Interview mit Nadezhda PRUSENKOWA

Pressesprecherin und Kommunikationschefin der Nowaja Gaseta

Erzählen Sie mir etwas über Ihre Redaktion. Wie hat alles angefangen und mit welchem Motiv?

„Nowaja Gaseta“ entstand im Jahr 1993, als eine Gruppe von Journalisten (20 Menschen) aus der Zeitung „Komsolskaja prawda“ (deutsch: „Komsomol Wahrheit“) weggingen, weil sie nicht mit dem neuen redaktionellen Kurs einverstanden waren. Sie sind weggegangen, um eine neue Zeitung zu machen. So ist der Name entstanden (Nowaja Gaseta). Die ersten Ausgaben wurden regelrecht „auf den Knien“ produziert. In der Redaktion gab es drei PCs und die ganze Redaktion besetzte zwei kleine Räume. Die ersten Zeitungsausgaben wurden kostenlos in den Metro-Übergängen verteilt. Eines unserer Devisen war „Wir wollten das Beste – und es hat geklappt!“ Seitdem strengen wir uns an.

Gab es eine Beachtung Ihrer Redaktion von der europäischen/westlichen Seite bevor Sie den Bucerius-Förderpreis „Freie Presse Osteuropas“ bekommen haben?

„Nowaja Gaseta“ besteht nun schon seit 16 Jahren, und sie war immer für ihre unnachgiebige Position in Bezug auf die Ungerechtigkeit der Macht bekannt. Die mutige Arbeit der Journallisten wurde mehrmals gewürdigt. Zu unseren Preisen gehören der Henri-Nannen-Preis, der Olof-Palme-Preis, der World Press Freedom Prize von der UNESCO. Anna Politkowskaja, die nach ihrem Tod zahlreiche hochangesehene Journalistenpreise bekam, erhielt, als sie noch lebte den Preis «Amnesty International», den Andrei Sacharow-Preis für Mut im Beruf, den Schutz der freien Meinungsäußerung und andere.

Wurden irgendwelche Artikel von der „Nowaja Gaseta“ in europäischen Zeitungen publiziert? Wenn ja, dann wo und zu welchem Anlass?

„Nowaja Gaseta“ ist für ihre lauten Untersuchungen bekannt. Viele von denen – vor allem zum Thema Korruption und Verbindungen russischer Beamten und der Mafia zu der europäischen Mafia wurden in europäischen Zeitungen abgedruckt. Ebenfalls wurde das Interview mit dem Präsidenten Dmitrij Medwedew von vielen veröffentlicht, das er der „Nowaja Gaseta“ im März dieses Jahres gab. Und das Interview mit Barack Obama, das er der „Nowaja Gaseta“ im Juli dieses Jahres gab.

Wurde in Ihrer Zeitung bezüglich der Preisverleihung berichtet?

Selbstverständlich. In der Zeitung und auf unserer Internetseite.

Gab es Berichte in den Printmedien (oder im Radio bzw. Fernsehen) in Russland über die Preisverleihung?

Vor allem auf den Internet-Seiten. Außerdem habe die nominierten Verlage/Herausgeber ihre Berichte veröffentlicht.

Wie hat die Öffentlichkeit reagiert?

Ich kann nicht sagen, dass es eine breite öffentliche Resonanz gab. Viele, außer den Journalisten, wissen leider nicht, was das ist und wofür man es braucht.

Wie hat die Regierung reagiert? Wenn es eine Reaktion gab, wie ist diese erfolgt und von wem?

Gar nicht.

Wurde es für Sie leichter oder schwere Ihre Arbeit auszuüben nachdem Sie den Preis erhalten haben – wenn ja, was denken Sie, warum?

Wir haben uns sehr über den Preis gefreut – vor allem über eine solch hohe Auszeichnung, wie der Gerd-Bucerius-Preis. Zudem sind gleich zwei unserer Mitarbeiter mit dieser Auszeichnung gewürdigt. Wie sich ihr Leben verändert hat – ist wohl besser sie zu fragen. Allerdings, kann ich leider nicht sagen, dass sich die Arbeitsbedingungen in der Zeitung verändert haben. In Russland werden Journalisten weiterhin umgebracht, für das was sie tun, ohne dabei auf jegliche Preise oder Auszeichnungen zu achten.

Denken Sie, dass der Preis für Sie eine Art Schutz vor dem Druck der Regierung darstellt? Oder hat der Preis vielleicht eher Nachteile bewirkt?

Unsere Preisträger fügen unserer Reputation mehr Gewicht hinzu!

Wenn nach der Preisverleihung Ihre Probleme mit der Regierung sich erneuert oder verschlimmert haben, was denken Sie, warum?

Das Verhältnis zwischen uns und der Regierung ist auch so schon nicht ganz einfach – wenige mögen es, wenn man sie kritisiert, vor allem wenn man sie zurecht kritisiert. Das ist ein prinzipieller Moment. Wir halten uns nicht für eine oppositionelle Zeitung. Wir kritisieren die Mächtigen und die Regierung nicht, weil sie die Mächtigen und die Regierung sind, sondern, weil sie uns ständig Gründe zur Kritik bieten. Wenn sie uns Gründe bieten sie zu loben – dann loben wir sie. Nur geben sie wesentlich mehr Gründe für die Kritik. Die hohe Einschätzung von der Seite unserer europäischen Kollegen, verleiht uns natürlich mehr Bedeutung und Argumente in Debatten!

Haben westliche Verlage/Herausgeber über Sie nach der Preisverleihung geschrieben?  

Sie haben über uns auch vor der Preisverleihung geschrieben. Und so kam noch ein weiterer, sehr gewichtiger Grund dazu.


Wurden Sie von Journalisten von westlichen Verlagen interviewt?

Ja. Und sie machen es regelmäßig. Leider gibt es, außer sachverständigen Bewertungen unserer Journalisten, in unserer Redaktion noch viele weitere traurige Gründe dafür.

Wurden Sie zu internationalen Konferenzen eingeladen?

Ja, die „Nowaja Gaseta“ wurde oft zu internationalen Konferenzen eingeladen.

Wurde Ihnen ein Stipendium angeboten oder wurden Sie als Gast nach Europa eingeladen?

Ja

Im Westen berühmt zu sein bedeutet zugleich in Ihrer Heimat geschützt zu sein oder im Gegenteil?

Das ist ein Schutz. Wenn auch ein recht geisterhafter/verschwommener. Für diejenigen, die sich entschließen einen Journalisten mit einer Kugel zu stoppen, stellt auch seine Berühmtheit kein Hindernis dar. Jedoch hilft die breite öffentliche Resonanz dabei, auf solche Machenschaften die Aufmerksamkeit zu lenken, sie hilft dabei von der Regierung und vom Präsidenten die Aufklärung solcher brutalen Verbrechen zu fordern, die sich gegen Journalisten und gegen die freie Meinungsäußerung im ganzen Land richten.

Wenn Sie der Präsident der Russischen Föderation wären und hätten die Möglichkeit die Arbeitsbedingungen der Medien zu ändern, was würden Sie als erstes tun? Was muss man Ihrer Meinung nach unbedingt verändern, damit die Redefreiheit und qualitativer Journalismus gewährleistet werden?

Dafür ist die Transparenz der ausführenden Machtorgans unabdingbar. Notwendig ist auch der Kontakt und die Offenheit, damit die Journalisten nicht die Obrigkeit bedienen, wie es heute in Russland oft passiert, sonder streiten/diskutieren und aufdecken. Verändern muss man auch das Bewusstsein der Menschen, einschließlich das der Journalisten, die denken, dass man immer im Gleichschritt mit den Regierenden gehen muss. Die Angst muss besiegt werden und die Überzeugung, dass „von mir nichts abhängt“. Man muss die Gesellschaft aufwecken. Wenn nicht wir, wer dann?

Wie groß ist die mediale Reichweite der „Nowaja Gaseta“ in Russland und in Europa?

Im Moment wird die „Novaya Gazeta“ drei mal die Woche herausgegeben (am Montag, Mittwoch und Freitag), die Auflage in der Moskauer Region beträgt 284.000 Exemplare. Redaktionen der „Novaya Gazeta“ gibt es auch in Voronezh, Vladivostok, Ekaterinburg, Krasnodar, Moskau, Nizhnij Novgorod, Novosibirsk, Rjazan, St. Petersburg. Die Gesamtauflage – regionale Beilagen inbegriffen – beträgt 800.000 Exemplare. Die Ausgaben außerhalb des Landes: Deutschland, Israel, Kasachstan. Die Auflage beträgt ca. 30.000 Exemplare.

Uns würde auch sehr interessieren, wie das mediale Umfeld aussieht, in dem Sie arbeiten und existieren müssen. Wie sieht der russische Zeitungsmarkt aus und welchen Platz besetzt dort aus ökonomischer Sicht die „Nowaja Gaseta“? Gegen wie viele und welche Konkurrenten müssen Sie sich auf dem Markt behaupten und wie sehen deren redaktionellen Kurse aus?  

Das ist eine viel zu schwere Frage, um darauf in einem Satz antworten zu können. Das russische mediale Umfeld ist recht inhaltsvoll. Hier gibt es Dutzende von sozial-politischen Publikationen, dazu gehört auch die „Nowaja Gaseta“. Wir unterscheiden uns vor alle durch unseren Format – die dreiwöchentliche Herausgabe lässt uns nicht mit den Tageszeitungen konkurrieren und stellt uns über die Wochenzeitungen. „Nowaja Gaseta“ zählt dennoch zu den fünf meistgelesenen Publikationen (laut den Daten der Medialogie) unter den Zeitungen. Was die anderen Zeitungen angeht – sie haben alle unterschiedliche Eigentumsformen, wirtschaftliche Situationen und politische Kurse. Wir versuchen unabhängig zu sein, daher gibt es bei uns auch wirtschaftliche Schwierigkeiten.

Was geschah mit der „Nowaja Gaseta“ bevor Alexander LEBEDEV und Michail GORBATSCHOV zu Eigentümern von 49 % im Jahr 2006 wurden? Können Sie etwas genauer die Gründe der finanziellen Schwierigkeiten schildern, mit denen sie zu der Zeit konfrontiert waren? Von welcher Seite kam der Druck auf die Redaktion und wie sah dieser aus?  

Vor 2006 funktionierte die „Nowaja Gaseta“ innerhalb ihres medialen Umfelds genauso erfolgreich. Es ist mit ihr nichts schreckliches passiert. Allerdings befanden wir uns in einer schwierigen finanziellen Lage. Die Werbeerlöse waren minimal, unter anderem auch aus politischen gründen – große Werbekunden wollten nicht mit der „oppositionellen“ Zeitung kooperieren und manchmal bekamen sie ein direktes Verbot auf Werbung in der „Nowaja Gaseta“. Kurz gesagt, unsere Ausgaben überstiegen bei weitem unser Einkommen. Zudem sind das Drucken (wir bezahlen die Druckerei) und die Verbreitung der Zeitung recht kostenintensiv. In dieser Situation haben wir uns entschieden, dass der Verkauf von Stimmrechtsanteilen der optimale Weg zur Lösung einiger unserer Probleme sein wird. Im Allgemeinen, war das auch so.

Das ist ein sehr interessanter Moment. Ich verstehe nur nicht ganz, wie das vor sich geht – wer (welche Instanz) vergibt Verbote an die Werbetreibenden. Wann fingen die Schwierigkeiten dieser Art an.

Soweit wir wissen, wurden Vertreter großer Firmen in der Administration des Präsidenten versammelt, wo sie eine Liste von Verlagen/Herausgebern bekamen, mit denen eine Zusammenarbeit „unerwünscht“ ist. Natürlich wurde das nirgendwo dokumentarisch fixiert und ist auch nicht nachzuweisen. Allerdings gab es in unserer Geschichte folgenden Fall. Wir haben einen Vertrag mit einem sehr großen Webekunden abgeschlossen, der Kunde hatte schon ein Teil des Geldes an uns überwiesen. Jedoch trat er dann plötzlich vom Vertrag zurück, und bat uns sogar ihm das Geld nicht zu erstatten!

Wann es mit den Schwierigkeiten los ging – da muss man sagen, das wir es nie wirklich leicht hatten, das heißt Schwierigkeiten gab es immer. Ohne Werbung ist die Existenz zu jeder Zeit schwierig. Nur zum Jahr 2006 wurden diese Schwierigkeiten irgendwie unpassierbar.

Was müsste/sollte man Ihrer Meinung nach tun, um das Interesse/Aufmerksamkeit zu der Thematik Ihrer Zeitung in Russland und Europa zu steigern? Was wäre für sie (als Redaktion) nützlich und effektiv? Vielleicht haben Sie Interesse (oder konkrete Ideen) an gemeinsamen Projekten mit westlichen Organisationen?

Wie jedes Medium sind wir an Zufluss von Werbung für unsere Zeitung und unsere Website interessiert. Wir sind ebenso daran interessiert die „Nowaja Gaseta“ im Osten zu verbreiten. Gerne nehmen wir an verschiedenen Förderprogrammen teil.

Eine der deutschen Wochenzeitschriften „DER SPIEGEL“ schreibt: „Schleinow hat auch schon Machenschaften des Energieriesen Gazprom angeprangert und zudem aufgeschrieben, wie Offiziere des Inlandsgeheimdienstes FSB dabei helfen, Unternehmer zu entführen und zu erpressen. Die Enthüllungen waren großartig, die Reaktionen? Gleich null.“ Können Sie uns ein oder mehrere Beispiele für journalistische Ermittlungen Ihrer Zeitung nennen, die nach der Publikation eine breite öffentliche Resonanz ausgelöst haben, was wiederum einen direkten Einfluss auf das Schicksal des Gegenstands der Ermittlungen hatte?

Laute Veröffentlichungen und die Abwesenheit der Reaktion sind häufige Fälle in unserer Praxis. Allerdings, muss man bemerken, dass die Situation zur Zeit besser wird. Nach jeder unserer Veröffentlichung senden wir eine offizielle schriftliche Anfrage an die Institution, über die der Artikel handelt oder an eine Institution, die diese kontrolliert, mit der Bitte eine Überprüfung durchzuführen. Die Beamten antworten auf alle unsere Anfragen (die Ausnahme stellt nur der Leiter der Umweltbehörde Genadij ONISCHENKO dar), obwohl sie es früher vorzogen unsere Anfragen zu ignorieren. Reaktionen gibt es auch, wenn auch seltener, als man es sich wünscht.

Zu den lauten Fällen – die Geschichte mit General SCHAMANOV. Nach der Veröffentlichung der abgedruckten Telefongespräche des Generals, Kommandeur der Fallschirmjäger-Truppen, in der „Nowaja Gaseta“, der zwei Abteilungen des Sondereinsatzkommandos (SPEZNAZ - russisches SEK) zu einer Fabrik schickte, um dort eine Überprüfung zu verhindern (die Fabrik gehört dem Schwiegersohn von SCHAMANOV). Die Publikation hat viel Lärm verursacht, das Verteidigungsministerium hat den Fall geprüft und einen Beschluss über eine unvollständige dienstliche Übereinstimmung Generals SCHAMANOV gefasst.

Vor einigen Jahren gab es die Geschichte mit German GALDEZKIJ – der junge Mann erzählte der „Nowaja Gaseta“, dass in der Moskauer U-Bahn Polizeibeamte Frauen ohne Wohngenehmigung festhielten und vergewaltigten. Als die Geschichte publik wurde, hat man auf German einen Angriff verübt, er wurde verletzt. Nach den Ergebnissen der Prüfung des Polizeipräsidiums, wurde der Chef der Verwaltung für Innere Angelegenheiten im Bereich der Moskauer U-Bahn entlassen (Kommentar von AE - mit anderenWorten, es wurde der ranghohe Polizeibeamte entlassen, der für die Moskauer U-Bahn zuständig war).

In Wirklichkeit sind Reaktionen vorhanden. Das Strafverfahren zu dem Markt in Grozny wurde nach dem Artikel von Anna POLITKOWSKAJA ins Leben gerufen. Dank ihrem Material wurde auch der Fall von Hauptmann ULMAN aufgegriffen – er und vier weitere seiner Untergebenen werden beschuldigt, im Jahr 2002 sechs tschetschenische Zivilsten ermordet zu haben. Ebenso wurde das Straffverfahren von dem ehemaligen Oberleutnant der Nischnewartowsker Polizei-Kreisabteilung Sergej LAPIN mit dem Spitznamen Kadett eingeleitet. Ihm, zusammen mit anderen Personen wurden Morde und Entführungen von Menschen vorgeworfen. Er bedrohte auch den Autor der Artikel über ihn – Anna POLITKOVSKAJA. Im Endeffekt wurde er verurteilt und sitzt gegenwärtig im Gefängnis.

Und in Bezug auf die Machenschaften auf dem staatlichen Niveau – ähnlich der Geschichte mit dem Gazprom. Hier gibt es keine Reaktionen. Offenbar, fürchten sich diejenigen zu sehr, die darunter stehen.

 
Hier finden Sie dieses Interview in russischer Sprache.

(AE)