Die Mediengruppe Doshd: Internet-TV, Radio und eine Website. Und ein weiterer unabhängiger Hörfunksender

Hier geht es um unabhängige Medien, die sich in einem Konzernverbund befinden: Doshd als kleine Mediengruppe mit dem Internetsender Doschd TV, der Website slon.ru und der Radiostation Silver Rain. Auf der anderen Seite: Echo Moskwy, das zum staatlichen Medienkonzern Gazprom Media gehört, aber trotzdem unabhängig agieren kann.


Doschd TV (Дождь / TV Rain): 

TV und Web: RU


Begonnen hatte alles 1995 mit einem kleinen Hörfunksender, der sich schnell großer Beliebtheit erfreute: Serebrjany Doschd (Серебряный дождь), Englisch: Silver Rain. Die Gründerin: Natalija SINDEJEWA.

2010 dann die Gründung eines Fernsehsenders. Das Konzept der Unternehmerin und Journalistin SINDEJEWA: eijn aktuelles Programm mit News, Kunst und Kultur, Unterhaltung und Humor, Experimente, Diskussionen, aber alles

  • abgestimmt auf ein Internetaffines Publikum, das zur kritischen Mittelschicht gehört
  • viele Live-Sendungen, die nicht so aufwendig, sprich teuer sind
  • Themen, die in den staatlich administrierten TV-Kanälen nicht vorkommen
  • und alles als Internet-Fernsehsender angelegt.


Ein Meilenstein in der Entwicklung des privaten Fernsehsenders: der Besuch des amtierenden Staatspräsidenten Dimitrij MEDWEDEW am 25. April 2011 (siehe Foto) - mehrere Monate vor den DUMA-Wahlen im Dezember 2011. Das Ereignis wurde schnell bekannt. Die Folge: Doschd wurde von mehreren Kabelbetreibern in das Netz aufgenommen und konnte sogar in anderen Metropolen und Regionen gesehen werden und Werbekunden konnten einfacher aquiriert werden. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Zuschauer. Der Besuch des ranghöchsten Politikers in einem kleinen nicht-staatlichen Fernsehkanal, der ein unabhängiges kritisches Programm produzierte, wurde von vielen als ein Signal verstanden.

Als politisches (Entspannungs)Signal auch deshalb, weil Doschd zwei Monate zuvor (am 14. Februar 2011) ein Interview mit Natalja WASSILJEWA über den Bildschirm laufen ließ. In dem hatte die Gerichtsangestellte erklärt, dass das Urteil gegen den zu 6 Jahren Lagerhaft verurteilten Michail CHODORKOWSKI nicht vom zuständigen Richter verfasst, sondern 'von oben herab diktiert' worden war (Die Aussagen der Whistleblowerin sind übersetzt zu lesen: Das erste Interview mit Gazeta.ru und Doschd.TV) - eine eindeutige Aussage über das russische Justizsystem. 

Als nach den DUMA-Wahlen im selben Jahr die Bürger auf die Strasse gingen, war Doschd regelmäßig dabei. Der Kanal berichtete von Demonstrationen und Verhaftungen oder über die Auftritte und Aktionen der Frauen-Rockgruppe Pussy Riot. Die Redaktion gab Alexej NAWALNJ und anderen Repräsentanten der sich neu regenden Zivilgesellschaft Sendezeit, die sie im staatlichen Fernsehen nicht bekamen (zur entstehenden Zivilgesellschaft mehr unter www.ansTageslicht.de/Russland). Doschd übernahm in seinem Logo sogar die 'weiße Fahne' - das Erkennungszeichen der Oppositionsbewegung.

Doschd bekam sogar Zulauf von bekannten Gesichtern, die sich klar zur Oppositionsbewegung bekannten, z.B. Ksenija SOBTSCHAK, die alle Russen aus diversen Unterhaltungsformaten des Staatsfernsehens kannten - gleichzeitig eine Bekannte von Wladimir PUTIN. Oder der bekannte Fernsehjournalist Leonid PARFENOV. Doschd wurde zum massenmedialen Aushängeschild der Opposition und gleichzeitig der Pressionen, die danach nach und nach einsetzten. Der Sender geriet immer mehr unter Druck.

Im Januar 2014, als sich zum 70. Male das Ende der 900 Tage andauernden Blockade von Leningrad (heute St. Petersburg) durch deutsche Soldaten zwecks Ausrotten der Bevölkerung jährte, wollten die Journalisten in einer interaktiven Umfrage von ihren Zuschauern wissen, ob es nicht besser gewesen wäre, die Stadt hätte sich ergeben - hunderttausende Menschen hätten wohl überlebt.

Allein diese Frage löste im russischen Politikapparat einen Sturm totaler Entrüstung aus. Von Geschichtsfälschung des "Großen Vaterländischen Krieges" war die Rede - in Russland (ähnlich wie in Deutschland das Abstreiten des Holocaust) ein Straftatbestand.

So wie Doschd nach der Diskussionsrunde mit dem Ex-Staatspräsidenten MEDVEDEV seine Reichweite schnell hatte vergrößern können, war es schlagartig damit vorbei. Alle großen Kabelnetzbetreiber (so z.B. der PayTV-Betreiber Tricolor, Akado, Rostelekom, Beeline) schlossen Doschd aus der Verbreitung und Übertragung aus. Doschd hatte sich zwar schnell entschuldigt; das hatte aber nichts mehr genutzt. Die Redaktion hatte eine Rote Linie überschritten.

Noch im selben Jahr musste Doschd auch seine großen Studioräume aufgeben: Umzug in eine private Wohnung. Trotzdem: Nach wie vor macht Doschd weiter. In kleinerem Rahmen.

Zur (kleinen) Mediengruppe gehören immer noch der Radiosender Silver Rain und die Website slon.ru. Ebenfalls zur Doschd-Gruppe gehört das Stadtmagazin Bolschoj Gorod, das auch lokale Nachrichten mit politischen Botschaften transportiert. Z.B. wenn Häuser abgerissen werden und Proteste organisiert werden sollen. 

Die Website Slon.ru (Cлон.ру) der unabhängigen Mediengruppe Doschd

Website: nur RU


Das Portal exisitiert seit 2009 und gehört zum einen den beiden Eigentümern der Doschd-Gruppe, Natalya SINDEYEVA und Alexander VINOKUROV, zum anderen inzwischen auch Olga ROMANOVA. ROMANOWA ist Journalistin, hatte früher bei Echo Moskwy, dann als Chefredakteurin der russischen Ausgabe von Business Week gearbeitet. Sie zählt zu den führenden Köpfen der Oppositionsbewegung seit 2011.

Ihr Ehemann, Alexej KOSLOV, ein mittelständischer Unternehmer, war 2008 ins Visier der Macht geraten: Man warf ihm betrügerische Machenschaften vor. Das Verfahren ging dutch mehrere Instanzen, währenddessen KOSLOV 3 Jahre in einer sibirischen Strafkolonie in Perm absitzen musste. Als ihn das oberste russische Gericht freigesprochen hatte, begannen die Moskauer Staatsanwälte erneut mit Ermittlungen. Ergebnis: KOSLOV wurde in der gleichen Sache 2012 wieder verurteilt: 5 Jahre Gefängnis.

Bevor KOSLOV nach Sibirien musste, saß er in dem berühmt-berüchtigten Moskauer Gefängnis Butyrka ein, das von STALIN eingerichtet wurde und als Transitlager für GULAG-Gefangene diente. Es gilt als eines der schlimmsten Haftanstalten, die heute - offiziell - "Untersuchungshaftanstalt 2" heißt. ROMANOVA und KOSLOV begannen darüber einen Blog zu führen, den es heute noch gibt und auf dem u.a. jene schreiben, die ebenfalls verurteilt wurden: Geschäftsleute, Journalisten, Rechtsanwälte und andere.Und es weden Nachrichten über die Bolotnaja-Gefangenen veröffentlicht. Der uns letzt bekannte Eintrag datiert vom Juli 2016.

Wie kritisch Nachrichten und Vorgänge auf slon.ru analysiert und dokumentiert werden, lässt sich auf Deutsch an einem Artikel zeigen, der auf dekoder.org im August 2016 veröffentlicht wurde: Krieg der Silowiki.

Auf dekoder.org ("Russland entschlüsseln") finden sich regelmäßig ins Deutsche übersetzte Beiträge von slon.ru.

Radio Silberner Regen (Серебряный Дождь) - Silver Rain: www.silver.ru

Nur in RU


Der Radiosender gehört zu den exotischsten Radiostationen Russlands. Und zu den sehr erfolgreichen, jedenfalls in der angesprochenen Zielgruppe vor allem auch junger Menschen.

Unkonventionell ist fast alles, was gesendet wird: Musik, Kultur, Politik. Dies hängt auch mit dem Chefredakteur zusammen, der dem Sender und seinen Aktionen das Gepräge gibt: Dmitrij SAVITSKIJ. Der war zuvor mals Polizist, verdiente dann sein Geld als Taxifahrer, später als Tonmann beim staatlichen Kinofilmkonzern Mosfilm. So geriet er in die Welt der Medien.

Bei silver.ru arbeiten bis zu 50 Menschen. In Moskau nutzen über 1 Million Menschen diesen UKW-Kanal "100.1 FM", russlandweit sind es über 3 Millionen.

Echo Moskwy (Эхо Москвы): Echo Moskaus

Nur in RU


Es ist die Radiostation mit der Sendelizenz "Nr. 1". Es war die erste Gründung noch zu Zeiten der Spwjetunion, als Michail GORBATSCHOW erstmals nicht-staatliche Medien zugelassen hatte. Mitglieder des Moskauer Stadtparlaments, Journalisten der Zeitschrift Ogonjok und Mitglieder der Fakultät für Journalismus an der Lomonosov-Universität fanden sich zusammen, sammelten (wenig) Geld und gründeten mit völlig veralteten Geräten den ersten freien Hörfunksender: Echo Moskwy.

Von Anfang an dabei und heute ein journalistisches Urgestein: Chefredakteur Alexej WENEDIKTOW. Er gab und gibt bis heute diesem Medium das Gepräge. 34% der Anteile befinden sich im Besitz der Redakteure. 66% hält das Unternehmen Gazprom Media Holding, die zum staatlichen Energiekonzern Gazprom gehört. Gazprom (Gazprom Media) zählt als Eigentümer der großen Fernsehketten NTW und TNT, der Tageszeitung Iswestja und anderer Medien zu den tragenden Säulen der politischen Macht in Russland.

Regelmäßig kommt es daher zu Konfrontationen zwischen Redaktion und Mehrheitseigentümer. Bisher hat das Redaktionsstatut der ersten Stunde allen Pressionen standgehalten. Und das sieht vor, dass

  • es nur mit einer Mehrheit von 75% verändert werden kann
  • der Chefredakteur allein den journalistischen Kurs vorgibt
  • und der Chefredakteur ausschließlich von der Redaktion gewählt und bestellt wird.

Die Tradition der ersten Stunde, das Standing von Alexej WENEDIKTOW und der Umstand, dass die Politik den Sender als Alibi für Pressefreiheit herauskehren kann, sorgen (bisher) dafür, dass Echo Moskwy in fast allen größeren Städten des Landes empfangen werden kann. Und dass sich der Sender mit seinem kritischen und unabhängigen journalistischem Konzept bis heute halten und gegen den Mehrheitseigentümer durchsetzen konnte.