Menschenrechte und Medien

Gedanken von Moritz FLORIN

Menschenrechte und Tschetschenien – Was kann, darf und sollte berichtet werden?

Wer in Russland ein kritisches Wort über Tschetschenien verliert, lebt gefährlich. Die Morde an der Journalistin Anna Politkowskaja, der Menschenrechtlerin Natalija Estemirowa oder des Anwaltes Stanislaw Markelow sind dabei nur die Spitze des Eisberges der politisch motivierten Gewalt in Russland.

Im Juli 2009 entschloss sich die russische Menschenrechtsorganisation MEMORIAL in einem dramatischen Schritt, jegliche Arbeit in Tschetschenien einzustellen. Leben,

Gesundheit und Sicherheit ihrer Angestellten seien ernsthaft bedroht. Zudem sei der Abzug aller Mitarbeiter eine Form des Protestes, um die regionalen und russlandweiten Behörden auf die Lage aufmerksam zu machen.

Es scheint, als sei es heute fast unmöglich, in Russland kritisch und investigativ aus Tschetschenien zu berichten. Ist es angesichts dieser Situation für westliche Journalisten noch möglich, unabhängig zu bleiben? Sind die westlichen Medien in der Lage, in die Bresche zu springen und die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien anzuprangern? Und: Was bewirken sie damit?

Die westlichen Medien und der Kaukasus – ein differenziertes Bild?

Als im vergangenen Jahr ein Krieg zwischen Russland und Georgien ausbrach, stand das Urteil westlicher Medien schnell fest: Russland sei der Aggressor und der Krieg nur ein weiterer Beleg für die aggressiven außenpolitischen Ziele Wladimir Putins. Gas, Öl, Pipelines und imperiale Machtpolitik, so musste es den Lesern deutscher Zeitungen scheinen, seien die Grundlagen der aggressiven russischen Politik. DER SPIEGEL schrieb:

Der Konflikt im Kaukasus ist brandgefährlich - denn es geht nicht allein um Südossetien. Russland kämpft um seinen Anspruch als Großmacht, Georgien bangt um seine bisher guten Beziehungen zur Nato. Im Hintergrund tobt ein geostrategisches Geschacher um den Zugang zu Gas, Öl und Pipelines.“

Dieses Muster der Berichterstattung westlicher Medien über die Konflikte im Kaukasus lässt sich über einen längeren Zeitraum zurückverfolgen. Thomas Urban schrieb bereits anlässlich des Ausbruches des Ersten Tschetschenienkrieges im Jahre 1994 in der Süddeutschen Zeitung:

Die staatlichen Medien haben die Russen im alten Propagandastil mit Reportagen über das volksfeindliche Terrorregime des tschetschenischen Präsidenten Dschochar DUDAJEW auf ein gewaltsames Vorgehen gegen die gerade mal 1,2 Millionen Einwohner zählende, aber an Erdöl reiche Republik eingestimmt, deren Bevölkerung vor drei Jahren die Unabhängigkeitserklärung ihrer Führung gutgeheißen hat. […] Das [russische] Gerede von der Verfassung ist demnach nicht mehr als Augenwischerei für ein Stück imperialer Machtpolitik. (…)“ Süddeutsche Zeitung 14.Dezember 1994.

Öl, imperiale Machtpolitik, Sowjetpropaganda, brutale Gewalt und eine Prise Terrorismus, das, so scheint es, sind die Zutaten der Berichterstattung westlicher Medien über den Kaukasus. Entsteht so jedoch ein differenziertes Bild von den Konflikten? Oder steht das Urteil bereits im Voraus fest?

Auszeichnungen:

"Wächterpreis der Tagespresse" 2003