Die Berichte des Berliner Tagesspiegel, 07.12.2002

von Juergen SCHREIBER

Die Bekenntnisse des Hochstaplers Magnus G.

Er bittet darum, geduzt zu werden: Der mutmaßliche Mörder des elf Jahre alten Jakob von Metzler wartet im Frankfurter Polizeipräsidium schon dringlichst auf seinen Anwalt Ulrich Endres.

Dritter Stock, Kommissariat 12, "Entführung, Erpressung". Die Kripo hat Magnus G. in einen weißen Plastikoverall gesteckt, die eigenen Kleider sind im Labor. Endres hört den Mandanten zur Begrüßung mehr schluchzen als erklären: "Gott sei Dank, dass Sie da sind!"

1.Oktober, Tag fünf seit dem Verschwinden des Bankierssohns. Früh am Morgen hatte ein Anrufer den renommierten Strafverteidiger alarmiert. Ein Freund sei wegen der Metzler-Sache verhaftet worden. Ob Endres helfen könne? Später stellte sich heraus, dass der Festgenommene Mund und Nase von Jakob mit dem silbrigen Gewebeband verklebte, das der Kumpel bei Malerarbeiten in der Wohnung von G. zurückgelassen hatte.


Am Freitag brachte er Jakob in seine Gewalt. Nun ist es Dienstag. Endres hat eigentlich eine Verhandlung am Landgericht wegen Schmuckraubs bei Uhren-Christ. Er bittet um sofortige Unterbrechung. Es komme auf jede Minute an, das Kind könne noch leben, meint er. Zu dem Zeitpunkt führt sein neuer Klient die Kripo bereits nach Schlüchtern zum Versteck des Toten. G. bleibt an einer Schranke zurück, setzt sich hin und erklärt weinend, er könne nicht weiter mitgehen. Man findet Jakob unter einem Steg im Wasser, ein verschnürtes Bündel Mensch, in schwarzes Laken und Plastiksäcke eingeschlagen.

Nach der Tat hatte es G. erneut zum Weiher getrieben, ein dunkle Gestalt, die sich anschlich und vergewisserte, ob die Leiche noch da sei. Das war am Sonntag. Spätabends fuhr er dann im Honda Civic zur Endstation der Straßenbahnlinie 14 und holte das Lösegeld von einer Million Euro ab. Es war weisungsgemäß in Aldi-Tüten verpackt, so verlangte es sein 23-zeiliger Erpresserbrief, der sich aufgesetzter Gaunersprache bediente: "Achtung! Entführung" tippte G. in lauter Großbuchstaben auf der Schreibmaschine, verlangte gebrauchte Banknoten, bot einen "Deal" an: "Es geht uns lediglich um Ihr Geld." Bei seiner Ganovenehre versprach er: "Ihr Sohn wird dann am nächsten Morgen wohlauf nach Hause kommen."

Als Ulrich Endres gegen 14 Uhr 30 im Polizeipräsidium erscheint, kommt er voller Ahnungen. Im Hof steht ein Leichenwagen. Auf dem Weg zum K 12 hat er keinen Blick für das Schild "Vermisstenstelle" und die Steckbriefe links und rechts. Der Beamte Mohn führt ihm einen "großen, traurigen jungen Mann" vor. "Er stand völlig neben sich, das Gesicht weich, die Augen angstvoll." Ein Katastrophenblick. Endres taxiert G. fotografisch genau, registriert das Chaos im Büro, den Shell-Atlas auf dem Tisch, merkt sich "Ausgabe 1978". Mit dem Kartenwerk wurde der "Ablageort" des Kindes ermittelt. In seiner, man muss sagen, ziemlich aussichtslosen Lage sieht G. im Anwalt die letzte Rettung. Trotzdem lügt er, beschuldigt andere. Der scharfe Beobachter fahndet kurz in Magnus Miene, verbittet sich ungeduldig weitere Ausflüchte.


"Man muss an das Gute glauben"

Der 57-Jährige ist ein Mann für schwere, vielleicht sogar für hoffnungslose Fälle. Man wird ihn, der momentan allein mit acht Tötungsdelikten beschäftigt ist, einen profunden Menschenkenner nennen dürfen. "In 30 Berufsjahren sind mir alle Grausamkeiten begegnet, die man sich vorstellen kann." Geschichten waren darunter, die ihn anekelten in ihrer vollkommenen Finsternis wie die des Nennvaters, der einen Buben zu Tode drangsalierte, oder von Hartgesottenen, die mit Hämmern auf Opfer eindroschen. Er zuckt mit den Schultern, leider, die Welt ist, wie sie ist. So brutal es klinge, Mord an Kindern sei "in dem Beruf keine Besonderheit". Aber nie sei ihm "die Diskrepanz zwischen Tat und Täter" dermaßen krass vorgekommen wie jetzt bei Aktenzeichen 3490 JS. Bei allem, was der Pflichtverteidiger für G. zu tun haben wird, er wird stets betonen: "Ich vergesse das Opfer nicht." Das Verbrechen "berührt mich als Mensch ungeheuerlich".

Auf den Prozessbühnen ist sich Endres seiner Präsenz gewiss. Schlank, um nicht hager zu sagen, stakst der Asphaltcowboy in handgenähten Stiefeln daher, die Spitzen lugen nachher unterm Tisch hervor. Hautenge Jeans, das Legere auffallend kombiniert mit Collegebindern und weich fallenden Jacketts. Unter der Manschette blitzt die schwere Golduhr von Lange & Söhne. Betritt er Gerichte, wirkt es, als bilde das Sicherheitspersonal eine Gasse von Respekt für ihn. Achtung, hier kommt eine Berühmtheit des Fachs, Zulassung in der Meisterklasse, das Haar im Dienst ergraut.

Großen Auftritten nicht gänzlich abgeneigt, erzwingt Endres Aufmerksamkeit durch ein Vokabular kalkulierter Gesten. Mit Sinn für die kleinen Details blickt er die Richter fast fromm an. Beim Zuhören liegt ein Finger am dichten Schnurrbart. Immer wachsam, wechselt er zwischen feierlichem Ernst und Bubenhaftigkeit. Er kann besänftigend lächeln. Effektvoll sein Argumentieren, nach 60 Mordfällen von bitterer Erfahrung durchtränkt. "Man muss jedoch an das Gute glauben, sonst wird man depressiv." Es pressiert ihm immer, der Turbo-Anwalt würde am liebsten in mehreren Sälen gleichzeitig plädieren: eloquent, ehrgeizig, pragmatisch, assoziativ, wie es sein Stil ist beim "Dealen" mit Gerichtsvorsitzenden. Mit ihm auf Tour hat man am Ende langer Tage Politik, Sport, Medien und außer Metaphysik jedes nur denkbare Thema durchgehechelt.

An Endres ist alles raumgreifend, der Blick, die Schritte, der Optimismus, das Reden mit fast perfekter Stimme, die sich steigert zu hartem, elektronischem Klang. Er erprobte sie anno 68 vor 20 000 Demonstranten an der Frankfurter "Marx-Uni". Es wusste ja keiner, dass er in den blauen Marx-Engels-Bänden über Seite 60 nie hinausgekommen war. Beschwingt stand "Uli" am Mikro, ein Belmondo-Verschnitt mit tarnender Sonnenbrille, Studentenführer Krahl an der Seite. Heute möchte der Dr. jur. gelassen erscheinen, clever, cool und kantig wie viele, die von Berufs wegen menschlicher Verlorenheit begegnen, ohne innerer Regung nachgeben zu dürfen. Er ist eine Instanz, auch da, wo ihn wider die Vernunft Gefühle packen und er sich übers Forensische hinaus zu Seelenarbeit verpflichtet sieht. Wie bei G.

Nach der ersten Begegnung verfolgte ihn das Geschehene beim Joggen. Sonst befreien ihn die obsessiven 15-Kilometer-Läufe. Die quälende Frage blieb: "Was mache ich bloß mit diesem jungen Mann?" Die sinnlose Ermordung Jakobs - blond, aus gutem Haus, der Vater ein Wohltäter - brannte sich ein, traf die Nation mitten ins Herz. Endres versuchte rennend den bestürzenden Extremen zu entrinnen: hier G.s, ja, Sanftheit, da die Minuten, in denen er sein Leben wegschmiss und ein unschuldiges auslöschte.

Es sind armselige Sätze, armselige Tränen, die bei Tätern bleiben. Wo es keine Worte mehr gibt, muss der Verteidiger sie finden. Ihn bewegen Mitleid mit dem Opfer und Erbarmen mit einem schuldig Gewordenen. Endres sucht die Wahrheit des bedrückenden Freitags, auch für sich. "Ich will verstehen, selbst in dieser Schrecklichkeit, was am 27. September geschah. Wie kommt ein solcher Mensch dazu?"

G. fängt den Schüler mit einer Lüge auf der Straße ein. Sie waren sich zuvor zwei Mal begegnet. Er habe die Jacke seiner Schwester E. in der Wohnung, wolle ihm dort das Kleidungsstück geben. Daheim beginnt dann ein teuflisches Hin und Her. Die ersten Minuten krampfhaft inszenierte Suche nach der Jacke. Dann soll nach G.s Vorschlag so getan werden, als würde "Entführung gespielt", bis die Schau jählings abbricht: "Jakob, jetzt wird's ernst." Er schlägt ihm die Beine weg, bemächtigt sich seiner, zwingt ihn zu Boden, habe seinen "Plan abgespult". Er verschließt ihm den Mund, später noch die Nase mit Klebestrips, stellt die Frage: "Hast du ein Handy dabei?" Jakob schüttelt den Kopf. In sich aufschaukelnder Panik wird er mit dem Schreienden und Zappelnden nicht mehr fertig, würgt ihn.


Was machst du da? Wer bist du denn?

Das Drama kippt ins Unausweichliche. G. gab an, er habe den sich Windenden "angefleht" aufzuhören. Er habe geschwitzt, sei außer Atem gewesen, habe auf ihn eingeredet: "Bleib doch ruhig, bleib doch endlich ruhig." Er sei nur noch daran interessiert gewesen, "dass es jetzt Ruhe gibt". Dass es keine Ruhe gebe, habe er "nicht vorgesehen". So unterschiedlich Verbrechen sind, so sehr ähneln sie sich für Endres in einem Muster: "Mörder wollen Ruhe haben!", die "Situation beenden". Das Ersticken gilt in der Kriminalistik als Tour von Weichlingen, schwachen Persönlichkeiten.

Der Staranwalt muss sich hineinversetzen in G., der keiner aus dem Verbrecheralbum ist: Hochschüler, dem Jurastudenten fehlen fünf Punkte zum ersten Staatsexamen. Dann das Verbrechen, das in seiner Trostlosigkeit seinesgleichen sucht und einen Vernehmer drohen ließ, er gehe jetzt mit Magnus auf den Flur und schlage ihm die Zähne aus. Endres ist überzeugt, jedes Läuten an der Tür, jedes Telefonklingeln hätte G. aufhalten können. Der habe insgeheim sogar gehofft, irgendeine Fügung werde eintreten, die das Kind aus seinen Fängen befreien, dem Kommenden Einhalt gebieten, ihn zur Besinnung bringen würde.

Vielleicht rief ihm das Gewissen noch zu: Stopp! Was machst du? Wer bist du? Denn nachdem die Schattenlinie überschritten war, stellte er sich der Kripo als gespaltene Persönlichkeit dar. G. sprach im Tonfall des Beichtenden davon, "auf der einen Seite des Gehirns gab es den Plan! Auf der anderen ,Das kann ich nicht !"Geldbeschaffung durch Bankraub schied aus. Er sei nicht der Typ mit Revolver.

Im Entführer rang die Gier nach Geld und anderer Existenz mit dem Grauen vor sich selber. In langen Stunden erkannte Endres: Bei dem Geständigen greifen die üblichen Deutungen nicht. G. hatte gelernt, sich größer zu machen, als er war. Er ließ sein Ich hinter sich, nahm die Rolle des mutmaßlichen Mörders an, in dessen unbarmherzigem Griff sich der arme Jakob wand. Wie hätte der Knirps von 1 Meter 45 dem Riesen von 1 Meter 96 entkommen können, den Schluchzen und letztes Japsen nicht erbarmte? G. schleppt das Geheimnis mit sich herum, das nur er sah: den flehenden "Warum"-Blick Jakobs, dem er mit seinen Händen das Ende bereitete. Die Augen waren nicht verbunden.

Dass Magnus nicht der kalte Typ ist, als den ihn das letztlich Unbegreifliche kennzeichnet, steht für den Anwalt fest. G. ist nicht vorbestraft, gleichwohl hätte die Erpressung in den Details von Profis ausgeheckt sein können. Aber nun, mit dem Beigeschmack des Todes, klingt es obszön, dass da einer tötete, dessen Abstiegsangst stärker war als das Gewissen und die Furcht vor dem Scheitern des Irrsinnscoups. Hielt G. sich aus eigenem Ungenügen am Schwachen schadlos? So oft Anwalt und Täter miteinander redeten, immer wieder umkreisten sie den Punkt, an dem es keine Rückkehr gab.

"Maggi" wollte wetteifern mit Ferrari-Spezln, sich sonnen an der Seite reicher Söhne, deren Eltern 50 Wohnungen auf Ibiza besitzen. Der Blender hatte sich ein protziges Auftreten angewöhnt, das seiner Clique imponierte. Nicht ohne Stolz trug er vor, er sei der Einzige, der sich in dieser Gruppe halten konnte. Dafür legte G. sich die zweite Identität eines Hochstaplers zu, wollte, wie er sagte, "unbedingt sein wie meine neuen Freunde", in deren Kreise er sich vor zwei Jahren einschlich. Er erzählte, seine 16-jährige Freundin K. sei "ein ganz liebes Wesen", das "mich liebt, aber auch den Luxus". Sie sei "der bestimmende Teil ihrer Beziehung". Sein und Schein vermischend, lebte der Student "weit" über seine Verhältnisse. Man wird fragen dürfen, welcher Komplex einen 27-Jährigen zu Aufschneiderei gegenüber einer auf extravagante Label-Klamotten fixierten Pennälerin verleitete. Aus Gefallsucht gegenüber dandyhaften Vorbildern und Partybienen markierte G. den dicken Max. Er verwechselte in seiner Hybris Reichtum mit Anerkennung. Bedenkt Endres die Wirklichkeitsferne G.s, erschreckt ihn unter vielen Rätseln besonders der extreme Materialismus. Dieses Gesellschaftsbild sei ihm "völlig fremd". Den von Magnus mit Lösegeld anbezahlten Kauf eines Mercedes-Jahreswagen C 200 für 30700 Euro, stornierte er sofort.

Seinen Status definierte G. über Soll und Haben und prahlte, bald bei einer weltweit operierenden Kanzlei anzufangen. "Die Spirale", sagt er, sei "immer schlimmer geworden." Die Begleiter ahnten nichts von seiner Geldnot, derweil er nichts mehr fürchtete als "das Einstürzen dieses Kartenhauses". Und es war wohl so, dass Überanpassung (er wählte das Wort "Maske") die innere Zerrissenheit verbarg. Trostlos: Niemand erkannte, wie schwer er an der abverlangten Leichtigkeit trug, der durch Saus und Braus kaschierten Bindungslosigkeit, dem Rausch des Angebens beim Dabeiseinwollen. Im Sommer sind die vom Vater erhaltenen 60000 Mark weg. G. hat 6300 Euro Bankschulden. Der Plan nimmt Gestalt an. Er textet am Erpresserbrief.

Jakobs schauriges Ende ist zugleich das Scheitern der aufs Geld versessenen Glücksvisionen des G. Er trägt den Toten zur Badewanne, duscht ihn ab, zieht Handschuhe über, verwischt DNS-Spuren. Dazu muss er dem Gefesselten die Kleider aufschneiden, lässt ihm T-Shirt und Unterhose, was zu Gerüchten beitrug, sexuelle Unterströmung habe in die Tat hineingewirkt. "Unsinn!", betont Endres. G. taucht Jakob ins Wasser, prüft, ob er noch atmet. Letzte Luft entweicht aus der Lunge, was G. als Lebenszeichen nehmen will. Lärmend verlässt er die Wohnung, testet, ob der Junge reagiert. Es bleibt tödlich still.


Alle werden den Atem anhalten

Nach dem Unwiderruflichen beseitigt er die Leiche. Danach Besuch bei der Mutter, "ich konnte nichts essen". Wieder daheim "legte ich mich auf die Couch, ich war fertig". Dann holt er die Freundin in der Fressgass ab, leiht den Videofilm "Die Affäre Thomas Crown" aus, laut Ankündigung eine Thriller-Romanze. Aber der Recorder ist kaputt. Das Pärchen geht aus, besucht die Disco Cookies und Hoppers Bar. Sie schlafen in der Wohnung, in der vorher Jakob starb. Später wird die Polizei dort in zwei Koffern, in Kuverts und Schubladen das Lösegeld finden. Am Tag danach Aufstehen um elf, ab ins "Sun Point"-Solarium.

Sein Anwalt musste im Gespräch nicht lange schürfen, "ich kenne G. besser als der sich selbst". Dann war es Endres, der ihn zu einer Wahrheit zwang darüber, was in den 30 Minuten wirklich geschah. Nach seiner Erfahrung ist Tätern "der Gedanke unerträglich, getötet zu haben". Niemand könne damit leben, sondern jeder müsse sich vormachen, "das war ein Unglück". Er ist jedoch nicht Therapeut, sondern Strafrechtler, ein exzellenter dazu. Seine Strategie lässt wenig Raum für Illusion, weil erst der Schmerz der Erkenntnis die Chance für eine Zukunft eröffne. Der Jurist sieht im Geständnis den Anfang, der über Schuld und Sühne hinaus die Rückkehr in die Gesellschaft ermöglicht. Und sei sie für einen mutmaßlich Lebenslänglichen in endloser Ferne.

In der Weiterstadter U-Haft erlebt Endres ihn jetzt fast von Scham erdrückt. Magnus' Delikt ist auf der Kriminellenskala ganz unten angesiedelt. Man baute eine "Glocke" um ihn, damit kein Mithäftling sich an ihm vergreifen kann. Beim ersten Endres-Besuch führten zwei Beamte den Klienten im blauen Drillich vor: isoliert, am Ende der Welt angekommen. Zur psychiatrischen Untersuchung "verschubte" man G. per Einzeltransport nach Münster. Zurück kam er in einer gepanzerten Limousine.

Beim Termin in der mit Türmen und Zinnen bewehrten Anstalt begegnet Endres einem "völlig erschütterten Magnus, düster und niedergeschlagen", in Hilfiger-Sweatshirt, weißer Trainingshose, Badeschlappen. Wie nach einem Erkenntnisschub rumort die Erinnerung in G., heimgesucht vom lebendigen Schatten des toten Jakob. "Der Schleier vor den Augen ist weg", sein Klient sei völlig darnieder, weine dauernd, werde "in Mitleid und Selbstmitleid gewahr, welche Dimension das auch für ihn hat". Ferner misstraut er dem Gutachter, der glaube ihm nicht.

Alle werden den Atem anhalten, wenn im März bei Gericht Jakobs Tragödie zu Ende erzählt wird, aber auch die eines freundlichen Schlaks, von dem der Wahn nach schnellem Geld Besitz ergriffen hatte. Magnus Anwalt wird die Schwere der Ohnmacht spüren und Mühe haben, unter vielen Dämonisierungen einen Menschen zu porträtieren, der nicht mehr aus einer Situation herausfand, die womöglich "in einer Art Filmriss" endete. Beim Prozess des Jahres wird es einsam sein um G., den Sohn aus gutem Hause, Jugendbetreuer und Eintracht-Fan. Kann sein, dass er mit der Tat unbewusst die Kargheit der Zelle für sich wählte, weil er beim Highlife nicht mehr mitkam? Sofern man in der Tat nicht Hass auf ihn faszinierenden, unerreichbaren Reichtum sieht. Hohe Mauern trennen (und befreien?) ihn von allem, was er sich in Freiheit zusammenfantasierte.

Dem Amt des Verteidigers wohnt Parteilichkeit inne. Ulrich Endres erfährt massive Anfeindung, seitdem er das Mandat übernommen hat. Volkes Stimme würde am liebsten kurzen Prozess mit G. machen. Ihn persönlich berührt über das Leid der Familie von Metzler hinaus auch das von G.s Familie. Nach dem Geständnis sah er die Mutter des Täters in ihrem Gram auf der Treppe im Präsidium kauern und jammern, "ich habe heute einen Sohn verloren". Vielleicht erklärt diese Szene sein Engagement. Angesichts bedrückender Tatsachen spürt er aber die Grenzen, sobald er sich für G. einsetzt.

Der Jurist ist "kein Weltverbesserer, das war ich nie". Endres hörte, gute Frankfurter Schule, bei den linken Philosophen Adorno und Habermas rein, weil sich das schickte. In Hörsal I saß Jahre später auch Magnus G. Endres legte für die Karriere eine Zielstrebigkeit an den Tag, die dem bewunderten Vater Rudolf, Chemiker und Mediziner, imponieren sollte. Die schmucklose Kanzlei, zwischen Sonnenstudio und Kebab-Haus, könnte darüber hinwegtäuschen, dass hier ein Promi über Akten brütet, der rasch avancierte. Er verteidigte den Peter-Graf-Erpresser Ebi Thust, ersparte dem Fiszman-Entführer Sven Körppen Lebenslänglich, agierte in spektakulären Betrugsverfahren, ist bekannt genug, dass manch gute Partie von ihm geschieden werden will. Auf Einladung des Justizministeriums doziert er vor handverlesenen Gästen über Beweisermittlungen.

Jeder Fall ist ein Roman. Ulrich Endres mittendrin. Prozesse sind ihm Herausforderungen, das war bei den Bundesbankern so, die acht Millionen einsteckten, oder dem Hare-Krishna-Bettelmönch, dem er fix empfahl, die Rolex Oyster wegzustecken. Endres besteht aus Ausdauerfasern, bestieg den Kilimandscharo, hat 13 Marathons in den Beinen, Bestzeit 3 Stunden 36, jagt durch die Wälder. In jugendlicher Leidenschaft sucht er "immer neue Ziele", ein rastloses Sich-selbst-Erproben. Sein schwierigstes Mandat, G.s Verteidigung, gehört dazu.

In Zelle D 334 brütet G. über Jurabüchern, bezieht die "FAZ", kann fernsehen. Freundin K. lässt gelegentlich Grüße ausrichten.