Interview mit Roman SHLEYNOV

Roman SHLEYNOV ist langjähriger Korrespondent und seit 2003 Redakteur im Ressort „Recherchen“ der Nowaja Gaseta. Er arbeitete zusammen mit dem damaligen Redakteur des Ressorts „Recherchen“ Juri SCHEKOTSCHICHIN bis zu dessen Tod. Die Ursache ist bis heute ungeklärt. SCHEKOTSCHICHINs Tod wird in Verbindung mit seinen Ermittlungen im sogenannten „Fall von Tri kita“ gebracht, einer spektakulären Möbelschmuggel-, Steuerhinterziehungs- und Korruptionsaffäre, in der höhere Beamte der Sicherheitsbehörden verwickelt waren. Roman SHLEYNOVs akribisch recherchierten Beiträge sind regelmäßig in der Zeitung zu lesen. Seit mehr als einen Jahr erscheint seine Artikelreihe über die Verbindungen höhere russischer Beamten in die Geschäftswelt und deren indirekten Einflussnahmen: „Untersuchung der Geschäftsaktivität der ersten Personen des Staates und deren Familienangehöriger“

 

Ein zentrales Zitat daraus:

„Es ist so in Russland, dass der Staat starken Einfluss auf die Geschäftsprozesse ausübt: Er stellt nicht nur die Spielregeln auf, er ist auch selbst ein aktiver Spieler, der jederzeit bereit ist, sich auf den zerbrechlichen Markt zu setzen. Natürlich hat sich der Markt der ständigen Bedrohung angepasst. Daher verfügen Russlands Beamte über riesige Ressourcen, und deren Verwandte werden als Aktionäre, Gesellschafter oder Mitarbeiter von privaten Unternehmen und Geschäftsleuten als eine Art Sicherheit empfunden, die zur Risikosenkung beiträgt. Die Präsenz von Verwandten der erstgenannten Personen sagt darüber aus, dass das Geschäft geschützt ist. Oder zeigt, wem von den „Großen“ das eine oder andere Unternehmen nahe steht. Die wohltätigen Stiftungen und Projekte bleiben ebenfalls nicht ohne Aufmerksamkeit der Unternehmer. Die Experten schließen nicht aus, dass sogar eine indirekte Zugehörigkeit zum höheren Kreis einen positiven Geschäftseffekt herbeiruft.“   

Weitere Informationen in russischer Sprache dazu hier

Interview mit Roman SHLEYNOV – Preisträger „Freie Presse Osteuropas“ 2009

Roman SHLEYNOV wurde nominiert von Rosemary Armao, Professorin für Journalismus an der University at Albany, State University of New York, und von Drew Sullivan, The Journalism Development Group, Sarajewo.

Erzählen Sie bitte etwas über sich selbst. Wo sind Sie geboren? Was haben Sie studiert?

Ich bin in 1975 in Kazan/Russland geboren. Zur Schule bin ich in Moskau gegangen, danach habe ich Biologie und Chemie studiert an der staatlichen Pädagogischen Universität in Moskau. Nach dem ersten Studium habe ich Journalistik studiert an der journalistischen internationalen Universität in Moskau.

Wann haben Sie angefangen zu schreiben?

Das Studium an der Pädagogischen Universität habe ich im Jahr 1997 absolviert. Während des Studiums schrieb ich Artikel für die Universitätszeitung, dort hatten wir eine kleine Redaktion, wo uns das Schreiben beigebracht wurde. Mit dem Journalistik-Studium war ich 1999 fertig. In der Zeit habe ich angefangen bei Novaya Gazeta zu arbeiten. Davor arbeitete ich als freier Journalist bei verschiedenen Zeitungen (auch bei Nowaja Gaseta).

Wieso haben Sie sich entschieden diesen Berufsweg zu gehen?

Daran kann ich mir nur schwer erinnern. Ich glaube, es hat sich so ergeben. Das erste ernsthafte Interesse für investigativen Journalismus entstand durch die Bekanntschaft mit Juri SCHTSCHEKOTSCHICHIN (mehr über ihn bei Wikipedia). Er war einer der Initiatoren von investigativen Journalismus in Russland, Abgeordneter des russischen Parlaments, Mitglied des parlamentarischen Ausschuss für die Bekämpfung der Korruption. Er starb im Sommer 2003. Offizielle Diagnose: toxisch-allergisches Lyell-Syndrom (eine seltene, nach dem schottischen Dermatologen Alan Lyell benannte Hautveränderung, die durch blasige Ablösungen der Epidermis der Haut gekennzeichnet ist.) Da er aber viele kriminelle Straftaten untersucht und auf eine objektive Ermittlung bestanden hat, glauben viele, dass sein Tod kein Zufall war. Die Freunde von Juri SCHTSCHEKOTSCHICHIN haben keine Zweifel, dass er vergiftet wurde. Die Ermittlung konnte keine Beweise erbringen, obwohl eine ernsthafte offizielle Untersuchung auch nie stattgefunden hat.

Welche Thematik interessiert Sie am meisten - worüber schreiben Sie gerne? Was macht die Thematik so interessant für Sie?

Ich leite das Recherche-Ressort und bin dementsprechend an allem interessiert, was Staatsbeamte, staatliche Gesellschaften und Korporationen, Korruption, Interessenkonflikte, Missbrauch von Machtpositionen und unbegründete Präferenzen betrifft. Je höher die Position des Amtsträgers, desto spannender ist es.

Hatten die westlichen Medien Interesse an Ihrer Zeitung, bevor Sie den Preis von ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius erhalten haben?

Ja, drei Journalisten von Nowaja Gaseta wurden ermordet. Anna POLITKOVSKAYA (POLITKOVSKAYAs Artikel: Die Obrigkeit ist so zynisch wie ein Tyrann, Mord oder Hinrichtung?, Eine schriftliche Bescheinigung für die Morde,  Das Ausland / der Westen wird uns zuwinken), Igor DOMNIKOV und Anastasiya BABUROVA. Juri SCHTSCHEKOTSCHICHIN starb unter geheimnisvollen Umständen. Das alles weckte die Aufmerksamkeit der westlichen Medien.

Wurden Ihre Artikel schon mal in den westlichen Medien veröffentlicht?

Ja, ich wurde gebeten die Materialien über die Journalistenmorde in Russland vorzubereiten („Index on Cezorship“-Großbritannien). Der Artikel wurde auch teilweise in „New Statesman“ veröffentlicht.

Wurde in Ihrer Zeitung über die Erhaltung des Preises von ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius berichtet?

So weit ich mich erinnern kann, ja.

Wurde über dieses Thema in anderen Medien in Russland berichtet?

Ja, es gab einige Berichte im Internet. Wenn ich mich nicht irre, wurde in einer Radiosendung darüber berichtet, aber ganz genau weiß ich es nicht mehr. Printmedien habe ich nicht beobachtet.

Folgte auch eine Reaktion von der Regierung?

Nein, es folgte keine Reaktion. Ich glaube auch nicht, dass die Regierung auf journalistische Preise reagieren kann/soll.

Sind Sie der Meinung, dass der Preis eine Schutzfunktion vor der Regierung hatte? Oder sind Sie eher der Meinung, dass durch diesen Preis die Existenz ihrer Journalistische Tätigkeit gefährdet wurde?

Zweifellos erhöht der Preis das Prestige der Zeitung. Aber „politischen Druck“ habe ich nie erlebt.

Haben die westlichen Medien über Sie berichtet?

So weit ich mich erinnern kann, ja.

Hatten die Journalisten westlicher Medien Sie über die Erhaltung des Preises interviewt?

Ja.

Hatten Sie die Einladungen erhalten an den internationalen Konferenzen teilzunehmen?

Ja.

Hatten Sie Angebote über finanzielle Stipendien oder Förderungen erhalten?

Nein, aber ich glaube ich bin nicht mehr in dem Alter, wo man Stipendien bekommt.

Kann die westliche Aufmerksamkeit eine Schutzfunktion in Russland für Sie erzeugen?

Ich bin nicht der Meinung, dass ich jemals in einer Gefahr war.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten die Arbeitsbedingungen der Medien in Russland zu ändern, was würden Sie ändern oder wie würden Sie diese beeinflussen? Was muss unbedingt geändert werden, damit Medienfreiheit und investigativer Journalismus in Russland sich entwickeln können?

Ich bin der Meinung, dass die Rechtsschutzorgane auf die Bedrohungen von Journalisten ernster und schneller reagieren sollen – vor allem in russischen Regionen und auf lokaler Ebene. Unabhängigkeit der Justiz, Rechtsschutzorganen und Staatsanwaltschaft sind auch sehr wichtig. Was die Journalisten betrifft, diese sollten sich öfter an die Personen wenden, über die sie schreiben. Es ist leider so, dass die Journalisten in Russland aufgrund des gegenseitigen Misstrauens nur sehr ungern Fragen stellen, da sie nicht genau einschätzen können, welche Reaktionen auf ihre Fragen folgen könnten und dementsprechend Angst haben.


 Hier finden Sie dieses Interview in russischer Sprache.