Chronologie einer langen, aber erfolgreichen Kampagne

 

Mitte der 80er Jahre

Immer häufiger wird durch Medien in vielen Ländern der Welt bekannt, dass giftiger Müll aus den "reichen" Industrieländern in ärmere Länder regelrecht "exportiert" wird. Der Begriff Müllexporte macht die Runde.
Doch was im Einzelfall öffentlich bekannt wird, ist nur die Spitze des Eisberges, wie Greenpeace-Recherchen zeigen


1986

Recherchen seitens Greenpeace haben ebenfalls ergeben, dass zu diesem Zeitpunkt bereits 163 Millionen Tonnen Müll rund um die Welt „im Angebot“ sind


August 1986

Schauplatz Weltmeere
Aus der Müllverbrennung stammen die 14.000 Tonnen giftigster Feinstäube, mit denen der Frachter „Khian Sea“ aus Philadelphia/ USA unterwegs ist, um seine Ladung loszuwerden. Die Bahamas, die Dominikanische Republik und weiterte Staaten lehnen die Annahme ab. Greenpeace beobachtet das Giftschiff und setzt die Behörden rechtzeitig in Kenntnis – so kann der Müll-Gau kann verhindert werden. Die Müllschieber auf See versuchen es überall – 27 Monate lang. Nachdem sie einen Teil ihrer Ladung in Haiti abladen können, entsorgen sie die Ladung laut Kapitän: „irgendwo zwischen Suezkanal und Singapur“. Wo konkret die Giftstäube gelandet sind, ob auf dem Meeresgrund oder an irgendeiner der angrenzenden Küsten, weiß bis heute niemand


1987

Greenpeace startet eine Kampagne gegen die Giftmüllexporte. Das Ziel: ein internationales Exportverbot!
Eigene Recherchen, Dokumentationen und viele Publikationen machen die NGO Greenpeace zu einem der internationalen Experten in punkto Müllexporte


1987 bis 1989

Greenpeace überwacht mit Argusaugen die Vorverhandlungen zur Baseler Konvention: 35 Staaten sowie die Mitglieder der EG vereinbaren Kontrollmaßnahmen und Rücknahmepflichten für Giftmülltransporte. Ein generelles Verbot solcher Exporte in Länder mit geringen Umweltstandards wollen die Industrieländer aber nicht. Aucht nicht die Bundesrepublik Deutschland, deren Umweltminister Klaus TÖPFER (CDU) heißt. Greenpeace hingegen setzt sich für ein generelles Exportverbot ein. Angesichts des nicht zufrieden stellenden Ergebnisses dieser Verhandlungsrunden, beschließt die Umweltschutzorganisation jetzt weltweit Aktionen gegen Giftmüllexporte durchzuführen


1990

Aus Deutschland gelangen große Mengen an Giftmüll nach Polen: Jetzt, wo der „Eiserne Vorhang“ gefallen ist, läuft das Müllgeschäft noch besser als zuvor. Aufgrund der Recherchen seitens Greenpeace dazu sieht sich die polnische Regierung aber veranlasst, ihre Gesetzgebung hinsichtlich des Importhandels zu ändern und die Grenzkontrollen zu verstärken


Oktober 1991

Greenpeace sínd bis jetzt weltweit mehr als 1.200 Fälle von versuchten oder erfolgreichen Giftmüllschiebereien bekannt: alle Informationen sind in einer großen Datenbank gespeichert


Februar 1992

Schauplatz Albanien
Die EU-Kommission fordert das Deutsche Auswärtige Amt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) auf, sich in Sachen deutscher Giftmüll in Albanien zu engagieren. Exportweltmeister Deutschland hat auch dorthin fleißig entsorgt.
Die albanischen GRÜNEN bitten das BMU ebenfalls um Engagement in der Sache. Sie wenden sich auch an Greenpeace International in Amsterdam


Oktober 1991 bis Juni 1992

Die Hannoveraner Firma „SCHMIDT-CRETAN GmbH“ liefert per Bahn und Lkw Pflanzenschutzmittel nach Albanien. Diese sind, in den Jahren 1985 bis 1987 hergestellt, aus DDR-Produktion. Im wiedervereinigten Deutschland sind die Mittel nicht erlaubt.
In Albanien werden Altpestizide aus Deutschland im Umfang von 480 Tonnen ermittelt. Die hochgiftigen Stoffe Lindan, Trizilin und Falisan sind als humanitäre Hilfe deklariert, sollen in der Landwirtschaft Verwendung finden. Greenpeace weiß, dass die Kosten für die Entsorgung hierzulande zwischen 4.000 und 5.000 Euro pro Tonne betragen. In der Summe würden in Deutschland Kosten in Höhe von rd. 2 Millionen Euro entstehen. Der Export kostet fast nichts dagegen.
Greenpeace fordert die zuständigen deutschen Ministerien immer wieder auf, die giftigen Stofe aus Albanien zurückzuholen. Klaus TÖPFER kommuniziert dem albanischen Gesundheitsminister, er könne nichts tun, er sei nicht zuständig


Mai 1992

Schauplatz Rumänien

Jetzt tauchen Fässer mit 2.000 Tonnen Pestiziden aus Deutschland in Rumänien auf. Davon 465 Tonnen im Landesteil Siebenbürgen. Greenpeace entdeckt die Gifte unter katastrophalen Lagerbedingungen - in Fässern, aber auch in instabilen Pappschachteln und in Korbflaschen. Eine Verseuchung des Bodens und somit des Grundwassers ist klar erkennbar. Durch klimatische Einwirkungen wie Hitze und Kälte droht die totale Katastrophe. 

Zur selben Zeit wird aber auch die Baseler Konvention wirksam. Der Müllexportweltmeister Deutschland indes sträubt sich weiterhin gegen ein generelles Verbot des Giftmüllhandelsin andere Länder. In immerhin 88 Nationen, die das Abkommen unterzeichnet haben, gilt bereits ein Exportverbot


September 1992

Als Folge der Lethargie der deutschen Bundesregierung nimmt Greenpeace den Abtransport von Giftmüll aus Rumänien selbst in die Hand. Die Umweltorganisation plant und realisiert eine große medienwirksame und letztlich politisch effektive Aktion: „Das Müllionending“. 
Der Plan umfasst mehrere Stufen und Aktionen. Der Organisator ist Andreas BERNSTORFF, „Campaigner“ bei Greenpeace. Über seine Arbeit hat er einen spannenden Bericht verfasst: Bericht aus der Giftmülldetektei.

  • Greenpeace schleust Undercover einen mutigen Journalisten ins Müllschiebermilieu, der die noch in Deutschland lagernde Giftware ausfindig machen soll. Das gelingt. Wie der Journalist dabei vorgegangen ist und wie er sich dabei gefühlt hat, erfahren Sie hier unter 3 Wochen undercover im Untergrund
  • Im nächsten Schritt werden die getarnten Laster an der Grenze gestoppt – Greenpeace hat die Medien verständigt. 
  • In Rumänien selbst machen die Umweltschützer ebenfalls gleich ‚ein Faß auf’

Schauplatz Albanien
Radu CRETAN, Geschäftsführer der Hannoveraner Firma SCHMIDT-CRETAN, treibt sein Spiel nur wenige Meter entfernt von seinem alten Sitz und unter neuem Firmennamen weiter. Bei der Staatsanwaltschaft Hannover als verschollen geltend, hat er sich neue Hallen gebaut, mindestens einen neuen Auftrag gesichert. 54 Tonnen Altpestizide aus DDR-Produktion sollen nach Albanien exportiert werden. Die albanischen Behörden sind auf den schlechten Zustand der Exportware aufmerksam geworden, haben längst gemerkt, dass die Chemikalien nicht verwertbar sind und ihr Verfallsdatum überschritten haben.
Ein Teil der Ladung wird durch albanische Behörden zurückgesandt und auf Anordnung der deutschen Behörden in Deutschland dann als Giftmüll entsorgt


Oktober 1992

Greenpeace registriert rund 400 Fässer Gift im Hafen von Durres, in Milot und bei Tirana. Die Öffentlichkeit erfährt erstmals vom deutschen Giftmüll durch albanische Regierungsvertreter. Sie folgen einer Einladung von Greenpeace nach Brüssel. Vor Medienvertretern rufen sie die EU-Umweltminister auf, zukünftig angemessen zu reagieren - Exportverbote zu vereinbaren


November 1992

Schauplatz Piriapolis/Uruguay
Auf der ersten Konferenz der Vertragsstaaten der Baseler Konvention wird nach den Vorverhandlungen in den Jahren 1987-1989 kein Fortschritt erreicht


Dezember 1992

Greenpeace unterstellt der Bundesregierung, die Zusammenarbeit Albaniens und westlicher Umweltorganisationen zu erschweren, um „Giftmüll-Schiebereien zu vertuschen“


Januar 1993

Schauplatz Albanien
Der albanische Gesundheitsminister Tritan SHEHU verlangt jetzt offiziell von der deutschen Bundesregierung, den Giftmüll zurückzunehmen


01. Februar 1993

Schauplatz Rumänien

Greenpeace stellt Minister TÖPFER ein Ultimatum, bis zum 15. Februar den Rücktransfer der Gifte aus Rumänien zu veranlassen. Die Aktivisten drohen andernfalls die Giftabfälle selbst zurück zu transportieren. Voller Tatendrang und Verantwortungsgefühl, mit Unterstützung der rumänischen Bevölkerung sowie der rumänischen Regierung starten Greenpeace-Aktivisten selbst die große Aufräumaktion 


14. Februar 1993

Bundesumweltminister Klaus TÖPFER teilt Greenpeace mit, 450 Tonnen Altpestizide aus Rumänien zum Recycling zurück nach Deutschland zu holen


11. März 1993

Der Rücktransport beginnt. Alle auffindbaren Fässer werden mit der Bahn zurück nach Deutschland überführt. Der Zug ist 1,3 Kilometer lang


August bis September 1993

Schauplatz Albanien
Eine Expertengruppe der Biologischen Bundesanstalt – unter Leitung von Prof. Hans Gerd NOLTING – macht sich auf zu den Giftlagerplätzen in Albanien. Erst durch die Anstrengungen des SPD-Bundestagsabgeordneten REUSCHENBERG und Greenpeace wird das Protokoll bekannt. Der 40-seitige Bericht macht anschaulich klar, wie akut die Gefahr für Mensch und Umwelt ist. Und dass an eine Ensorgung - aufgrund des Know-how - nur in Deutschland zu denken ist


November 1993

Laut Informationen des Bundesmionisteriums für Umwelt befinden sich an der albanischen Grenze zu Montenegro 217 Tonnen Pestizide. Da die Gefahr auch hier akut scheint, will Minister Klaus TÖPFER für die notwendigen Sicherungsmaßnahmen 700.000 Euro zur Verfügung stellen


Januar bis Februar 1994

Die Fässer werden nicht, wie angekündigt, gesichert. Eine weitere Expertengruppe des Technischen Hilfswerks, die aber lediglich aus führenden Vertretern der Chemieindustrie besteht, verharmlost die Gefahren. Angeblich bestehe keine unmittelbare Gefahr für Gesundheit und Umwelt.
Greenpeace dokumentiert videotechnisch die Lagerstätten
Die Soforthilfe von 700.000 Euro wird daraufhin zurückgezogen. Die EU werde sich um die Entsorgung kümmern, heisst es.
Greenpeace bringt in Erfahrung, dass die Expertenberichte nicht der albanischen Regierung vorgelegt worden sind


Februar 1994

Eine Müllhalde im Dorf Milot/Albanien: Rund 90 Tonnen Altpestizide giften in einer Getreidehalle vor sich hin. Das hochtoxische Pestizid Melipax ergießt sich über die Dorfstraße. Hautauschläge und Atembeschwerden sind bei den Dorfbewohnern festzustellen. 
Aktivisten stoppen die Leckagen durch das Neuverpacken in Überfässer. Ebenso gehen sie am Bahnhof von Bajze vor (Foto)


10. März 1994

Schauplatz Albanien
Nahezu eine Tonne Giftmüll – von Aktivisten in einen Container verladen – sind per Greenpeace-LKW aus Albanien über Italien und Frankreich auf dem Rückweg nach Deutschland. Der Lkw soll im Auftrage der Bundesbehörden an der deutschen Grenze gestoppt werden. 
Grund: Illegale Einfuhr von Sonderabfall

Schauplatz Frankreich
Eskalation: Proteste auf der Europabrücke Kehl-Straßbourg!

Auf dem Weg von Albanien nach Deutschland müssen die Greenpeacer den deutschen Grenzbehörden ausweichen. Aber die Aktivisten bleiben hartnäckig, geben nicht auf und finden einen Weg hindurch.
Im Lkw, mit hochgiftigen Pestiziden aus Albanien beladen, sitzt Hans-Peter LOOS am Lenkrad. Sein LKW erreicht morgens die Europabrücke zwischen Straßburg und Kehl. Zunächst weigern sich die deutschen Behörden den weiteren Transport zu übernehmen, sich an der Rückholaktion zu beteiligen. In Folge dessen bestreiken die Greenpeacer die Brücke 10 Stunden lang

Schauplatz Bonn
Am Abend des Tages verkündet Klaus TÖPFER vor dem Deutschen Bundestag, alle deutschen Pestizide aus Albanien zurückzunehmen. Mit der Begründung dies aus "rein humanitären Gründen" zu tun, beginnt nach Rumänien die zweite große Rückholaktion der Bundesregierung.
Ein Strafantrag der deutschen Behörden gegen die Aktion von Greenpeace wird zu den Akten gelegt, da die NGO "im wohlverstandenen Interesse" Deutschlands gehandelt habe


25. März 1994

Schauplatz Genf
Ein erster Erfolg: Auf der zweiten Vertragsstaatenkonferenz der Baseler Konvention gelingt ein Pakt mit Deutschland, den USA, Japan, Großbritannien, Kanada, Frankreich und Italien, den so genannten G77 Staaten, mit China und dritte Welt Ländern. Die Rückholaktionen und die intensive Lobbyarbeit von Greenpeace haben sich gelohnt:

Die Baseler Konvention 

Deutschland - ein Querulant: Die neuen Beschlüsse der Baseler Konvention gelten in Deutschland immer noch nicht. Lediglich die ursprüngliche Fassung der Beschlüsse wird von Deutschland ratifziert. Giftmüllexporte sind, als Recycling getarnt, weiterhin möglich

Die Weltmehrheit ist nun gezwungen zu handeln. Ein generelles Exportverbot für Gifmüll aus dem Gebiet der OECD in Nicht-OECD Länder ist ab dem 01.Januar 1998 bindend


November 1994

Schauplatz Deutschland
Die Öffentlichkeit ist längst für das Thema sensibilisiert. Nach wiederholten Greenpeace-Aktionen muss das deutsche Bundesumweltministerium jetzt insgesamt 470 Tonnen Gift aus Albanien zurückholen.

„Louise Green“ ist der Name des niederländischen Frachters, der Container mit einer Ladung von 450 Tonnen Altpestiziden nachhause in die Bundesrepublik bringt. Im Hamburger Hafen angekommen wird der Giftmüll aus Albanien letztlich in der Untertagedeponie Herfa-Neurode im Bundesland Hessen und in mehreren Verbrennungsanlagen in Hessen und Bayern entsorgt


1995

Bilaterale Entsorgungsverträge zwischen armen Ländern und reichen Nationen wie Deutschland, Australien und Großbritannien, werden benutzt, um die Baseler Konvention zu umgehen


Mai 1995

Schauplatz Indien
Ein weiterer Fall: Die Duisburger Firma Grillo AG, Erzeuger von Produkten im Bereich der Zinkmetallurgie und Schwefelchemie, verschiebt 2400 Tonnen Zinkasche nach Bophal/Indien


19. September 1995

Schauplatz Genf
Die dritte Vertragsstaatenkonferenz beschließt in Genf endgültig und völkerrechtlich unumstritten das Müllexportverbot vom März 1994. Alle teilnehmenden Länder, einschließlich Deutschland, unterzeichnen Die Baseler Konvention


Seit 1995

Der Amerikaner Jim PUCKETT beobachtet das weltweite Treiben auf dem Müllmarkt bereits seit 1989. Als Greenpeace 1995 seine Giftmüllkampagne beendet, ist er zur Stelle. Der Umweltaktivist recherchiert, dokumentiert und verhindert weiterhin weltweit den Giftmüllhandel. Mit seiner Organisation BAN - Basel Action Network operiert er von den USA aus. PUCKETT war während der Giftmüll-Kampagne als Co-Koordinator des Greenpeace-Campaigners BERNSTORFF tätig und außerdem Chef des Giftmüll-Ressorts bei Greenpeace International in Amsterdam


1998

Der Verbotsbeschluss von 1995 ist nun innerhalb der Europäischen Union zur EG-Richtlinie für Abfallverbringung geworden. Auch zu Recyclingzwecken darf nicht mehr aus OECD-Ländern exportiert werden. Zuwiderhandlungen werden mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft


(MH)