2 vergessene Kriege - Ein kurzer Überblick

11. 12. 1994

Beginn des ersten Tschetschenien Krieges

Militärische Intervention der Russen in Tschetschenien zur Widerherstellung der Föderalen Ordnung

Die Hauptstadt Grosny wird einen ganzen Monat lang massiv und flächendeckend bombardiert

Juli 1995

Vertreter beider Konfliktparteien unterzeichnen ein Abkommen über die Einstellung der Feindseligkeiten. Das Abkommen beinhaltet die Freilassung aller gewaltsam festgehaltener Personen, den Abzug aller Truppen, die Entwaffnung aller illegal bewaffneter Verbände und die Einstellung der Kämpfe

Die Durchführung des Abkommens kommt zum Stillstand aufgrund sporadischer Gefechte und terroristischer Überfälle auf hochrangige offizielle russische Vertreter

August 1996

Tschetschenische Kämpfer nehmen überraschend die Hauptstadt Grosny wieder ein. Mehrere tausend Russen geraten in tschetschenische Gefangenschaft

Ende August 1996

Russland ist gezwungen, in das Friedensabkommen von Chassawjurt (Dagestan) einzuwilligen

Die russische Armee zieht sich gedemütigt aus Tschetschenien zurück

Bis hierhin hat der Krieg etwa 100.000 Tschetschenen das Leben gekostet. 200.000 Tschetschenen sind in die benachbarten Regionen Dagestan und Inguschetien geflohen

Oktober 1996 bis September 1999

In Tschetschenien herrscht eine unklare politische Situation. Aufgrund der zerstörten Wirtschaft breitet sich die Kriminalität schnell aus und organisierter Schmuggel sowie politische und kriminelle Entführungen nehmen zu

Oktober 1999

Der zweite Tschetschenien Krieg beginnt. In der ‚heißen’ Kriegsphase wird die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die schon im ersten Krieg stark gelitten hatte, nun vollends zerstört

Herbst 1999

Die Moskau-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung, Tomas AVENARIUS, und Florian HASSEL von der Frankfurter Rundschau, die eigentlich ‚Konkurrenten’ sind, vereinbaren eine Zusammenarbeit: sie reisen heimlich und illegal nach Tschetschenien, um authentisch berichten zu können. 

In den folgenden dreieinhalb Jahren führen sie zahlreiche Reportagereisen nach Tschetschenien durch, die alle ohne Aufsicht und Zensur durch die russischen Behörden stattfinden. In beiden Tageszeitungen sind die Reportagen zu lesen. Für eine dieser Reportagereisen bekommen die beiden 2003 den Wächterpreis zugesprochen. Siehe Die Berichte

29.02.2000

Die russische Militärführung erklärt den Krieg im Kaukasus offiziell für beendet und verkündet eine „Normalisierung“ in Tschetschenien

Seit Ende 2001

In der nun folgenden Zeit nehmen die Bezeichnungen „Terror“ und „Anti-Terror-Kampf“ im offiziellen Sprachgebrauch der russischen Regierung eine immer wichtigere Bedeutung ein. Die Anschläge vom 11. September 2001 in New York tun ein übriges, um den Kampf gegen den „tschetschenischen Terror“ zu legitimieren

Die Leitung der „Anti-Terror-Operation“ wird vom russischen Verteidigungsministerium an den russischen Inlandsgeheimdienst FSB übertragen

23. - 26.10.2002

In Moskau besetzen militante tschetschenische Rebellen das Dubrowka-Theater und bringen knapp 800 Gäste in ihre Gewalt. Das Ganze endet in einer Tragödie, die PUTIN den Rücken stärkt

04.-05.10.2003

Präsidentschaftswahlen in Tschetschenien, bei denen wie erwartet, Achmad KADYROW als Sieger hervorgeht

09.05.2004

Bei einer Militärparade, anlässlich des Feiertags zum sowjetischen Sieg über Hitlerdeutschland, wird Achmad KADYROW durch einen Bombenanschlag getötet

22.06.2004

Bewaffnete Übergriffe tschetschenischer Rebellen in der Nachbarrepublik

September 2004

In einer Schule in Beslan, nahe der russischen Grenze zu Tschetschenien, kommt es zu einer Geiselnahme von Zivilisten. 
Ein Kommando tschetschenischer Islamiten bringt am Einschulungstag eine große Anzahl von Schülern, Lehrern und Eltern in ihre Gewalt und droht mit der Sprengung der Turnhalle, in der sie sich mit den Geiseln aufhalten. Das Ganze endet in einer Tragödie

08.03.2005

Aslan MASCHADOW, bis in die Zeit des Zweiten Tschetschenienkrieges Präsident von Tschetschenien und seither Anführer der als gemäßigt geltenden Widerstandskämpfer wird von russischen Spezialeinheiten des Inlandsgeheimdienstes FSB ermordet

Frühjahr und Herbst 2006

Eine Delegation des Anti-Folter-Komitees des Europarats besucht mehrere Einrichtungen des russischen Innenministeriums in Tschetschenien, unter anderem in der Hauptstadt Grosny, wobei die Delegation auf schwer misshandelte Häftlinge trifft (siehe Veröffentlichung März 2007 Anm. der Red.). Das Anti-Folter-Komitee unternahm seit 2000 insgesamt zehn Inspektionsreisen nach Tschetschenien

Januar 2007

Das russische Oberste Gericht bestätigt das Verbot einer unabhängigen Menschenrechtsgruppe (Russisch-Tschetschenische Freundschaftsgesellschaft), die das militärische Vorgehen Moskaus in der russischen Kaukasusrepublik Tschetschenien immer wieder scharf kritisiert hat

Anfang März 2007

Die erste friedliche Demonstration in der Regierungszeit PUTINs, die gegen das Regime gerichtet ist. In der landesweiten Presse und im Fernsehen wird dieser so genannte „Marsch der Nicht-Einverstandenen“ weitgehend ignoriert

März 2007

Der PUTIN-treue Ramsan KADYROW, Sohn von Achmad KADYROW, wird Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien

Der Europarat in Straßburg verurteilt brutale Folter und Verschleppungen durch russische Ordnungskräfte in Tschetschenien. Das Komitee veröffentlicht, ohne Zustimmung Moskaus, seine Schlussfolgerungen aus zwei Inspektionsreisen vom vergangenen Jahr

23.04.2007

Tod des ehemaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin. Er stirbt im Alter von 76 Jahren an Herzversagen

26.Juli 2007

Der Europäsiche Menschengerichtshof in Straßburg verurteilt die russische Regierung wegen eines Massakers an Tschetschenien, das einem Kriegsverbrechen gleiche, zu Schadensersatz. Geklagt hatten die wenigen Überlebenden der tschetschenischen Familie MUSAJEV und drei weiterer Familien. 

Im Februar 2000 waren Truppen des russischen Innenministeriums in den südlichen Bezirk "Novye Aldy" von Grozny eingefallen, um die kleine Vorstadt zu "säubern": sie mordeten, vergewaltigten und plünderten. 56 Menschen fanden dabei den Tod. Mithilfe der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial und unterstützt durch Schützenhilfe mehrerer russischer und ausländischer Journalisten wagten es die wenigen Überlebenden, den Gang vor das höchste europäische Gericht anzutreten. Die Richter gaben der russischen Regierung auf, nicht nur finanziellen Schadensersatz zu leisten, sondern neu nach den Befehlsgebern zu ermitteln.

Dies war seinerzeit nicht geschehen, weshalb die internationalen Richter den russischen Behörden stillschweigende Zustimmung zu diesem Massaker vorhielten.

PUTIN's Russland reagiert prompt:

  • Russlands oberster Verfassungsrichter, Valery SORKIN, will russischen Bürgern Klagen in Straßburg erschweren

  • die Moskauer Staatsanwaltschaft setzt die Menschenrechtsorganisation Memorial unter Druck: sie ermittelt wegen der Herausgabe eines 475-Seiten starken Ratgebers, den Memorial mithilfe eines Zuschusses der EU-Kommission in Brüssel veröffentlicht hat. Inhalt des Ratgebers: wie man vor dem Europäischen Menschengerichtshof in Straßburg klagen kann.

 

Dezember 2007

Bei der Wahl zur Duma gewinnt PUTIN's Partei Einiges Russland erwartungsgemäß die Zweidrittelmehrheit aller Sitze. Aus Tschetschenien wird amtlicherseits folgendes Wahlergebnis gemeldet: Wahlbeteiligung 99,5%, Stimmenanteil für die Partei PUTIN's: 99,36%.
Die OSZE hatte in ganz Russland keine Wahlbeobachter entsandt - die Organisation sah darin keinen Sinn, weil sie bereits im Vorfeld massiv behindert wurde.
Zu seinem Nachfolger kürt PUTIN einen seiner engsten Vertrauten: Dmitri A. MEDVEDEV. Beide kennen sich aus PUTIN's Amtszeit in St. Petersburg. Während PUTIN's Präsidentschaft war MEDVEDEV erst wichtigster Referent und Zuarbeiter, dann wurde er von seinem Förderer zum 1. stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt. Um auch die wirtschaftlichen Geschicke besser unter Kontrolle zu halten, wurde MEDVEDEV zusätzlich Vorsitzender des Aufsichtsrats von Gazprom.

19.01.2009Stanislav MARKELOV, russischer Rechtsanwalt aus Moskau, der russische, aber auch tschetschenische Bürger nicht nur vor russischen Gerichten, sondern auch vor dem Europäischen Menschengerichtshof in Straßbourg vertritt und bereits 2004 in der Moskauer U-Bahn zusammengeschlagen worden war, wird in Moksau auf offener Straße erschossen. Ebenfalls die ihn begleitende Anastassija BABUROVA, Journalistik-Studentin an der staatlichen Lomonossov-Universität und gleichzeitig Journalistin für die Novaja Gazeta.

15.07.2009

Die Bürgerrechtlerin und Journalistin Natalja ESTEMIROVA, eine (ehemalige) Freundin von Anna POLITKOVSKAJA, die u.a. in Tschetschenien für die Bürgerrechtsorganisation memorial Schicksale von misshandelten, gefolterten und verschwundenen Menschen und Familien aufklärt und veröffentlicht, wird vor ihrem Wohnhaus in Grozny entführt und später erschossen aufgefunden. Einer ihrer bekanntesten und schärfsten persönlichen Kritiker: der tschetschenische Präsident KADYROW. Er bezeichnet die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin wenig später in einem Interview mit Radio Svobodaals eine Frau "ohne Ehre, Würde und Gewissen".
Der Moskauer Journalist Moritz GATHMANN hat ihr im BerlinerTagesspiegel einen Nachruf gewidmet: Nichts als die Wahrheit

2010 - 2011

Obwohl der Krieg zu Ende sei lassen die Auseinandersetzungen zwischen Rebellen, Polizei,Terroristen, Militär und Zivilisten nicht nach. Fast tägliche Nachrichten in russischen und tschetschenischen Medien über Getötete oder Vermisste, über Anschläge und Selbstmörder.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilt Russland in regelmäßigen Abständen (manchmal von 3 Tagen) zur Auszahlung der Schmerzengelder an die Angehörigen deren Verwandte durch russischen Millitär im Krieg (gewaltsam) ermordet wurden. Daraufhin will KREML ein Gesetz einführen, welches die Entscheidungen des Straßburger Gerichtshofes ignoriert. Der Vorschlag wird im Juni 2011 eingereicht. Dieses löst bei Menschenrechtsaktivisen sowie bei Politikern Empörung aus. Die Entscheidung über diesen Gesetzentwurf wird auf Herbst 2011 verlegt.

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2003