Die GENERAL-Anzeiger-Berichte, 04.12.2009

Juckeldiduckel in Bonn: Die Millionenfalle, Teil 22

Weltweit wird getäuscht und getarnt. Im Tierreich ebenso wie eine Evolutionsebene darüber. Und die Menschen haben Worte für solcherlei Mimikry gefunden. In Italien sagen sie Mimetizzaione, in Polen Kamuflaz, in Portugal Camuflagem, in Frankreich Camouflage - und so ist es mit einem Klang von französischer Noblesse im Deutschen gelandet: Camouflage. Man kann das dann noch mit dem urdeutschen Wort "Zudeckplane" verbinden, damit auch jeder weiß, was gemeint ist.

Mit "Camouflage-Plane" wird etwa der Bonner CDU-Landtagsabgeordnete Helmut Stahl in Zusammenhang mit dem World Conference Center Bonn (WCCB) in einem eher lustig daher kommenden Büchlein in indirekter Rede zitiert - zu einer Zeit, als die Bonner Öffentlichkeit das WCCB noch als einen stillen, in sich ruhenden See wahrnahm und nichts darauf hindeutete, dass auf dem Seegrund Luftblasen, gefüllt mit Fäulnisgasen, schlummerten.

In "Juckeldiduckel - Bonner Episoden" (Bouvier-Verlag, 138 S., 16,90 Euro) schreibt der Rechtsanwalt Claus Recktenwald über Begegnungen in Bonn, vor allem in der Phase, als er von der CDU als möglicher Oberbürgermeister-Kandidat angeworben werden sollte. Diese Begegnungen tragen die vieldeutige Überschrift: "Ein Gespräch, das niemals stattgefunden hat."

Der Herausgeber des Büchleins David Eisermann eröffnet:

"Die schier unglaublichste Episode hätte auch unter der Überschrift erscheinen können: »Wie ich aus Versehen einmal beinahe Oberbürgermeister von Bonn geworden wäre, dann aber noch rechtzeitig davor bewahrt worden bin.« Am eigenen Leibe erlebt hier ein Bonner Bürger mit, wie eine politische Partei einen Kandidaten für das Amt des Stadtoberhaupts sucht. Das Vorgehen gegenüber dem Kandidaten mutet ebenso tapsig wie verdruckst an, und die Karten werden stets dicht zur Brust gehalten. Zu dicht. Schnell bildet sich beim Lesen der Eindruck: das darf doch alles nicht wahr sein. Beruflicher und wirtschaftlicher Erfolg haben den Kandidaten unabhängig gemacht; wie geschaffen erscheint er so, um sich als engagierter Sachwalter seiner Mitbürger zu engagieren, denen er durch die Verwurzelung in der Stadt (die er wie kaum einer sonst kennt und versteht) verbunden ist. Doch für die Funktionäre spielt Qualifikation am Ende gar keine Rolle. Lieber gar kein Oberbürgermeister, als einer, der nicht tut, was sie ihm sagen. Und spätestens dann drängt sich mir der Gedanke auf: besser so."

In einem der letzten Anwerbegespräche spricht Recktenwald Stahl auf das WCCB an - und beschreibt die Reaktion: "Davon wusste er nichts, will es auch wieder vergessen, stellt aber die genau richtige Frage, ob denn nicht unter einer Camouflage-Plane zu Ende gebaut und erst dann mit überschaubarem Schaden umgepolt werden könne." Das bedeutet mindestens: Stahl war über eine wie auch immer geartete Schieflage des Projekts bereits im Juni 2008 informiert. Er alleine? Wer noch aus der Führungsriege der Bonner CDU? Und was wusste dann das Führungsgremium der SPD, die Partei der ehemaligen Oberbürgermeisterin?

Im Februar 2009 reisen die Bonner WCCB-Projektbeauftragten Evi Zwiebler und Arno Hübner nach Seoul (Südkorea), wo der WCCB-Investor SMI Hyundai Corporation mit Sitz in Reston/ Delaware (USA) eine Filiale betreibt. Die beiden begleitet Uli Voigt, Mitglied des Vorstandes der Sparkasse KölnBonn, der Kreditgeberin des Projekts. Stadtsprecher Friedel Frechen begründete damals den Trip: "Um vertrauliche Gespräche im Hyundai-Konzern zu führen." Dazu lesen wir in Recktenwalds "Juckeldiduckel":

"Wie bitte? Dass der dortige Autokonzern nichts mit SMI zu tun hat, weiß doch mittlerweile jeder; auch dass der Geschäftsführer Kim keine Bonner Geschäfte mehr führt (...) Was also soll dann mit wem zu dritt in Seoul zu besprechen sein? Wir brauchen, wo die Kölner gerade erst damit durch sind, doch sicherlich nicht auch noch unser eigenes Lustreiseverfahren."

"Witzig" findet Recktenwald, "dass dieser »amerikanisch-koreanische Baukonzern« sich nicht bei 70 und auch nicht bei 130 Mio. Euro, sondern erst zur Höchstkostenplanung meldete." Damit spielt er auf die Schlussexpertise vom 14. November 2005 des im Auftrag der Stadt tätigen Investoren-Auswählers Michael Thielbeer an, wonach von der Sparkasse KölnBonn "eine grundlegende Finanzierungszusage von max. 104 Millionen Euro vorliegt". Bei Einhaltung der Baukosten wären rund 74 Millionen Kredit ausreichend gewesen. Im Klartext: Zumindest eine Baukostensteigerung von 30 Millionen Euro war finanziell schon einmal abgesichert. Dass später die vermeintliche Erhöhung der Hotelzimmer-Zahl von 185 auf 336 (siehe Millionenfalle 7) Mehrkosten von angeblich 36,3 Millionen Euro verursachte und damit nahe dem maximalen Kreditrahmen lag, mag Gutgläubigen als Zufall erscheinen.

Doch gutgläubig grenzt im Labyrinth der verworrenen WCCB-Beziehungen, -Verhaftungen, -Geständnisse und -Zahlungsflüsse inzwischen an naiv. Wer "Juckeldiduckel" aufmerksam liest, fragt sich unweigerlich: Wer aus Verwaltung und Parteien hat was wann gewusst? Eine Frage, die der WDR in einem kurzen Filmbericht bereits Ende September gestellt hatte. Zudem sah man beim Kölner Sender am 17. September eine "Verquickung" zwischen der WCCB-Betriebsgesellschaft und der sie betreuenden Werbeagentur Kreativ-Konzept des damaligen SPD-Ratsherrn und wirtschaftspolitischen Sprechers Martin Schilling. In dem WDR-Beitrag sagt Schilling: "Es ist keine Interessenverquickung. Ich habe meiner Erinnerung nach an keiner Ratssitzung teilgenommen, in der Entscheidungen über das WCCB getroffen wurden." Auf der Homepage von Kreativ-Konzept tauchte auch WCCB-"Investor" SMI Hyundai auf. Inzwischen - nach dem Beitrag - wurde die Reverenznote jedoch gelöscht.

Es mag Zufall sein, dass in der Ratssitzung am 29. November bei den kritischen Fragen zum WCCB die Parteien SPD und CDU nicht auffielen. Die Frage steht im Raum: Wer hat nicht nur dem Rat, sondern auch der eigenen Partei lange Unwissenheit vorgespielt und damit Camouflage betrieben?

Vor diesem Hintergrund verwundert, warum der neue Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) nicht die Gnade des späten Eintritts ins WCCB-Geschehen als große Chance zu einem glaubwürdigen Tabula rasa nutzt oder, wie der Volksmund sagt: zum "Hosen runter lassen". Der neue Stadtchef blickt vor allem nach vorn, in die Zukunft. Dafür gibt es viele gute Gründe, etwa das WCCB im Slalom zwischen Zwangs- und Insolvenzverwalter winterfest zu bekommen, um weitere Bauschäden abzuwenden - und damit auch Belastungen für das Bonner Stadtsäckel, womit unweigerlich auch der Bürger betroffen wäre, wenn freiwillige städtische Leistungen nicht mehr gewährt werden könnten. Nach hinten, in die Vergangenheit, schaut Nimptsch aber auch: Dabei geht es jedoch nicht nur um Aufklärung von Rat und Öffentlichkeit über die Ursachen, die das Zukunftsprojekt WCCB ins Trudeln und schließlich zum Baustopp brachten, sondern auch um die Frage, was in den Millionenfalle-Folgen des General-Anzeigers unwahr sein könnte.

Erst kürzlich veröffentlichte Nimptsch das erste Kapitel seines Tagebuchs. Ein Auszug:

"Mehr und mehr erkundigen sich Bürgerinnen und Bürger auch danach, ob denn alles stimme, was in einer Bonner Zeitung zu lesen ist. Nein, es stimmt nicht alles - aber das können Sie selbst auf unserer Homepage nachlesen. Ich habe daher jetzt eine Untersuchung zu den 20 Folgen in Auftrag gegeben, die in dieser Zeitung bislang zum Thema Kongresszentrum erschienen sind. Ich will genau wissen, welche der dort genannten Behauptungen, Mut-maßungen und Fakten tatsächlich stimmen. Als Germanist sind mir nämlich die vielen Konjunktive und bestimmte Lieblingswörter der Journalisten auf-gefallen: »scheint« und »offenbar«. Wir benutzen sie selbst, wenn wir uns nicht sicher sind, ob denn das stimmt, was wir sagen."

Vor allem müssen die Journalisten mit den ungelenken Konjunktiven hantieren, weil die Region zwischen Rat- und Stadthaus zwar eine tendenziell geschwätzige Zone, aber hinsichtlich des WCCB eine Bastion des Schweigens ist. Wie durch einen Türspalt, "aufgestemmt" durch Informanten aus der Schweigezone und andere, blicken sie auf ein Labyrinth erklärungsbedürftiger Zusammenhänge. Nimptschs Tagebuch-Eintrag ähnelt denn auch dem Rathaus-Business-as-usual der letzten Monate, als hätte es zuletzt weder Verhaftungen noch Geständnisse gegeben und als sei das WCCB-Desaster eine vom Himmel gefallene Tragödie, über deren Vergangenheit man besser nicht spricht.

Entsprechend ungeduldig zeigten sich die Vertreter der kleinen Parteien im Rat. Sie drängten Nimptsch, endlich seine versprochene Transparenz-Offensive zu verwirklichen. Wie erwähnt, bestimmte dabei die Farbenlehre der Parteien die Hartnäckigkeit der Fragen. Oder es war - Juckeldiduckel - etwas anderes.

Mitarbeit: Lisa Inhoffen, Rita Klein, Bernd Leyendecker, Florian Ludwig und Wolfgang Wiedlich

Das WCCB für Einsteiger: Was bisher geschah

Die Stadt Bonn will ihren Status als UN-Stadt ausbauen und beschließt 2003 den Bau eines Kongresszentrums über einen Investor. Es folgen Architekten-Wettbewerb, Investor-Auswahlverfahren, Projektvertrag. Partner der Stadt wird 2005/06 die SMI Hyundai Corporation (Reston/USA), zunächst alleiniger Gesellschafter der UN Congress Center GmbH (Bauherr). Das gesamte Projekt inklusive eines Hotels mit mehr als 300 Betten soll 139 Millionen Euro (reine Baukosten: 100 Millionen) kosten. Der Bund schenkt das Grundstück, das Land NRW gibt einen Zuschuss von rund 36 Millionen Euro, die Sparkasse KölnBonn gewährt einen über die Stadt abgesicherten Kredit von 74 Millionen, der ausgewählte Investor SMI Hyundai soll 40 Millionen Euro Eigenkapital vor Baubeginn nachweisen.

Im November 2006 erfolgt der Spatenstich, während SMI-Präsident Man-Ki Kim längst UNCC-Geschäftsführer ist. Zwei Entwicklungen bringen das WCCB in Schieflage: Einmal Kims chronische Eigenkapitalnot, zum anderen eine Steigerung der Baukosten auf bis zu 200 Millionen Euro. Kim bringt 2007 über neue Geldgeber (Arazim, Honua) vertragswidrig neue Hauptgesellschafter in die UNCC. Jeder gibt vor, 94 Prozent der Anteile zu besitzen, was einen Eigentümerstreit programmiert.

Die Baukostenexplosion kann nicht plausibel erklärt werden, eine Baukostenkontrolle scheint zu fehlen. Im September 2009 fällt das Projekt wie ein Kartenhaus in sich zusammen: Einer Verhaftungs- folgt eine Insolvenzwelle fast aller beteiligten Firmen. Nach Kim wird international gefahndet. Einige Beteiligte landen in Untersuchungshaft und werden nach Aussagen beziehungsweise Teilgeständnissen gegen Kaution und Reisepass-Abgabe freigelassen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bestechung, Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr und Untreue. Nun sollen bald städtische Bedienstete als Zeugen vom Staatsanwalt befragt werden. Gleichzeitig bemühen sich Insolvenz- und Zwangsverwalter gemeinsam mit Stadt Bonn und Sparkasse KölnBonn, größter Gläubiger des WCCB-Projekts, um die Fertigstellung des Weltkongresszentrums. Erste Maßnahme: Der Einbau der Heizung wurde beschlossen. Sie soll das WCCB unbeschadet durch den Winter bringen.