Das Problem von "A"bschleppdiensten und "B"eziehungen

Oder: Wie sich Polizisten von A bis Z in Korruption verstricken (können)

Als es in der siebten Klasse um einen Praktikumsplatz für mich ging und ich mir den Kopf über mein weiteres Verbleiben zerbrach, lernte ich die Bedeutung von Beziehungen kennen. Mein Vater hatte damals kurzerhand einem Bekannten eine Flasche guten Likörs vorbeigebracht und am nächsten Tag hatte ich ein Praktikumsplatz bei einer renommierten Spedition. Ich war schon sehr verblüfft, wie das ablief und hatte ebenso schnell begriffen.

Mitarbeiterkinder und vor allem Kundenkinder, auch MiKi´s und KuKi´s genannt, haben in der Arbeitswelt Vorteile. Jenen stehen die Türen offen, sie haben höhere Chancen, an ausgeschriebene oder auch nicht ausgeschriebene Stellen zu kommen als sonstige Kinder, so genannte SoKi´s. Der Grund ist einfach: Vorhandene Beziehungen sind solche, die schon existieren und deswegen weniger Arbeit machen. Andererseits: Beziehungen müssen auch gepflegt werden, wenn sie von längerer Dauer sein sollen. Da wäscht eine Hand die andere.

Aber: was sind gängige Beziehungspraktiken, die jeder kennt und die die meisten nutzen? Und wo beginnt dann die (illegale) Grauzone? Ab wann genau geht so etwas in Vorteilsnahme über? Oder gar in Bestechung?

Das Justizportal des Landes NRW (Nordrhein-Westfalen), wo sich dieser Fall abspielt(e), beschreibt den (Straf)Tatbestand „Vorteilsnahme“ wie folgt:

„Der Straftatbestand der Vorteilsannahme wird in § 331 StGB beschrieben. Wegen Vorteilsannahme macht sich ein Amtsträger oder ein für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter strafbar, der für die Dienstausübung einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. Er wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Nicht strafbar ist die Tat, wenn der Täter einen nicht von ihm geforderten Vorteil sich versprechen lässt oder annimmt und die zuständige Behörde im Rahmen ihrer Befugnisse entweder die Annahme vorher genehmigt hat oder der Täter unverzüglich bei ihr Anzeige erstattet und sie die Annahme genehmigt.“

Im Zusammenhang mit dem hier dokumentierten speziellen Fall wird das Thema Korruption auch in Verbindung mit der Beauftragung von Abschleppdiensten genannt. Ganz offenbar ein Phänomen, das häufiger auftritt, wie wir bei unseren Recherchen feststellen mussten.

Abschleppdienst-Unternehmen heutzutage sind nicht mehr reine Hol- und Bring-Services, vielmehr beinhaltet ihre Dienstleistung auch die Reparatur der geschädigten Fahrzeuge und den Ersatz in Form eines Leihwagens. Um reines Abschleppen von PKW´s, etwa nach Unfällen, geht es nur bedingt. Denn das eigentliche Geld wird mit der Reparatur und dem Leihwagen-Service verdient.

Und das sind die relevanten Stichworte:


Abschleppen
Ein Pkw abzuschleppen kostet in der Regel ab €100,- aufwärts und ist abhängig vom Zeitaufwand und der Entfernung. Versicherungen haben hierfür eine Pauschale, die zur Zeit 113,- beträgt (Stand 2009). Zusätzlich kommen noch „ab 69,- pro Tag“, beim ADAC sogar 110,- für den Mietwagen hinzu. Dies gilt für einen Mittelklasse Wagen wie z. B. für die Typen VW Golf, Opel Astra oder einen 1er-BMW.

Reparatur
Die Reparatur ist abhängig vom Gutachter und der Entscheidung seitens der Versicherung. Dennoch sind Reparatur und Mietwagen ein großer Extra-Bonus. „Dann können samt Mietwagen und Reparatur auch mal € 10.000,- in 2 Wochen rausspringen“, so der Inhaber einer größeren Mietwagen- und Reparaturfirma.

Leihwagen
Weitere Recherchen ergaben, dass gerade die Leihwagen ‚interessant’ sind. Diese werden in Klassen unterteilt und von den Versicherungen nach Klasse bezahlt. D.h. ein 5er-BMW ist in derselben Klasse wie ein Mercedes E, ein Chevrolet Epica oder der Lexus 300 - nur dass die asiatischen oder amerikanischen Auto´s wesentlich weniger in der Anschaffung kosten. Hier entsteht ein Mehrwert für das Unternehmen, denn die Anschaffung einer asiatischen Luxuslimousine rechnet sich dabei hinsichtlich Investitionsaufwand und Verleiheinnahmen günstiger als ein europäischer Wagen. Der Mietpreis hingegen ist derselbe.

'Zusammenarbeit'
Ferner wird die mögliche Zusammenarbeit zwischen Mietwagen-Firmen, Abschleppdiensten und Reparaturfirmen gefördert, wenn ein Unternehmen nicht alle Bereiche abdeckt. Jeder hat hier etwas, was der andere braucht. Durch Aufmerksamkeiten wie Nutzung der Werkstatt und kostenlose Reparaturen oder auch eine Kiste gutem Wein entstehen Vorteile und Beziehungen, die auch Polizisten zu Gute kommen können.

Wie der Markt 'funktioniert'
Um nun den Markt entsprechend auszureizen, bedarf es möglichst vieler Aufträge: Hier kommen unter anderem Polizeibeamte ins Spiel. In der Regel trifft die Polizei als erstes am Unfallort ein oder wird zur Hilfe gerufen. Wenn die Unfallparteien selbst nicht den Abschleppdienst rufen, so macht dies ein Polizist bei der Polizeizentrale an und ordert einen Abschleppdienst.

Normalerweise wird dann mittels eines bestimmten Verteiler-Schlüssels die Vergabe des Abschleppaufträge geregelt, um alle Abschleppunternehmen gleichermaßen zu berücksichtigen. Nicht ein irgendbeliebiges Unternehmen erhält den Auftrag, sondern jenes, das qualifiziert ist und sich in der Nähe befindet. Laut Aussage des IGA´s (Interessengemeinschaft der Abschlepp- und Pannendienst-Unternehmer e.V.) herrscht hier aber der ADAC vor. Die Polizisten, die vor Ort eintreffen, empfehlen in den meisten Fällen ADAC - Abschleppdienste.

Die Interessengemeinschaft der Abschlepp- und Pannendienst-Unternehmer e.V. hat hierfür auch eine Anleitung entwickelt, die eine rechtssichere und neutrale Auftragsvermittlung empfiehlt. Dies ist aber der Idealfall und lediglich eine Anleitung, die die IGA herausgegeben hat. Es ist keineswegs eine offizielle Richtlinie.

Dass es in diesen Bereichen nicht immer mit ‚rechten Dingen’ zugeht, belegen Berichte von führenden Nachrichtenmagazinen beispielsweise im Netz, die das Thema Polizeikorruption und Abschleppdienste näher betrachtet haben. Unter anderem aus Würzburg, Potsdam, Offenbach, Aschaffenburg, Hösbach, Osnabrück, Braunschweig.

Allein im Jahr 2007 wurden ca. 50 Polizisten aus verschieden Teilen Deutschlands der Vorteilsnahme, sprich Korruption beschuldigt. Die Welt Online schrieb: 13. Juli 2007 „Osnabrücker Polizei ermittelt in eigenen Reihen“ und 9. November 2007 „36 Polizisten unter Korruptionsverdacht“.

Das Problem, genauer: die Versuchung besteht überall. Focus schrieb am 23.Juli 2007 „Firma Schlepp & Schmier“.

Egal wie:
Im Dezember 2008 gab es zum Beispiel mal wieder ein konkretes Verfahren in Sachen Korruption: in Verbindung mit Abschleppdiensten in Osnabrück. Es ging um die Vergabe von Abschleppaufträgen und des Vorwurfs der Vorteilsnahme. Beteiligt: fünf Polizisten und ein Abschleppdienst.
Die bundesweite Presse hatte nicht weiter darüber berichtet. Nur Internetseiten wie z. B. antikorruption.deutsche-fachpresse.com und nord-west-media.de. Das Lokalblatt vor Ort, die Neue Osnabrücker Zeitung schrieb: „Richter: Es wurde einseitig ermittelt“. (Zwangsläufiges) Ergebnis des Gerichtsverfahrens: Freispruch!
Der Tenor des Verfahrens laut der Neuen Osnabrücker Zeitung war „Es bleibe jedoch das Gefühl, dass es einen augenfälligen korruptiven Sachverhalt bei der Polizei gegeben habe,“ schrieb die Tageszeitung weiter. Auch die Staatsanwaltschaft musste letztlich resignieren und plädierte zum Schluss selbst auf Freispruch.

Resümee
Beziehungen sind (zwar) das A und O, bergen aber auch eine Tendenz in sich, dass sie schnell die Legalitätsgrenze überschreiten (können). Allerdings – bzw. leider – ist beispielsweise Korruption juristisch schwer zu fassen, weil sie sich meistens unsichtbar für alle Nicht-Direkt-Beteiligten abspielt.


(TA)