KWU - "Zu Ihren Diensten" aus Schachty: Fussballplatz statt Supermarkt

Dies ist eine von zwei von uns dokumentierten Geschichten, die die Zeitung "KWU", übersetzt: "Stets zu Ihren Diensten" im Jahr 2017 veröffentlicht hat. Nicht unbedingt zur Freude der kommunalen Macht. Aber die Zeitung zeigt bereits durch ihren Namen ihr eigenes Konzept. Sie wurde zu Zeiten von Glasnost im Jahr 1990 von Gennadij PEREGUDOV gegründet und erscheint wöchentlich. Nach eigenen Angaben hat sie rd. 18.000 Leser. Seit 2009 publiziert sie auch online, was rd. 16.000 User nutzen. Die veröffentlichten Geschichten bzw. Themen werden vor allem von ihren Lesern vorgeschlagen.

Die andere Geschichte handelt von toten Fischen im See und warum das so ist.


Das Fussballfeld im Stadtteil Maschzawod der Stadt Schachtji (in der Nähe von Rostow am Don) gehört nicht zu den schönsten Plätzen der Welt oder den best ausgestatteten Fussballplätzen. Aber für Schachtji ist dieser Ort sehr wichtig. Es ist die einzige Location, wo man ungestört Fussball spielen kann. (Hier kann man den Platz bei google-maps sehen: Ecke per. Fuchika / ul. Gorbunova). 

Und das ist schon länger so. Dort haben bereits viele Fussball gespielt und trainiert, von denen einige heute in den unterschiedlichsten Mannschaften der Regionen Rostows am Don erfolgreich spielen. Das Fussballfeld hat gewissermaßen Tradition. Und es ist der einzige Platz für viele andere Siedlungen der Stadt Schachtji.

Anfang des Jahres 2017 macht das Gerücht die Runde, dass dort nebenan ein Supermarkt entstehen soll. Der dann ein Stück von dem Fussballplatz in Beschlag nehmen würde.

Das vermag den Anwohnern nicht einzuleuchten. Denn es gibt bereits 3 große Supermärkte in der unmittelbaren Umgebung. Aber eben nur einen einzigen Platz, wo man Fussball spielen kann. Platz - bzw. Baugrundstücke - für Supermärkte an andere Stelle gäbe es. Denn so groß soll der Supermarkt garnicht werden. Aber hier würde er das Fussballfeld erheblich einschränken.

Um ihren Vorstellungen Nachdruck zu verleihen, beginnen sie eine Unterschriftenaktion. Und wenden sich damit an jene Institution, die in Schachtji bekann ist: die Zeitung "KWU". Die Abkürzung steht für "k waschim uslugam". Zu deutsch: "Stets zu Ihren Diensten".

Dieser Name ist Programm. Und erklärt auch den Erfolg dieses Mediums, das es seit 1990 gibt. Angefangen als klassische Wochenzeitung gibt es seit 2009 auch eine dazugehörige Website: www.kvu.su. Die Top Level Domain "su" steht noch für die inzwischen untergegangene Sowjetunion. Aber aus der Übergangszeit von Perestroika und Glasnost stammen die Gründer, die ihrem Motto bis heute treu geblieben sind: eine Zeitung für die Leser, die deren Sorgen und Wünsche aufgreift. 1990 mit 4 Seiten an den Start gegangen sind es heute 50 Seiten jede Woche. Und 70% der Themen und Berichte sind durch die Leser initiiert. So steht es auf der Website (LINK !!!) 

Für ihre Leser fragt nun die Redaktion bei der Stadtverwaltung nach, ob es zutreffend sei, was die Anwohner gerüchteweise gehört hatten. Die Antworten der drei befragten Stadtverwaltungsbeamten:

  • "Ich habe keine Zeit"
  • "Bitte später"
  • "Ich weiß nichts"

Die Journalisten fragen beim städtischen Fussballverein nach: Jurij SCHALGANDINOW will die Anwohner unterstützen. Denn wenn der einzige Platz verloren geht, was dann?

So sieht es auch der danach befragte Abgeordnete des Stadtparlaments Tengis HEIKADZE: "Ich werde nicht zulassen, dass der Platz verkleinert wird. Das wäre eine Beleidigung des Volkes. Immerhin leben dort 8.000 Menschen!" Und er sagt, dass es bis zum 20. April 2017 eine Lösung bzw. eine Entscheidung geben würde.

Solange will die Zeitung nicht warten. 

Bereits am 4. April geht ein erster Artikel online. Und in dem steht, dass der geplante Supermarkt nicht nur einen Teil des Fussballfeldes in Anspruch nehmen würde. Sondern dass die Einkaufsstätte den gesamten Platz belegen würde. Der Supermarkt würde also bedeuten, dass der Fussballplatz vollständig verschwinden würde. 

Die Journalisten schreiben aber auch, dass es eine ähnliche Situation schon einmal gegeben habe: Als in der Siedlung Juzhnaja auf einem Fussballfeld ein Kindergarten gebaut wurde. Der Unterschied zum Fussbaldfeld hier in Maschzawod: Der Kindergarten wurde dringend benötigt. Der vierte Supermarkt nicht.

Der Onlineartikel endet daher auch mit einer Online-Umfrage. Die Leser sollen abstimmen: Muss man das Geschäft an dieser Stelle des Fussballplatzes bauen? 

Bis heute (Stand August 2017) finden 85% derer, die sich auf diese Umfrage eingelassen haben, das Fussballfeld wichtiger als den Supermarkt. Für 9% ist der Supermarkt wichtiger. Die restlichen 6% haben keine Meinung dazu. Oder wollen sie nicht äußern.

Der Zeitungsartikel kommt etwas später: wegen der wöchentlichen Erscheinungsweise erst am 12. April. 

Und der nächste Bericht (18. April 2017) lässt nicht länger auf sich warten: Aktivisten, die sich für den Platz einsetzen, haben - offenbar über Nacht - junge Bäume gepflanzt. Da, wo das Hauptgebäude des Supermarkts entstehen soll: «ОСТАВЬТЕ ДЕТЯМ ПОЛЕ!». Активисты поселка Машзавод высадили деревья на месте, где собираются построить скандальный супермаркет.

Derlei Aktionen gibt es also nicht nur im Westen.

Einen Tag vor der 'Entscheidung', konkret der öffentlichen Versammlung zu dieser Frage, bringt KWU einen weiteren Artikel heraus. In dem gehen die Journalisten auf die Geschichte dieses Platzes ein. Zeigen, welche Menschen und Mannschaften dort bereits trainiert und gewetteifert haben, machen die soziale Bedeutung dieses Ortes klar - und nicht nur die sportliche:

Und nochmals meldet sich die Website KWU zu Wort: Dass es noch keine Entscheidung in der Stadtverwaltung gäbe. Man wolle erst die öffentliche Versammlung am 20. April abwarten.

Und die findet statt. Nachzulesen auf www.kvu.su. Mit einer größeren Fotostrecke, die einen Eindruck von der Versammlung widerspiegelt. 

Etwa 15 Anwohner des Platzes, mehrere Aktivisten sowie einige Abgeordnete des Stadtparlaments von Schachtij sind vertreten. 

Die Anwohner wollen desn Fussballplatz erhalten. Dem schließen sich auch die Abgeordneten an. So schälen sich gegen Ende 2 Lösungen heraus:

  • Ablehnung des Supermarktvorhabens
  • die Versammlung vertagen und den Bauherren fragen, ob er auch mit weniger Platz auskommen könne

Die dritte Alternative wurde gleich verworfen: den Bau des Supermarkts zuzulassen.

Ergebnis der Abstimmung: Für den Fussballplatz votieren 16 Personen, für die Vertagung 19.

Als es über die Maifeiertage zu einem Liga-Wettbewerb in Sachen Fussballspiel kommt und wegen der öffentlichen Debatte über die Zukunft des Platzes mehr Zuschauer erscheinen als sonst, sind die Anwohner zunächst erschrocken, wie KWU am 1. Mai berichtet. Aber sie atmen wieder auf angesichts des Umstandes, dass auf dem Platz immer noch Fussball gespielt wird und die Location ihren Platz in der regionalen Liga hat.

"Was wird jetzt aus dem Fussballplatz?" fragt am 2. Juni 2017 KWU

Antwort von KWU ("Stets zu Ihren Diensten"): Die Stadtverwaltung hat nach dem öffentlichen Hearing beschlossen, das Geländer zu teilen. Konkret das Fussballfeld der Sportschule zu übereignen. Damit ist es aus der Planung der Supermarktbetreiber heraus.

Allerdings: Die grundbuchmäßige Übertragung ist noch nicht erfolgt - Stand 2. Juni 2017. Es wurde aber auch noch nicht mit dem Bau des Supermarkts begonnen. 

Es scheint so, als ob das Fussballfeld das bleiben würde, was es schon seit langem ist: ein zentraler Ort für viele Menschen. Egal ob sie aktiv Fussball spielen oder nicht. 

Hinweis:

Diesen Text können Sie auch direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/KWU-2 

(OD / JL)