Wo und wie bei der Polizei das Thema "Korruption" wahrgenommen wird

Bestechung im Kleinen und Korruption in größerem Stil gibt es fast überall. Man kann es nur nicht sehen, denn diese Praktiken sind für alle, die nicht daran beteiligt sind, unsichtbar. Bestecher und Bestochener haben kein(erlei) Interesse, das publik zu machen.

Wir interessieren uns deshalb,

  1. ob überhaupt
  2. und wenn ja, in welchem Umfang


dieses Problem z.B. in den Ausbildungs- und Weiterbildungsstättenorten, also Polizeischulen, Polizeihochschulen etc., thematisiert wird. Denn Korruption ist durchaus ein bekanntes und auch diskutiertes Thema in den Medien. Aber wie geht die Polizei selber mit diesem Thema um?

Die Umfrage:

Es gibt bundesweit sechzehn Hochschulen (z.B. in Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Hamburg). Wir wenden uns an deren Pressesprecher. Ergebnis: Sie gehen geteilter Meinung an das Thema heran. Einige wenige waren sehr begeistert, sich mit uns darüber auszutauschen, viele jedoch fanden das Thema zu delikat, fast lästig, um es am Telefon zu besprechen. Und haben uns gebeten, ihnen unsere Anfrage per E-Mail mitzuteilen. Oder sie gaben sich zu 'beschäftigt', um sich mit dieser Thematik auseinandersetzen zu können (bzw. zu wollen?)

Generell ist Zeit immer ein kostbares Gut - nicht nur für die Pressesprecher der Polizei. Wie auch immer: Sonst durchaus hilfsbereit und offen - und sozusagen vorbildlich das Image der Polizei pflegend - ist die Ansprache auf dieses Thema immer mit einer kurzen Stille und einem tiefen Atemzug verbunden:

  • „Was genau möchten Sie denn wissen?“
  • „Geht es hierbei um die überall bekannte Currywurst an der Pommesbude?“
  • „Sind sie von Ihrer Hochschule auch authorisiert, so etwas zu fragen?“
  • „Wie kommen Sie auf dieses Thema?“
  • „Ja natürlich kümmern wir uns darum, ich kann Ihnen jedoch keine Auskunft geben, fragen Sie bitte an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster nach.“


Solche Aussagen regen journalistische Arbeit eher an, als dass sie abschrecken würden. Da die von uns gesuchten Informationen für unseren Fall G. wichtig waren, wollten wir auch wirklich voranzukommen. Deshalb haben wir schließlich einen Fragebogen erstellt und diesen mit einem kurzem Anschreiben an alle deutschen Polizeihochschulen verschickt.

Beispiele aus dem Fragebogen:

  • Wie und wo bzw. bei welcher Gelegenheit wird das Thema Korruption in Ihrer Ausbildungsstätte behandelt und diskutiert?
  • Werden an den Ausbildungsstätten der Polizei alle künftigen Gesetzeshüter auf das Thema Korruption aufmerksam gemacht?

 

Die Ergebnisse:


Der Fragebogen wurde von fast allen Schulen unbeantwortet und mit dem Hinweis, die Pressestelle sei überlastet, zurückgeschickt. Wir haben insgesamt 11 Ausbildungsstätten erreicht.

9 davon sahen sich nicht imstande oder wollten uns nicht antworten:

  • Rheinland-Pfalz: Fragebogen zu umfangreich
  • Berlin: kein Zeitfenster in naher Zukunft, wurde weitergeleitet, kam nie eine Antwort
  • Mecklenburg-Vorpommern: da „...eine Mail zur Übermittlung der Anfrage nicht ausreicht und ich eine offizielle schriftliche Anfrage Ihrer Behörde/Einrichtung benötige, um Ihnen behilflich sein zu können“, das Ganze per Post, trotzdem keine Antwort
  • Bremen: zur Zeit nicht möglich, zu kurzfristig und später auch keine Antwort erhalten. In der 2. Mail: „...aus logistischen und personellen Gründen nicht möglich“
  • Hessen: zu kurzfristig
  • Brandenburg: „...die FHPol kann ihren Fragenkatalog nicht beantworten.“
  • Hamburg: „...Aufgrund des vielfältigen Interesses an solchen und anderen Beiträgen muss zur Beschränkung damit einhergehender personeller Belastungen leider ein äußerst restriktiver Maßstab angelegt werden. ...Gerne verweise ich auf die allgemein zugänglichen Infromationen im Internetangebot der Freien und Hansestadt Hamburg ...oder der Hamburger Innenbehörde.“
  • Sachsen-Anhalt: keine Rückmeldung
  • Bayern: keinerlei weitere Rückmeldung


Nur 2 Ausbildungsstätten haben unsere Fragen beantwortet:

sowie


Es war also sehr viel Hartnäckigkeit und Ausdauer gefragt. Deshalb hatten wir uns auch an die Deutsche Hochschule der Polizei (DHPOL) gewandt, dessen Pressesprecher uns anwies, nicht mehr mit den Dozenten zu sprechen, sondern ihn selbst zu befragen („deshalb gibt es ja einen Pressesprecher“): Er wies uns auf eine Studie hin, die das Bundeskriminalamt (BKA) im Jahr 2000 veröffentlicht hatte. Er sah sich sogar im Stande, uns diese zuzuschicken.

Die BKA-Studie:

Die Studie enstand aus einem Forschungsprojekt, das vom BKA und der Polizei-Führungsakademie durchgeführt wurde. Es ging in der Studie darum, sich einen Überblick über Korruptives Handeln im "System der Polizei" zu verschaffen. Hierzu wurden Experteninterviews mit verschiedensten Polizisten und Juristen in ganz Deutschland geführt und ein schriftliche Befragungen durchgeführt. Die Fragebögen waren anonym und hatten eine Erfolgsquote von 86%, also eine sehr hohe Beteiligung. Befragt wurde der Polizeiaparat mit 688 Fragebögen, die Justiz bekam 113 Bögen, der Zoll 92 Bögen.

Außer den Untersuchungsgruppen und mitwirkenden Studenten der DHPOL waren fünf Autoren maßgeblich beteiligt.

Dr. Robert Mischkowitz, geb. 1953, Soziologe, Experte für kriminelle Karrieren, fremdenfeindliche Gewalt und Gefährdung durch Drogen. Ferner Referent in der Gruppe Kriminalstrategie des BKA.
Heike Bruhn, geb. 1967, Diplomverwaltungswirtin und Kriminalhauptkommissarin in der Gruppe Kriminalstrategie des BKA. Auch kurzeitig im Ministerium des Innern zur Terrorismusbekämpfung und Mitarbeiterin in der Gruppe Kriminalstrategie mit dem Forschungsschwerpunkt „Organisierte Kriminalität“.
Roland Desch, geb. 1953, Kriminaldirektor und Leiter des Abteilungsstabs beim Polizeipräsidium Darmstadt. Ferner war er auch 4 Jahre Dozent für Kriminalistik und Kriminologie an der Polizei-Führungsakademie in Münster.
Gerd-Ekkerhard Hübner, geb. 1946, Kriminaldirektor, spezialisiert in polizeilicher Jugendarbeit und kiminologischer Forschung. Ferner Veröffentlichungen über die Themen Korruption, Prävention, Alltagskriminalität und Jugendkriminalität. Stabsleiter der Polizeidirektion West in Hamburg.
Dr. theol. Pfarrer Dieter Beese, geb. 1955, Gemeindepfarre und nebenbeamtlicher Polizeipfarrer.Lehrbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland an der Polizei-führungsakademie. Arbeitschwerpunkt und Veröffentlichungen in der Ethik im Polizeiberuf.


Unter dem folgenden Titel ist die Studie z.B. in Bibliotheken zu finden:

Mischkowitz, Robert; Bruhn, Heike; Desch, Roland; Hübner, Gerd-Ekkehard; Beese, Dieter: Einschätzung zur Korruption in Polizei, Justiz und Zoll. Ein gemeinsames Forschungsprojekt des Bundeskriminalamtes und der Polizei-Führungsakademie. BKA, Wiesbaden 2000


Aus der Zusammenfassung der Studie haben wir hier einige wenige, dafür aber die allerwichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchung notiert:

  • Erscheinungsformen und Methoden der Korruption (S. 471)


„In einer Begriffsanalyse werden die Bezeichnungen „spontane und geplante“ sowie „situative und systematische“ Korruption aufgearbeitet und die Anwendung des zuletzt genannten Begriffpaares im Rahmen einer phänomenologischen Betrachtung des Themas Korruption präferiert, da diese Bezeichnungen eine ganzheitliche Sichtweise ermöglichen, die zudem die Tatgelegenheitsstruktur mit einbezieht. Zusätzlich führte der Versuch der Typisierung der verschiedenen Korruptionsformen zu der Einführung eines weiteren Begriffes, der mit der Bezeichnung „opportunistische Korruption“ umschrieben wurde. Dabei handelt es sich um eine Art „Gelegenheitskorruption“, die geeignet erscheint, den Graubereich zwischen situativer und systematischer Korruption zu erschließen. Die Annäherung an die verschiedenen Korruptionstypen erfolgt anhand von Merkmalsbeschreibungen.“

  • Ursachen und Tätermotive der Korruption (S. 473)


„fehlende Sensibilisierung für korruptive Sachverhalte“ „(Insbesondere die Kriminalpolizei, der Justizvollzug und der Zoll sehen hierhin eine Korruptionsursache während Schutzpolizei und die Staatsanwaltschaften / Gerichte diesen Aspekt als weniger dominat bewerten.)“

  • Problembewußtsein und Abwehrbereitschaft von Beamten (S. 478)


„Insgesamt 14% der Probanden glauben, dass der Sachverhalt in irgendeiner Form gemeldet oder angezeigt würde. Die Mehrheit der Befragten (54,6%) wählte eine Antwort, bei der Bedienstete den Sachverhalt nicht meldet, jedoch versucht, die Kollegen vom Unrecht ihres Handelns zu überzeugen oder, unter Angabe anderer Gründe, baldmöglichst die eigene Umsetzung beantragt oder die Handlung duldet., Die übrigen 25,2% der Beantworter glauben, dass der „Neuling“ mitmachen werde, entweder aus Loyalität und Solidarität zu ded Kollegen oder aus Furcht vor Repressalien oder ohne besondere Bedenken.“

  • Allgemeine Bekämpfungsansätze (S. 479)


„Im Zusammenhang mit der Bewertung der verschiedenen Bekämpfungsansätze wurden die Probanden zusätzlich gefragt, was sie persönlich tun können, um Korruption in ihrem Verantwortungsbereich beziehungsweise dienstlichen Umfeld zu verhindern. Große Übereinstimmung besteht zwischen den Untersuchungsgruppen bei den beiden höchstbewerteten Variablen. EIgenes vorbildliches, korrektes Verhalten, das heißt Unbestechlichkeit signalisieren, sowie ein rigoroses Ablehnen jeglicher Geschenke und Vorteilsangebote, wird als wirksamstes Mittel des Einzelnen zur Korruptionsvorbeugung angesehen. Es folgt die Empfehlung „eindeutige Sachverhalte melden; kein Decken in Verdacht geratener Kollegen.“

  • Korruption als Thema der Aus- und Fortbildung (S. 483)


„Etwa zwei Drittel aller Befragten in den Untersuchungsgruppen geben an, dass das Thema „Korruption“ bisher weder Gegenstand ihrer beruflichen Aus- und Fortbildung war beziehungsweise im Fortbildungsangebot ihrer Dienststelle angeboten wurde. Wenn das Thema bearbeitet worden ist, dann am ehesten im Fach Recht. Die ganz überwiegende Mehrheit hält die Lehrinhalte im bestehenden Umfang für nicht ausreichend und plädiert für eine Verstärkung der Lehrinhalte zu diesem Thema isnbesondere in den Fächern Recht / Dienstrecht, Prävention und Ethik, gefolgt von führungsorientierten Maßnahmen.“


Unser Fazit:


Im Großen und Ganzen kann man sagen, dass es sehr mühselig ist, diesem Thema auf den Grund zu gehen. Natürlich ist die Thematik für Polizisten recht delikat und gerade deshalb sind einige Menschen sehr bedacht und zurückhaltend in dem, was sie sagen. Das wiederum sagt aber auch Einiges aus. Oftmals gab es die Antwort, die Kapazitäten würden fehlen, um unseren Fragen gerecht zu werden. Oder: Der Hochschulapparat oder die Pressestelle sei überlastet.

Über das Thema wird offenbar gern geschwiegen oder es wird zur Lapalie stilisiert oder es herrscht Unwissenheit. Insofern ist der Fall G. wiedereinmal ein Wachrüttler für uns. Transparenz sollte in einer Demokratie an oberster Stelle stehen. Stattdessen ist jedes System ein Dschungel, den ein Aussenstehender nicht bezwingen kann. Was uns bleibt, ist darauf aufmerksam zu machen, dass es Missstände gibt und dass es an flächendeckender Aufklärung mangelt.


(TA)