Die Berichte der Kölnischen Rundschau, 07.01.2016

von Daniel TAAB, Kölnische Rundschau

Geballte Aufarbeitung

Ermittlungsgruppe "Neujahr" wird aufgestockt - Gewerkschaft wehrt sich

Die Arbeit der Sonderkommission zur Aufklärung der Sexualverbrechen am Hauptbahnhof ist noch aufwendiger als bisher angenommen. Wie die Rundschau erfuhr, wird die Ermittlungsgruppe deutlich aufgestockt. Anfangs befassten sich acht bis zehn Beamte mit den Fällen. "Es werden mit Sicherheit in den kommenden Tagen wesentlich mehr Ermittler", sagte ein Polizeisprecher. Es ist geplant, die Kommission auf etwa 80 bis 90 Ermittler aufzustocken. Gestern Morgen wurden erste Gespräche innerhalb des Präsidiums geführt. Die Ermittlungsgruppe "Neujahr" ist damit eine der größten Einheiten, die die Polizei in den vergangenen Jahren gründete. Mit der Aufarbeitung der Duisburger Loveparade-Massenpanik befassten sich 60 Beamte, nach den Kölner Hogesa-Krawallen wurden rund 40 Ermittler zusammengerufen. Die neuen Mitarbeiter dieser Kommission werden dann aus anderen Kommissariaten abgezogen.

Beamte gehen von zwei vergewaltigten Frauen aus

Wie die Rundschau erfuhr, geht die Polizei inzwischen von über 100 sexuellen Übergriffen und von zwei vergewaltigten Frauen aus. Seit Jahresanfang wurden bereits 30 betroffene Frauen im Präsidium und in Polizeiwachen in Nordrhein-Westfalen sowie anderen Bundesländern befragt und die Ergebnisse zentral nach Köln weitergegeben - weitere Vernehmungen stehen an.

Mehrere Mitglieder der Sonderkommission sind erfahrene Beamtinnen und Beamte, die in ihrer täglichen Arbeit ausschließlich Opfer von Sexualverbrechen befragen. "Es ist wichtig, dass die oftmals traumatisierten Frauen vorsichtig zu dem Erlebten angehört werden", sagte eine mit dem Fall betraute Beamtin. Bei den bisherigen Befragungen konnten die Opfer mehrfach keine detailreichen Angaben zu den Angreifern machen. Häufig hörten die Ermittler Sätze wie: "Es geschah in der Menge. Ich konnte den Täter nicht genau sehen und mich an sein Gesicht nicht genau erinnern." Andere Frauen sagten, dass sie in der Menge "Hände am Körper" spürten und die Täter nicht erkannten. Mit der Auswertung der Videoaufnahmen erhoffen sich die Ermittler, die Täter identifizieren zu können. Auch für diese Arbeit ist die Sonderkommission zuständig.

Besonders gefragt sind derzeit die Taschendiebfahnder der gemeinsamen Ermittlungsgruppe von Polizei und Bundespolizei, sie kennen die tatverdächtigen Nordafrikaner aus ihrer täglichen Arbeit im Hauptbahnhof. Sollten die Beamten einen Verdächtigen aus diesem Personenkreis im Getümmel erkennen, muss das Opfer den Angreifer klar identifizieren. Zur Aufklärung der genauen Tätigkeit der Streifenbeamten am Silvesterabend sollen auch auf die sogenannten "Streifenbelege" ausgewertet werden. Die Papiere zeigen, wo und wann es Polizei-Einsatzfahrten in dieser Nacht gab.

Derweil wehrt sich die Gewerkschaft dagegen, dass Beamte nicht vernünftig gearbeitet hätten: "Es ist eine Frechheit zu behaupten, die Kolleginnen und Kollegen hätten am Einsatzort nichts getan, einfach auf Anzeigen gewartet und die Situation als friedlich eingeschätzt", sagt Andreas Pein, Vorsitzender der GdP Köln. Pein prangert auch die falsche Pressemitteilung an, in der von einer "entspannten Einsatzlage" die Rede war. "Die Polizisten vor Ort haben Anzeigen aufgenommen, Personen zur Wache gefahren und überprüft, sowie Verdächtige in Gewahrsam genommen. Dabei wurden sie angegriffen und selbst Opfer von sexuellen Belästigungen", stellt Pein klar.

AUCH IN DEN USA WIRD ÜBER DIE KÖLNER EREIGNISSE BERICHTET

Die Übergriffe der Kölner Silvesternacht haben es auf die Titelseiten von New York Times und Wall Street Journal geschafft. Im Journal steht auf dem oberen Teil der Seite eins unter einem Foto Barack Obamas die Überschrift: "In Deutschland fordern Übergriffe die Flüchtlingspolitik Merkels heraus". Auch die New York Times stellt einen Zusammenhang zwischen Migranten und den Ereignissen in Köln her: "Attacken auf deutsche Frauen entzünden Debatte über Migranten". Es ist selten, dass deutsche Themen von US-amerikanischen Zeitungen aufgegriffen werden, geschweige denn auf den Titelseiten.

In Deutschland berichten die großen überregionalen Tageszeitungen und Onlineportale umfassend über die Nacht und ihre Folgen. "Es ist dies auch deswegen eine Katastrophe, weil die Silvester-Massenkriminalität für rechtsextremistische Hetze missbraucht wird, weil viele Pegidisten sich nun stolz in die Brust werfen und sich in ihrem Hass gegen Flüchtlinge bestätigt fühlen", kommentiert Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung.

"Wenn sich solche Rechtlosigkeit aber auf der Domplatte, dem Präsentierteller von Köln, Bahn bricht, dann können Politik, Polizei und Justiz nicht mehr wegsehen", schreibt Berthold Kohler in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

"Männer, die sich an Frauen vergreifen, dürfen nicht straflos davonkommen - egal, wie betrunken sie sind, aus welchem Land sie kommen oder welcher Religion sie angehören", kommentiert Stefan Kumany auf Spiegel Online.

Für die TAZ hat Daniel Bax die Geschehnisse eingeordnet: "Nach allem, was man bisher weiß, hat dort eine Gruppe von Kriminellen die chaotische Situation vor dem Hauptbahnhof ausgenutzt, um sich unbehelligt über Dutzende von Opfern herzumachen". (dpa/sol) 

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