Die 4 Berichte der Süddeutschen Zeitung aus 2002, 14.03.2002

von Tomas AVENARIUS

Potemkinsche Dörfer im Kaukasus

Wenn Issa Dudajew aus dem Fenster schaut, sieht er, wo Wiederaufbau Not tut: Die Wohnungen im Plattenbau gegenüber sind ausgebombt, Teile der Fassade des Nachbarhauses drohen in die Tiefe zu stürzen, im Hof brennen nachts Gasfackeln, weil ganze Stadtteile von Grosny noch immer ohne Strom sind. Für einen Vize-Gesundheitsminister wohnt Dudajew bescheiden. Ein Zimmer mit Bett, Fernseher und einem Tisch, daneben die Küche. Das Wasser holt er mit dem Eimer von der Pumpe; fließend Wasser gibt es in der zerstörten tschetschenischen Hauptstadt selten. Der 50-Jährige macht sich nichts aus Geld und Wohlstand. Andere schon: „Ein solches Ausmaß an Korruption wie beim Wiederaufbau Tschetscheniens habe ich in meinen 30 Jahren im Staatsdienst noch nicht gesehen”, sagt der Tschetschene.

Was Dudajew aus seinem Ministerium berichtet, ist Korruption im großen Stil und nach Art der Potemkinschen Dörfer. Dem russischen Staatshaushalt werden Rechnungen für die Renovierung von Krankenhäusern in der kriegszerstörten Kaukasusrepublik belastet. Die Bauarbeiten sind aber laut Dudajew nie oder in weit geringerem Umfang als berechnet ausgeführt worden. Verantwortlich sei die von Moskau eingesetzte tschetschenische Führung der Republik. Dudajew: „Tschetschenen bereichern sich massiv an dem Geld, das Moskau für den Wiederaufbau der zerstörten Republik bereitstellt.”

Erste-Hilfe-Station ohne Scheiben

Dudajew ist als Vize-Gesundheitsminister der tschetschenischen Regierung zuständig für Baufragen seines Ministeriums. Er zieht eine Aufstellung abgerechneter Bauarbeiten für Krankenhäuser und Ambulatorien im Jahr 2000 aus einem Aktenstapel: „Die hier für Renovierungsarbeiten in der gesamten Republik aufgeführten 54 Millionen Rubel kann man als Verantwortlicher nur abzeichnen, wenn man beide Augen zudrückt”, so Dudajew. „Dessen ungeachtet hat mein eigenes Ministerium fast dieselbe Summe noch ein zweites Mal für denselben Zeitraum ausgezahlt – für Arbeiten, die nachweislich nie erbracht worden sind.” So wurden statt 54 Millionen laut Dudajew 106 Millionen Rubel (vier Millionen Euro) an Bauleistung in Rechnung gestellt. „Von diesen 106 Millionen Rubel, von denen unsere Kliniken wenigstens etwas menschenwürdiger gemacht werden sollten, wurde mindestens die Hälfte geklaut. Wenn nicht mehr”, sagt Dudajew. So wurde angeblich die im Krieg beschädigte zentrale Erste-Hilfe- Station von Grosny wiederhergestellt. Vor Ort zeigt sich: Die Station hat kaum Scheiben in den Fenstern, der Putz fällt von den Wänden, Büros und Toiletten sind in jämmerlichem Zustand. Laut Dudajews Unterlagen wurden für die Renovierung im Jahr 2000 rund sieben Millionen Rubel (300000 Euro) abgerechnet. Ibrahim Allerojew, Chef der technischen Abteilung der Station, sagt: „Für dieses Geld kann man eine neue Station bauen. Hier wurde im Jahr 2000 außer ein paar Stuckaturen nichts gemacht. Die Bauarbeiten begannen im Herbst 2001.” Und der Vorarbeiter der Firma, die die Station nun wirklich herrichtet, sagt: „Sieben Millionen Rubel? Hier ist nichts gemacht worden, bis wir kamen.”

Laut Dudajew hat das Gesundheitsministerium das Geld für die Renovierung der „Erste-Hilfe-Station” längst überwiesen. „Das Geld ging teilweise an Firmen, die in Tschetschenien gar nicht tätig geworden sind”, sagt er. Er nennt eine russische Firma namens „SU-105”. Laut Dudajew wurde diese jüngst vom tschetschenischen Innenministerium überprüft. Die Firma gab zu, die berechneten Arbeiten bisher nicht geleistet zu haben. Für das Geld habe man angeblich vorab Baumaterial für Tschetschenien gekauft, hieß es. Das Material konnte man den Prüfern indes nicht zeigen. Dudajew sagt: „Es kam heraus, dass sie nicht eine einzige Schaufel gekauft hatten.” Den Unterlagen zufolge hat SU-105 Rechnungen für Arbeiten in weiteren Kliniken gestellt, die laut Dudajew nie ausgeführt worden sind.

Dudajew ist nicht der Einzige, der Korruptionsfälle im Gesundheitsministerium aufgedeckt hat. Das tschetschenische Finanzministerium hatte im Jahr 2001 eine Revision im Gesundheitswesen durchgeführt. In dem Revisionsbericht, der der SZ vorliegt, geht es um „die gesetzliche Verwendung von Geldern für den Kauf von Medikamenten, Lebensmitteln für Patienten und anderen Materialien in den Jahren 2000 und 2001”. Ergebnis: Im untersuchten Zeitraum wurden mit den Hilfsgeldern Medikamente mit abgelaufener Gültigkeit, verfaulte Lebensmittel, alte Ausrüstung und Maschinen gekauft. Abgerechnet wurde alles als neue Ware.

Manche der in den Revisionsakten aufgeführten Beispiele sind grotesk. So seien mehrere Tonnen Wandfarbe abgerechnet worden. „Die angelieferte Farbe war von 1975. Ihre Gebrauchsdauer war seit 26 Jahren abgelaufen”, heißt es in dem Bericht. Insgesamt sei unbrauchbare Farbe für knapp 200000 Euro geliefert worden. In einem anderen Beispiel geht es um 30000 Liter Speiseöl. Das gekaufte Öl sei bei Anlieferung mit anderem Öl vertauscht worden, „das als Lebensmittel nicht verwendbar ist”.

Das Schema derartiger Geschäfte ist laut Dudajew klar: Während die unbrauchbare Farbe und das nicht genießbare Öl den Krankenhäusern geliefert werden, können die für die Hilfsgelder gekaufte neue Farbe und das hochwertige Öl „auf dem Markt teuer verkauft werden. Das gibt einen hübschen Gewinn”. Insgesamt beläuft sich allein der in dem Revisionsbericht aufgeführte Schaden auf rund 1,5 Millionen Euro. Der Bericht stellt in einem Fall sogar fest, dass in Tschetschenien internationale Hilfsgüter gestohlen würden.

Der seit Mitte 2000 amtierende Gesundheitsminister Uwais Magomadow erklärte auf Anfrage, er wisse von keinerlei Korruptionsverdacht in seinem Haus. „Bei uns ist alles bestens. Wir bauen diese Republik wieder auf.” Zudem sei er nicht für die Ausgabenpolitik seines Hauses verantwortlich. „Ich bin Arzt, ich bin für die Patienten verantwortlich.” Seinen Vertreter Dudajew bezeichnete er als „Kranken”: „Das sind alles Lügen.” Zu dem Revisionsbericht wollte der Minister nicht Stellung beziehen.

Dudajew sagt, er habe das von Moskau eingesetzte Oberhaupt Tschetscheniens, Achmed Kadyrow, bereits im vergangenen Jahr auf die Vorgänge im Ministerium hingewiesen. Das Ergebnis sei gewesen, dass dieser ihm am nächsten Tag den Zutritt zu einer Kabinettssitzung zu Gesundheitsfragen verweigert habe. Dudajew weiter: „Eine derartige Korruption ist ohne Deckung aus dem zuständigen russischen Gesundheitsministerium nicht denkbar. Ich habe Moskau darauf hingewiesen – bisher ohne Ergebnis.” Und noch etwas sagt Dudajew: „Warum sollte es in anderen tschetschenischen Ministerien ehrlicher zugehen als in meinem?”

Vize-Gesundheitsminister Issa Dudajew attackiert die Korruption in Tschetschenien. Viele seiner Landsleute wie auch Russen bereichern sich an den Hilfsgeldern, die für den Wiederaufbau des Landes und seiner total zerstörten Hauptstadt Grosny (rechts) gedacht sind.

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2003