Ein "Fiktives Schlusswort"

Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen "Verleitung zur Nötigung" gegen Wolfgang Daschner erhoben. Daschner, der Vize-Polizeipräsident von Frankfurt am Main, hatte dem inzwischen verurteilten Entführer und Mörder des Bankierssohnes Jakob von Metzler am Morgen des 1. Oktober 2002 androhen lassen, ihm würden unter ärztlicher Aufsicht Schmerzen zugefügt, wenn er nicht sage, wo er das entführte Kind verborgen habe. Diese Anweisung zum Foltern führte zu heftigen Protesten und zu kontroversen rechtspolitischen Debatten; sie führte außerdem dazu, dass das erste Geständnis des Täters Magnus Gäfgen vor Gericht für nichtig erklärt wurde. Die Folter – angedroht oder ausgeführt – ist eklatant rechtswidrig. Was also könnte Wolfgang Daschner vor Gericht sagen? Hier der Entwurf eines immerhin denkbaren Schlusswortes.

Mit Einverständnis des Autors können wir dieses fiktive Schlusswort, wie es sich der ZEIT-Autor Robert Leicht vorstellen könnte, hier präsentieren. Wir halten es für bedeutsam.



DIE ZEIT, vom 26.2.2004

URTEILEN SIE! EIN FIKTIVES SCHLUSSWORT DES ANGEKLAGTEN

von Robert LEICHT


"Hohes Gericht! Ich bin in vollem Maße geständig. Schließlich habe ich meine Anweisung, Magnus Gäfgen Schmerzen anzudrohen und gegebenenfalls auch zuzufügen, bewusst zu den Akten genommen. Sie mögen daraus ersehen, dass ich vorsätzlich gehandelt habe, also in Kenntnis der Folgen – und zwar sowohl der faktischen Folgen für den Entführer als auch der juristischen Folgen für mich selbst. Freilich auch in der Hoffnung auf möglicherweise lebensrettende Folgen für das Opfer der Entführung.

Ich habe vorsätzlich gehandelt – und folglich auch in vollem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit meines Tuns. Gehandelt habe ich aus einer Pflichtenkollision – hier die Pflicht, alles zu tun, was das Leben Jakob von Metzlers retten könnte, auch wider alle Wahrscheinlichkeit, dort das Verbot der Folter und das Gebot, die Menschenwürde auch eines möglichen Mörders zu achten.

Um alle Missverständnisse zu vermeiden: Ich kann mir weder vorstellen noch wünschen, dass ein Rechtsstaat jemals das Verbot der Folter einschränkt oder gar für bestimmte Fälle aufhebt. Wenn ich die Debatte verfolge, die sich aus meiner Anweisung ergeben hat, und in der entsprechende Gesetzesänderungen gefordert wurden, kann ich nur kopfschüttelnd sagen: So redet und schreibt es sich in der Theorie. Wer in solchen Situationen handeln muss, kann sich nur mit Grausen ausmalen, was in der Praxis drohen würde, wollte man das Foltertabu lockern. Und nur mit tiefem Befremden kann ich es registrieren, wenn inwischen ein Kommentator des Menschenwürde-Artikels im Grundgesetz zu der Ansicht kommt, die Folter sei nicht bereits als solche und als Instrument an sich ein Verstoß gegen die Menschenwürde, sondern erst wenn sie aus einer "falschen" Finalität eingesetzt würde. Nein, der Zweck heiligt nicht die Mittel, auch nicht der gute Zweck.

Wenn es Ihnen, dem Mitgliedern des Hohen Gerichts, nicht zu paradox erscheint, so bitte ich Sie, zu verstehen, worauf es mir ankommt: Legen Sie Ihrem Urteil mein ausdrücklich bekundetes Bewusstsein zugrunde, rechtswidrig gehandelt zu haben. Ich verlange nicht, von Ihnen nachträglich aus der Pflichtenkollision entlassen zu werden, unter der ich doch tatsächlich gelitten und gehandelt habe – und die ich deshalb auch aktenkundig gemacht habe. Und noch eines: Halten Sie mit gegenüber und gegenüber allen meinen Nachfolgern – im Amt wie in der Situation – mit allem Nachdruck am Verbot der Folter fest.

Ich stelle mich dem Vorwurf der Anklage, er musste genauso erhoben werden. Ich behaupte keine Rechtfertigung – aber ich bitte um Verständnis. Ich verlange keine Anerkennung für meine Tat – immerhin aber eine Anerkennung des übergesetzlichen Notstandes, aus dem ich gehandelt habe. Und wenn Sie dann urteilen, fragen Sie sich, wie Sie an meiner Stelle gehandelt hätten. Machen Sie aus einer Ausnahme keine Regel – aber sehen Sie die Möglichkeit einer Notsituation.

Es sei besser, dass ein Mensch stürbe, als dass die Justiz aus der Welt käme, sagte Friedrich Wilhelm I., als er Katte, den Fluchthelfer seines Sohnes zum Tode verurteilen ließ. Er dachte an den Täter... Ich dachte an das entführte Opfer: Wäre es besser, dass dieser Mensch stürbe ...?

Ich lebe für den Rest meines Lebens lieber mit dem mir gemachten Vorwurf, auch mit einem Strafurteil, als mit dem Vorwurf, den ich mir selber machen würde, nämlich nicht alles getan zu haben, Jakob von Metzler zu retten.

Und nun ist es an Ihnen, zu urteilen – nicht über die Rechtswidrigkeit meines Tuns, denn die stand von Anfang fest; sondern über das Maß meiner Schuld."