Wie die "Folter"-Drohung des Polizeivizepräsidenten ans Tageslicht kam

Die beiden Journalisten beschreiben den Weg der Informationen und ihrer Recherchen

Vorbemerkungen


Auskunft darüber zu geben, wie Medien an brisante Informationen kommen oder gekommen sind, ist immer sehr schwierig. Der Grund: Naturgemäß sollen solche Informationen seitens derer, von denen die Informationen handeln, eben nicht an die Medien gelangen, und deshalb sind solche Informationen meist in unterschiedlicher Weise geschützt.

Wenn Menschen solche Informationen über die Medien dennoch öffentlich machen, weil sie der Meinung sind, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf habe, eben dies zu wissen, machen sich solche Informanten meist unbeliebt oder verstoßen sogar gegen Verträge (Arbeitsvertrag) oder Gesetze. Aus diesem Grund ist für die Medien, die von Informanten und ihren Informationen leben, der wirksame Schutz solcher Informanten nicht nur lebenswichtig, sondern ein Eisernes Prinzip. Sogar die Rechtsprechung bis hinauf in das höchste Gericht, das Bundesverfassungsgericht, hat den "Informantenschutz" bzw. den Schutz der Vertraulichkeit zwischen Informanten und Medien als Bestandteil der grundgesetzlich garantierten Pressefreiheit immer wieder bestätigt. Das ist sehr erfreulich und führt dazu, dass hier zu Lande viele Dinge publik werden (können), die sonst nie das Licht der Öffentlichkeit erblicken würden. Weitere Details, wie so etwas funktionieren kann, finden Sie auf dieser Websitewww.informanteninfo.de

Was Sie hier lesen können

Auch im Fall der vorliegenden Geschichte, die wir mit "Folterdrohung" überschrieben haben, verhält es sich ähnlich. Wir wollen deshalb an dieser Stelle zwei Dinge machen:

Zum Ersten rekonstruieren wir den Hergang und Ablauf, wie die Geschichte entstanden ist, so wie wir sie selbst von den beiden Autoren, Jürgen Schreiber vom Berliner Tagesspiegel und Horst Cronauer von der BILD Frankfurt mitgeteilt bekommen haben und wie wir sie mit weiteren bekannten Fakten ergänzen können. Aus Gründen des Informantenschutzes werden wir nicht alles beschreiben (können), weil wir selbst - aus dem gleichen Grund - nicht alles von den beiden Journalisten erfahren haben.

Danach können Sie dann, zum Zweiten, ein kleines Rechercheprotokoll von Horst Cronauer, BILD Frankfurt, lesen, das uns dieser für diese Website zur Verfügung gestellt hat.


Rekonstruktion der Berichterstattung beim Berliner Tagesspiegel

Von Jürgen SCHREIBER

Der Auslöser

Ausgangspunkt der Berichterstattung, soweit sie mit dem "Wächterpreis der Tagespresse" ausgezeichnet wurde, sind zwei Berichte im Berliner Tagesspiegel vom 7. Dezember 2002, insbesondere der längere Bericht auf der berühmten "Seite 3". Der Autor Jürgen Schreiber interessiert sich dafür, wieso ausgerechnet ein Student der Rechtswissenschaften - und dies kurz vor seiner Abschlussprüfung - eine solche Tat begehen konnte. Dazu führt er Gespräche mit dem Anwalt des Beschuldigten und hatte dem Inhaftierten, der auf seinen Prozess wartet, schriftlich Fragen gestellt.
In diesem ausführlichen Psychogramm findet sich ein auf den ersten Blick belanglos klingender Satz, der in der in Berlin erscheinenden Zeitung steht:

  • "Dann das Verbrechen, das in seiner Trostlosigkeit seinesgleichen sucht und einen Vernehmer drohen ließ, er gehe jetzt mit Magnus auf den Flur und schlage ihm die Zähne aus."

Über diesen Satz und dessen letzte Worte stolpert in Frankfurt ein mit dieser Angelegenheit befasster Staatsanwalt, der den Tagesspiegel liest. Er erkennt auch gleich die Brisanz des Problems: Wenn das so war, wie in dem Zeitungsartikel angedeutet, also die Aussage unter Drohung oder gar Anwendung von Folter zustande gekommen wäre, dann würde das Geständnis vor Gericht möglicherweise keinen Bestand haben. Die Staatsanwaltschaft ordnet daraufhin weitere Nachvernehmungen des Beschuldigten an, in denen, erstens, alle früheren Aussagen nochmals zusammen getragen werden sollen (ohne Drohung), und in denen, zweitens, eben diese Andeutung des Zähne-Ausschlagens geklärt werden solle.

Beides geschieht. Und der Untersuchungshäftling bestätigt, nachdem man ihm den obigen Satz aus demTagesspiegel vorliest, er sei tatsächlich massiv bedroht worden.

Geheimhaltung und Druck

Jetzt gerät die Staatsanwaltschaft unter Druck, denn sie müsste jetzt eigentlich ermitteln - Aussageerpressung ist ein Straftatbestand. Man entschließt sich, alles geheim zu halten. Dies geht aus einer "Verfügung" eines Oberstaatsanwalts hervor, die inzwischen bekannt geworden ist.
Davon weiß zu diesem Zeitpunkt der Chefreporter des Tagesspiegels noch nichts. Er recherchiert ohne dieses Wissen weiter - immer noch auf der Suche nach Antworten, warum dieser Mord? Bei seinen Recherchen und ständigen Nachfragen, die bei Polizei und Staatsanwaltschaft für erhebliche Unruhe sorgen, stößt er auf weitere Informationen. Nämlich dass es wegen der Drohung, erstens, weitere Vernehmungen gegeben hatte, und dass, zweitens, die fragliche Drohung, die er selbst in seiner Reportage mit "Zähne ausschlagen" zitiert hatte, Aktenvermerke gegeben hat - der Polizeivizepräsident höchstpersönlich habe eine solche Anweisung erteilt und darüber eine schriftliche Notiz angefertigt: "nur für die Handakte der Polizei/Staatsanwaltschaft". Und in einem weiteren Vermerk eines Oberstaatsanwalts seien mit damit befasste Staatsanwälte "zur absoluten Geheimhaltung verpflichtet" worden.

Druck sucht sich immer ein Ventil

Wenn hohe Amtsträger Dinge tun, die (möglicherweise) nicht (ganz) korrekt sind, die Ausführung solcher Anordnungen aber Untergebenen überlassen werden, geraten auch die so genannten kleinen Beamten unter Druck, die sich am wenigsten gegen, erstens, solche Dienstanweisungen, und zweitens, gegen spätere Ermittlungen wegen Dienstverfehlung wehren können. Entsprechend groß wurde auch der Druck und die Unruhe an der Basis bei der Polizei. Letztlich war dieser ganze Vorgang für die Behördenleiter nicht mehr unter Kontrolle zu halten.
Aus diesem Grund gelangten Informationen über die Probleme und die Unruhe auch ‚nach draußen' an die Medien. Wache Medienvertreter wissen solche Andeutungen zu interpretieren und fragen dann auch nach - Hinweisen nachzugehen ist ihr Job. Damit entfalten solche Vorgänge eine Eigendynamik, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich aus vagen Hinweisen oder Vermutungen nach und nach konkretere Informationen herausschälen, die es zum Schluss nur noch zu überprüfen gilt. Dann ist die Geschichte gelaufen, wie man so sagt.

Zwei Journalisten spüren Hinweisen nach

Im konkreten Fall gelangten Hinweise und Informationen nicht nur an den Chefreporter des Tagesspiegel, sondern auch an den Frankfurter BILD-Zeitungschef. Wie das Leben so spielt, arbeiten dann oft zwei Journalisten an der selben Sache und oft ist es dann auch kein Zufall, dass die Geschichte praktisch zur gleichen Zeit publik wird, ohne dass sich der eine mit dem anderen abgesprochen hat.

Die Geschichte bei der BILD in Frankfurt wird am 16. Februar 2003 erst am späten Nachmittag ‚rund'. Damit verpasst sie den Redaktionsschluss für die Bundesausgabe der BILD ganz knapp (siehe dazu unter "Die Tageszeitungen"): Es reicht nur für eine kleine Meldung. Aus diesem Grund steht die große Story am 17.2. auch nur in der Frankfurter Ausgabe der BILD. Und deshalb weiß auch der Tagesspiegel in Berlin davon nichts, als er an diesem Tag spätnachmittags eine Agenturmeldung absetzt, in der auf seine Enthüllung am nächsten Tag, den 18.2., hingewiesen wird, die dann zeitgleich mit der großen Berichterstattung, dieses mal in der bundesweiten BILD-Zeitung parallel läuft. Insofern haben beide Tageszeitungen völlig unabhängig voneinander ihre Wächterfunktion erfüllt.

Der Erinnerungsbericht von Horst CRONAUER, BILD-Zeitung Frankfurt

"Babbelei beim Ebbelwei"

Es begann in meiner Stammkneipe, einem kleinen Lokal in der bäuerlichen Wetterau nördlich von Frankfurt. Hier traf sich meist zufällig, aber trotzdem regelmäßig, eine bunte Gesellschaft. Der Arzt erzählte Verrücktheiten aus seiner Praxis, der Wirt den neuesten Tratsch aus den Dorf, die Rentner, wer gerade wieder gestorben war. Und zwei Polizisten klagten über die ständigen Überstunden und Sondereinsätze in Frankfurt. Auf gut Hessisch: "Babbelei beim Ebbelwei". Man erfuhr Geschichten, die das Leben schrieb - und oftmals kurz darauf in BILD Frankfurt standen. Wenn es wieder mal soweit war, gab der Reporter einen aus. Stammtisch-Runde bitte!

Eines Herbsttages 2002 aber war alles anders. Die Runde diskutierte über die Entführung des Bankier-Sohnes Jakob von Metzler, den grausamen Tod des Elfjährigen. Im Mittelpunkt der Fragen einer der beiden Polizisten, der aber beteuerte, nichts über das öffentlich Bekannte hinaus zu wissen und mit dem Fall selbst aber auch gar nichts zu tun zu haben. Später, als er ging, nahm er mich kurz beiseite und fragte: "Weißt Du denn nichts? Da muss doch irgendetwas vorgefallen sein, da ist etwas nicht in Ordnung."

Ich wusste nichts, aber der Satz "Da ist etwas nicht in Ordnung" wurde zum Ohrwurm. Nicht mehr zu verdrängen, unmöglich zu vergessen.

Nichts Genaues weiß man nicht

Der Quellen gibt es viele, Verschwörungstheorien noch mehr. Besonders in dem Dorf Frankfurt, das sich so gerne Weltstadt nennt. Bösartigste Gerüchte über die Familie von Metzler machten unter der Hand die Runde. Der Anwalt des Täters brüstete sich im TV damit, er habe schon Mörder frei bekommen, von denen er genau wusste, dass sie schuldig waren. Aber bei meinem vorsichtigen Herumstochern im Heuhaufen, immer auf der Suche danach, was da "nicht in Ordnung" war, gab's kein Erfolgs-Erlebnis.
Bis ich den zweiten Polizisten aus unserer Wetterau-Runde Wochen später traf. Seine Informationen begannen mit dem Hoffnung zerstörenden Satz: "Nichts Genaues weiß man nicht". Aber immerhin: Er hatte von einem Streit der Vernehmungs-Truppe im Entführungsfall von Metzler gehört, von Vorwürfen untereinander, Beschimpfungen, Fehleinschätzungen, Eingreifen und Befehlen von "ganz oben". Genaueres nicht, nur die allgemeine Befürchtung: "Wenn das raus kommt, ist garantiert einer von uns dran. Denen da oben passiert doch nichts."

Endlich ein winziger Ansatz. Also weiter: Was war bei der Vernehmung? Wer sind die da oben?
Die zweite Frage war schnell beantwortet: Frankfurts Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner war für die Vernehmungen verantwortlich. Sein Ruf: Ein herausragender Polizist, ein Fachmann allererster Güte. Sein Verruf intern: "Ein Korinthenkacker. Einer, der Untergebenen für die kleinsten Verfehlungen mit Strafe droht."

Jetzt war ein Name da. Aber weder die offiziellen Stellen der Polizei noch die Staatsanwaltschaft konnten mit der Kombination Vorwürfe/Vernehmung/Daschner etwas anfangen. Es gab keinen Vorgang. Nach der offiziellen Anfrage bei der Polizei wusste jetzt allerdings schon eine ganze Menge Leute von der Recherche.

Ein Informant

Und es dauerte nicht lange, bis ein um Informantenschutz bittender Telefonpartner den Hinweis auf "den Kripo-Beamten" E. gab: "Der wird jetzt wohl bald büßen müssen. Obwohl er nur einen Befehl von Polizei-Vize Daschner ausführte."

Aber was für einen Befehl?

Um es kurz zu machen: Im Polizeipräsidium hatten sich anscheinend zufällig drei Herren getroffen: Polizei-Vize Daschner, Oberstaatsanwalt Schilling - zwei Männer, die sich im Grunde ihres Herzens noch nie leiden konnten. Und der frühere Polizei-Pressesprecher Öhm. Ungefragt erzählte Daschner dem Oberstaatsanwalt, dass er im Verhör ernsthaft mit Folter drohen ließ. Weil er glaubte, Jakob von Metzler lebe noch, überzeugt war, ihn retten zu können. Dies erzählte er, obwohl er als äußerst erfahrener Polizist wissen musste, dass der Staatsanwalt jetzt geradezu gezwungen war, darüber einen Vermerk in die Akten zu geben. Schließlich hatte ein Zeuge, Herr Öhm, das Geständnis mitgehört.

Vom Fall Metzler zum Fall Daschner

Anfang Januar 2003 bekam der "Fall Daschner" sein Aktenzeichen. Mit dieser Tatsache konfrontiert, bestätigte sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Polizei - aber erst nach dem aufgeregten Besuch des neuen Pressesprechers Liebeck in der Redaktion - die Folterdrohung und das eröffnete Ermittlungs-Verfahren. BILD-FRANKFURT berichtete absolut exklusiv darüber.

Zu der Berichterstattung des ersten Tages gehörte auch ein Kommentar, der die teils erbitterten Streitigkeiten der Zukunft bis in höchste Politik- und Justizkreise vorwegnahm. Darin wurden die menschlichen Motive des Polizei-Vize gewürdigt, aber auch klar festgestellt, dass Folter gesetzlich verboten ist. Er endete mit der Frage: Möchten Sie sein Richter sein? Ich nicht!

Eine Haltung, die wir bis heute beibehalten haben. Bei uns kamen kontroverse Meinungen ins Blatt - per gezielter Umfragen und unzähliger Leserbriefe. Wir haben uns nicht zum einseitigen Sprecher des Gäfgen-Anwalts machen lassen, und wir haben dem verurteilten Mörder des kleinen Jakob von Metzler nicht per Interview im Gefängnis die Gelegenheit gegeben, seine Haftbedingungen zu beklagen.

Der 15. Januar 2003: Am Tag des Erscheinens unserer Exklusiv- Story war sie Haupt-Thema in den elektronischen Medien und Agenturen (von denen die meisten - wie leider inzwischen üblich - ohne Quellenangabe berichteten), logischerweise erst einen Tag später in den anderen Zeitungen.
Später wurde auch eine Menge Dinge von anderen Medien hinzu erfunden, von denen einiges sich bis heute zäh hält. Zwei Beispiele:

Erstens: Daschner habe dem Täter selbst Auge in Auge gegenüber gestanden. Und bei dessen Lügen sei ihm eben vor Wut der Kragen geplatzt. Stimmt nicht! Er stand ihm nicht direkt gegenüber, er hat ihn in jener Nacht und am Morgen danach nicht gesehen, er befahl die Folterdrohung in seinem Zimmer vom Schreibtisch aus. Für die Ausführung des Befehls geradezustehen hat nun der besagte Kommissar E.

Zweitens: Daschner habe überkorrekt direkt nach seinem Befehl eine Notiz gefertigt und diese der Akte beigelegt. Stimmt nicht! Wie oben ausgeführt erzählte er es dem Staatsanwalt Tage später. Der hat es schriftlich niedergelegt, in die Akte getan.