Was es mit dem Schockschlag auf sich hat

Polizisten im Dienst stoßen alltäglich auf Widerstand oder sogar Gegenwehr. Im Notfall müssen sie mit Gewalt reagieren, um andere Menschen, Kollegen und sich selbst zu schützen und die Gewaltquelle außer Kraft zu setzen (Gewaltmonopol des Staates).

Dies darf jedoch nicht mit allen Mitteln geschehen. Die Gefahrensituation muss aber oftmals innerhalb von Bruchteilen von Sekunden erkannt und unter Kontrolle gebracht werden. Dabei muss ein Polizeibeamter mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seiner Maßnahme konform bleiben – nicht selten eine nicht gerade einfache Entscheidungssituation.

In unserem Fall weist der suspendierte Beamte R.G. die Anschuldigungen von sich, den Inhaftierten in der Ausnüchterungszelle mit der Faust geschlagen zu haben. In einer brisanten Situation sei es lediglich zu einem Schockschlag, oder auch „Blendschlag“, gekommen. Der Widerstand leistende Inhaftierte konnte damit kontrolliert überwältigt werden. Also eine verhältnismäßige Maßnahme.

Was aber unterscheidet einen Blendschlag von 'regulären' Faustschlägen?

Die Blendschlagtechnik stammt ursprünglich aus verschiedenen asiatischen Kampftechniken und dient häufig als Vorlage für moderne, taktische Nahkampftechniken im professionellen Einsatzbereich. Taktische und strategische Nahkampfausbildungen genießen in der Regel Menschen, die von Beruf aus ständig mit Gewalt konfrontiert sind und dieser professionell entgegenwirken müssen.

Auch Polizisten werden darin ausgebildet, jedoch in sehr unterschiedlichem Maße. So haben beispielsweise einige von uns befragte Polizisten, trotz aktueller Weiterbildungsmaßnahmen, noch nichts von einem Schockschlag bzw. Blendschlag gehört.

Faustschläge haben eine andere Funktion: Sie sind Ausfluss roher Gewalt und nehmen Verletzungen und Schmerzen bewusst in Kauf.


Wir haben R.G. zum „Schockschlag“ schriftlich befragt:

ansTageslicht.de:
Bitte erklären Sie den Schockschlag aus Ihrer Sicht. Wie unterscheidet er sich von Faustschlägen? Welchen Zweck hat er? Wann wird er angewendet?


R.G.: Der Blendschlag oder Stoss soll mit der flachen Hand in das Gesicht des Gegenüber erfolgen. Eine eigentliche „Schlagwirkung“ ist nicht erforderlich und auch nicht gewünscht. Der Blendschlag dient ausschließlich dem Zweck, den Betroffenen für einen Moment abzulenken und die – eigentlich beabsichtigte – Aktion durchzuführen.
Konkret in meinem Fall: Es war nicht möglich, gefahrlos die Hände des Herrn MM zu ergreifen da dieser mit Fäusten wild um sich schlug. MM konnte sich aufgrund seines Trunkenheitszustandes kaum auf den Beinen halten. Eine Gewahrsamszelle ist aufgrund ihrer Beschaffenheit (unebener Betonboden und unverkleidete Wände) ein denkbar ungeeigneter Raumfür eine körperliche Auseinandersetzung, die in einen Ringkampf ausartet. Ich entschloss mich zu dem Blendschlag, um Herrn MM schnell und kontrolliert zu überwältigen. Noch während des Schlages erfasste ich ihn am Arm während POK D den anderen Arm ergreifen konnte. So konnten wir ihn zu Boden drücken. Selbst hierbei mussten wir darauf achten, dass MM nicht mit dem Kopf auf den Betonboden schlug.

MM erlitt durch den Blendschlag (mit der flachen Hand) leichtes Nasenbluten. Diese Verletzung war nicht beabsichtigt, steht jedoch in keinem Verhältnis zu der Verletzungsgefahr, die ein anderes Vorgehen bedingt hätte.

Wo haben Sie diese Technik gelernt? Lernt das jeder Polizist? War das Teil der polizeilichen Grundausbildung?


R.G.: Gelernt habe ich die Technik im Rahmen der „Integrierten Fortbildung“. Ein einwöchiges, jährliches Seminar. Im Rahmen eines solchen Seminars schilderte ich übrigens auch den Korruptionsfall des Beamten E.
Für „Eingriffstechniken“ steht im Rahmen des Seminars ein Zeitraum von ca. 2 Stunden zur Verfügung. In der Grundausbildung habe ich nichts dergleichen gelernt. Da an dem Seminar alle Beamten des Außendienstes teilnehmen, werden die entsprechenden Techniken allen Beamten zugänglich gemacht. Laut Aussage von Kollegen wird die beschriebene Technik in jüngster Zeit nicht mehr geschult. Sie wird jedoch bei Festnahmen weiterhin angewendet wie entsprechende Anzeigensachverhalte zeigen.

Wie ist die Aus- und Weiterbildung der Selbstverteidigung bei der Polizei generell geregelt?


R.G.: Die Aus- und Weiterbildung der Polizei wird in NRW zentral vom Innenministerium NRW gesteuert.

Wie wird festgelegt, welche gewaltsame Maßnahmen in welcher Situation "angemessen" sind? Wodurch wurde Ihre Vorgehensweise legitimiert? Gibt es schriftlich verfasste Richtlinien oder Gesetze? Falls ja, wo stehen sie geschrieben?


R.G.: Legitimation ist ausschließlich das Polizeigesetz NRW. Oberster Grundsatz für jede Maßnahme ist die Verhältnismäßigkeit. (Ich glaube, es sind keine weiteren Erklärungen vonnöten)

Wo und wie wird das heute vermittelt?


R.G.: Früher (bis ca. 1990) wurden die Sondereinsatzkräfte der Polizei vonauswärtigen Spezialisten (Kampfsportler) ausgebildet. Heute stehen hierfür speziell ausgebildete Beamte zur Verfügung. Im Rahmen der „Integrierten Fortbildung“ habe ich stets nur angelernte Beamte als Ausbilder angetroffen.



Hier zwei weiterführende Onlinequellen zum besseren Verständnis des Schockschlags.


JENS, Martin: Was ist ESDO?


"ESDO" steht für European-Self-Defense Organization. Dort forscht man an einem modernen und effektiven Nahkampfsystem. Die Organisation wurde 1990 nach rund 10 Jahren Entwicklungsarbeit und Unterrichtserfahrung mit über 1.000 Schülern von namenhaften Selbstverteidigungsexperten - darunter Selbstverteidigungsausbilder der Polizei, Justizbeamte, Psychologen u.ä. gegründet.
Martin JENS ist der Landestrainer Hessen. Der Text ist eine Einführung in die ESDO und lehrt den Schockschlag als Methode zur Lösung aus Griffen, wie etwa Würge- oder Wurfgriffe. Der Schockschlag/Blendschlag wird hier als effektivtes Mittel zur Lösung aus Griffen beschrieben.


WAGNER, Thomas: Moderne Selbstverteidigung mit Allkampf-Jitsu


Hier handelt es sich um eine Leseprobe eines Lehrguides für Allkampf-Jitsu. Es gibt auch eine im Handel erhältliche (ausführlichere) Fassung. Darin wird gelehrt, dass ein Schockschlag eine Befreiungstechnik gegen Würgegriffe ist - dass man mit einem Schockschlag den Gegner ablenkt und eine weitere Aktion ermöglicht.