Die Berichte der Kölnischen Rundschau, 11.01.2016

von Jens MEIFERT, Kölnische Rundschau

Angespannt durch die Nacht

Mit welchen Ängsten Frauen nach den Silvesterübergriffen unterwegs sind

Ihre Eltern haben gesagt: Seid vorsichtig. Geht nur zusammen, lasst euch nicht anquatschen. "Ihr habt doch gesehen, was passieren kann." Katharina und Valeria sind Silvester im Bahnhof gewesen. Nach zwei Uhr war es, als sie heimfahren wollten. Sie haben einen Mann gesehen, der in einer Blutlache lag, viele verängstigte Frauen und eine Masse unzähliger fremder Männer, deren Anblick sie flüchten ließ. "Wir waren total schockiert", sagt Katharina, 16 Jahre alt, wie ihre Freundin. Aus Niederkassel kommen sie, und sie lieben es gemeinsam auszugehen. "Sollen wir deswegen jetzt zu Hause bleiben?"

Köln, Samstagabend. Es ist das erste Wochenende nachdem das ganze Ausmaß der Silvesterübergriffe bekannt geworden ist. In jener Nacht, in der ein Mob im Schutz der Dunkelheit förmlich Jagd auf Frauen machte. Nun ist der Bahnhofsvorplatz ausgeleuchtet von 6000-Watt-Strahlern, die zwei Bundespolizisten installiert haben. Bis sechs Uhr morgens bleibt die Beleuchtung an, sie ist Teil des neuen Sicherheitskonzeptes, das Oberbürgermeisterin Henriette Reker mit Wolfgang Albers besprochen hat - als Albers noch Polizeipräsident war. Der Generator dröhnt in die Nacht. Einer der Bundespolizisten erzählt, heute leuchte er Köln aus, morgen müsse er zu einer Rechten-Demo nach Magdeburg, und dann weiter nach Passau, um eine Aufnahmestelle für Asylbewerber zu sichern. Er habe schon einen abwechslungsreichen Beruf.

Stefanie Misterek und Kari Wetter wollen den Bahnhof lieber gar nicht erst verlassen, nur schnell umsteigen in die U-Bahn. Zum Sushi-Essen sind sie gekommen, und sie werden es wohl mit einem mulmigen Gefühl im Magen tun. Was da Silvester passiert sei, sei etwas Neues gewesen, so offen und ausufernd, das man das nicht einfach abstreifen könne. Aus Erftstadt und Weilerswist kommen sie, sie kennen das, im Zug blöd angequatscht zu werden, spätabends, wenn nur noch wenige Fahrgäste in der Bahn sitzen. Wenn man innerlich die Minuten runterzählt, bis der Zug in den nächsten Bahnhof einrollt oder auf einen vorbeikommenden Schaffner hofft.

"Ich habe früher in Mülheim gewohnt. Wenn ich abends mit dem Hund draußen war, dann sind mir komische Typen teilweise bis zur Haustür gefolgt", sagt Misterek (29). Jede Frau kenne das. Sie habe früher in Hamburg gelebt, auch da werde man als Frau schon mal angegrapscht, sagt Bettina Boros (21). Aber zu Hause bleiben? "Geht gar nicht", findet auch ihre Freundin Asimaa Addandi. Sie stammt aus Marokko und sagt, "Straftäter gibt es in jedem Land." Man müsse schon aufpassen, "aber Karneval machen wir Party".

Draußen auf dem Bahnhofsvorplatz verteilt Majed Adi gelbe und rote Rosen. Der 21-Jährige kommt aus Syrien, er lebt seit fünf Monaten in Köln. Mit anderen Flüchtlingen verteilt er Blumen an die Passanten vor dem Bahnhof. Es soll eine Geste sein, eine Entschuldigung für das, was passiert ist. "Damit die Leute nicht denken, wir sind alle so." Sie warten am Fuß der großen Freitreppe, von der vor einer Woche die Raketen in die Menge geschossen wurden. Einige Blumen und Schilder sind hier niedergelegt. Eine Frau sagt: "Gut, dass sie gekommen sind." Andere hätten ihm zugerufen, "macht, dass ihr wegkommt". Zehn Päckchen mit Rosen hat er gekauft. Am Ende liegen sie noch in der Folie auf den Stufen.

Die ganze Woche über haben Journalisten auf dem Bahnhofsvorplatz ihre Statements in die Kameras gesprochen. Sie haben versucht zu erklären, was als Hashtag "koelnhbf" um die Welt ging, aber auch in Köln kaum einer verstehen kann. Auch Helene Nestor nicht. Sie ist an diesem Abend mit ihren Freundinnen aus dem Sauerland unterwegs. Eine große Runde, sie waren im Musical "Bodyguard", da haben sie sogar in der Vorstellung die rechten Randalierer auf der Straße gehört. Es sind unruhige Zeiten. Mit Pfefferspray wollen sie sich nun ausstatten, manche haben es schon, es ist nicht mehr ganz leicht zu bekommen (siehe Infotext). "Ich werde künftig öfter mit dem Auto fahren", sagt die Studentin, ansonsten hätte ja Frau Reker wichtige Tipps gegeben. "Eine Armlänge Abstand." Das sorgt zumindest für Heiterkeit in der Runde.

Die Polizei hat angekündigt, dass sie verstärkt Personengruppen kontrollieren werde. Auf der Domplatte und auf dem Alter Markt sind in dieser Nacht mehr Polizeikräfte als üblich unterwegs. Auf den Ringen begleiten Beamte Mitarbeiter des Ordnungsamts. Besondere Vorkommnisse gibt es nicht.

Julia, Una und Olesya sind am Friesenplatz unterwegs. Sie kommen aus Russland und der Ukraine, leben aber schon mehrere Jahre in Köln. "Ich hätte mir nie vorstellen können, dass so etwas in einer deutschen Stadt passiert", sagt die 27-jährige Una. Schon gar nicht in Köln. "Die Kölner mögen es locker und lässig", sagt auch Julia (27), die Marketing studiert. Aber nun habe es einen Einschlag gegeben, dem man anders begegnen müsse. Vielleicht sei die Flüchtlingspolitik etwas zu "optimistisch". Freunde aus ganz verschiedenen Ländern hätten sich bei ihnen erkundigt, ob alles in Ordnung sei. Was denn überhaupt los sei in Köln. Und wie solle das erst Karneval werden.

Die drei jungen Frauen gehen gemeinsam Richtung Friesenwall. Sie wollen noch etwas trinken gehen, mal sehen, was der Abend so bringt, und sie ärgern sich ein wenig, weil sie bestimmt auch heute wieder über die Übergriffe reden werden und was das für sie als Frauen heißt. Aber den Abend wollen sie sich nicht davon verderben lassen. 

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"Wächterpreis der Tagespresse" 2017