Die Berichte des Berliner Tagesspiegel, 19.02.2003

von Juergen SCHREIBER

Geheime Kommandosache

Es war als große Geheimaktion geplant: Am heutigen Mittwoch, gegen 14 Uhr, sollte der mutmaßliche Mörder des kleinen Jakob von Metzler von der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt in das Oberlandesgericht Frankfurt geschleust werden. Der Stundenplan sah vor, dass der 27 Jahre alte Magnus G. abgeschirmt von der Öffentlichkeit nach einem kurzen Vorgespräch gegen 15 Uhr dort sein erstes juristisches Staatsexamen ablegt, Dauer ca. 60 Minuten. Der sonst übliche Aushang im Glaskasten des Juridicum an der Goethe-Universität war wegen der Brisanz des Vorgangs unterblieben. Lediglich sein Verteidiger Ulrich Endres sowie dessen Referendarin waren in die Aktion eingeweiht.

Zur selben Uhrzeit sollte parallel dazu die Staatsanwaltschaft Frankfurt ihre Anklageschrift gegen G. bei einer Pressekonferenz vorstellen. Die Regie sah vor, das öffentliche Interesse auf diesen Termin in Gebäude C zu konzentrieren, während dank perfekten Timings der Entführer des elf Jahre alten Jakob das grundsätzlich öffentliche Examen ungestört von den Medien im benachbarten Gebäude D absolviert.

Stattdessen gibt es heute wohl Rummel ohnegleichen. Mit einer Presseerklärung hat das hessische Justizministerium am gestrigen Dienstag die geheime Kommandosache durchkreuzt - und dabei auch Verteidiger Endres kalt erwischt. Der 57 Jahre alte Rechtsanwalt war just auf dem Weg zu einem eigenen, kurzfristig anberaumten Medientermin, als die Nachricht von G's bevorstehender Prüfung über den Ticker lief. Endres wollte sich zu den Verhörmethoden der Frankfurter Kripo im Falle seines Mandanten G. äußern, die gestern durch eine Veröffentlichung im Tagesspiegel publik geworden waren.

Interessant ist der Zeitpunkt, zu dem der schon lange feststehende Termin publiziert wird: einen Tag nach Bekanntwerden der staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen Verdachts der "Aussageerpressung" gegen Frankfurts Polizeivizechef Wolfgang Daschner und weitere Kripobeamte im Falle Magnus G. Nach dem im Tagesspiegel publizierten Vermerk Daschners sollte der Beschuldigte G. "nach vorheriger Androhung, unter ärztlicher Aufsicht, durch Zufügung von Schmerzen (keine Verletzungen)" befragt werden, so das Dokument.

Ehe dieser Vorgang Schlagzeilen machte, behandelte das Prüfungsamt G s Examen als Top-Secret-Sache. Im Gerichtsviertel war zu hören, das Ministerium habe ausdrücklich darauf gedrungen, die Sache dürfe erst nach der Landtagswahl stattfinden. Man fürchtete Volkes Stimme, bei einer Indiskretion könnte Justizminister Christean Wagner, CDU, unter Druck kommen, weil hier einem Kapitalverbrecher eine Sonderprüfung erlaubt würde. In Wiesbaden kursiert die Vermutung, die Meldung könnte gezielt durch die Frankfurter Polizei gestreut worden sein.

Nach amtlicher Auskunft hat G. einen Rechtsanspruch auf diese Prüfung. Der Untersuchungshäftling studierte bei seiner Festnahme im 13. Semester Jura. Nach Auskunft von Anwalt Endres fehlen ihm noch fünf Punkte zum ersten Staatsexamen. Da brauche er nur noch durch die Tür zu treten, dann habe er bestanden, erklären Fachleute.

Allerdings kann man sich fragen, was ihm das Staatsexamen noch bringt. Im Justizausbildungsgesetz steht, für das danach folgende Referendariat komme insbesondere nicht in Frage, wer "wegen eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens, der Erlangung der Befähigung zum Richteramt nicht würdig ist". G. ist voll geständig, seine Verurteilung höchst wahrscheinlich. Dass er zur Prüfung darf, scheint eher eine psychologische, von Anwalt Endres stark unterstützte Geste zu sein, die ihm eine Perspektive suggeriert.

Das Examen kann man sich nicht bizarr genug vorstellen: Zu den fünf Prüfungsfächern des mutmaßlichen Lebenslänglichen zählt heute insbesondere das Strafrecht.