüllten Baukasse. Da waren die abstrusen Gehälter, die sich die Herren aus Fernost auf Bonns Rechnung bewilligten, oder ein 65.000-Euro-Cabrio für Kims Ehefrau noch Peanuts. Jahre später ragt am Rhein eine verlassene Bauruine in den Himmel - als steinernes Mahnmal für den größten Bauskandal in der Bonner Nachkriegsgeschichte.

Kims Trick: Warum SMI Corporation "Hyundai" im Namen tragen durfte

Die riesigen, von einzelnen Familien geprägten Mischkonzerne Südkoreas wie Samsung oder Hyundai waren nach der Demokratisierung des Landes ins Visier des Internationalen Währungsfonds (IWF) geraten. In den sogenannten Chaebols wurden von Banken und Staat verhätschelte und behütete Familien-Konglomerate gesehen, die nur durch hohe Importzölle für ausländische Waren und heimische Subventionen "konkurrenzfähig" waren. Die Chaebols galten als ineffizient, von aufgeblähten Strukturen gelähmt, dazu kamen gigantische Schulden, intransparente Besitzverhältnisse und ein ausgeprägter Hang - nach westlichen Maßstäben - zur Korruption.

Nach 2002 erwischte es auch den Chaebol Hyundai, wobei "Chae" im Koreanischen für Finanzen und Wohlstand steht und "bol" für Clan oder Fraktion. Hyundai wurde in fünf verschiedene Gesellschaften zerlegt, von denen jeder durchaus Konzernformat im Weltmaßstab besaß, so auch die Hyundai Kia Automotive Group.

Eine Besonderheit des Chaebols besteht in der - ähnlich der in einer Familie - lebenslangen Fürsorge für leitende Mitarbeiter. Wer nach Jahrzehnten der Chaebol-Treue in Ungnade fällt, seine Leistungsfähigkeit einbüßt oder seinen eigenen Weg gehen will, wird nicht fallengelassen, sondern unterstützt. Mancher Ex-Vorstand findet in einer "Abschiedsgesellschaft" seine Versorgungsinsel, andere, wie etwa Choong-Hong Cho, gründen eine eigene Firma.

Cho saß viele Jahre im "Member of the Board" einer richtig großen Baufirma - bei Hyundai Engineering and Construction. Wer dort nach Verdiensten um das Unternehmen ausscheidet, darf den Namen "Hyundai" - im westlichen Kulturkreis unvorstellbar - ein paar Jahre für seine eigene Firma nutzen. Ein Privileg, das in einer markengläubigen Welt mehr wert sein kann als eine stattliche Millionen-Abfindung. So hieß Chos Firma Hyundai Remodeling & Construction (HRC), und als Cho und Man-Ki Kim (SMI Corporation) sich begegneten, entstand bald eine gegenseitige Beteiligung und die von Kim angestrebte Namensinfektion. Fortan hieß Kims Ende 2004 gegründete Firma SMI Hyundai Corporation.

Mit der seit 2003 eigenständigen Hyundai Kia Automotive Group, als weltweit fünftgrößter Autofirma durchaus ein Weltkonzern, hatte Kim so wenig zu tun wie Schokobonbons mit Autoreifen. Aber wenn Bonbon- und Reifenhersteller dasselbe Kürzel im Unternehmensnamen tragen, entstehen gewollte oder ungewollte Vorstellungen bei Dritten. In Bonn waren die Assoziationen zum Hyundai-Autoweltkonzern eher gewollt.

In Südkorea fanden nach 2005 aufsehenerregende Korruptionsprozesse gegen die großen Chaebol-Führer statt. Sie endeten jeweils mit hohen Strafzahlungen und Haftstrafen. Doch der Rechtsstaat Südkorea fand immer Auswege für die Verurteilten. Auch für Mong-Koo Chung, den Chef der Hyundai Kia Automotive Group. Er musste 895 Millionen Dollar spenden und sich verpflichten, Vorträge über transparentes Management zu halten.