
Stand der Dinge: Wolfgang DASCHNER, Ortwin ENNIGKEIT, Magnus GÄFGEN
im Jahr 2012:
- Magnus GÄFGEN, der Entführer und Mörder des elfjährigen Jakob von METZLER, wurde am 27.Juli 2003rechtskräftig wegen „besonderer Schwere der Schuld“ zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Sein Rechtsanwalt hatte Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt, um – wegen der „Folterdrohung“ – ein milderes Urteil zu erreichen. Das Gericht hat diesen Revisionsantrag am 24. Mai 2004 als unbegründet verworfen. Eine anschließende Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht wurde am 21.12.2004 zurückgewiesen.
- Seine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassbourg wurde im Jahr 2010 so entschieden, dass die erlittene Androhung von Folter zwar eine Verletzung der Würde des Menschen (Folterverbot) darstelle. Aber das Strafverfahren sei korrekt abgelaufen.
- Daraufhin klagte GÄFGEN das Land Hessen auf 15.000 € Schmerzensgeld. Das Landgericht Frankfurt billigte ihm im August 2011 3.000 € als "Geldentschädigung" für die erlittene Folterdrohung zu.
- Jetzt hat GÄFGEN ein Strafanzeige gegen den ehemaligen Polizei-Vizepräsidenten Wolfgang DASCHNER gestellt: Der soll eine uneindliche Falschaussage gemacht haben ...
- Gegen den vom Amt suspendierten Polizei-Vizepräsidenten Wolfgang DASCHNER, sowie einen seiner untergebenen Kripobeamten, der damals den inzwischen Verurteilten verhören musste, hatte die Frankfurter Staatsanwaltschaft 2004 beim Landgericht Anklage wegen „Verleitung zur Nötigung“ erhoben. Den Vorwurf der „Aussage-Erpressung“ (‚Folterdrohung‘) machte sie nicht zum Gegenstand des Verfahrens.
- Dieser Strafprozess gegen den Polizei-Vize und den untergebenen Kripo-Beamten endete Ende 2004 mit einem Urteil: Das Gericht sah den Tatbestand der schweren Nötigung ("Folterdrohung") bzw. eine Anstiftung dazu (Polizei-Vize gegenüber einem untergebenen Beamten) als erwiesen an, billigte aber"massive Milderungsumstände" bei der strafrechtlichen Beurteilung zu. Der Urteilsspruch besteht in einer Verwarnung unter Strafvorbehalt (bzw. Geldstrafe auf Bewährung). Beide Angeklagte sind damit nicht vorbestraft.
- Die Vorsitzende Richterin hatte in ihrer Urteilsbegründung darauf hingewiesen, dass die Gewaltdrohung gegenüber GÄFGEN einen Verstoß gegen die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde dargestellt habe, auf die sich auch Beschuldigte berufen können. Auf der anderen Seite hatte das Gericht die "ehrenwerten Motive" der Polizeibeamten in Rechnung gestellt, die das Leben des Jungen retten wollten. Auf das Argument DASCHNERs, dass dabei ein übergesetzlicher Notstand vorgelegen habe und deshalb polizeilicher Zwang angewendet werden durfte, ließ sich das Gericht nicht ein. Gegenargument: "Wehret den Anfängen, wenn es um Folter geht."
- Eine wirkliche Auseinandersetzung, ob die Androhung von Gewalt als "Folter" gelten kann, fand in der mündlichen Urteilsbegründung nicht statt. Allerdings zollte die Vorsitzende Richterin dem Polizei-Vize gegenüber "Respekt" und eine "ehrenwerte, verantwortungsvolle Gesinnung", weil er zu seiner Entscheidung und zu seinem Handeln in dieser Situation auch gestanden hatte: "Das ist selten in einer Zeit, in der es eher en vogue ist, Verantwortung abzuwälzen."
- Auf dieses Dilemma - gesetzliche Legalität versus individuell empfundene Legitimität des eigenen Handelns - macht auch das "Fiktives Schlusswort" aufmerksam.
- Zur schriftlichen Urteilsbegründung, die im Februar 2005 veröffentlicht wurde, können Sie eine Reflexion aus der Süddeutschen Zeitung lesen: Folter oder nicht? Respekt für Wolfgang Daschner.
- Wolfgang DASCHNER, der die umstrittene Entscheidung zu verantworten hatte und vor allem das Leben des Kindes retten wollte, dafür juristisch und beruflich 'bezahlen' musste, dies aber aufrecht und in Würde tat, wurde nach Einstellung eines notwendig gewordenen Disziplinarverfahrens zum Leiter des "Präsidiums für Technik, Logistik & Verwaltung" bei der hessischen Polizei berufen. Seit 2008 ist er altersbedingt in Pension
Online am: 15.02.2016
Inhalt:
"Folter"-Drohung": ein Mörder, ein totes Kind, ein Polizeivizepräsident
- „Folter“-Drohung? Die Geschichte dreier Personen: Jakob von METZLER, Magnus GÄFGEN und Wolfgang DASCHNER
- "Folter"-Drohung: die Chronologie des Falles Jakob von METZLER
- Wie die "Folter"-Drohung des Polizeivizepräsidenten ans Tageslicht kam
- Folter und/oder Drohen: die Rechtsproblematik
- Rechtsgrundlagen für das Folterverbot
- "Folter oder nicht?"
- Ein "Fiktives Schlusswort"
- Reaktionen
- Stand der Dinge: Wolfgang DASCHNER, Ortwin ENNIGKEIT, Magnus GÄFGEN
Tags:
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