Die Berichte des Berliner Tagesspiegel, 17.02.2003

von Horst CRONAUER

Drohte er Jakobs Killer ?

Es war ein teuflischer Vormittag, am 1. Oktober 2002. Höchste Alarmstufe im Polizei-Präsidium Frankfurt. Jakob von Metzler entführt. Keine Spur von dem 11-jährigen Bankierssohn. Und ein extrem Tatverdächtiger, der im Verhör die Beamten narrte. Erst schickte Magnus G. die Beamten zu einem Brüderpaar, das Jakob angeblich entführt hatte. Dann zu einem Bekannten, der Drahtzieher des Ganzen sei. Schließlich zum Langener Waldsee. Alles falsche Spuren, alles Lüge. Verdammt noch mal, wo ist das Kind? Lebt es noch? Kann es noch gerettet werden? Die Beamten unter Starkstrom - und der Verdächtige „verarscht" sie. Da platzt dem ansonsten äußerst besonnenen Vize-Präsidenten der Frankfurter Polizei der Kragen.

Wolfgang Daschner schnappt sich einen Kriminal-Hauptkommissar, der beim Verhör des Verdächtigen Magnus G. dabei ist, und ordnet an: Sag' ihm: Wenn Sie jetzt nicht reden, dann werden wir Ihnen große Schmerzen zufügen. Wie Sie nie welche hatten, die Sie nie in ihrem Leben vergessen werden. Auch von einem Wahrheits-Serum (siehe Kasten) soll die Rede gewesen sein. Damit werde man den Verdächtigen schon zum Reden bringen, wenn er es jetzt sofort nicht freiwillig tue. Genau so wird es Magnus G. mitgeteilt. Mit dem „beruhigenden" Zusatz, dass bei dieser Art des Verhörs selbstverständlich auch ein Arzt anwesend sei. Der könne dann im Notfall ja eingreifen. Die Drohung wirkt! Jetzt nennt Magnus G. den richtigen Ort. Die Polizei findet die Leiche des kleinen Jakob in einem Angelsee bei Schlüchtern. Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Die Frankfurter Polizei hat Magnus G. nicht gefoltert, sie hat ihm mit „unmittelbarem Zwang" gedroht, wie es im Polizei-Deutsch heißt. Um die vielleicht letzte Chance, den Jungen noch lebend zu finden, zu nutzen.

Gewalt als Mittel des „Rechtfertigenden Notstands" oder als „Gefahrabwehrende Maßnahme"? Klar ist: In Deutschland ist Folter als Mittel verboten. Klar scheint: Unter Juristen ist das Vorgehen des Polizei-Vize umstritten. Ihre Argumente: Wenn es schon die Chefs so machen, was machen erst „normale" Polizisten? Und wenn es bei Kindes-Entführung im Notfall „erlaubt" ist, wo ist die Grenze? Beim Bankraub? Drogenhandel? Wolfgang Daschner, als Kriminal-Experte, höchst geachtet, kennt die Vorschriften. Vielleicht machte er deshalb einen Aktenvermerk über sein Vorgehen ans hessische Innenministerium und die Staatsanwaltschaft. Die ermittelt jetzt gegen ihn und den Kriminal-Hauptkommissar wegen „Aussage-Erpressung."

Wahrheitsdrogen -gibt's die wirklich?

Wissenschaftler erklären uns: Als Wahrheitsdrogen können Kurzzeitnarkotika und Schlafmittel verwendet werden, das Entscheidende ist die Dosierung. Denn der Proband muss in einen Dämmerzustand versetzt werden, der es ihm unmöglich macht, sich der Beantwortung von Fragen zu widersetzen. Er darf aber nicht einschlafen oder das Bewusstsein verlieren. Bis vor etwa 20 Jahren wurden solche Mittel noch zu therapeutischen Zwecken in der Psychiatrie eingesetzt. In Deutschland ist der Einsatz von Wahrheitsdrogen illegal, in den USA wird seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 über ihre Wiederzulassung diskutiert. In Israel sind sie bei Terroristen-Verhören erlaubt.

Kommentar

Möchten Sie in dieser Situation sein? Vor Ihnen ein Mann, der wohl ein Kind entführt hat. Lebt es noch, ist es tot? Kann man es retten? Wolfgang Daschner hat mit Gewalt gedroht. Da, er hat! Und das ist laut Gesetz einwandfrei verboten. Aber: Wenn die Polizei das Kind dadurch noch lebend gerettet hätte - Daschner wäre in den Augen Vieler reif für einen Orden. Wie hätten Sie gehandelt? Möchten Sie in einer solchen Situation sein Richter sein? Ich nicht!