Die Berichte des Berliner Tagesspiegel, 19.02.2003

von Juergen SCHREIBER

"Dann gäbe es kein Halten mehr"

TS: Herr Denninger, darf die Polizei Tatverdächtige mit Folter bedrohen?
Nein, das darf sie nicht. Auch nicht unter Berufung auf das Verhältnismäßigskeitprinzip oder einen übergesetzlichen Notstand.

TS: Genau diese Begründung bringt die Frankfurter Polizei jetzt aber im Fall von Magnus G. vor.
Diese Argumentation der Polizei ist ja nicht neu. Auch früher, zum Beispiel beim so genannten Todesschuss, hat man versucht, sich unter Hinweis auf eine Notstandssituation zu exkulpieren.

TS: Aber ist es nicht tatsächlich eine Notstandssituation? Ein Kind wird entführt, ein Tatverdächtiger gefasst, verrät aber den Aufenthaltsort des Kindes nicht. Muss die Polizei dann nicht zur Rettung des Entführten mit allen Mitteln arbeiten?
Es gibt Grenzen. Das Folterverbot hat einen fundamentalen Rang in unserem Rechtsstaat. Artikel 3 und Artikel 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention unterstreichen diese Bedeutung. Es gibt keine Ausnahme, die von diesem Verbot dispensieren würde. Es ist im Grunde traurig, dass so etwas wie das jetzt in Frankfurt passiert. Ein Polizist hat laut dem Vermerk ja moralische Bedenken formuliert. Das beweist, dass die Sache auch polizeiintern umstritten war.

TS: Und was ist mit dem so genannten übergesetzlichen Notstand, um vielleicht das Leben des entführten Kindes zu retten?
Die Geltung des Folterverbots ist eindeutig. Die notwendige Abwägung hat der Gesetzgeber hier mehrfach selbst vorgenommen und dabei dem Folterverbot hohes Gewicht eingeräumt. Es ist sogar in die neue Grundrechtecharta von Nizza aufgenommen worden. Was glauben Sie, wenn man einmal mit Foltern anfinge, gäbe es kein Halten mehr. Ich betone noch einmal: Was der Staat darf, muss klar geregelt sein. Und das ist eindeutig geschehen.

TS: Haben Sie schon einmal ein vergleichbares Dokument gelesen, wie jetzt die umstrittene Anordnung des Frankfurter Polizeivizechefs im Fall Magnus G.?
Gott sei Dank nicht. Das Papier ist aus meiner Sicht einmalig.

Das Gespräch führte Jürgen Schreiber.