FOCUS, 11.07.2005

Schöner Shoppen mit Peter Hartz

Alle Ausfahrten waren blockiert. Peter Hartz, Kanzler-Vertrauter, Arbeitsmarkt-Reformator der Republik und Personalvorstand von Europas größtem Autohersteller, wusste irgendwann nicht mehr weiter.

Am Freitag schließlich folgten die finalen Vorwürfe. Die „Bild“-Zeitung bereitete einen Artikel über ein angebliches „Liebesmädchen“ von Hartz vor. Und nach FOCUS-Informationen soll Hartz einmal im Jahr die Spitzen der Arbeitnehmer samt Ehefrauen zu Luxustrips in die nobelsten Herbergen des Kontinents eingeladen haben. Großzügig, so die Vermutung der internen Revisionsexperten von VW, habe Hartz seine und die Spesen der illustren Funktionärstruppe mit dem Konzern abgerechnet — den Firmenjet und die Shopping-Ausflüge der Gewerkschaftergattinnen inklusive.

Am Freitagmorgen informierte Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) in einem Telefonat VW-Vorstandschef Bernd Pischetsrieder über pikante Details der Jet-Set-Trips und forderte Klarheit über die Verwicklungen von Hartz. Interne Nachforschungen bestätigten offenbar den Verdacht. Peter Hartz war nicht mehr zu halten. Am Freitagmittag gab der 63-jährige Saarländer auf und bot dem Aufsichtsrat seinen Rücktritt an.

Mit dem mächtigen VW-Vorstand versank das bislang prominenteste Mitglied der Wolfsburger Führungsriege im Strudel des VW-Skandals, der die Republik seit der ersten FOCUS-Enthüllung (FOCUS 26/2005) beschäftigt. Sex, Lustreisen, Schmiergelder — fast täglich gelangen neue Details der Affäre an die Oberfläche. Das Konsensmodell Volkswagen, in dem clevere Manager und smarte Gewerkschafter seit Jahren in ungewöhnlicher Eintracht neue Arbeitszeitmodelle austüfteln, erlitt binnen weniger Tage Totalschaden. „Der Filz ist das System Volkswagen“, diagnostizierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ knapp. Und Hartz, der seit neun Jahren auch Lateinamerika-Chef von Volkswagen ist, drückte dem System seinen Stempel auf.

Die „Bild“-Zeitung präsentierte am Wochenende eine brasilianische Prostituierte, die der inzwischen gefeuerte Hartz-Mitarbeiter Klaus-Joachim Gebauer für seinen Boss mehrfach aufgetrieben haben soll. „Oh, das ist mein Peter!“ — mit diesem Ausruf soll Joselia R. den VW-Vorstand Hartz „unter einem Dutzend Fotos anderer Männer sofort“ wiedererkannt haben. Die Prostituierte plauderte, sie sei in Luxushotels in Paris und São Paulo bei Hartz im Zimmer gewesen. „Danach musste ich aber in einem anderen Zimmer auf einer anderen Etage übernachten.“ Peter sei „immer so geheimnisvoll“ gewesen. Fragen habe er abgeblockt. „Wenn ich mehr über ihn wissen wollte, sagte er nur: Ich bin ein geheimer Mann.“

Ist dieser ominöse Freier identisch mit VW-Vorstand Hartz, Kanzler-Freund und oberster Reformator der Republik? „Bild“ zitierte keine Stellungnahme des verheirateten Managers. Dafür aber kommt VW-Boss Pischetsrieder zu Wort. Auf die entscheidende Frage, ob sich Hartz Prostituierte habe „zuführen“ lassen, gab der oberste Wolfsburger zu Protokoll: „Sie erwarten nicht wirklich eine Antwort auf diese Frage?“ Eine Rückendeckung würde sich anders lesen.

Laut „Bild“ soll Gebauer die Liebesdienste für seinen Chef entgolten haben. Sex auf Konzernkosten?

Ausgerechnet der Mann, der Millionen Bundesbürgern durch die nach ihm benannten Sozialreformen harte Kürzungen verordnete, soll sich exklusive Sondertouren bezahlt haben lassen.

Üppig fiel jedenfalls der Vergnügungstrip nach Irland aus. Das „Killarney Park Hotel“ liegt in einer grünen Bilderbuchlandschaft und gehört zu den edelsten Häusern der Welt. In den 5-Sterne-Palast soll Hartz im August 2003 eingeladen haben. Angeblich flogen die Spitzenfunktionäre des Gesamtbetriebsrats-Ausschusses im Firmenjet direkt vom niedersächsischen Braunschweig zu einem Privatflugplatz nach Irland. Unter den Passagieren waren den Ermittlungen zufolge die Betriebsratsvorsitzenden aller deutschen VW-Werke — also die gewerkschaftliche Hautevolee des Autoriesen: Keine bedeutende Konzernentscheidung, bei der sie nicht ein gewichtiges Wort mitzureden hatten.

Prassen wie die Bosse. Von Donnerstagmorgen bis Sonntagabend sollen die Top-Gewerkschafter samt Ehefrauen auf Kosten des Konzerns die süßen Verlockungen der Bourgeoisie genossen haben — Shopping-Touren inklusive. Die VW-Innenrevision prüft derzeit etliche Luxusreisen der hochrangigen Arbeitnehmervertreter. Peter Hartz persönlich soll zu den jährlichen Spaßreisen eingeladen haben und selbst mitgeflogen sein.

Längst geht es nicht mehr nur um VW. Es geht auch um die rechtlichen Rahmenbedingungen für die schwächelnde Deutschland AG. IG-Metall-Chef (und VW-Aufsichtsratsmitglied) Jürgen Peters witterte gar einen Generalangriff auf das Recht der betrieblichen Mitbestimmung.

Den Wolfsburger Autobauer haben die mächtigen Betriebsräte der IG Metall, dessen Belegschaft zu 97 Prozent gewerkschaftlich organisiert ist, jedenfalls fest im Griff. Jeder Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat kassiert ein stattliches Salär von monatlich bis zu 10000 Euro. Zudem verfügen die Funktionäre über Budgets für die angebliche Gewerkschaftsarbeit. Quittungen oder Belege für ihre Ausgaben müssen die Betriebsgenossen, die auch im Aufsichtsrat vertreten sind, nicht vorlegen.

Das großzügige Vergütungssystem des Autobauers verführt zu kostspieligen Extratouren. Und Personalvorstand Hartz soll jahrelang schützend seine Hand über das ausufernde Abrechnungssystem gehalten haben.

Die Luxusreisen mit dem Schröder-Freund Hartz sind nach FOCUS-Informationen allerdings nicht über die Budgets der einzelnen Betriebsräte gelaufen. Das Rundum-Wohlfühl-Programm wurde von Klaus-Joachim Gebauer organisiert, gebucht und abgerechnet. 18 Jahre lang war Gebauer, dem VW inzwischen fristlos gekündigt hat, Leiter der Abteilung Personalprojekte. Die delikate Aufgabe des VW-Chefanimateurs bestand scheinbar darin, selbst die ausgefallensten Wünsche der Arbeitnehmervertreter im Konzern zu befriedigen — auf Reisen und vor Ort.

Den Irland-Trip buchte Gebauer, so ergaben FOCUS-Recherchen, über den Reiseveranstalter Sterling Travel aus Berkshire bei London. Für die exorbitanten privaten Shopping-Trips der Ehefrauen, die im Programm enthalten gewesen sein sollen, stellte Gebauer angeblich großzügig Ersatzquittungen aus. Nach Insider-Informationen durften die Funktionärsgattinen jeweils 1000 bis 2000 Euro verjubeln. Zehn Jahre lang, von 1993 bis 2003, soll die Gewerkschaftstruppe auf Einladung von Hartz mit einem der vier Firmenjets zu Wochenendtrips aufgebrochen sein und in Europas Spitzenhotels logiert haben. Grünes Licht für die Shopping-Touren, so vermuten die firmeninternen Fahnder, hatte der Personalvorstand persönlich gegeben.

Peter Hartz, der Erfinder des Projekts “5000 x 5000“, der in Wolfsburg die 4-Tage-Woche einführte und bei VW großzügige Arbeitsplatzgarantien durchsetzte, geriet bereits in der vergangenen Woche in arge Not. Innerhalb kürzester Zeit verlor der Manager seine beiden engsten Vertrauten im Unternehmen. Der Skoda-Vorstand Helmuth Schuster musste Ende Juni wegen angeblicher Schmiergeldzahlungen zurücktreten, und VW-Gesamtbetriebsratschef Klaus Volkert räumte am vorvergangenen Donnerstag freiwillig seinen Posten.

Die Tage von Peter Hartz, des Konsenskönigs von Wolfsburg, waren ohnehin gezählt. Er galt im Konzern als einer der letzten Vertreter des alten Managements, der kaum noch Freunde hatte. Der niedersächsische Regierungschef Wulff, der Modernisierer Pischetsrieder und dessen neuer Markenvorstand Wolfgang Bernhard wollten den Personalchef nur allzu gern loswerden, um VW wieder auf Wettbewerb zu trimmen. Darum gilt der Abgang von Hartz auch als Chance für einen Neuanfang. Prompt stiegen am vergangenen Freitag die VW-Aktienkurse.

Gerade die Umstände des Abgangs von einem der mächtigsten Arbeitnehmervertreter in Deutschland nährten den Verdacht der gezielten Bespaßung von Betriebsräten bei VW — und erschütterten das Vertrauen in die betriebliche Mitbestimmung. Jahrelang soll Volkert die Brasilianerin Adriana B. auf VW-Kosten gesponsert haben.

Die Innenrevision des Konzerns stieß auf weitere Abrechnungen, die zu belegen scheinen, wie großzügig VW Volkerts exotische Gefährtin bedachte. Der Autobauer hat demnach für B. gar einen Sprachkurs in England bezahlt. Zudem soll für sie ein Erster-Klasse-Trip nach Indien und ein Urlaub in der Türkei aus der Kasse des Weltkonzerns beglichen worden sein.

Moralisch verwerflich, strafrechtlich möglicherweise aber irrelevant, heißt es bei der Braunschweiger Staatsanwaltschaft. Als Beschuldigte gelten bislang lediglich Schuster und Gebauer. Gegen Volkert wird derzeit nicht ermittelt.

Auslöser des VW-Skandals war ein Warnhinweis, der bereits vor mehr als einem Jahr die Wolfsburger Konzernspitze erreicht hatte. Von angeblichen Schmiergeldzahlungen an Ex-Skoda-Vorstand Helmuth Schuster war zu diesem Zeitpunkt noch nichts bekannt.

Der als möglicher Nachfolger seines Mentors Peter Hartz gehandelte Schuster wollte damals angeblich durch Vermittlungen von Investitionen aus dem milliardenschweren Topf des VW-Pensionsfonds Geschäfte machen. Zusammen mit seinem Kumpel Gebauer, der die Luxusreisen organisierte, suchte Skoda-Mann Schuster demnach bundesweit nach lukrativen Anlagemöglichkeiten. Als Vorstandschef des „Volkswagen Pension Trust e.V.“ verwaltete Schuster die Rücklagen von 177000 VW-Mitarbeitern.

Über einen Hamburger Finanzberater hatte Gebauer bereits zuvor Kontakt zu mehreren Vermittlern von zum Teil riskanten Anlageprogrammen hergestellt. Angeblich sollen Schuster und Gebauer versucht haben, sich Anteile von den üppigen Vermittlerprovisionen zu sichern, so die Erkenntnisse der Innenrevision.

Einer der Vermittler heißt Johann J. und lebt auf Mallorca. Er schlug einen Deal vor, in den mehrere Banken involviert waren. Kurz vor Vertragsabschluss, bei dem es um mehr als 100 Millionen Euro gegangen sein soll, landete jedoch ein Fax der Deutschen Bank in der VW-Konzernleitung. Darin warnte das Geldinstitut vor J. und einem weiteren Vermittler des Millionendeals. Das Geschäft platzte.

Seit dem Rücktritt von Schuster und dem Rausschmiss von Gebauer untersuchen die internen Ermittler sämtliche Transaktionen der betriebseigenen Rentenkasse. Ihre finstere Befürchtung: Schuster und Gebauer könnten sich für andere Geschäfte aus dem Vermögen bedient haben. Konkrete Anhaltspunkte dafür fanden sie bislang allerdings nicht.

Die dubiose Mallorca-Connection spielte offenbar auch bei einem weiteren Geschäft, das Schuster und Gebauer gemeinsam geplant haben sollen, eine entscheidende Rolle: Über Scheinfirmen und Strohleute wollten sich die Strippenzieher nach VW-Erkenntnissen den Generalimporteursvertrag für Angola sichern.

Das gigantische Projekt sollte dem kränkelnden Autoriesen Volkswagen angeblich jährliche Umsätze von bis zu 800 Millionen Euro zusätzlich bescheren. Johann J. gründete im US-Bundesstaat Delaware die Firma Ancar (Angola Cars), die den Import der Fahrzeuge abwickeln sollte. Anfangs kalkulierten Schuster, Gebauer und J. mit jährlich 10000, später 20000 Skoda-Pkws, die über Portugal nach Afrika geschifft werden sollten. In Portugal sollte der Deal über die Firma Motor-Gestão Comercio E Manutencão laufen.

Für die Ancar, an der Schuster und Gebauer über einen Kieler Strohmann, den Steuerberater Peter J., 66 Prozent hielten, sollten pro Auto 1000 Euro Gewinn hängen bleiben. Jährlich rechneten die heimlichen Mitgesellschafter mit Einnahmen von zehn bis 20 Millionen Euro.

(...)

Der Krimi um die Millionen fand seinen skurrilen Höhepunkt, als auch Johann J., der das Angola-Geschäft angeschoben hatte, eine Leipziger Detektei einschaltete. J. quälte der Verdacht, er könnte von den beiden ausgebootet werden. Inzwischen hatten die Anteile der VW-Spezln erneut den Besitzer gewechselt.

Das ganz große Business (in eigener Sache) plante der umtriebige Skoda-Vorstand offenbar auch in Indien. Als Kopf des Indien-Projektteams tourte Schuster seit Jahren durch verschiedene Bundesstaaten, um nach einem perfekten Standort für eine große VW-Fabrik zu suchen. Über einen Vermittler soll Schuster rund drei Millionen Euro kassiert haben, weil er der Regierung im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh die Ansiedlung einer VW-Fabrik zugesagt hätte — und zwar auf offiziellem Volkswagen-Briefpapier.

Im März 2003 gaukelten die VW-Vertreter Schuster und Gebauer dem Südstaat Tamil Nadu die Chance auf die Ansiedlung der Autoschmiede vor. Parallel aber ließ sich das Duo auch von Politikern des nördlich gelegenen Andhra Pradesh hofieren. Ob dabei auch tatsächlich eine Millionenmitgift für die Vermittler ins Spiel kam, werden die Ermittlungsbehörden aufzuklären haben.

Aus den Millionengeschäften des Hartz-Freundes Schuster wird nichts. Konzernchef Pischetsrieder ließ die Expansionspläne nach Indien und Angola vorerst auf Eis legen.

Pischetsrieder und der neue Markenchef Wolfgang Bernhard wollen bei VW aufräumen — und erhalten Rückendeckung vom Hauptanteilseigner Niedersachsen, das 18 Prozent der Aktien hält. Ministerpräsident Christian Wulff verlangt, dass der Sumpf so schnell wie möglich trockengelegt wird.

Hauptproblem bei der Entsorgung des Personalvorstands ist die IG Metall, die dem Abgang von Hartz zustimmen muss. IG-Metall-Chef Jürgen Peters will der Ablösung von Hartz nach FOCUS-Informationen nur zustimmen, wenn dieser noch bis zum 30. September im Amt bleiben darf.

Dann wäre wenigstens die Bundestagswahl vorbei, die am 18. September stattfinden soll — soll!